- Die Plattformökonomie wurde in vielen Wirtschaftszeitungen als ökonomisches Konzept der Zukunft gefeiert.
- Doch nicht nur die Arbeitsbedingungen bei Uber, Lieferando und co. sind zunehmend prekär, auch die Profite sind minimal bis negativ.
- Zhongjin Li und Hao Qi haben in der Review of Radical Economics untersucht, warum die Plattform‐Unternehmen trotz scheinbar günstiger Bedingungen nicht aus den roten Zahlen kommen.
- Sie führten dies zum einen auf den Rentierscharakter der Unternehmen zurück, die Monopolrenten auf Informationen generierten, zur Aufrechterhaltung der Monopole aber enormer Investitionen bedürfen.
- Zudem steigerten die Plattformen nur die Arbeitsintensität, während sie auf die viel ergiebigere Produktivitätsentwicklung keinen Eingluss hätten.
Es ist Brauch der Bourgeoisie, getrieben von der Hoffnung auf immer neue Quellen des Profits, alle paar Jahre eine neue Sau durchs Dorf zu treiben. In letzter Zeit war dies neben der Industrie 4.0 die Plattformökonomie. Direkte Vernetzung von Kunden und Anbietern, alles per Smartphone und Apps. Ohne den Bedarf an großen Fabriken oder Zugang zu Rohstoffen gründeten sich innerhalb weniger Jahre hunderte und tausende von Start‐Ups mit geringem Kapital. Die Gründer entsprachen dem zeitgenössischen Unternehmertypus, der sein Geschäft im Starbucks und per Videokonferenz erledigen kann statt in repräsentativen Protzbauten. Manch Wirtschaftsteil prophezeite bereits den Plattformkapitalismus. »Im Vordergrund stehen nicht mehr materielle Produktionsfaktoren, sondern digitale Plattformen […]. Unternehmen werden zu Matchmaker zwischen Kunden und Herstellern, zwischen verschiedenen Akteuren.« (vgl. hier)
Für die Linke stellten die Plattformen zunächst ein großes Problem dar. Da die Arbeiter formell selbstständig waren, konnten Arbeitsschutzrichtlinien kaum angewendet werden. Die Isolierung und Individualisierung der Belegschaften führte zur Schwächung der Kampfkraft. Die Beschäftigungsverhältnisse wurden so zunehmend prekär. Aber auch die Bourgeoisie musste in den vergangenen Jahren Kröten schlucken. Denn das eigentliche Ziel – satte Profite – blieb aus. Aber warum eigentlich? Zhongjin Li und Hao Qi haben in der Review of Radical Economics das Puzzle der Profitbildung in der Plattformökonomie zusammengesetzt.
Die Plattform‐Ökonomie
Plattform‐Unternehmen verbinden in der Regel über eine digitale Basis die Anbieter*innen von Dienstleistungen mit den Kund*innen. Viele Unternehmen sind dabei im Taxi‐Bereich (Uber, Didi, Lyft), im Lieferbereich (Deliveroo, Delivery Hero, Lieferando) oder in sonstigen Gig‐Bereichen (Mechanical Turk, Amazon, Prospa) tätig. Die Unternehmen standardisieren dabei die Angebote meist über eine App, die gleichzeitig Feedback über die erbrachten Dienstleistungen einholt und Arbeitsabläufe koordiniert. Arbeitskraft wird dabei ultraflexibel auf die konkrete Nachfrage abgestimmt. Die Plattformen sammeln dabei multidimensionale Daten via Kameras, GPS, Rechnungen und andere Feedbackschleifen und versuchen so, den Arbeitsprozess zu intensivieren.
