Im Jahr 1969 veröffentlichte Peter Brückner in einem Sammelband zur politischen Psychologie einen kleinen, feinen Text zur »Psychologie des Mitläufers« i. Bei diesem handelte es sich um eine aktualisierte Version eines Beitrags gleichen Titels für das Jugendinstitut der UNESCO von 1964. Obwohl 1969 aktualisiert, bezieht er sich nicht auf die damalige politische Situation zur Hochzeit der Studentenbewegung. Ausgangspunkt von Peter Brückners Überlegungen ist vielmehr der Normalzustand der politischen Passivität breiter Bevölkerungskreise als »Ausdruck der gleichen psychodynamischen Strukturen, die bei beschreibbaren Veränderungen im sozialen Feld in eine unmittelbar bedrohliche Erscheinung umschlagen können, in die des Mitläufers« (S. 57).
Referenzpunkt war natürlich das »Dritte Reich«, das zur Zeit der Ursprungsversion noch nicht einmal 20 Jahre zurück lag. Er fragt somit, wie aus passiven Massen unter geeigneten Bedingungen Unterstützer autoritärer und verbrecherischer Verhältnisse werden können. In diesem kurzen Text finden sich so viele bedenkenswerte Einsichten und Thesen, daß er geradezu dazu einlädt, sich auf ihn stützend über das Phänomen des linken Mitläufertums während der Corona‐Zeit Gedanken zu machen. Das meiste Gesagte kann man bruchlos auf den aktuellen Ukraine‐Konflikt übertragen.
Auch wenn ich selbst weder Sozialpsychologe noch Peter‐Brückner‐Experte bin, möchte ich mich daran versuchen. Die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen damals und heute sind dabei nicht so wichtig, besonders weil das wesentliche strukturelle Element unverändert geblieben ist: die Kontinuität der Kapitalherrschaft.
Zwei Arten von Mitläufern
Peter Brückner unterscheidet zwei Arten von Mitläufern, die sich ähneln, aber an entscheidender Stelle sich auch unterscheiden: einmal die Masse der Mitläufer, die sich aus der allgemeinen Bevölkerung speist, und der Mitläufer in gehobener Position. Besonders die Ausführungen, die Peter Brückner zu letzteren macht, sind für die Analyse des linken Mitläufertums von Ergiebigkeit – was aber nicht heißt, daß seine Aussagen zur ersten Gruppe für sie nicht gelten würden, weshalb diese zunächst ausgiebig vorgestellt werden sollen.
Charakteristik und Genese des Mitläufers (Typ 1)
In Bezug auf einen »Meinungsgegenstand« unterscheidet Brückner vier virtuelle Gruppen: Anhänger, Ablehner, Indifferente und Nicht‐Informierte. Als Mitläufer bezeichnet er Personen, die sich:
[…] politisch passiv und indifferent verhalten, solange kein Monopolist die Öffentlichkeit beherrscht, die sich aber einer einmal installierten monopolistischen Ideologie erst anpassen und dann bei gleichzeitiger Mobilisierung angleichen. (S. 57)
Die Gruppe der politisch Indifferenten innerhalb einer Bevölkerung stellt somit das Reservoir für den Mitläufer dar.
Der Prozeß der Verwandlung verläuft unter dem Druck der Monopolmeinung dergestalt, daß für eine Person ein Meinungsgegenstand zunächst »in sich stimmiger, runder, bruchloser, widerspruchsfreier« (S. 58) wird, um dann in einem zweiten Schritt die eigene Distanz zum ihm völlig aufzugeben; er erscheint ihm nun bruchlos, die Einstellung wird affirmativ. Die Person ist vom Indifferenten zum Anhänger geworden, wobei sie sich erstmalig politisiert hat, also aus ihrer indifferenten Position herausgetreten und zu einem aktiven Vertretern der neuen Meinung geworden ist.
Ist der progagandistische Meinungsdruck sehr stark, tritt dieser Prozeß massenhaft und mit wachsender (!) Geschwindigkeit auf; aus Indifferenten werden Anhänger, aus einigen Ablehnern Indifferente, von denen wiederum später einige ebenfalls Anhänger werden. Die Gruppe der Ablehner schrumpft schnell. So kann aus einer bisherigen Meinung unter vielen bei entsprechend hohem Propagandadruck in kurzer Zeit die Mehrheitsmeinung werden.
Dieser Prozeß konnte während der vergangenen Jahre ausgiebig studiert werden. War mit dem Aufkommen der ersten Meldungen über eine gefährliche Epidemie in China noch große Skepsis verbunden, ob an der Sache überhaupt etwas dran sei, schrumpfte diese Skepsis in den Folgemonaten und die Unterstützung der Corona‐Erzählung stieg steil an, besonders im Verlauf des ersten »Lockdowns«. Vorangetrieben wurde dies durch eine massive Angst‐ und Schockprogpaganda von WHO, Regierungen, privaten und staatlichen Medien.
Eine Schlüsselrolle spielten dabei die Bilder gestapelter Särge im italienischen Bergamo, die ein Massensterben suggerieren sollten. Wer darauf hinwies, daß sich Särge natürlich stapeln, wenn man Transporte in Krematorien im Ausland und auch Beerdigungen verbietet, wurden schon damals als antiwissenschaftlicher Verschwörungtheoretiker gescholten, kaltherzig dazu. Innerhalb von Wochen hatte sich das, was eine Corona‐Verschwörungstheorie sei, um 180 Grad gedreht (Annalena hätte von 360 Grad gesprochen), denn noch kurz vorher galten als Verschwörungstheoretiker diejenigen, die vor einer heraufziehenden Gefahr durch den chinesischen Virus gewarnt hatten.ii
Unter der Wucht der Propaganda wurde die These, Corona sei eine tödliche Pandemie gigantischen Ausmaßes, zur Mehrheitsmeinung. Wir konnten es alle in unserer Umgebung beobachten: erst schien diese These immer stimmiger (»könnte vielleicht doch etwas dran sein«), dann wurde sie übernommen (»eine schreckliche Seuche«) und die verordneten Maßnahmen aktiv unterstützt (»wir müssen alle an ihrer Eindämmung mitwirken«).
Ein ähnlicher Vorgang spielte sich bei der Frage der »Impfung« ab. Auch hier wandelte sich die anfängliche Skepsis gegenüber einem in die Zellgenetik eingreifenden, völlig neuartigen und ungetesteten mRNA‐Mittel unter dem Druck der Progaganda, und zwar ausschließlich für diese Mittel und keine anderen, in eine verbreitete Zustimmung. Allerdings war der Erfolg nicht total, es verblieb eine recht große Gruppe unbeirrt bei ihrer Ablehnung.
