Der Artikel »Heillose Verwirrung« in der MagMa vom 4. Mai 2024 hat zahlreiche Kommentare hervorgerufen. In dieser Fortsetzung soll auf zwei wichtige Fragen eingegangen werden. In unserer Gesellschaft gibt es durchaus eine Schicht, die als Arbeiteraristokratie bezeichnet werden kann. Allerdings ist sie ganz woanders zu suchen, als dies die bisherigen Teilnehmer an der Debatte getan haben. Wie aus Kommentaren hervorgeht, wurden zudem die Herkunft des Surplusprofits und seine Veränderung zwischen den kapitalistischen Epochen nicht oder nur unzureichend verstanden. Auch darauf wird einzugehen sein.
Arbeiteraristokratie – gibt es sie doch?
Eine gesellschaftliche Schicht, die als Arbeiteraristokratie bezeichnet werden kann, gibt es meiner Meinung nach durchaus auch in unserer Gesellschaft der BRD von 2024. Aber sie ist woanders zu suchen, als dies die Sebastian Bahlo, Susan Bonath, Peter Schaber und andere getan haben.
Die Arbeiteraristokratie ist nicht die deutsche Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit (Bahlo), sie besteht auch nicht aus den am besten bezahlten Arbeiter wie denjenigen von Audi Ingolstadt (Bonath) und erst recht nicht sind Bürgergeldempfänger dazu zu rechnen (Schaber).
Sehr wohl aber nimmt eine bestimmte Schicht von leitenden Angestellten eine ähnliche Funktion ein wie die Arbeiteraristokratie im Zeitalter des klassischen Imperialismus. Sie sind in den Bereichen Politik, Verwaltung, Bildung, Kultur, Ideologie, Journalismus, PR, Finanzen und Jura tätig. Diese Angestellten machen vielleicht 10 bis 20 Prozent aller Berufstätigen aus und bilden im Allgemeinen das oberste und am besten bezahlte Stratum. Teile dieser Schicht sind bereits sozial abgesunken, wobei sie aber immer noch ein hohes moralisches Ansehen genießen. Vom Habitus her sind sie Bobos und Hipster. Sie sind die Stammwähler der Grünen und vertreten fanatisch die aktuellen Regierungsnarrative, wie abwegig sie auch sein mögen.
Wie der Anarchist David Graeber in seinem Buch Bullshit Jobs darstellt, sind viele ihrer Tätigkeiten unnötig. Während in der Produktion, bei Krankenpflegern und Ärzten und sogar bei der Einstellung von Wissenschaftlern gespart wird, werden zum Beispiel die Krankenhaus‐ und Universitätsverwaltungen bis ins Groteske aufgebläht. Eine nutzlose Tätigkeit ausüben zu müssen demoralisiert natürlich. Aber so haben Angestellte die Möglichkeit, an Motivationsseminaren teilzunehmen oder müssen an ihrem Arbeitsplatz sonst wie die Zeit totschlagen. Es entsteht hoher moralischer und geistiger Schaden. Aber genau das ist im Sinne der Milliardäre, der wahren Herrscher des Westens. Gerade durch die völlige Sinnlosigkeit der eigenen Tätigkeit wird Hass auf all diejenigen herangezüchtet, die noch einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. In den USA richtete sich dieser Hass besonders auf Lehrer und Automobilarbeiter, deren Löhne rabiat abgesenkt wurden, wie Graeber schreibt.1 In Deutschland ist dieser Hass noch diffuser; er richtet sich gegen die eigene Arbeiterklasse allgemein, die als rückständig und rechts geframt wird.
Die Schicht der modernen »Arbeiteraristokratie« ist inzwischen stark zerklüftet. Am oberen Ende stehen zum Beispiel die Chefredakteure der Mainstreammedien, die entsprechend der Anweisungen aus Staat und Wirtschaft die Blattlinie des jeweiligen Mediums festlegen. Am unteren Ende stehen diejenigen, die als Angestellte von staatlich finanzierten Vereinen das eigentliche Canceln, Melden und Denunzieren von staatskritischen Meinungen vornehmen. Sie verdienen häufig kaum mehr als Bürgergeldempfänger und haben Fächer studiert, die die Gesellschaft nicht braucht, zum Beispiel Gender Studies. Ihr größter Vorteil besteht darin, dass sie für einige Jahre dem gängelnden Zugriff der Jobcenter entzogen sind.
