Zur Psy­cho­lo­gie des Mit­läu­fers: Ein Ver­such über lin­kes Mit­läu­fer­tum auf einen Text von Peter Brückner

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Im Jahr 1969 ver­öf­fent­lich­te Peter Brück­ner in einem Sam­mel­band zur poli­ti­schen Psy­cho­lo­gie einen klei­nen, fei­nen Text zur »Psy­cho­lo­gie des Mit­läu­fers« i. Bei die­sem han­del­te es sich um eine aktua­li­sier­te Ver­si­on eines Bei­trags glei­chen Titels für das Jugend­in­sti­tut der UNESCO von 1964. Obwohl 1969 aktua­li­siert, bezieht er sich nicht auf die dama­li­ge poli­ti­sche Situa­ti­on zur Hoch­zeit der Stu­den­ten­be­we­gung. Aus­gangs­punkt von Peter Brück­ners Über­le­gun­gen ist viel­mehr der Nor­mal­zu­stand der poli­ti­schen Pas­si­vi­tät brei­ter Bevöl­ke­rungs­krei­se als »Aus­druck der glei­chen psy­cho­dy­na­mi­schen Struk­tu­ren, die bei beschreib­ba­ren Ver­än­de­run­gen im sozia­len Feld in eine unmit­tel­bar bedroh­li­che Erschei­nung umschla­gen kön­nen, in die des Mit­läu­fers« (S. 57).

Refe­renz­punkt war natür­lich das »Drit­te Reich«, das zur Zeit der Ursprungs­ver­si­on noch nicht ein­mal 20 Jah­re zurück lag. Er fragt somit, wie aus pas­si­ven Mas­sen unter geeig­ne­ten Bedin­gun­gen Unter­stüt­zer auto­ri­tä­rer und ver­bre­che­ri­scher Ver­hält­nis­se wer­den kön­nen. In die­sem kur­zen Text fin­den sich so vie­le beden­kens­wer­te Ein­sich­ten und The­sen, daß er gera­de­zu dazu ein­lädt, sich auf ihn stüt­zend über das Phä­no­men des lin­ken Mit­läu­fer­tums wäh­rend der Coro­na-Zeit Gedan­ken zu machen. Das meis­te Gesag­te kann man bruch­los auf den aktu­el­len Ukrai­ne-Kon­flikt übertragen.

Auch wenn ich selbst weder Sozi­al­psy­cho­lo­ge noch Peter-Brück­ner-Exper­te bin, möch­te ich mich dar­an ver­su­chen. Die gesell­schaft­li­chen Unter­schie­de zwi­schen damals und heu­te sind dabei nicht so wich­tig, beson­ders weil das wesent­li­che struk­tu­rel­le Ele­ment unver­än­dert geblie­ben ist: die Kon­ti­nui­tät der Kapitalherrschaft.

Zwei Arten von Mitläufern

Peter Brück­ner unter­schei­det zwei Arten von Mit­läu­fern, die sich ähneln, aber an ent­schei­den­der Stel­le sich auch unter­schei­den: ein­mal die Mas­se der Mit­läu­fer, die sich aus der all­ge­mei­nen Bevöl­ke­rung speist, und der Mit­läu­fer in geho­be­ner Posi­ti­on. Beson­ders die Aus­füh­run­gen, die Peter Brück­ner zu letz­te­ren macht, sind für die Ana­ly­se des lin­ken Mit­läu­fer­tums von Ergie­big­keit – was aber nicht heißt, daß sei­ne Aus­sa­gen zur ers­ten Grup­pe für sie nicht gel­ten wür­den, wes­halb die­se zunächst aus­gie­big vor­ge­stellt wer­den sollen.

Cha­rak­te­ris­tik und Gene­se des Mit­läu­fers (Typ 1)

In Bezug auf einen »Mei­nungs­ge­gen­stand« unter­schei­det Brück­ner vier vir­tu­el­le Grup­pen: Anhän­ger, Ableh­ner, Indif­fe­ren­te und Nicht-Infor­mier­te. Als Mit­läu­fer bezeich­net er Per­so­nen, die sich:

[…] poli­tisch pas­siv und indif­fe­rent ver­hal­ten, solan­ge kein Mono­po­list die Öffent­lich­keit beherrscht, die sich aber einer ein­mal instal­lier­ten mono­po­lis­ti­schen Ideo­lo­gie erst anpas­sen und dann bei gleich­zei­ti­ger Mobi­li­sie­rung anglei­chen. (S. 57)

Die Grup­pe der poli­tisch Indif­fe­ren­ten inner­halb einer Bevöl­ke­rung stellt somit das Reser­voir für den Mit­läu­fer dar.

