Die New York Times ist für ihre engen Verbindungen zur CIA bekannt. Aber das Detail, das jüngst über die CIA in der Ukraine veröffentlicht wurde, ist rätselhaft. Es bestätigt vieles, was zuvor bereits als wahr angenommen wurde – aber warum gerade jetzt?
Es ist fast eine romantische Erzählung, die die New York Times über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der CIA und den ukrainischen Geheimdiensten lieferte. Und es ist trotz des öffentlichen Eingeständnisses, wie tief die Zusammenarbeit geht, ein typisches NYT-Stück, eine dichte Mischung aus Lüge und Wahrheit.
Beginnen wir mit den Dingen, die höchstwahrscheinlich stimmen. Die CIA ist an der Finanzierung von Kommandozentralen der ukrainischen Armee beteiligt. Die Beschreibung dessen klingt selbstverständlich romantisch:
»Nicht weit entfernt führt ein diskreter Gang zu einem unterirdischen Bunker, in dem Trupps ukrainischer Soldaten russischen Spionagesatelliten folgen und Gesprächen zwischen russischen Kommandeuren lauschen. Auf einem der Bildschirme folgt ein roter Strich der Flugbahn einer sprengstoffbeladenen Drohne, die sich von einem Ausgangspunkt in der zentralen Ukraine durch russische Luftverteidigung schlängelt, um ein Ziel in der russischen Stadt Rostow anzusteuern.
Der unterirdische Bunker, der gebaut wurde, um den in den Monaten nach dem russischen Einmarsch zerstörten Kommandoposten zu ersetzen, ist ein geheimer Nervenknoten des ukrainischen Militärs. Und es gibt ein weiteres Geheimnis: der Stützpunkt wird von der CIA beinahe vollständig finanziert und zum Teil ausgestattet.«
Schon dieser Absatz wirft eine Frage auf – an wen richtet sich und was will dieser Artikel? Die NYT ist geradezu das klassische Sprachrohr, wenn die CIA irgendetwas mitteilen will. Es erstaunt erst einmal, dass eine Beteiligung in diesem Ausmaß eingestanden wird, da üblicherweise doch immer betont wird, man habe mit diesem Krieg nur in Gestalt von Geldgeschenken und Waffenlieferungen zu tun.
»Die nachrichtendienstliche Partnerschaft zwischen Washington und Kiew ist ein Dreh‐ und Angelpunkt der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit, in einem Krieg, der hunderttausende Leben gekostet hat und jetzt ins dritte Jahr geht. Die CIA und andere amerikanische Dienste liefern die Aufklärung für gezielte Raketenschläge, verfolgen russische Truppenbewegungen und helfen dabei, Spionagenetzwerke zu unterstützen.«
Mit anderen Worten, die militärischen Handlungen der Armee Kiews wären ohne diese Daten unmöglich. Das überrascht wirklich nur das Publikum im Westen. Einige Stunden auf Flightradar24 oder einem anderen Tracking‐Portal genügen, um zu zeigen, wie rege die Überwachung von westlicher Seite allein aus der Luft ist. Und da Kiew weder über AWACS noch über Satelliten verfügt und die Sicht von Drohnen begrenzt ist und daher eben nicht bis Rostow, Sewastopol oder gar Moskau reicht, war die ganze Zeit über klar, dass die Ukraine letztlich nur ausführendes Organ westlicher Angriffe ist. Die Zielbestimmung ist aus dem Westen, die Waffen sind aus dem Westen und sogar das kommandierende Personal dürfte von dort sein. Ukrainisch sind nur noch die Fußtruppen drum herum. Aber man hat das im Westen eben bisher nicht eingestanden.
Vor zehn Jahren, behauptet die NYT, habe diese Zusammenarbeit begonnen, also erst nach dem Maidan‐Putsch. Eine Teilwahrheit, die damit begründet wird, der erste Anlauf wäre gescheitert. Unter der Regierung Juschtschenko, nach der ersten Farbrevolution in Kiew im Jahr 2005, soll die CIA in der Zentrale des SBU ein ganzes Stockwerk besetzt haben. Aber natürlich sind die Verbindungen nicht abgerissen, als sie unter Janukowitsch wieder ausziehen mussten, ganz zu schweigen von den viel älteren Verbindungen, die über die ukrainische Diaspora gingen und über Jahrzehnte vor allem über Stellen bei Radio Free Europe aufrechterhalten wurden.