Dennoch: Gerade in linken Kreisen schlossen sich die meisten der Meinung, die »Impfung« sei notwendig, wirksam, ungefährlich und daher alternativlos, an. In noch größerem Ausmaße als die normale Bevölkerung transformierte sie zu Mitläufern der Pharmaindustrie und des hinter ihr stehenden Kapitals. Geradezu bizarre Formen des Einschwenkens auf Regierungskurs konnte man bei vielen linken Intellektuellen in der Frage eines allgemeinen Impfzwangs (wiederum nur mit den mRNA‐Mitteln, keinen anderen) beobachten – immerhin eine tief in die persönliche Autonomie eingreifende Gewalthandlung. Die Wandlung folgte obigen Bahnen.
Der Autor dieser Zeilen hat es selbst erlebt: Die gleiche Person, die zu Beginn der »Impfungen« auf die Voraussage, die Logik des Systems liefe auf einen allgemeinen (möglichst globalen) Impfzwang hinaus, dem vehement entgegentrat (»niemand zwingt dich doch zu der Impfung«) und ins Reich der Verschwörungstheorien verwies, endete wenige Monate später, wahrscheinlich nicht zufällig genau in dem Moment, als dieser im Bundestag beschlossen werden sollte, bei der Aussage: »Es hätte niemals gesagt werden dürfen, es werde nie eine Impfpflicht geben«. Man merke: Nicht der Impfzwang war der Fehler des staatlichen Umgangs mit Corona, sondern die frühere Versicherung, es werde keinen geben. Diese Wandlung war kein opportunistisches Mit‐den‐Wölfen‐Heulen, sondern die neue Überzeugung dieses radikalen Linken.
Die Gruppe der Skeptischen und Ablehner war in der Tat schnell geschrumpft. Allerdings nicht so, wie Peter Brückner es konstatierte. Sein oben zitierter Satz geht folgendermaßen weiter:
Die Gruppe der unbeeinflußbaren Ablehner schrumpft mehr oder weniger rasch auf die Minorität solcher Personen, die eine lange Tradition bewußter Politisierung hinter sich haben, die also Indifferenz im Politischen als die Erscheinung kannten, an deren Überwindung (…) sie sich abmühten, oder die ihrerseits einer Ideologie mit absoluten Monopolanspruch verbunden sind. (S. 58)
Ob diese Aussage den Realitäten in vergangenen Epochen jemals entsprach, sei dahingestellt, aber bezüglich der Corona‐Erzählung hat sie definitiv, auf jeden Fall was »links« betrifft, nicht gestimmt, und zwar in beiden Varianten nicht. Die unbeeinflußbaren Ablehner speisten sich eben gerade nicht aus solchen politaktivistischen Kreisen, sondern kamen im Gegenteil aus Kreisen, die dem Politischen bisher fern gestanden hatten. Wieso gerade letztere eine größere Resilienz gegen die Corona‐Monopolmeinung entwickelten als praktisch die gesamte, sonst so hyperkritische Linke, ist ein wichtige Frage, der noch nachgegangen werden muß. (Ich sehe darin eine Analogie zum Rekrutierungsfeld der französischen Gelbwesten).
Ursachen der Anpassung
Peter Brückner bietet zur Erklärung für die Herausbildung des Mitläufers sowohl sozialpsychologische als auf psychoanalytische Gründe. Kurz gesagt verortet er die Ursache in einer Ich‐Schwäche der mitlaufenden Person, bei gleichzeitigem Vorhandensein einer autoritären Instanz, der man sich unterwerfen kann, die abweichende Meinungen eliminiert und für ideologische Eindeutigkeit sorgt.
Nach Peter Brückner äußert sich Ich‐Schwäche bei »pluraler Öffentlichkeit und in relativ friedfertigen Zeiten in der reflexionslosen Abtretung von Autonomie an verschiedene Anbieter« (S. 59). Der Ich‐schwache Mensch bleibt indifferent und passiv, indem er die Wahrnehmung seiner Interessen an andere Instanzen abtritt und sich nicht weiter kümmert.
Dies ändert sich in Krisenzeiten und wenn (gleichzeitig) eine neue, starke Monopolmeinung auftritt:
Es bereitet Angst, an den kollektiven Stimmungen des eigenen Milieus nicht teilzuhaben. (…) Mit dem Erscheinen des Monpolisten und der rasch über das soziale Feld hinweglaufenden Anhängerfront wird Abständigkeit gleichzeitig wachsend zur Quelle von Angst. Die Änderung der Distanz zum Meinungsgegenstand, die Annäherung, mindert Angst, hat daher den Charakter des regulativen Bedürfnisses. (S. 59)
Je mehr sich also die Corona‐Erzählung in der Gesellschaft ausbreitete, desto mehr empfand sich der bisher Indifferent‐Passive, mehr noch der Ablehner, von seiner Umgebung getrennt. Dies erzeugte Angst und Verunsicherung, auch Selbstzweifel, ob man denn nicht selbst falsch liegen und alle anderen recht haben könnten. Es wurde also immer schwieriger, die eigene Skepsis aufrecht zu erhalten. Streit mit Freunden, Bekannten, Familie, Kollegen, Druck von Vorgesetzten und Auftraggebern taten ein übriges, die eigene Position zu zermürben, den Leidensdruck zu maximieren.
Jenseits der offenen Opposition bieten sich in dieser Situation drei Auswege an:
- sich wegducken und irgendwie durchkommen, so wenig Zugeständnisse machen wie möglich; dies unter Beibehaltung der früheren Position;
- dem Druck irgendwann nachgeben, zu kapitulieren. Dies meinte zumeist, sich die Spritze geben zu lassen, obwohl man es nicht wollte;
- seine Meinung der Mehrheitsmeinung anzugleichen und ins Lager der Befürworter zu wechseln.
Die erste Option setzt eine recht große innere Stärke voraus, die zweite dürften die meisten als eine schmähliche Niederlage empfunden haben – die man sich später schönreden mag, indem man dann doch ins Lager der Anhänger übertritt oder die man als solche auch weiterhin empfindet – was wiederum einer großen Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und damit innerer Stärke bedarf. Nicht wenige Gesprächspartner haben sich im vergangenen Jahr in letzterer Richtung geäußert: daß sie dem Druck nicht mehr standgehalten und aufgegeben hatten, das jetzt aber tief bereuten. Die dritte Option ist zweifellos die einfachste, denn sie bringt einen wieder in Einklang mit seinem sozialen Umfeld. Die dritte Option scheidet meines Erachtens auch den Mitläufer vom einfach nur Gehorsamen.
Angst vor Mehrdeutigkeit
Nach Peter Brückner versuchen Ich‐schwache Menschen Mehrdeutigkeit, innere Verunsicherung, wie auch die »Einsicht in ihre eigenen Bedürfnisse« zu vermeiden, weil solche stark angstbesetzt sind. »Gerade an Mehrdeutigkeiten entzündet sich die Angst der Ich‐Schwäche besonders leicht« (S. 60). Und was könnte mehrdeutiger sein, als Fragen wie: Wie gefährlich ist das Corona‐Virus, wie gefährlich für mich persönlich? Nutzen die beschlossenen Maßnahmen etwas oder nicht? Schützten die mRNA‐Stoffe vor Ansteckung und Krankheit, sind sie gefährlich oder harmlos?