Der Pro­zeß der Ver­wand­lung ver­läuft unter dem Druck der Mono­pol­mei­nung der­ge­stalt, daß für eine Per­son ein Mei­nungs­ge­gen­stand zunächst »in sich stim­mi­ger, run­der, bruch­lo­ser, wider­spruchs­frei­er« (S. 58) wird, um dann in einem zwei­ten Schritt die eige­ne Distanz zum ihm völ­lig auf­zu­ge­ben; er erscheint ihm nun bruch­los, die Ein­stel­lung wird affir­ma­tiv. Die Per­son ist vom Indif­fe­ren­ten zum Anhän­ger gewor­den, wobei sie sich erst­ma­lig poli­ti­siert hat, also aus ihrer indif­fe­ren­ten Posi­ti­on her­aus­ge­tre­ten und zu einem akti­ven Ver­tre­tern der neu­en Mei­nung gewor­den ist.

Ist der pro­ga­gan­dis­ti­sche Mei­nungs­druck sehr stark, tritt die­ser Pro­zeß mas­sen­haft und mit wach­sen­der (!) Geschwin­dig­keit auf; aus Indif­fe­ren­ten wer­den Anhän­ger, aus eini­gen Ableh­nern Indif­fe­ren­te, von denen wie­der­um spä­ter eini­ge eben­falls Anhän­ger wer­den. Die Grup­pe der Ableh­ner schrumpft schnell. So kann aus einer bis­he­ri­gen Mei­nung unter vie­len bei ent­spre­chend hohem Pro­pa­gan­da­druck in kur­zer Zeit die Mehr­heits­mei­nung werden.

Die­ser Pro­zeß konn­te wäh­rend der ver­gan­ge­nen Jah­re aus­gie­big stu­diert wer­den. War mit dem Auf­kom­men der ers­ten Mel­dun­gen über eine gefähr­li­che Epi­de­mie in Chi­na noch gro­ße Skep­sis ver­bun­den, ob an der Sache über­haupt etwas dran sei, schrumpf­te die­se Skep­sis in den Fol­ge­mo­na­ten und die Unter­stüt­zung der Coro­na-Erzäh­lung stieg steil an, beson­ders im Ver­lauf des ers­ten »Lock­downs«. Vor­an­ge­trie­ben wur­de dies durch eine mas­si­ve Angst- und Schock­prog­pa­gan­da von WHO, Regie­run­gen, pri­va­ten und staat­li­chen Medien.

Eine Schlüs­sel­rol­le spiel­ten dabei die Bil­der gesta­pel­ter Sär­ge im ita­lie­ni­schen Ber­ga­mo, die ein Mas­sen­ster­ben sug­ge­rie­ren soll­ten. Wer dar­auf hin­wies, daß sich Sär­ge natür­lich sta­peln, wenn man Trans­por­te in Kre­ma­to­ri­en im Aus­land und auch Beer­di­gun­gen ver­bie­tet, wur­den schon damals als anti­wis­sen­schaft­li­cher Ver­schwö­rung­theo­re­ti­ker geschol­ten, kalt­her­zig dazu. Inner­halb von Wochen hat­te sich das, was eine Coro­na-Ver­schwö­rungs­theo­rie sei, um 180 Grad gedreht (Anna­le­na hät­te von 360 Grad gespro­chen), denn noch kurz vor­her gal­ten als Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­ker die­je­ni­gen, die vor einer her­auf­zie­hen­den Gefahr durch den chi­ne­si­schen Virus gewarnt hat­ten.ii

Unter der Wucht der Pro­pa­gan­da wur­de die The­se, Coro­na sei eine töd­li­che Pan­de­mie gigan­ti­schen Aus­ma­ßes, zur Mehr­heits­mei­nung. Wir konn­ten es alle in unse­rer Umge­bung beob­ach­ten: erst schien die­se The­se immer stim­mi­ger (»könn­te viel­leicht doch etwas dran sein«), dann wur­de sie über­nom­men (»eine schreck­li­che Seu­che«) und die ver­ord­ne­ten Maß­nah­men aktiv unter­stützt (»wir müs­sen alle an ihrer Ein­däm­mung mitwirken«).