»Der Horchposten im ukrainischen Wald ist Teil eines von der CIA unterstützten Netzwerks von Spionagestützpunkten, das in den letzten acht Jahren errichtet wurde und zwölf geheime Stellungen entlang der russischen Grenze einschließt. Vor dem Krieg bewiesen sich die Ukrainer den Amerikanern, indem sie abgefangene Gespräche sammelten, die halfen, Russlands Verwicklung in den Abschuss eines Linienflugs, des Flugs Malaysia Airlines Nummer 17, zu beweisen.«
Ja, es gab damals eine angebliche Aufzeichnung eines Gesprächs, das prompt als Erfolg des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU verkauft wurde. In Wirklichkeit war das ein schlampig gemachter Zusammenschnitt, der gerade einmal einer oberflächlichen Betrachtung standhielt. Aber wir sind bei der New York Times, und entsprechend geht es weiter:
»Die Ukrainer halfen den Amerikanern auch, den russischen Agenten nachzugehen, die sich in die US‐Präsidentschaftswahlen 2016 einmischten.«
Mit diesem Satz kann man zumindest eine mögliche Hypothese von der Liste streichen, warum die CIA diese Informationen lanciert hat. Die hätte nämlich gelautet, dass Teile des Dienstes sich in Erwartung eines künftigen Präsidenten Donald Trump schon einmal von der Biden‐Regierung absetzen. Dem widerspricht nun, die längst widerlegte Legende der »russischen Wahleinmischung« aufzuwärmen (interessanterweise spielte damals eine deutsche staatliche Stiftung, der German Marshall Fund, eine ganz wichtige Rolle).
Die NYT weiß, zehn Jahre lang sei diese Zusammenarbeit ein streng gehütetes Geheimnis gewesen.
»In mehr als 200 Interviews beschrieben ehemalige und aktive Mitarbeiter in der Ukraine, den Vereinigten Staaten und Europa eine Partnerschaft, die beinahe am wechselseitigen Misstrauen gescheitert wäre, ehe sie sich stetig erweiterte und die Ukraine in ein Drehkreuz der Informationsbeschaffung verwandelte, das mehr von russischer Kommunikation abfing, als die CIA‐Filiale in Kiew anfänglich verarbeiten konnte … Jetzt sind diese Aufklärungsnetze wichtiger denn je, wenn Russland in der Offensive ist und die Ukraine abhängiger von Sabotage und weitreichenden Raketen ist, die Spione weit hinter den feindlichen Linien voraussetzen. Und sie sind zunehmend gefährdet: Wenn die Republikaner im Kongress die militärische Finanzierung für Kiew beenden, könnte die CIA sich verkleinern müssen.«
Hier haben wir die Botschaft an der Oberfläche: Wir brauchen das Geld, sonst war die Arbeit von zehn Jahren umsonst. Das trifft nebenbei gesagt für die CIA immer zu, weil sie ihre Agenten in der Regel durch Geld anwirbt, nicht durch Überzeugung. Wobei dieser Artikel genau an dem Tag erschienen ist, als Nikki Haley die Vorwahlen bei den Republikanern in South Carolina, ihrem eigenen Bundesstaat, verloren hatte. Das schlägt als Argument um Längen einen Artikel in der NYT, möge er noch so geheimnisvoll sein, allerdings für eine Ablehnung dieser Finanzierung.
»Von Anbeginn an brachte ein gemeinsamer Gegner – der russische Präsident Wladimir W. Putin – die CIA und ihre ukrainischen Partner zusammen. Besessen davon, die Ukraine an den Westen zu »verlieren«, hatte sich Herr Putin regelmäßig in das politische System der Ukraine eingemischt, Regierungschefs handverlesen, von denen er glaubte, sie würden die Ukraine in Russlands Einflussbereich halten, doch jedes Mal hatte es die gegenteilige Wirkung und trieb Demonstranten auf die Straße.«
Wie war das mit den fünf Milliarden, von denen Frau Nuland sprach, vor zehn Jahren? Die CIA war mit ihren Tarnorganisationen wie dem National Endowment for Democracy ungeheuer aktiv in der Ukraine, und auch lange vor 2014, sekundiert unter anderem von den deutschen Parteistiftungen. Es gibt irgendeinen Grund, die Hände in Unschuld waschen zu wollen. Immer wieder wird betont, es sei die ukrainische Seite gewesen, die diesen Kontakt wollte, und die ukrainische Seite habe gerne ganze Stapel russischer Geheimdokumente als Brautgeld geliefert.
Putin habe den »vollen Einmarsch« ausgelöst, weil ihm Ende 2021 einer der Leiter der russischen Dienste gesagt habe, dass die CIA zusammen mit dem MI6 die Ukraine zum Brückenkopf für Operationen gegen Moskau machen wolle. Wirklich? Das soll all die Jahre über nicht aufgefallen sein, dass die westlichen Dienste bis zur Halskrause in der Ukraine steckten?