Im Allgemeinen schmilzt die Schicht der gutverdienenden Angestellten langsam zusammen, wie Sahra Wagenknecht in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« feststellt. Noch in den 00er Jahren waren auch Angehörige der technischen Intelligenz dieser staatstragenden Schicht zuzurechnen. Die Hartz‐IV‐Reformen wurden auch durchgeführt, um zum Beispiel Programmierern mit ihren berüchtigt langen Arbeitszeiten billiges Dienstpersonal zuzuführen (Pizzaboten, Tagesmütter, Putzfrauen und so weiter). Inzwischen sind sie aber im Allgemeinen kein Bestandteil dieser Schicht mehr.
Nach Angaben des statistischen Bundesamtes waren in Deutschland in den unterschiedlichen Wirtschaftssektoren beschäftigt:
Jahr |
1 Landwirtschaft |
2 Industrie |
3 Dienstleistungen |
1953 |
20,8 Prozent |
45,2 Prozent |
34,0 Prozent |
2019 |
1,3 Prozent |
24,1 Prozent |
74,6 Prozent |
Beschäftigte nach Wirtschaftssektoren in Deutschland2
Auch wenn sich die Kategorien Beschäftigte nach Wirtschaftssektoren und Arbeiterklasse im Sinne von Marx nicht zu 100 Prozent decken, kann man erkennen, dass die Industrie 1953 die weitaus meisten Menschen beschäftigte. Arbeiter bildeten den Kern der Gesellschaft. Ihnen stand einerseits die Bauernschaft und andererseits kleine Angestellte vor allem in den Bereichen Verkauf und Verkehr gegenüber; das klassische Kleinbürgertum. Wenn man dann auch noch berücksichtigt, dass die Arbeiterschaft ein hohes Klassenbewusstsein hatte, Streiks effektiv zur Durchsetzung ihrer ökonomischen Forderungen einsetzen konnte und zudem auch noch »Gefahr« durch den Sozialismus drohte, machten aus Sicht der Kapitalisten Bestechungsversuche bei bestimmten Angehörigen dieser Klasse durchaus Sinn.
Heute macht die eigentliche Arbeiterklasse nur noch ein knappes Viertel der Beschäftigten aus, sie ist also zahlenmäßig stark geschrumpft. Ihr Klassenbewusstsein ist weitgehend erloschen und sie ist in der Öffentlichkeit moralisch diskreditiert. Unter diesen Umständen machen Bestechungsversuche von Teilen der Arbeiterklasse für Kapitalisten keinen Sinn mehr.
Um die groteske soziale Ungleichheit nicht allzu offensichtlich werden zu lassen und immer wieder aufkommende Unzufriedenheit in der Bevölkerung ideologisch abzufedern, geht es dennoch nicht ganz ohne eine relativ gut bezahlte Schicht. Sie steht ideologisch als kompakter Block einer demoralisierten, gespaltenen und atomisierten Gesellschaft gegenüber. Dies zeigte sich zuletzt im Januar 2024 in den von der Regierung organisierten Massenaufmärschen gegen die wichtigste und konsequenteste Oppositionspartei AfD. Insofern erweist sich die Investition der Milliardäre in eine solche Schicht bis heute als sehr einträglich.
Quellen des Surplusprofits
Wie Kommentare zum ersten Artikel vom 4. Mai zeigten, sind häufig die Mechanismen und die genauen Quellen des Surplusprofits unklar. Zunächst einmal ist die Frage zu stellen, wie kam es dazu, dass im Zeitalter des klassischen Imperialismus aus den Ländern des Südens so hohe Surplusprofite bezogen werden konnten.
Dies hat folgenden Hintergrund: In den letzten Jahrzehnten des Kapitalismus der freien Konkurrenz nahm die Arbeitsproduktivität bedeutend zu, während die Löhne noch sehr niedrig waren. Das bewirkte einen relativen und später auch absoluten Anstieg der Rohstoffpreise, des konstanten zirkulierenden Kapitals. Diese Tendenz wurde durch die Tatsache verschärft, dass die Rohstoffe in vielen Ländern mit vorkapitalistischen Produktionsweisen wie Sklaverei oder Leibeigenschaft erzeugt wurden.
Nun wurde viel Kapital besonders in den Kolonien in Rohstoffproduktion und in Transportwegen wie Eisenbahnen und Häfen angelegt. Allerdings bestand in diesen Ländern aufgrund der sehr großen Menge an billiger Arbeitskraft kaum ein Anreiz für eine bedeutende Verwendung von Maschinen. In der Rohstoffproduktion entstand im Wesentlichen ein vorindustrieller, ein Manufakturkapitalismus.