Ein ähn­li­cher Vor­gang spiel­te sich bei der Fra­ge der »Imp­fung« ab. Auch hier wan­del­te sich die anfäng­li­che Skep­sis gegen­über einem in die Zell­ge­ne­tik ein­grei­fen­den, völ­lig neu­ar­ti­gen und unge­tes­te­ten mRNA-Mit­tel unter dem Druck der Pro­ga­gan­da, und zwar aus­schließ­lich für die­se Mit­tel und kei­ne ande­ren, in eine ver­brei­te­te Zustim­mung. Aller­dings war der Erfolg nicht total, es ver­blieb eine recht gro­ße Grup­pe unbe­irrt bei ihrer Ablehnung.

Den­noch: Gera­de in lin­ken Krei­sen schlos­sen sich die meis­ten der Mei­nung, die »Imp­fung« sei not­wen­dig, wirk­sam, unge­fähr­lich und daher alter­na­tiv­los, an. In noch grö­ße­rem Aus­ma­ße als die nor­ma­le Bevöl­ke­rung trans­for­mier­te sie zu Mit­läu­fern der Phar­ma­in­dus­trie und des hin­ter ihr ste­hen­den Kapi­tals. Gera­de­zu bizar­re For­men des Ein­schwen­kens auf Regie­rungs­kurs konn­te man bei vie­len lin­ken Intel­lek­tu­el­len in der Fra­ge eines all­ge­mei­nen Impfzwangs (wie­der­um nur mit den mRNA-Mit­teln, kei­nen ande­ren) beob­ach­ten – immer­hin eine tief in die per­sön­li­che Auto­no­mie ein­grei­fen­de Gewalt­hand­lung. Die Wand­lung folg­te obi­gen Bahnen.

Der Autor die­ser Zei­len hat es selbst erlebt: Die glei­che Per­son, die zu Beginn der »Imp­fun­gen« auf die Vor­aus­sa­ge, die Logik des Sys­tems lie­fe auf einen all­ge­mei­nen (mög­lichst glo­ba­len) Impf­zwang hin­aus, dem vehe­ment ent­ge­gen­trat (»nie­mand zwingt dich doch zu der Imp­fung«) und ins Reich der Ver­schwö­rungs­theo­rien ver­wies, ende­te weni­ge Mona­te spä­ter, wahr­schein­lich nicht zufäl­lig genau in dem Moment, als die­ser im Bun­des­tag beschlos­sen wer­den soll­te, bei der Aus­sa­ge: »Es hät­te nie­mals gesagt wer­den dür­fen, es wer­de nie eine Impf­pflicht geben«. Man mer­ke: Nicht der Impf­zwang war der Feh­ler des staat­li­chen Umgangs mit Coro­na, son­dern die frü­he­re Ver­si­che­rung, es wer­de kei­nen geben. Die­se Wand­lung war kein oppor­tu­nis­ti­sches Mit-den-Wöl­fen-Heu­len, son­dern die neue Über­zeu­gung die­ses radi­ka­len Linken.

Die Grup­pe der Skep­ti­schen und Ableh­ner war in der Tat schnell geschrumpft. Aller­dings nicht so, wie Peter Brück­ner es kon­sta­tier­te. Sein oben zitier­ter Satz geht fol­gen­der­ma­ßen weiter:

Die Grup­pe der unbe­ein­fluß­ba­ren Ableh­ner schrumpft mehr oder weni­ger rasch auf die Mino­ri­tät sol­cher Per­so­nen, die eine lan­ge Tra­di­ti­on bewuß­ter Poli­ti­sie­rung hin­ter sich haben, die also Indif­fe­renz im Poli­ti­schen als die Erschei­nung kann­ten, an deren Über­win­dung (…) sie sich abmüh­ten, oder die ihrer­seits einer Ideo­lo­gie mit abso­lu­ten Mono­pol­an­spruch ver­bun­den sind. (S. 58)