Interessanterweise widerlegt der Artikel diese Behauptung sogar selbst. Der nach dem Maidan‐Putsch ernannte neue SBU‐Chef Naliwaitschenko habe ein Hauptquartier mit verbrannten Dokumenten und gelöschten Computern vorgefunden. Und dann?
»Er ging in ein Büro und rief den CIA‐Residenten und den örtlichen Leiter des MI6 an. Es war fast Mitternacht, aber er zitierte sie in das Gebäude und bat sie um Hilfe dabei, den Dienst von Grund auf wieder aufzubauen, und schlug eine Dreier‐Partnerschaft vor.«
Eine interessante Idee. Eine Person, die vermeintlich nie zuvor Kontakt mit diesen beiden Diensten gehabt hat, befindet sich nicht nur im Besitz der privaten Telefonnummern zweier hochrangiger Geheimdienstvertreter, sondern sie wird sogar so dargestellt, als könne sie diese »herbeizitieren«. Dabei ist ganz klar, dass die Wirklichkeit, wer hier wen »herbeizitieren« kann, genau umgekehrt aussieht. Und schon der Besitz der Telefonnummern – wenn wir davon ausgehen wollen, dass dieses Detail zutrifft – setzt langjährige Kontakte voraus.
Die CIA, berichtet die NYT, habe spätestens im Jahr 2016 begonnen, Sondereinheiten auszubilden, insbesondere für Sabotageakte und Terroranschläge, aber selbstverständlich nie mit der Absicht, dass diese Kenntnisse etwa direkt in Russland eingesetzt würden … Verantwortlich dafür war immer irgendein Ukrainer, wie etwa der Generalleutnant Kondratjuk:
»Er wandte sich an die Einheit 2245, die Kommandotruppe, die von der paramilitärischen Eliteeinheit der CIA, die als Bodenabteilung bekannt ist, eine spezialisierte militärische Ausbildung erhalten hatte. Das Ziel der Ausbildung war es, defensive Techniken zu vermitteln, aber die CIA‐Offiziere verstanden, dass die Ukrainer diese selben Techniken ohne ihr Wissen in tödlichen Offensivaktionen einsetzten könnten.«
Richtig, die CIA ist stets nur defensiv tätig. Es muss irgendein stetig wiederholtes Versehen sein, das dazu führt, dass Ergebnisse derartiger CIA‐Ausbildungen so oft Terroristen sind. Nebenbei soll vermutlich, das, was über diese Einheit noch erzählt wird, den Ruf von Kirill Budanow aufpolieren, der aber andererseits den Stempel des CIA‐Agenten geradezu eingebrannt bekommt:
»Er war bekannt für kühne Einsätze hinter feindlichen Linien und hatte enge Verbindungen zur CIA. Der Dienst bildete ihn aus und hatte sogar den ungewöhnlichen Schritt unternommen, ihn, nachdem ihm bei den Kämpfen im Donbass in den rechten Arm geschossen wurde, zur Rehabilitation ins Nationale Militärmedizinzentrum Walter Reed in Maryland zu schicken.«
Das ist ein weiterer ungewöhnlicher Schritt. Denn das, was die NYT tut, indem sie die ukrainischen Kooperationspartner benennt, ist, sie zu »verbrennen«. Das mag vielleicht den Effekt haben, sie Mitgliedern des US‐Kongresses sympathischer zu machen (ein gehöriges Stück Arbeit bei einem wie Budanow), aber im Umgang mit Verbündeten ist das dennoch etwas irritierend. Gibt es Zweifel an ihrer Loyalität, dass man so deutlich eine Zielscheibe auf ihre Stirn malt?
Die US‐Regierung, so wird jedenfalls betont, habe damals versucht, die Ukrainer zu zügeln, und sogar mit dem Gedanken gespielt, das CIA‐Programm zu beenden. Deshalb hat sie selbstverständlich auch nichts damit zu tun, dass eben die von der CIA ausgebildeten Einheiten die Mordanschläge auf Motorola und Givi durchführten … noch ein kleines Märchen für die Gutgläubigen. In der wirklichen Welt ist die operative Seite von Geheimdiensten ähnlich rigide wie das Militär, und eine Einheit, die derart gegen die Vorgaben verstieße, würde im günstigsten Fall aufgelöst.
Unter der Regierung Trump ging das Geschäft weiter wie zuvor:
»Weil Herr Trump in Schlüsselpositionen Russlandgegner eingesetzt hatte, darunter Mike Pompeo als CIA‐Direktor und John Bolton als nationalen Sicherheitsberater … Der Stützpunkt im Wald wuchs und umfasste eine neue Kommandozentrale und wuchs von 80 auf 800 ukrainische Geheimdienstoffiziere.«
Ein wenig Kitsch muss auch sein, um diese Heldengeschichte aus dem Geheimdienst noch zu würzen:
»Als der russische Einmarsch näher rückte, machten Offiziere der CIA und des MI6 bei ihren ukrainischen Kollegen Abschiedsbesuche. Einer der MI6‐Offiziere brach vor den Ukrainern in Tränen aus – aus Sorge, die Russen würden sie töten.