Solche Mehrdeutigkeiten beseitigt der neue, autoritäre Monopolist, indem er abweichende Meinungen unterdrückt. Die Welt wird wieder klar und eindeutig. Zumindest solange man nicht anfängt, nach abweichenden Meldungen zu suchen und kritisch auf die angebotene Einheitsmeinung zu schauen. Dann käme die Mehrdeutigkeit und die daraus folgende Verunsicherung zurück. Genau aus diesem Grunde werden alternative Sichtweisen ignoriert und von sich gewiesen. Bei den Kunstaktionen unserer kleinen Gruppe haben uns wiederholt Leute zu verstehen gegeben, absichtlich keine alternativen Quellen aufzusuchen als die offiziellen, weil diese sie nur irritieren würden.
Beide Phänomene: Der Unwille zur Selbstreflexion und das Verschwinden irritierender, weil abweichender Informationen, kommt dem Bedürfnis des Ich‐Schwachen »nach Verleugnung, Verdrängung von Innerlichkeit« (S. 60) entgegen.
Tabuisierung der Todes
Der Verdrängung von Innerlichkeit kommt beim Corona‐Komplex eine gar nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Mit Corona, mit der Drohung eines angeblich hypergefährlichen Virus’, drängte die eigene Vergänglichkeit mit Macht in die Psyche und zwang zur Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, an dem Virus schwer zu erkranken und zu sterben. Hier war nun die größtmögliche Innerlichkeit berührt: das eigene Verhältnis zu Krankheit und Tod, damit die letzten Fragen der eigenen Existenz und ihre Einordnung ins »große Ganze«.
Der Monopolist versprach auf all diese Fragen eine eindeutige Antwort: das Virus ist supergefährlich, die Maßnahmen nutzen, ohne die Spritze wirst du sterben, aber keine Angst, sie ist harmlos; wenn du folgsam bist, wird alles gut – wenn da nur nicht diese Schwurbler wären!
Wenig erstaunlich ist, daß man sich von der Gefahr eines Impfschadens nicht irriteren ließ, die Unsicherheit wäre sofort wieder da gewesen; dann doch lieber dem Monopolisten glauben. Im Grunde stand die Frage im Raum, zu wie vielen Opfern man bereit war, welche Zumutungen und Einschränkungen man hinnehmen, und zwar auf Dauer (das »neue Normal«), ob man sich fremden Diktaten unterwerfen, der autoritären Kontrollgesellschaft Tür und Tor öffnen will. Selbstmord aus Angst vor dem Tod gewissermaßen. Nur um auch die kleinste Möglichkeit auszuschließen, an Corona zu sterben – oder ob nicht doch etwas Unsicherheit vorzuziehen sei. Menschen, denen vor solcher Innerlichkeit bange war, dürften sich vor dem Hintergrund einer massiven Angstpropaganda für die Seite des Monopolisten entschieden haben.
Gesellschaftliche Bedingungen und Ich‐Schwäche
Ich‐Schwäche entwickelt sich als Ergebnis von vielfältigen Sozialisationsprozessen in Familie, Kindertagesstätte, Schule, Freundeskreis – nicht zuletzt im Arbeitsleben. Nach außen hin ist unsere Gesellschaft weniger autoritär als in früheren Zeiten. Das ist meines Erachtens nur scheinbar so, die erzwungenen Anpassungsprozesse sind nur andere, überall muß man sich Autoritäten und der Gewalt der Verhältnisse unterwerfen, heute lediglich weniger direkten Befehlen folgen, sondern sich durch Selbststeuerung in eine funktionierende Maschine verwandeln.
Der Anpassungsdruck ist eher größer als früher. Das Diktum Herbert Marcuses von der »repressiven Toleranz« trifft heute weit mehr ins Schwarze als zur Zeit seiner Entstehung in den 60er‐Jahren. Gleichzeitig gibt es mehr (ökonomische) Unsicherheit, soziale Milieus, die früher Unterstützung auch seelischer Art gaben, sind vielfach verschwunden, der Mensch ist tendenziell atomisiert und steht allein. Dem sind Linke wie Nicht‐Linke ausgesetzt.
Es ist also anzunehmen, daß auch bei Linken, jüngeren Linken zumal, ein gehöriges Maß an Verunsicherung, Verdrängung innerer Nöte, Frustration und richtungslose Wut, Gefühlen der Sinnlosigkeit, Vereinzelung und dem Bedürfnis nach Einklang mit der sozialen Umgebung besteht. Zudem glauben als Folge der allgemeinen Klimahysterie viele, der Untergang der Welt stünde unmittelbar bevor. Bedingungen, die die Massenpsychologie eines Mattias Desmet als den Stoff identifiziert hat, aus dem Vermassungsprozesse entstehen.
Unter diesen Bedingungen ist es schwer, Ich‐Stärke auszubilden. Ich‐Stärke, die auch ein gelassenes Verhältnis zur potentiellen Bedrohung durch ein Virus beinhaltet und die dadurch erzeugte Verunsicherung aushält. Gerade Linke, denen so viel an ihrem abgeklärten Weltbild ohne Geist und Sinn liegt, hatten damit offenbar Schwierigkeiten.
Die meisten Menschen vertrauten ihrem gesunden Menschenverstand, ihrer inneren Stimme nicht mehr, entweder weil sie diese nicht hören konnten oder sie aus Angst vor Irritation nicht hören wollten. Nach meiner Einschätzung Linke noch erheblich weniger als die allgemeine Bevölkerung. Sie trauten sich nicht in ihr Inneres zu horchen, um dort nach dem rechten Umgang mit dem Corona‐Komplex zu forschen, die angebotene Erzählung mit ihrem ganzen Wesen zu prüfen. Dort, und nur dort, hätten die Menschen, und nicht nur die ohne Expertenwissen, eine Antwort finden können. Bei den allermeisten Menschen, die widerständig geblieben waren und mit denen ich gesprochen habe, waren es nicht alternative Informationen, keine kritische Prüfung der Fakten, noch nicht einmal eine skeptische Grundhaltung, die dazu geführt hatte. Sie »wußten« einfach, daß an der Sache etwas nicht stimmen konnte und die mRNA‐Spritze schlecht ist.