Surplusprofite wurden in den Kolonien und Halbkolonien durch folgende Faktoren erzielt:
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In den weniger entwickelten Ländern war die organische Zusammensetzung des Kapitals niedriger, demnach die Profitrate höher als im Westen.
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In diesen Ländern war auch die Mehrwertrate höher, da aufgrund der wachsenden industriellen Reservearmee der Preis der Ware Arbeitskraft tief unter ihren Wert sank, aber auch ihr Wert war bedeutend niedriger als in den schon industrialisierten Ländern.
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Die Konzentration der Kapitalausfuhr auf rohstoffproduzierende Bereiche sicherte den hier angelegten Kapitalien aufgrund der hohen Rohstoffpreise bedeutende Surplusprofite. Später trug sie zu einer Senkung der organischen Zusammensetzung des Kapitals in den Metropolen bei.
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Die massive Kapitalausfuhr verringerte das brachliegende Kapital in den Metropolen und führte aus diesem Grund auch dort zu einer Erhöhung der Profitrate.3
Dies ist die klassische, von Lenin in seiner Imperialismusschrift dargestellte Konstellation. Sie änderte sich allerdings grundlegend am Ende des Zweiten Weltkrieges. Mit dem Sieg des Sozialismus in China und in Osteuropa waren 25,8 Prozent der Erdoberfläche und 34,3 Prozent der Erdbevölkerung4 dem Zugriff des Kapitals entzogen. Unruhen in den Kolonien ließen die Kapitalisten befürchten, dass dieser Bereich noch wesentlich zunehmen könnte.
Als Folge der Kriegsanstrengungen wurden zahlreiche neue Entdeckungen gemacht, die nach 1945 auch in der zivilen Wirtschaft eingesetzt wurden. Beispiele sind die Kernenergie, das Radar, der Computer et cetera. Die organische Zusammensetzung und damit die Arbeitsproduktivität stiegen steil an. Unter diesen Bedingungen wurde die frühindustrielle Rohstoffproduktion in den Kolonien von einer Quelle von Surplusprofiten zu einem Faktor des Rückgangs der Durchschnittsprofitrate. Die Rohstoffpreise stiegen wieder. Diese Entwicklung begann schon schleichend im Ersten Weltkrieg und erreichte ihren Höhepunkt am Anfang der fünfziger Jahre.5
Steigende Rohstoffpreise führten dazu, dass wieder zunehmend Kapital in den Sektor der Rohstofferzeugung investiert wurde. Jetzt wurden dort – im Unterschied zur vorherigen Epoche – ebenfalls hochindustrielle Techniken eingesetzt. Damit fiel ein wichtiger Anreiz weg, diese Industrien in den unterentwickelten Ländern zu konzentrieren. Billige Arbeitskraft spielte nun eine geringere Rolle als zuvor und teure Maschinen werden mit geringerem politischem Risiko in den Metropolen eingesetzt. Wo nur möglich, wurde die Rohstoffproduktion dorthin verlagert. Kautschuk wurde durch Kunstkautschuk, Baumwolle durch Kunstfasern, Guano durch Kunstdünger und Zuckerrohr durch Zuckerrüben ersetzt. Dies ist auch der Hintergrund für die jetzt einsetzende durchgehende Mechanisierung und Chemisierung der Landwirtschaft in den hoch entwickelten Ländern.6
Surplusprofite wurden nun vor allem durch technologische Renten innerhalb der entwickelten Länder erzielt. Diese können realisiert werden, wenn es Unternehmen gelingt, die Marktpreise von ihren Produkten weit über ihren Kostpreisen festzusetzen. Dies ist in der Regel dann möglich, wenn sie in der Lage sind, sich eine – zumindest zeitweilige – Monopolstellung für ihre neu entwickelten Produkte zu sichern.7
Technologische Renten sind ein Sonderfall des Monopolprofits und entstehen, wenn der normale Zu‐ oder Abfluss des Kapitals in bestimmte Branchen gehemmt wird. Dies kann durch folgende Faktoren geschehen:
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Aufgrund der extremen Höhe der anzulegenden Kapitalien, die mehrere Milliarden Dollar pro Produktionsstätte betragen kann.
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Aufgrund von geistigen Eigentumsrechten wie Patenten
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Aufgrund des Vorsprungs von forschungsintensiven Großkonzernen über ihre Konkurrenten bei der Beherrschung von schwierigen Produktionsvorgängen oder der Entwicklung von neuen Produkten.