Durch die Vereinzelung der einzelnen Arbeiter werden zeitgleich Kollektivierungsprozesse wie Gewerkschaftsbildung, Streiks oder Tarifverträge behindert. Die rechtlichen Regelungen laufen immer den neuen Entwicklungen hinterher und scheuen sich meist davor, die Gig‐Arbeiter regulären Beschäftigten gleichzustellen. Unternehmen können es sich also in den Nischen des Arbeitsrechts gemütlich machen. Im Gegenzug berichten die Arbeiter von steigender Überwachung und Gängelung durch die Algorithmen (Näheres hier). Besonders die sozialdemokratische Linke warnt vor der Rückkehr des Manchester‐Kapitalismus.
Eigentlich sollten die Profite unter diesen Voraussetzungen nur so sprudeln. Das tun sie jedoch nicht. Zwar sind etliche Investitionen in den vergangenen Jahre in die Sparte geflossen, die Profite bewegen sich aber in den letzten fünf Jahren fast ausschließlich im negativen Bereich. Zhongjin Li und Hao Qi haben für die größten zehn Unternehmen durchschnittliche negative Profite zwischen 15 und 20 Prozent, je nach Gewichtung berechnet. In Einzelfällen können diese so ‑50 Prozent und weniger betragen.
Unternehmensstragien
Zhongjin Li und Hao Qi haben sich zur Erklärung dieses Sachverhalts zunächst die Unternehmensstrategien an der Oberfläche angeschaut. Zum Beispiel den chinesischen Essenslieferservice Meituan. Anfangs gab der Konzern sehr viel Kapital für Werbung und Marketing aus, sodass die Kosten die Einnahmen um ein Weites übertrafen. Nach einer kurzen Konsolidierungsphase mit kleinen Profiten setzte des Unternehmen auf die Strategie des Ausbaus eines ganzen eigenen ökonomischen Systems. Die resultierenden steigenden Kosten in die Infrastruktur konnten nicht durch zusätzliche Erlöse wettgemacht werden. Mit etwa 40 Prozent machten dabei die Ausgaben für die Gehälter der Fahrer einen für die Dienstleistungsbranche geringen Anteil an den Ausgaben aus.
Anders Uber. Hier machen die Gehälter von Restaurants und Fahrer 80 Prozent der Kostenstruktur aus. Auf diesem Wert liegen sie auch stabil. Obwohl Uber in den letzten Jahren immer mehr Druck auf die Fahrer*innen ausgeübt hat, möglichst effizient und kundenorientiert zu arbeiten, schlug sich dies nicht in einer höheren Ausbeutung nieder. Forschung und Entwicklung, das eigentliche Kerngeschäft der Plattformen an sich, machen bei Meituan und Uber übrigens nur den kleinsten Teil der Kosten aus. Selbst Auslagen für Versicherungen und Kreditkartenabrechnungen sind höher.
Beide Unternehmen unterscheiden sich also darin, dass Uber durch kontinuierliche Entwicklung des Geschäftsmodells Effizienzen herausarbeiten will und Meituan durch aggressive Expansion neue Geschäftsfelder erschließen will. Beiden ist jedoch gemein, dass es ihnen nicht gelingt, den Anteil variablen Kapitals bei gleichem oder höherem Mehrwert zu senken. Es stellt sich also die Frage, warum trotz steigender Arbeitsintensität die Mehrwertraten bzw. die effektive Ausbeutung nicht nennenswert erhöht werden konnte.
Zusammensetzen des Puzzles
Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass die Plattformunternehmen selbst keinen produktiven Mehrwert erzeugen, sondern nur mit Hilfe automatisierter Prozesse Arbeiter und Kunden persönlich zugeschnitten verbinden. Ihre Rolle ist also eher die des Handelskapitals, das selbst dem Wert der gehandelten Ware – in diesem Falle die Arbeitskraft – nichts zusetzt.