Autoritäre Charaktere
Ein wichtiger Grund für die Leichtigkeit der Konversation zum neuen Monopolisten ist darin begründet, daß es sich dabei um eine autoritäre Ordnung handelt. Dadurch macht sie Menschen, die sich nach Autorität sehnen, ein attraktives Angebot. Die Welt wird nicht nur angstmindernd eindeutig, sie bietet auch »eine Möglichkeit, an Herrschaft durch Unterwerfung teilzuhaben, sich selbst also unter Verabsolutierung der Delegation aufzuwerten« (S. 59). War der verunsicherte Mensch ein unbedeutendes Rädchen in der großen Gesellschaftsmaschine, wird er nun quasi Teil des Herrschaftsapparates, er hält ein Quäntchen Macht in seinen Händen. Oft nur symbolisch, häufig gibt es aber auch neue Rollen und Aufgaben zu erfüllen: als Schaffner, der im Feldwebelton die Corona‐Ordnung durchsetzt, als Denunziant oder in vergleichbarer Blockwartfunktion. Jeder kleine prekäre Schreiberling mutiert gefühlt zum Mitglied der Chefredaktion, wenn er ins Corona‐Horn trötet.
Vor Corona war die BRD formal demokratisch und liberal verfaßt. Dies war das Bild, das die Mehrheit der Bevölkerung vom Land hatte; und sich selbst betrachteten sie ebenso. Die Wirklichkeit sah zwar anders aus, denn die Ansichten der breiten Bevölkerung spielen in Politik und Wirtschaft keine Rolle. Dennoch traf diese Ansicht in vielen Bereichen, besonders denen der persönlichen Lebensführung, durchaus zu, die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen funktionierten halbwegs.
Solange dies so war, konnte eine Ich‐schwache, daher politisch indifferente Person, nicht einfach zum offenen Anhänger einer autoritären Kontrollgesellschaft mutieren. Denn damit hätte sie sich von der Mehrheitsmeinung entfernt. Jemand, dem der Gleichklang mit den »kollektiven Stimmungen des eigenen Milieus« (S. 59) ein dringendes Bedürfnis ist, kann sich von so einem allseits geteilten Ideal erst dann verabschieden, wenn die Stimmung in Richtung Autoritarismus gekippt ist – selbst dann nicht, wenn die Person bereits eine starke charakterliche Disposition und Sympathien in diese Richtung gehabt haben sollte.
Autoritärer Charakter und Sündenböcke
Durch die Etablierung der neuen Monopolmeinung wurde die Konversion nicht nur erleichtert, sie ist jetzt auch notwendig geworden. Die Notwendigkeit ergibt sich aus einem weiteren angstbesetzten Mechanismus, der für Peter Brückner auch dafür verantwortlich ist, daß so viele ursprüngliche Mitläufer schließlich Anhänger werden. Die neue monopolistische Herrschaft bietet den Unterdrückten stets jemanden an, an denen sie ihre aufgestauten Aggressionen abreagieren können: die Sündenböcke. Die Sündenböcke des Corona‐Regimes, das sind die Zweifler und Ablehner, die vom Monopolisten zum Feind erklärt worden sind.
Der Indifferent‐Passive steht immer in der Gefahr, wegen seines fehlenden Enthusiasmus für die Sache in das Feindeslager einsortiert zu werden. Aus dieser potentiell gefährlichen Position versucht er herauszukommen: »Er tendiert daher zu einer für andere bedrohlichen Maximierung seiner Überzeugungsstärke, er rettet sich in Aktivität« (S. 60). Das heißt: er macht aktiv mit, denunziert, geriert sich als Blockwart. Dennoch behält er, trotz aller Identifikation, häufig Schuldgefühle gegenüber dem Monopolisten, weil er nicht von Anfang an dabei gewesen ist, sondern zuvor der damaligen Mehrheitsmeinung angehangen hat. Also in das Hohelied der liberalen, demokratischen, die Autonomie der Person beteuernde Ordnung eingestimmt, der jetzigen Monopolmeinung also fern gestanden hatte (trotz eventuelle Sympathien zu ihr), eben weil (!) sie keine Mehrheitsmeinung war.
Nach Peter Brückner erleben deshalb die Mitläufer nach ihrer Konversation rückwirkend ihre damaligen »Konflikte als schuldhaft, sie haben nicht rasch genug erkannt, daß der Monopolist es so gut mit ihnen meinte, sie waren schlecht und bös, undankbar. Sie müssen es wieder gut machen« (S. 60). Ergebnis ist: »Die Verwandlung des Passiven und/oder Indifferenten in Mitläufer, schließlich in überzeugungsstarke Anhänger« (ebenda).
Überspitzt auf die politische Linke gemünzt:
Wir haben nicht erkannt, welche guten Menschen Bill Gates, Anthony Fauci und Klaus Schwab sind, sondern sie immer für ausgemachte Erzschurken gehalten. Wir wollten nicht sehen, wie sehr sich Regierung und EU‐Kommission um das Wohlergehen der Menschen sorgen, wie moralisch integer sich die Pharmaindustrie um die Entwicklung sicherer Impfstoffe bemüht. Und wir wollten nicht wahrhaben, daß unter den heutigen globalen Herausforderungen das Beharren auf Grundrechte und auf Autonomie über den eigenen Körper einfach nicht mehr zeitgemäß ist, sondern deren Beschränkung richtig, die Bindung von Freiheitsrechten an den Impfstatus, Impfpässe und Kontaktverfolgung notwendig ist; und dies muß natürlich auch für Beschäftigte und kleine Selbständige gelten. Wie konnten wir nur früher glauben, das sei ein unzulässiger Eingriff in die Rechte von Beschäftigten? Nein, Kolleg:*/_Innen, Kund:*/_Innen und Besucher:*/_Innen haben ein Recht darauf, daß die neue Ordnung durchgesetzt wird, das ist gelebte Solidarität, was wir früher unter Solidarität verstanden haben, war ein ausgemachter Quark. Aber unsere Verwirrung ist nun vorbei, wir haben die wahren Zusammenhänge erkannt. Das könnt Ihr uns wirklich glauben! Deshalb werden wir in Zukunft tatkräftig dabei helfen, die Feinde der Menschheit, allesamt Rechte und Nazis, dingfest zu machen, sie aus ihren Positionen zu entfernen und sie überall, wo sie auftauchen, an ihren Veranstaltungen und Manifestationen zu hindern.
Zugegeben, etwas krass formuliert. Aber in die Richtung muß es schon gegangen sein, wenn man sich die Aktionen der Antifa so anschaut, anders kann man sich das nicht erklären.
Kein Weg zurück mehr
Die Verwandlung in einen überzeugungsstarken Anhänger bleibt nicht ohne Folge: Der Verwandelte kann nicht so einfach zurück! Zunächst einmal verzichtet er »nun in seinen autonomen Funktionsresten auf jede Realitätsprüfung angebotener Informationen« (S. 60) Der Mitläufer glaubt alles, was der Monopolist sagt und nichts, was der Monopolmeinung widerspricht. Auch wenn sie vor seinen Augen geschieht, zum Beispiel, wenn ein bisher gesunder Mensch kurze Zeit nach der Genspritze aus heiterem Himmel tot umfällt. Würde er anders handeln, käme die angstbesetzte Mehrdeutigkeit zurück (wie oben gezeigt).