Das heißt, es kommt hier nicht oder nur verzögert zu einem Ausgleich der Profitraten. Innovative Betriebe konnten sich für eine verhältnismäßig lange Zeit beträchtliche Surplusprofite sichern.
Allerdings kann nur derjenige Mehrwert umverteilt werden, der produziert worden ist. Die Kehrseite von Surplusprofiten in bestimmten Sektoren sind unterdurchschnittliche Profite in nichtmonopolistischen Branchen, zum Beispiel in der Textil‐ und Schuhindustrie. Niedrigere Löhne innerhalb eines Landes sind kein Ausweg: Bekanntlich richtet sich die Lohnhöhe nach den Kosten der für Reproduktion der Ware Arbeitskraft notwendigen Konsumgüter. Bei einem gegebenen Preisniveau kann das Lohngefälle zwischen den Branchen eines Landes eine bestimmte Höhe nicht überschreiten.
Dass die Rohstoffproduktion mit manufakturkapitalistischen Methoden kaum noch Profite, geschweige denn Surplusprofite erwirtschaften konnte, zeigt sich schon am ständigen Klagen über die Verschlechterung der Terms of Trade seit den 70er Jahren. Um eine bestimmte Maschine aus den Industrieländern zu kaufen, mussten die Entwicklungsländer immer mehr Rohstoffe produzieren. Eine neue Weltwirtschaftsordnung mit garantierten Festpreisen für Rohstoffe war eine sehr prominente Forderung, die auch innerhalb der UNO vorgebracht wurde, freilich ohne jeden Erfolg.
Unterdurchschnittliche Profite in bestimmten Branchen waren ein Ansatzpunkt zu einer erneuten Umkehrung des Gefüges des Surplusprofits. In den 70er Jahren wurden die geringen Profite in der westlichen Textil‐ und Lederindustrie langsam zu einer Überlebensfrage. Sie waren deshalb eine der ersten Branchen, die ihre Produktionen in Entwicklungsländer verlegten.
Im Unterschied zur Epoche des klassischen Imperialismus wurden diese Länder nun ein wichtiger Standort einer hochindustriellen Industrieproduktion. Allerdings nahm die Anzahl der Industriearbeiter kaum zu, weil die neuen verarbeitenden Industriebetriebe jetzt vergleichsweise produktiver arbeiteten als die rohstofferzeugenden Betriebe mit primitiv‐industriellen, manufakturmäßigen Methoden der vorherigen Epoche. Die industrielle Reservearmee vergrößerte sich deshalb eher noch und verhinderte so eine Steigerung der Arbeitslöhne. Häufig sank der Preis der Ware Arbeitskraft tief unter ihren Wert.
Entwicklungsländer sind nun erneut eine wichtige Quelle von Surplusprofit, diesmal allerdings weniger durch manufakturkapitalistische Rohstoffproduktion, sondern als Standort von modernen Industriebetrieben, wobei allerdings die Löhne weit unter denjenigen der Industrieländer bleiben. Surplusprofit wird hier im Wesentlichen erneut durch eine höhere Mehrwertrate erzeugt.
Sebastian Bahlo behauptete, durch Kontrolle der globalen Warenflüsse habe der Imperialismus einen so großen Machtzuwachs erlangt, was es ihm ermöglichte, die Arbeiterklasse im Westen zu bestechen. Mir ist nicht ganz klar, was genau er damit meint. Die Vermutung liegt nahe, dass er hier auf Währungsmanipulationen und Spekulationen anspielt. Allerdings wurden in der Nachkriegszeit feste Wechselkurse für die Währungen vereinbart und der US‐Dollar war zu einem Kurs von 35 Dollar pro Feinunze in Gold umtauschbar. Das verhinderte größere Manipulationen. Zudem war US‐Industrie in der Nachkriegszeit die bei weitem produktivste der Welt und die USA erzielten riesige Außenhandelsüberschüsse. Sie hatten also an solchen Manipulationen kein Interesse.
Die Situation änderte sich erst grundlegend in den 70er Jahren. 1971 musste die Golddeckung des Dollars aufgegeben werden. Gleichzeitig nahm die Produktivität der US‐Industrie im Vergleich zu europäischen und asiatischen Ländern, besonders den Frontstaaten im Kalten Krieg BRD und Japan bedeutend ab. Anstelle eines Handelsbilanzüberschusses häuften die USA nun ein Handelsbilanzdefizit an. Zugleich war der US‐Haushalt durch die riesigen Ausgaben für den Vietnamkrieg belastet.