Ob die­se Aus­sa­ge den Rea­li­tä­ten in ver­gan­ge­nen Epo­chen jemals ent­sprach, sei dahin­ge­stellt, aber bezüg­lich der Coro­na-Erzäh­lung hat sie defi­ni­tiv, auf jeden Fall was »links« betrifft, nicht gestimmt, und zwar in bei­den Vari­an­ten nicht. Die unbe­ein­fluß­ba­ren Ableh­ner speis­ten sich eben gera­de nicht aus sol­chen polit­ak­ti­vis­ti­schen Krei­sen, son­dern kamen im Gegen­teil aus Krei­sen, die dem Poli­ti­schen bis­her fern gestan­den hat­ten. Wie­so gera­de letz­te­re eine grö­ße­re Resi­li­enz gegen die Coro­na-Mono­pol­mei­nung ent­wi­ckel­ten als prak­tisch die gesam­te, sonst so hyper­kri­ti­sche Lin­ke, ist ein wich­ti­ge Fra­ge, der noch nach­ge­gan­gen wer­den muß. (Ich sehe dar­in eine Ana­lo­gie zum Rekru­tie­rungs­feld der fran­zö­si­schen Gelbwesten).

Ursa­chen der Anpassung

Peter Brück­ner bie­tet zur Erklä­rung für die Her­aus­bil­dung des Mit­läu­fers sowohl sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche als auf psy­cho­ana­ly­ti­sche Grün­de. Kurz gesagt ver­or­tet er die Ursa­che in einer Ich-Schwä­che der mit­lau­fen­den Per­son, bei gleich­zei­ti­gem Vor­han­den­sein einer auto­ri­tä­ren Instanz, der man sich unter­wer­fen kann, die abwei­chen­de Mei­nun­gen eli­mi­niert und für ideo­lo­gi­sche Ein­deu­tig­keit sorgt.

Nach Peter Brück­ner äußert sich Ich-Schwä­che bei »plu­ra­ler Öffent­lich­keit und in rela­tiv fried­fer­ti­gen Zei­ten in der refle­xi­ons­lo­sen Abtre­tung von Auto­no­mie an ver­schie­de­ne Anbie­ter« (S. 59). Der Ich-schwa­che Mensch bleibt indif­fe­rent und pas­siv, indem er die Wahr­neh­mung sei­ner Inter­es­sen an ande­re Instan­zen abtritt und sich nicht wei­ter kümmert.

Dies ändert sich in Kri­sen­zei­ten und wenn (gleich­zei­tig) eine neue, star­ke Mono­pol­mei­nung auftritt:

Es berei­tet Angst, an den kol­lek­ti­ven Stim­mun­gen des eige­nen Milieus nicht teil­zu­ha­ben. (…) Mit dem Erschei­nen des Mon­po­lis­ten und der rasch über das sozia­le Feld hin­weg­lau­fen­den Anhän­ger­front wird Abstän­dig­keit gleich­zei­tig wach­send zur Quel­le von Angst. Die Ände­rung der Distanz zum Mei­nungs­ge­gen­stand, die Annä­he­rung, min­dert Angst, hat daher den Cha­rak­ter des regu­la­ti­ven Bedürf­nis­ses. (S. 59)

Je mehr sich also die Coro­na-Erzäh­lung in der Gesell­schaft aus­brei­te­te, des­to mehr emp­fand sich der bis­her Indif­fe­rent-Pas­si­ve, mehr noch der Ableh­ner, von sei­ner Umge­bung getrennt. Dies erzeug­te Angst und Ver­un­si­che­rung, auch Selbst­zwei­fel, ob man denn nicht selbst falsch lie­gen und alle ande­ren recht haben könn­ten. Es wur­de also immer schwie­ri­ger, die eige­ne Skep­sis auf­recht zu erhal­ten. Streit mit Freun­den, Bekann­ten, Fami­lie, Kol­le­gen, Druck von Vor­ge­setz­ten und Auf­trag­ge­bern taten ein übri­ges, die eige­ne Posi­ti­on zu zer­mür­ben, den Lei­dens­druck zu maximieren.

Jen­seits der offe­nen Oppo­si­ti­on bie­ten sich in die­ser Situa­ti­on drei Aus­we­ge an:

  1. sich weg­du­cken und irgend­wie durch­kom­men, so wenig Zuge­ständ­nis­se machen wie mög­lich; dies unter Bei­be­hal­tung der frü­he­ren Position;
  2. dem Druck irgend­wann nach­ge­ben, zu kapi­tu­lie­ren. Dies mein­te zumeist, sich die Sprit­ze geben zu las­sen, obwohl man es nicht wollte;
  3. sei­ne Mei­nung der Mehr­heits­mei­nung anzu­glei­chen und ins Lager der Befür­wor­ter zu wechseln.