Zum anderen besteht nun, nach Durchsetzung der autoritären Monopolmeinung, die reale Gefahr, vom Monopolisten ins Feindeslager einsortiert zu werden, sollte er wieder zum Zweifler oder gar Ablehner werden. Es drohen in jedem Fall Prestige‐ und Statusverlust: die gerade glücklich ergatterte neue Position wäre wieder weg, die schöne Drittmittelfinanzierung könnte man knicken. Je nach Grad des Autoritarismus der neuen Ordnung drohen aber noch härtere Konsequenzen, denn Abtrünnige werden in der Regel besonders unnachgiebig verfolgt; ein Karriereende wäre unter Umständen noch die harmloseste Folge.
Gefahren entstehen aber auch aus dem eigenen unmittelbaren sozialen Umfeld heraus. Unterstützung und Ablehnung der Corona‐Erzählung hat in den vergangenen Jahren zu tiefen Zerwürfnissen in Familien, Freundschaften und Kollegenkreisen geführt. Solche Zerwürfnisse zu vermeiden, scheinen Linke in besonderem Maße bestrebt gewesen zu sein.
Denn viele linke Milieus sind sehr eng, ihre Mitglieder verbleiben häufig lange in ihnen, es bestehen teils langjährige Arbeitszusammenhänge, jeder kennt jeden. Der Gruppenzusammenhang ist stark, die ideologischen Glaubensinhalte werden teils intensiv gelebt, die stark aktivistischen Teile leben auch manchmal zusammen. Abweichung führt schnell zur Exkommunikation, zur Einordnung in das Feindeslager. Vollkommen unbeachtet blieb bei der mitlaufenden Linken, daß dieser »Feind« haargenau demjenigen entsprach, der vom Monopolisten als Feind, als Sündenbock angeboten wurde. So konnte es geschehen, daß Menschen, mit denen man noch wenige Wochen zuvor (beispielsweise) gegen neue Polizeigesetze demonstriert hatte, nun als Rechte denunziert, aus der Gruppe ausgeschlossen und fortan bekämpft wurden. Eine bessere Lektion darüber, wie Progrome entstehen, kann man kaum finden. Jeder, der so etwas erlebt hat, braucht keine Geschichtslektionen mehr zu 1933 fortfolgende.
Kurz: Nicht wenige linke Milieus haben eine Tendenz zum Sektenhaften, zu Rigorosität und Gruppenzwang. Besonders ausgeprägt ist dies bei Vertretern von Ideologien, die selbst einen Monopolanspruch auf Welterklärung erheben.
März 2021, Halle. Ein Ablehnender bietet einem womöglich zweifelndem Mitläufer Schutz vor dessen Gruppe an (Freie Presse Halle)
Es bedarf somit einer ausgeprägten Ich‐Stärke in einer solchen Situation standhaft zu bleiben oder gar den Rückzug anzutreten. Denn: Hat sich der verunsicherte (linke) Mensch erst einmal aufgegeben, sich der Corona‐Erzählung ergeben, fühlt er sich besser. Er ist zum Mitläufer geworden und handelt entsprechend. In Peter Brückners Worten:
Die vom Monopolisten offerierten Stereotype, Normen usw. gehen als Sollwerte in die Verhaltenssteuerung des früher einmal Passiven, Indifferenten ein – Sollwerte, die sich verfestigen, weil nach ihrer Übernahme Angst und Unsicherheit geringer werden, das Selbstwertgefühl zunimmt. (S. 61)
Wie oben bereits angedeutet, verbleiben aber Schuldgefühle:
Die qualitativ oft noch spürbare, obwohl tief verschleierte Gebrochenheit vom Mitläufer zum Monopolisten läßt ihn kompensatorisch eher besonders dogmatisch, unbeweglich und starr sein – der Anhänger der ersten Stunde behält eher Reste von Souveränität, die ihn notfalls geschickter taktieren läßt (ebenda).
Dies kommt einem wie eine Blaupause für das Agieren etlicher linker Gruppierungen vor. Auch dies ist sicherlich durch die Enge der linken Milieus mitverursacht. Bei vielen von ihnen scheint es wirklich kein Zurück mehr hinter die einmal eingenommene Radikalposition zu geben – trotz überwältigender Evidenz, daß die von ihnen übernommene Corona‐Erzählung in praktisch allen Facetten vor Widersprüchen, Halbwahrheiten, Manipulationen und dreisten Lügen strotzt.
Die von Peter Brückner genannte »tief verschleierte Gebrochenheit« konnte man dennoch oft spüren: Hatte sich der vormals kritische Linke zur Spritze entschlossen, meist dann gleich im Abo, nahmen die Verteidigung der Corona‐Erzählung an Vehemenz wie auch die Unduldsamkeit gegenüber Kritik erheblich zu. Der Ton, in dem das vorgetragen wurde, klang nicht selten wie der eines frisch konvertierten Gläubigen.
Sagen wir: Ein Jens Spahn oder Christian Drosten wäre eher in der Lage, bei Bedarf mit der Corona‐Erzählung taktisch umzugehen, als die hiesige, so unangenehm deutsche Antifa; die selbst jetzt, drei Jahre nach dem 1. Lockdown, immer noch nicht von ihrem Trip runtergekommen sind und weiter die »rechtsoffenen Schwurbler und Aluhut‐Träger« bekämpfen.
Die soziale Basis der Mitläufer
Wir sprechen hier immer noch über den ersten Typus des Mitläufers in der Theorie Peter Brückners: der überwältigenden Mehrheit der ordinären Mitläufer aus der Mitte der Gesellschaft. Deren entscheidendes Merkmal ist laut Peter Brückner, daß sie »vor oder nach der Phase des autoritären Monopols abhängig und ohnmächtig« waren. Ihre »relative Politikneutralität oder Passivität wird (…) auch ein Reflex ihrer faktischen Abhängigkeit und Ohnmacht sein; ihrer Ich‐Schwäche korrespondiert die Schwäche ihrer politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Position« (S. 62)
Peter Brückners Text rekurriert, wie bereits dargelegt, auf die Verhältnisse vor, während und nach der Zeit des Nationalsozialismus. Die erwähnte abhängige und ohnmächtige Lage ist für eine große Zahl an Menschen heute so real wie damals. Mit dem Unterschied, daß heute ein viel größerer Anteil (linker) Akademiker zu dieser Gruppe zu zählen ist. Es gibt sehr viele prekäre Linke, meist solche mit sozialen und gesellschaftswissenschaftlichen Berufen, die in wirtschaftlich schlechter Lage mit wenig Perspektiven leben. Besonders an und im Umfeld von Universitäten, Stiftungen und Forschungseinrichtungen ist Prekarität der Normalzustand.