Da die US‐Industrie kaum noch konkurrenzfähig war, verließen sich die herrschenden Kapitalkreise zunehmend auf Profite durch Finanzmanipulationen. Gegen Ende der 70er Jahren kam es zu einer ganzen Reihe von solchen künstlich erzeugten Krisen wie der Volcker‐Schock 1979 – 1980, die lateinamerikanische Schuldenkrise 1980 – 89, die Asienkrise 1997 und die Russlandkrise 1999. Sie führten zu einem stark zunehmenden Ressourcenabfluss in die Industrieländer, die solche Ausmaße annahmen, dass durchaus von Formen der Ursprünglichen Akkumulation gesprochen werden kann, die ja nicht nur am Beginn des Kapitalismus abliefen, sondern neben der Akkumulation durch Mehrwertproduktion auch noch in späteren Epochen bis in die Gegenwart vorkommen. Bahlo hat also irrtümlicherweise die Verhältnisse der 70er Jahre in die unmittelbare Nachkriegszeit projiziert.
Insgesamt nahm im Neoliberalismus der Anteil der aus Entwicklungsländern extrahierten Surplusprofite wieder zu, wobei allerdings technologische Renten nach wie vor eine wichtige Rolle spielen. Wir sehen also, dass sich das Gefüge des Surplusprofits in jeder kapitalistischen Epoche ändert. Mit dem Aufkommen der großen Schattenbanken wie Blackrock und der Plünderung ganzer Gesellschaften unter dem Vorwand einer Pandemiebekämpfung und des Klimaschutzes deutet sich eine erneute Änderung der Herkunft der Surplusprofite an.
Verweise
1 David Graeber: Bullshit Jobs, Stuttgart 2020, E‑Book, Kapitel 1
2 Statistisches Bundesamt: Erwerbstätige im Inland nach Wirtschaftssektoren, Stand 24.02.2024, im Internet: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Lange-Reihen/Arbeitsmarkt/lrerw13a.html, abgerufen am 14.05.2024. 1953: Nur Alt‐BRD, 2019: Alt‐BRD und neue Bundesländer.
3 Vgl. Ernest Mandel: Der Spätkapitalismus, Frankfurt am Main 1974, S. 76f
4 Vgl. Autorenkollektiv unter Leitung von Erstgert Kalbe: Geschichte der sozialistischen Gemeinschaft, Berlin 1981, S. 25
5 Vgl. Mandel 1974, a.a.O., S. 59
6 Vgl. Mandel 1974, a.a.O., S. 60
7 Vgl. Mandel 1974, a.a.O., S. 238
Bild: Hipster (https://unsplash.com/photos/izTZ-TtdwCs Image, Wayback Machine CC0 1.0 Deed)
Einerseits werden »Surplusprofite … vor allem durch technologische Renten innerhalb der entwickelten Länder erzielt«; andererseits werden die Branchen, aus deren Mehrwert die Surplusprofite stammen, in weniger entwickelte Länder verlagert, also gerade nicht innerhalb der entwickelten Länder erarbeitet? (Das »vor allem« vermindert kritisierbare Fläche, geht aber auf die empirische Ebene und sollte entsprechend empririsch belegt werden.)
Der Behauptung, »technologische Renten« ließen sich innerhalb der entwickelten Länder erzielen, scheint der Glaube zugrunde zu liegen, ein Gesamtkapital könne durch Warenverkäufe an seine eigenen Einzelkapitale und Lohnabhängigen Profit erzielen. Kann das sein?
Rosa Luxemburg, auf die du im zweiten Absatz anspielst, irrte laut Ernest Mandel in diesem Punkt. Sie warf Marx vor, dass nach seinen Schemata ein schnelleres Wachstum der Abteilung I im Vergleich zur Abteilung II nicht erreichbar sei. Zudem schlössen die Schemata die sprunghafte Erweiterung der Produktion aus. Sie führt diese Widersprüche auf die von Abteilung II erzeugten und nicht verkaufbaren Konsumgüter zurück, d.h. auf das Fehlen eines nicht kapitalistischen Absatzmarktes.
Allerdings wollte Marx in seinen Schemata nur die Möglichkeit eines periodischen Gleichgewichtes beweisen, d.h. dass trotz der sprunghaften Erweiterung der Produktion und trotz der periodischen Gleichgewichtsstörungen ein periodisches Gleichgewicht herstellbar ist.