Auf Drängen von Herrn Burns wurde eine kleine Gruppe von CIA‐Offizieren von der größeren US‐Evakuierung ausgenommen und in einen Hotelkomplex in der Westukraine verlegt. Sie wollten ihre Partner nicht verlassen.«
Rührend, Tränen sind genau das, was einem im Zusammenhang mit dem MI6 zuerst einfällt. Aber tatsächlich stand nichts bereits lange zuvor fest, denn selbst im Moment der Anerkennung der Donbassrepubliken durch Russland wäre der Westen noch imstande gewesen, Verhandlungen über die russischen Forderungen nach einer Neutralität der Ukraine und einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem zu beginnen. Dass die CIA »Abschiedsbesuche« machte, belegt nur, dass auf Seiten der USA die Entscheidung längst gefallen war, oder eher, dass keinerlei Bereitschaft bestand, das 2014 begonnene Spiel um die Ukraine zu beenden.
Insgesamt bleibt der Artikel dennoch rätselhaft. Als Drohung gegen Russland, im Zusammenhang mit den von Victoria Nuland angekündigten »Überraschungen«, ist er untauglich, weil die entscheidenden Punkte nur insofern neu sind, dass sie das erste Mal in dieser Ausführlichkeit in einem westlichen Medium stehen. Als Argument bei den republikanischen Abgeordneten steht er gegen weit stärkere Realitäten und als Versuch, die Hände in Unschuld zu waschen, dürfte er nur bei den Gutgläubigsten funktionieren. Stattdessen werden durch Namensnennung einige Personen sogar innerhalb des politischen Gerangels in der Ukraine verbrannt.
Das Eingeständnis, dass die Zieldaten von den USA geliefert werden, könnte darauf zielen, Russland zu reizen. Oder es könnte ein verquerer Versuch sein, eine Wertung einer zukünftigen Handlung als Beteiligung durch Russland zu verhindern, indem man darauf verweist, dass diese Beteiligung doch schon seit Jahren geduldet werde. Es kann sich um einen Versuch handeln, durch die Verknüpfung mit einem Teil Wahrheit gegenüber dem eigenen Publikum all die wüsten Propagandamärchen wieder ein wenig aufzuwerten, die nebenbei zitiert werden, wie dieses:
»Am 3. März 2022 – dem achten Tag des Krieges – gab das CIA‐Team einen genauen Überblick über die russischen Pläne für die kommenden zwei Wochen. Die Russen würden noch am selben Tag einen humanitären Korridor aus der belagerten Stadt Mariupol öffnen, und dann auf die Ukrainer, die ihn nutzten, das Feuer eröffnen.«
Ja, vielleicht muss man tatsächlich Wirkung und Nebenwirkung vertauschen, um dieses Rätsel zu lösen. Das ist ein klassisches Rezept, ein Tröpfchen Wahrheit in die Suppe der Lüge zu rühren, wenn sie dem Esser nicht mehr schmeckt.
Vielleicht hat die CIA auch ähnliche Rekrutierungsprobleme wie das US‐Militär und braucht ein paar Werbeerzählungen. Aber am Ende kann man sich nur für die Bestätigung einiger ohnehin sehr starker Vermutungen bedanken und sich weiter wundern, was die CIA mit diesem Ding wirklich wollte.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker‐Verbandes, von dessen Website freidenker.org der Artikel übernommen wurde, Erstveröffentlichung am 27.02.2024 auf RT DE
Bild: Das Gebäude der New York Times in New York (CC BY‐SA 3.0)
Nicht nur dass die NYT die Beteiligung der CIA benennt, nein, im Bundestag wird von ausgewiesenen lautstarken Kriegstreibern gegen die Entsendung von »Taurus« gestimmt, Scholz beschuldigt die Briten und Franzosen der aktiven Kriegsbeteiligung in der Ukraine, und ein abgehörtes oder durchgestochenes Telefonat von obersten Bundeswehrschergen wird nicht dementiert sondern inhaltlich bestätigt, wonach neben Briten und Franzosen auch US‐Amerikaner (mit amerikanischem Akzent Sprechende) dort aktiv am Krieg beteiligt sind.
Irgend etwas tut sich. Nur, nach bisherigen Erfahrungen der letzten Jahre: es ist nichts Gutes. Aus diesen Kreisen kommt nichts Gutes mehr. Ausgeschlossen.