Solange noch alles demokratisch und liberal zugeht, verhalten sich auch (prekäre und verunsicherte) Linke nicht viel anders als die übrige Bevölkerung. Sie sind gegenüber vielen Meinungsgegenständen indifferent und passiv, treten ihre Interessen »an verschiedene Anbieter« (S. 59) ab. Auch wenn man irgendwie links fühlt und denkt, heißt das noch lange nicht, daß man auch selbst aktiv ist und eine dezidierte Meinung zu einem Gegenstand vertritt. Wie man nun erleben mußte, kann sich das aber schnell ändern und »unter dem Einfluß des Monopolisten zur Aktivierung und totalen Identifizierung mit dem autoritären Staat« (S. 63) werden. Zu deutsch: Auch wenn man bisher keinen Gedanken an Viren verschwendet hatte, identifiziert man sich plötzlich vollkommen mit der vom Staat angebotenen Corona‐Erzählung und hilft, sie auf allen Ebenen durchzusetzen.
Für einige Zeit können sich solche Linke etwas weniger »abhängig und ohnmächtig« fühlen, sie halten in ihrer Rolle als Sturmabteilung des Corona‐Staates etwas persönliche Macht in ihren Händen. Wie es ein schon etwas älteres schwarzberocktes Antifa‐Pärchen während einer unserer Protestperfomance auf einen zentralen Innenstadtplatz formulierte: »Es wird Zeit, daß die ›Omas gegen Rechts‹ wieder aktiv werden und hier mal für Ordnung sorgen«. Kein Witz.
Irgendwann ist die autoritäre Monopolordnung wieder vorbei, wenn auch meist nur nach erheblichen Verheerungen. Die Mitläufer dieses ersten Typs geben dann ihre Identifikation mit dem nun »machtlos gewordenen Monopolisten rasch auf – unter Erhaltung ihrer psychischen Struktur.« (S. 64) Das Potential für künftiges Mitläufertum bleibt also erhalten und abrufbereit, wenn »jede Aufarbeitung des eigenen Verhaltens während der Diktatur« (S. 64) unterbleibt.
Mitläufer in Führungspositionen (Mitläufer Typ 2)
Kommen wir zu Typ 2 in Peter Brückners Psychologie des Mitläufers. Dieser Typus stammt nicht aus dem Lager der Indifferenten und Passiven, sondern dem der Gegner des neuen Monopolisten. Er beschreibt sie als Personen, die bei »stummer Verweigerung totaler Identifikation als Mitläufer dennoch (…) Funktionen von Rang zu erfüllen verstanden. (…) Dieser Typus des Mitläufers übte selbst Herrschaftsfunktionen aus, er war immer aus der Masse der abhängigen Population herausgehoben«. (S. 61f). Das Wort »totaler« ist hier wichtig, denn diesen Typus grenzt Brückner von solchen Mitläufern ab, die einfach nur mitlaufen, solange sie sich nicht vollkommen verbiegen müssen, ansonsten aber bei einer »stummen Total‐Verweigerung der Identifikation« blieben – was nach Peter Brückner eine große Ich‐Stärke voraussetzt.
Von seiner Charakterstruktur her war der Typ 2 darauf orientiert, in Herrschaftspositionen zu gelangen oder in ihnen zu verbleiben; und zwar Herrschaftspositionen, die eine klare Hierarchie von Befehl und Gehorsam boten. Er identifiziert sich nicht völlig, aber wirklich stören tut er sich am Monopolisten auch nicht. Wichtig ist ihm eine Position zu bekleiden, bei der es zu keinen Einreden subalterner Kreise (wie Gewerkschaften, oppositionelle Gruppen und Meinungen) kommt. Zu deutsch: er ist gerne Chef und Widerspruch kann er nicht leiden.
Ein aufstrebender Monopolist, der eine solche gesellschaftliche Ordnung anstrebt, steht solchen Leuten »schon immer nahe, so groß die Differenzen zu ihm auch sonst gewesen sein mögen. Der Monopolist treibt die Gesellschaft gleichsam in ihre Richtung – nur weit über ihre eigenen Ziele hinaus« (S. 62). Ist das Monopol installiert, macht er mit und funktioniert im Sinne des Monopolisten. Laut Peter Brückner stellte dieser Typus das Gros der BRD‐Eliten nach 1945.
Anti‐demokratische Grundhaltung
Peter Brückner weist auf ein weiteres Charakteristikum dieses Typus hin, und zwar daß sie: »Im vor‐ und nachmonopolistischen parlamentarischen System jede Form von politischem Engagement bekämpfen, die auf eine Politisierung der lohnabhängigen Massen und auf deren Beteiligung an der politischen Willensbildung abzielt.« (S. 63). Diese Aussage bezieht sich natürlich auf deren Agieren in der Weimarer Republik und dann wieder in der BRD.
Wenn man diesen Ansatz Peter Brückners dahingehend erweitert, daß man nicht nur auf die damaligen konservativ‐bürgerlichen Kreise, die in Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten standen, rekurriert, sondern alle (oppositionellen) Personen mit persönlichen Führungs‐ und Herrschaftsambitionen mit einbezieht, dann eröffnet sich eine mögliche Erklärung für das irritierende Mitläufertum vieler linker Führungspersonen – und solcher die es werden wollten – während der Corona‐Zeit. Bei ihnen handelte es sich nicht um indifferent‐passive Karteileichen, sondern um aktiv handelnde Menschen in hervorgehobenen Positionen. Wenn auch nicht immer in materieller Hinsicht, sondern lediglich in ihrer Funktion als Intellektuelle.
Es dürfte nicht zufällig sein, daß viele rigorose Unterstützer des Corona‐Regimes, denen oftmals die beschlossenen Maßnahmen noch nicht streng genug waren, traditionssozialistische, besonders aber trotzkistische Hintergründe hatten. Kennzeichen dieser Kreise ist ihr Führungs‐ und Avantgarde‐Anspruch gegenüber den lohnabhängigen Massen – bei einer gleichzeitigen Vorliebe für staatliche Großsysteme, denen sich der Einzelne unterordnen soll. Dieser (autoritäre) Traditionsstrang bekämpft seit über 150 Jahren unabhängige und selbstorganisierte Bewegungen, die »von unten« aus der Bevölkerung entstehen. So man sich nicht an deren Spitze setzen, ihnen Themen, Ideologien und Akionsformen vorschreiben kann, weil diese auf ihrer eigenen Interpretation eines Sachverhaltes und der anzustrebenden Ziele beharren, werden sie zum Gegner erklärt. Man kommt nicht auf die Idee, sich als Gleiche unter Gleichen in die Bewegungen einzureihen und dort mit seinen Argumenten zu überzeugen. (Dies ist klar vom »Entrismus« zu unterscheiden, um durch allerlei, aber immer undemokratische, Tricks die Führung einer Gruppe zu erobern und den Laden zu übernehmen).