Wenn man von der marxschen Hypothese des Gleichgewichts absieht, braucht die Auflösung der „inneren Widersprüche“ der Schemata nicht in nichtkapitalistischen Käufern gesucht werden, sondern sie können auch durch einem Mehrwerttransfer der Abteilung II nach Abteilung I im Zuge des Ausgleichs der Profitrate wegen der geringeren organischen Zusammensetzung der Abteilung II erklärt werden. Dadurch wird ein Teil des in Abteilung II erzeugten Mehrwerts in Abteilung I akkumuliert.
Ernest Mandel: Der Spätkapitalismus, Frankfurt am Main 1974, S. 27f
Über den Begriff »Arbeiteraristokratie« lässt sich trefflich streiten, zumal Marx, Engels und Lenin ihn sehr unterschiedlich bzw. eher unbestimmt gebraucht haben. Mal war sie »der bestbezahlte Teil der Arbeiterklasse« im Gegensatz zu der »Masse der Arbeiter, die unter wirklich proletarischen Bedingungen leben« (Marx). Dann wiederum ermöglichte das Weltmarkts‐ und Kolonialmonopol Englands der dortigen Bourgeoisie, »das (!) Proletariat zu kaufen« oder zumindest ganze Berufsgruppen desselben (Maschinenbauer, Zimmermänner, Maurer, Schreiner) und somit zu einer Arbeiteraristokratie zu machen (Engels), schließlich bestand die Arbeiteraristokratie schlicht aus reformistischen »Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung« (wie Kautsky), welche die »Hauptstütze der II. Internationale waren« (Lenin).
Mir scheint es relevanter, eine Analyse der gegenwärtigen Klasse der Lohnabhängigen zu machen, einschließlich ihrer Schichtung, damit verbundene unterschiedliche materiellen Interessen, vorhandene Privilegien und Bindung an Kapitalinteressen, Verbesserung oder Verschlechterung der jeweiligen Lebensumstände, resultierende Bewußtseinsformen, ideologische Bindungen und so weiter.
Zweifelsohne haben wir heute eine breitere Schicht materiell gut situierter sogenannter »Bildungsbürger« (eigentlich hochqualifizierte Angestellte), die überdurchschnittlich verdienen, unterdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit bedroht sind und oft international vernetzt bzw. unterwegs sind. Sie haben vielleicht nicht unbedingt Spitzenpositionen, aber von den Alltagssorgen derer, die nicht wissen, wie sie ihre Energierechnung bezahlen sollen, sind sie weit entfernt. Sie sind die Stütze des globalistischen Konzernkapitalismus (auch wenn sie dort nicht unbedingt beschäftigt sind). Die »Bestechung« dieser »Arbeiteraristokratie« lässt sich die Bourgeoisie auch heute viel kosten«
Keine Frage, die im Artikel erwähnten grün‐affinen »Bobos und Hipster« gehören ganz wesentlich dazu, aber nicht nur. Eher handelt es sich um eine bunte Mischung unterschiedlicher politischer Orientierungen, die auch traditionell Konservative, Liberale, Sozialdemokraten und sogar degenerierte »Linke« umfasst (die sich allerdings ohnehin immer mehr gleichen). Manche von ihnen werden mehr oder weniger direkt vom Kapital finanziert, wie z.B. Wissenschaftler im medizinisch‐pharmazeutischen Bereich von Big Pharma – auch wenn sie scheinbar »unabhängige« Professoren an einer UNI sind. Und das gilt für viele andere Bereiche ebenso!. Ein Großteil der Forschung wird heute vom Kapital finanziert bzw. kontrolliert. Andere werden vom Kapital gefördert (wie etwa Klimakleber oder andere NGOs von Milliardärsstiftungen). Der vom Kapital gepushte Klima‐Wahn sorgt derzeit für Milliardenumsätze und viele schöne und gut bezahlte Arbeitsplätze für Umweltberater, Zertifizierer, »grüne« Hersteller bzw.»Öko-Investoren«, Lobbyisten, Propagandisten usw. Da muss man Klima‐Vooddoo einfach lieben! Und wer ihn in Frage stellt? Der wird abserviert, fliegt raus aus dem schönen, gemütlichen Nest. Allerdings werden viele heutige Bildungsaristokraten mit der Verschärfung der Krise auch aus ihren Nestern fliegen.