Mehr oder weniger nehmen sie durch die Sammlung und den Besitz von Daten eher eine Rentiersrolle ein, wenn man die Ausschließlichkeit der Informationen als rechtlich geschützte Monopolisierung betrachtet. Und hier liegt bereits ein erstes Problem vergraben. Der Wert der Daten bemisst sich am Grade ihrer Monopolisierung. Und genauso wie die Bodenrente sich nur am Preis des nächstbesten alternativen Bodens gleicher Qualität bemisst, so bemisst sich der Preis der Informationen nur am Preis des nächstbesten Anbieters der gleichen Information. Während der Boden jedoch ganz physisch verknappt ist und unterschiedliche Qualitäten aufweist, werden die Informationen ohne physische Grenze von den Arbeitern zur Verfügung gestellt. Es ist sehr leicht, diese auch der Konkurrenz zu geben, und der geringe Anteil der Produktionsmittel am Handelsprozess führt dazu, dass sich diese erst mal mit recht wenig Kapital aufbauen lassen (deshalb auch die vielen Startups). Möchte ein Unternehmen nun eine Monopolstellung gewinnen, erfordert dies enorme Kosten in Werbung und Ausweitung des Geschäftsfeldes.
Ein weiterer Gesichtspunkt des Rentierscharakters der Plattformen ist der, dass sie kaum Einfluss auf den Produktionsprozess der Dienstleistungen an sich nehmen. Durch die Organisation mit Hilfe digitaler Technik fährt das Taxi weder schneller noch sparsamer. Bei vielen kleinen Gigarbeitern ist die Rente zudem keine Revenue produzierten Profits, sondern ein abgehender Lohnbestandteil. Der Kuchen, von dem aus sich die Plattformen ihr Stück abschneiden, ist also bereits sehr klein.
Die Grenzen des Profits
Um das Dilemma genauer zu beschreiben, in welchem sich die Plattform‐Unternehmen befinden, haben die beiden Autoren ein kleines Modell des Profits dieser Unternehmen aufgestellt.
P = L ⋅ [t⋅e⋅v⋅(1−a) − b] − c
P sind hierbei die Profite und L die Anzahl an gleichartigen Arbeiter. t ist die Gesamtarbeitszeit, e das Verhältnis von effektiver zu Gesamtarbeitszeit (bzw. die Intensität der Arbeit) und v der geschöpfte monetäre Wert pro Arbeitsstunde. Davon sind abzuziehen: die Transaktionskosten a (Kosten für die App, Kreditkartenkosten), der minimale Lohn der Arbeiter b und die Kosten für Werbung und Entwicklung c.
Um den Profit zu steigern, stehen einem Unternehmen also folgende Mittel zur Verfügung. Erstens die Ausdehnung der Länge des Arbeitstages. Diese Ausdehnung ist durch die physischen Grenzen der Arbeiter bestimmt, häufig aber auch durch die Zeiten der Nachfrage für eine Dienstleistung. Das Kerngeschäft der Apps ist damit die Erhöhung der effektiven Arbeitszeit. Plattformen versprechen beispielsweise Taxifahrern geringe Wartezeiten für einen neuen Auftrag. Die Autoren sehen in dieser Stellschraube jedoch das Problem, dass die Erhöhung der Intensität der Arbeit auch die Kosten für die Reproduktion der Ware Arbeitskraft steigert. Und nicht nur das. Auch die Produktionsmittel werden schneller vernutzt und müssen kompensiert werden. Während die meisten anderen Kapitalisten jedoch im Wesentlichen durch Modernisierung der Produktionsmittel (das würde hier c entsprechen) den Wert pro Arbeitsstunde erhöhen, können Plattformen dies gerade nicht. Das wichtigste Werkzeug zur Profitsteigerung – die Erhöhung der Arbeitsintensität – findet also gleichzeitig eine Schranke in der angeschlossenen Erhöhung der Reproduktionskosten.