Linke gegen emanzipative Kritik »von unten«
In den vergangenen dreißig Jahren (aber auch zuvor) konnten man dieses Verhalten ausgiebig beobachten. Vor Corona waren bereits diverse Protestbewegungen ins Fadenkreuz solcher Linker geraten. Fast immer war der Vorwurf, eine Protestbewegung sei rechts, »rechts‐offen«, antisemitisch etcetera. Selbst wenn sich nur vereinzelte Rechte einem Protest angeschlossen hatten, wurde dieser Vorwurf erhoben. Davon abgesehen, daß es schlechterdings keine politische Bewegung gibt, bei der sich nicht auch obskure Leute einklinken wollen, konnte man dennoch den wahren Grund für solche Einordnung stets heraushören: Eine Protestbewegung, die sich nicht von einem selbst führen lassen will, darf nicht sein! Dann sie lieber Hand in Hand mit der Macht zerstören!
Dieses ganze »Rechts-offen«-Gerede ist überhaupt erst durch linke Kreise in die Welt gekommen, namentlich bei den diversen Versuchen der Wiederbelegung der Montagsdemonstrationen (Hartz‐Gesetze, Ukraine‐Krieg seit 2014), bevor es im Zuge von Corona dankend von der Staatsmacht aufgegriffen und gegen jeglichen Protest eingesetzt wurde.
Diese Sorte Linke verhält sich also objektiv anti‐demokratisch und anti‐emanzipatorisch. Es ist das gleiche anti‐demokratische Verhalten, wie es Peter Brückner oben für den Mitläufer vom zweiten Typus konstatiert hat, »wenn nämlich ›Demokratie‹ den Abbau von Herrschaft und die Einbeziehung der (früher) Beherrschten in die politische Willens‐ und Entscheidungsfindung der Gesellschaft bedeutet« (S. 62).
Diese Demokratisierungsverhinderung hat in Bezug auf das Mitläuferphänomen fatale Folgen:
Da aber allein diese Politisierung und Demokratisierung mit der faktischen Ohnmacht der Population zugleich eine strukturelle Bedingung künftiger Mitläuferschaft aufhebt, erweist sich die gesteuerte Indifferenz der Massen und elitäre Organisationsformen pluraler Demokratie (…) als permanente Vorbereitung für die Endstrecke autoritär‐monopolistischer Machtübernahme, die durch das Massenphänomen der Mitläufer und der ›Anhänger der zweiten Stunde‹ charakterisiert wird. (S. 63)
Das heißt nichts anderes, daß eine derartig agierende Linke, einer Linken mit Führungsanspruch und Aufstiegsambitionen, die Herstellung der Grundbedingungen für eine (künftige) Selbstbefreiung der abhängigen Massen konterkariert: die selbst ins Werk gesetzte Politisierung und Bewegungsbildung. Und damit die psychische Voraussetzung für zukünftige neue autoritäre Lösungen konservieren hilft.
Keine Befreieung ohne Selbstbefreiung
Ein solches Verhalten ist widersinnig – es sein denn, man ist an einer Selbstbefreiung der Massen nicht interessiert, sondern möchte diese von oben zu ihnen bringen und dabei selbst Chef sein. Aber das wäre natürlich keine Befreiung, sondern neue Knechtschaft unter einer neuen Herrschaft. Dieses Chef‐Sein‐Wollen muß leider erheblichen Teilen der Linken zum Vorwurf gemacht werden.
Befreiung ohne Selbstbefreiung ist keine. Befreiung der abhängigen Massen setzt die selbsttätige Politisierung voraus, die Formulierung eigener Ziele und Aktionsformen und kein betreutes Denken und Handeln. Es sollte evident sein, daß ein solcher Prozeß notwendigerweise in anderen Bahnen verlaufen und zu anderen Zielen führen muß, als eine von akademischen Linken in ihren Elfenbeintürmen formulierte; der Erfahrungshintergrund ist einfach zu grundverschieden. Linke mit Führungsanspruch und Deutungsmonopol, die vorschreiben wollen, wer sich einem Protest anschließen darf und wer nicht, Linke, die sich fortlaufend und so lange von allem und jeden distanzieren, bis nur noch sie selber übrigbleiben, passen da nicht rein. (So erlebt bei einer »Friedenskundgebung« der Partei die Linke; die dann noch übriggebliebene Position war von der Regierungsmeinung kaum mehr zu unterscheiden).
Die Linke hatte während der Corona‐Zeit die Chance, die anschwellende Protestbewegung mit den richtigen Argumenten zu versorgen. Stattdessen hat sie sich Kapital und Staatsmacht in die Arme geworfen, ist (neben Mainstream‐Medien und Staatsfunk) zur wichtigsten Hilfstruppe bei der Durchsetzung der Corona‐Agenda (und dem, was in diesem Zuge noch alles erreicht werden sollte) geworden. Sie hat objektiv alles getan, um die Selbstbefreiung genau derjenigen zu verhindern, deren Interessen sie vorgibt zu vertreten. Sie hat die Macht von Staat und Kapital über die Massen nicht nur nicht abzubauen geholfen, sondern nochmals verstärkt. Sie hat genau das getan, was die Mitläufer mit Herrschaftsambitionen, wie sie Peter Brückner charakterisiert, während des Dritten Reiches getan hatten.
Man kann auch sagen: Viele Linke sind während der Corona‐Zeit zu ihrem wahren Selbst gekommen.
Dennoch: Es gibt Hoffnung
Trotz des erschreckenden Mitläufertums der überwältigenden Mehrheit der Linken, macht die Tatsache Hoffnung, daß sich dennoch so viele Menschen selbst politisierten, unbeirrt von allen Anfeindungen, aus allen politischen Richtungen kommend, und nach Wegen suchten, ihren Protest auszudrücken und die Realität zu verändern. Corona hat bei einem nicht ganz kleinen Teil der Bevölkerung zu einem erheblichen Legitimitätsverlust des Staates und dieser Gesellschaftsordnung geführt; ein Riß, der so schnell nicht mehr zu kitten sein wird.
Wahrscheinlich hat Corona den Tod der Linken, wie wir sie in den vergangenen dreißig Jahren kannten, eingeleitet. Ihre Positionierung im russisch‐ukrainischen Konflikt, die bruchlos an ihr Corona‐Mitläufertum anschließt, dürfte diesen Tod nun endgültig besiegeln.
Ob eine Erneuerung der Linken möglich ist, wird die Zukunft zeigen. Auch, ob man den Begriff »links« überhaupt noch wird verwenden können, ob er als politische Einordnung noch aussagekräftig ist. Ich habe da so meine Zweifel. Jedenfalls haben gefühlt 95 Prozent der bisherigen Linken bei mir jegliche Glaubwürdigkeit verloren, ich sehe in ihnen keine Mitstreiter für eine demokratische, freie und lebenswerte Zukunft mehr, sondern betrachte sie als Teil des Problems. Ich muß auch gestehen, daß sich meine anti‐staatliche Grundhaltung seit März 2020 noch einmal mächtig verstärkt hat. Eine »neue Linke« kann in meinen Augen daher nur staatskritisch sein.
Verweise
i Brückner, Peter [1969] Zur Psychologie des Mitläufers, in: Brückner, Peter (1983) Zerstörung des Gehorsams. Aufsätze zur politischen Psychologie, hrsg. von Axel R. Oestmann, Berlin: Verlag Klaus Wagenbach
ii Transkript der Sendung im BR, 30. Januar 2020: »Wie ein Virus die Vernunft zerstört«. Der 5‑Minuten‐Beitrag stellt eine Art satiren Kommentar dar.
Moderator:
Miteinander reden, nicht übereinander. Die Menschen müssen einfach wieder in Kontakt kommen,
(Moderator flippt jetzt aus und schreit): Dann stecken Sie sich mit diesem Klesenvirus (?) an!
Einspieler aus Wuhan:
- Autokontrolle »Das geht aber nicht. Steig aus. Du hast 38,2 Grad Temperatur«
- Mit Fieber darf niemand mehr nach Hause, und ist sich selbst überlassen
- Aus dem ganzen Land wird das medizinische Personal in die schwer betroffenen Provinz Hubei gebracht. In Wuhan werden zwei neue Krankenhäuser aus dem Boden gestampft. Wer in die Öffentlichkeit geht, muß Mundschutz tragen, die Maskenhersteller schieben Überstunden. Wenn ein Auto fährt, ist es ein Krankenwagen. Die hochentwickelt 11‐Millionen Einwohner Stadt gleicht einer Geisterstadt.
Moderator mit Hygieneanzug und Maske:
Okay, was heißt das jetzt? Nur keine Panik, oder (schreit) Panik !?
Ich bin im wesentlichen für beides zu haben. Panik gilt als eher ungemütlich, und ich als Bayer habe es gerne gemütlich. Als moderner Nihilist aber ist man immer ein bischen Vater der Panik, mal etwas anderes im Mittelklasse Einerlei.
Also was jetzt: Wie geht es den Corona Opfern in München?
Prof. Clemens Wendt:
Die vier sind »pumperlgesund«, haben keine Symptomatik, sind fieberfrei, husten nicht, denen ist so langweilig, daß sie uns ständig mit der Entlassfrage nerven.
Prof. August Stich:
Dieses neuartige Corona‐Virus scheint nicht so gefährlich zu sein. Letztes Jahr sind 25.000 Menschen an der echten Grippe gestorben.
Moderator:
Ich werde also nicht am neuartigen Corona‐Virus hinscheiden. Das ist gut. Was mich aber beunruhigt, ist, daß jedes Jahr 25.000 Mitmenschen an der Grippe sterben. Das wird bei jeder aufkommenden Viruspanik gesagt: an SARS, Ebola, Denguefieber. Immer, wenn wir uns gerade in kollektiver Hypochondrie erbauen und Pandemiegrusel haben, dann kommt wer und sagt: »Jedes Jahr sterben tausende Menschen an der Grippe«.
Jetzt kommt das beunruhigende: Ich bin jedesmal überrascht, (…) aber das ist möglicherweise auch ein Abwehrmechanismus des Gehirns, denn würde man sich jedesmal solche Horrorzahlen merken, man zerfiele ja zu Staub.
Jetzt folgen die entscheidenden Sätze:
Es gibt natürlich immer auch die, die erregt sein wollen, weil Erregung das Zentrum ihrer politischen Arbeit darstellt. Martin Sellner von der rechtsextremen Identitären Bewegung zwitscherte: »Das Wuhan‐Virus verbreitet sich rasendschnell. Offene Grenzen bedeuten auch offene Grenzen für Viren.«
Wer die Apokalypse zur Basis seines Denkens macht, schlägt Maßnahmen zu deren Verwirklichung vor. Nehmen wir den hier implizit gemachten Vorschlag doch mal ernst. Was wäre, wenn man die Grenzen schließen würde? Vorteil: keine Ausländer kommen mehr rein. Juhu! Nachteil: Kein Verkehr mehr, Flugzeuge bleiben am Boden, Züge fahren nicht, quasi Generalstreik, und schon hätte man das, was man draußen halten will: das Desaster!
Natürlich beteiligt sich auch der Astmaanfall für Deutschland, kurz AfD, an der Paranoiaproduktion. Und rechte Youtuber kriegen sich vor lauter Endzeitpsychosen gar nicht mehr ein.
Einspieler: »Die Corona‐Virus Pandemie ist weitaus schlimmer als man euch glauben machen möchte. Sie ist viel, viel, viel schlimmer. Ich möchte keine Panik verbreiten oder euch verunsichern«
Moderator: Ja, das ging ja nun echt schief.
(Einspieler von Bildern aus China) Welche von diesen Bildern aus der aktuellen Krise stammen, bleibt unklar. Dennoch wird diese Video millionenfach geteilt.
Warum sind so viele so leicht mit Verschwörungstheorien zu infizieren? Eine kluge Chinesin bringt es auf den Punkt:
Einspieler einer jungen Frau: »Wir können nicht sicher sein, ob der Staat uns die ganze Wahrheit sagt. Ob sie die Zahlen vielleicht nicht herunterspielen. Nicht zu wissen, was wirklich passiert und wie lange es dauert, das macht mir am meisten Angst.«
(Jetzt wird es richtig realsatirisch, ws)
Moderator: Diese Chinesin hat völlig Recht, weil China ist eine Diktatur; eine freie Presse gibt es dort nicht. Die Vermutung, unvollständig oder unrichtig informiert zu werden, ist plausibel. Wir haben eine freie Presse, die wiederum besteht aus ehrgeizigen Menschen, die mal einen echten Scoop landen wollen. Also wenn es hier ein Geheimnis gäbe, dann würde das wer ausplaudern, weil man damit Geld verdient. Je mehr Geheimnis, desto Geld. Glauben Sie, die BILD würde etwas verschweigen, wenn sie etwas zu verkünden hätte? Nur weil Jens Spahn es befohlen hat? Ehrlich.
Aber solche Gedanken sind für viele nicht überzeugend. Weil man darf ja eh nichts mehr glauben. (…)
Bild: Gegenprotest gegen eine Demonstration der Freien Linken in Berlin
Überaus erhellend. Die 200 prozentige Anpassung vieler Linker an das Pandemie‐ Narrativ blieb auch mir ein Rätsel.
Der innewohnende Autoritarismus ist eine interessante Erklärung.
Ein weiterer Aspekt ist vielleicht auch das medizinische Thema an sich.
Die kostenlose Gesundheitsversorgung sowie Vorsorge, z. B. durch Impfprogramme, war ja immer eine gerne präsentierte Errungenschaft sozialistischer Gesellschaften.
Auf wsws oder jw fand sich die Argumentationslinie, die »Schutzmaßnahmen« erfolgten im Interesse der Arbeiter und widersprächen den Interessen des Kapitals.
Auf die Idee, die Arbeiter zu fragen, ob und wie sie geschützt werden wollen, ist in linken opportunistischen Kreisen anscheinend niemand gekommen.