Absoluter und relativer Mehrwert
Schauen wir uns nun mit Zhongjin Li und Hao Qi die Plattformökonomie nochmal unter dem Gesichtspunkt von Marxens Theorie des absoluten und relativen Mehrwerts an. Nach Marx teilt sich der Arbeitstag in zwei Teile: im einen Teil erarbeitet der Arbeiter den Wert der Mittel ihrer Reproduktion und im anderen den Mehrwert für den Kapitalisten. Eine Möglichkeit des Kapitalisten, die Länge des zweiten Teils zu vergrößern, wäre es, den Arbeitstag insgesamt zu verlängern. Hier haben Staat und Arbeiter*innenbewegung in den letzten 150 Jahren Grenzen gezogen. Tatsächlich können Plattformunternehmen auf Grund der Scheinselbstständigkeit der Arbeiter gesetzliche Standards unterlaufen. Allerdings nicht allgemeingültig, sodass sie immer in Konkurrenz mit Unternehmen kürzerer Arbeitsdauer stehen.
Viel wichtiger ist jedoch die Erhöhung des relativen Mehrwerts. Die Verringerung der Zeit, die ein Arbeiter zur Produktion des von ihr benötigten Werts braucht, lässt den Anteil der Mehrarbeitszeit wachsen. Als Instrumente stehen dabei die Erhöhung der Arbeitsintensität und die Erhöhung der Produktivität zur Verfügung. Ersteres wäre eine Intensivierung der Arbeit ohne technische Neuerungen, etwa durch eine Reorganisation des Produktionsprozesses (bspw. Fließbandarbeit). Zweiteres würde technische Erneuerung beinhalten, nach der ein Arbeiter mit den neuen Werkzeugen ein Produkt mit gleicher Anstrengung schneller fertigen kann. Wie bereits dargestellt, vernutzt eine Intensivierung der Nutzung der Arbeitskraft diese auch stärker, wodurch die Kosten der Reproduktion steigen.
Plattformunternehmen steht als einer der wenigen Sparten die Vergrößerung des absoluten Mehrwerts zur Verfügung; ihnen fehlt zur Steigerung des relativen Mehrwerts jedoch die Produktivitätserhöhung. Letztere sind jedoch der Schlüssel zu den Surplusprofiten auf Grund überlegener Produktivität, die normalerweise Wachstumsmärkte ausmachen. Diese Monopolprofite können Plattformunternehmen nur durch den Kampf um Monopolrenten wettmachen. Um die Monopole zu gewinnen, sind jedoch riesige Investitionen vonnöten, da auf Grund der geringen Kosten für das konstante Kapital Mitbewerber leichten Marktzugang haben. Es ist wie ein zu kleines Bettlaken; zieht man an einem Ende, liegt das andere wieder offen.
Zusammenfassung
Die Plattformökonomie befindet sich noch im Jugendalter und humpelt bereits wie ein alter Mann. Ihr fehlt neben dem Standbein Steigerung der Intensität der Arbeit eben das Standbein Produktivitätssteigerung. Plattformen können zwar bei immer heterogeneren Lebensläufen und Marktlandschaften Nischen füllen. Sie stellen jedoch kaum die Zukunft der kapitalistischen Produktion dar. Dass allerdings die Untergrabung gesetzlicher oder tariflicher Arbeitszeitstandards und damit die Produktion absoluten Mehrwerts so sehr von vielen bürgerlichen Meinungsmachern abgefeiert wurde, zeigt viel über die Innovationsfähigkeit der herrschenden Klasse.
Literatur
Zhongjin Li & Hao Qi (2023): The Profitability Puzzle of Digital Labor Platforms. In: Review of Radical Political Economics. Online First. DOI: 10.1177/04866134231183213
Zuerst erschienen bei Spectrum of Communism unter einer CC4.0‑BY-NC-Lizenz, im Gegensatz zum Original wurde auf gendern nach Rücksprache mit den Autoren verzichtet
Bild: Taxidemonstration am 10. April 2019 in Berlin gegen Neoliberalisierung (Wikimedia Commons | Leonhard Lenz)
Beim ersten Gender* bin ich ausgestiegen. Schade um den Text.
Wilf
Nach Rücksprache mit den Autoren dürfen wir auf gendern verzichten. Inzwischen für diesen Artikel geändert.