Die ers­te Opti­on setzt eine recht gro­ße inne­re Stär­ke vor­aus, die zwei­te dürf­ten die meis­ten als eine schmäh­li­che Nie­der­la­ge emp­fun­den haben – die man sich spä­ter schön­re­den mag, indem man dann doch ins Lager der Anhän­ger über­tritt oder die man als sol­che auch wei­ter­hin emp­fin­det – was wie­der­um einer gro­ßen Ehr­lich­keit gegen­über sich selbst und damit inne­rer Stär­ke bedarf. Nicht weni­ge Gesprächs­part­ner haben sich im ver­gan­ge­nen Jahr in letz­te­rer Rich­tung geäu­ßert: daß sie dem Druck nicht mehr stand­ge­hal­ten und auf­ge­ge­ben hat­ten, das jetzt aber tief bereu­ten. Die drit­te Opti­on ist zwei­fel­los die ein­fachs­te, denn sie bringt einen wie­der in Ein­klang mit sei­nem sozia­len Umfeld. Die drit­te Opti­on schei­det mei­nes Erach­tens auch den Mit­läu­fer vom ein­fach nur Gehorsamen.

Angst vor Mehrdeutigkeit

Nach Peter Brück­ner ver­su­chen Ich-schwa­che Men­schen Mehr­deu­tig­keit, inne­re Ver­un­si­che­rung, wie auch die »Ein­sicht in ihre eige­nen Bedürf­nis­se« zu ver­mei­den, weil sol­che stark angst­be­setzt sind. »Gera­de an Mehr­deu­tig­kei­ten ent­zün­det sich die Angst der Ich-Schwä­che beson­ders leicht« (S. 60). Und was könn­te mehr­deu­ti­ger sein, als Fra­gen wie: Wie gefähr­lich ist das Coro­na-Virus, wie gefähr­lich für mich per­sön­lich? Nut­zen die beschlos­se­nen Maß­nah­men etwas oder nicht? Schütz­ten die mRNA-Stof­fe vor Anste­ckung und Krank­heit, sind sie gefähr­lich oder harmlos?

Sol­che Mehr­deu­tig­kei­ten besei­tigt der neue, auto­ri­tä­re Mono­po­list, indem er abwei­chen­de Mei­nun­gen unter­drückt. Die Welt wird wie­der klar und ein­deu­tig. Zumin­dest solan­ge man nicht anfängt, nach abwei­chen­den Mel­dun­gen zu suchen und kri­tisch auf die ange­bo­te­ne Ein­heits­mei­nung zu schau­en. Dann käme die Mehr­deu­tig­keit und die dar­aus fol­gen­de Ver­un­si­che­rung zurück. Genau aus die­sem Grun­de wer­den alter­na­ti­ve Sicht­wei­sen igno­riert und von sich gewie­sen. Bei den Kunst­ak­tio­nen unse­rer klei­nen Grup­pe haben uns wie­der­holt Leu­te zu ver­ste­hen gege­ben, absicht­lich kei­ne alter­na­ti­ven Quel­len auf­zu­su­chen als die offi­zi­el­len, weil die­se sie nur irri­tie­ren würden.

Bei­de Phä­no­me­ne: Der Unwil­le zur Selbst­re­fle­xi­on und das Ver­schwin­den irri­tie­ren­der, weil abwei­chen­der Infor­ma­tio­nen, kommt dem Bedürf­nis des Ich-Schwa­chen »nach Ver­leug­nung, Ver­drän­gung von Inner­lich­keit« (S. 60) entgegen.

Tabui­sie­rung der Todes

Der Ver­drän­gung von Inner­lich­keit kommt beim Coro­na-Kom­plex eine gar nicht zu unter­schät­zen­de Bedeu­tung zu. Mit Coro­na, mit der Dro­hung eines angeb­lich hyper­ge­fähr­li­chen Virus’, dräng­te die eige­ne Ver­gäng­lich­keit mit Macht in die Psy­che und zwang zur Aus­ein­an­der­set­zung mit der Mög­lich­keit, an dem Virus schwer zu erkran­ken und zu ster­ben. Hier war nun die größt­mög­li­che Inner­lich­keit berührt: das eige­ne Ver­hält­nis zu Krank­heit und Tod, damit die letz­ten Fra­gen der eige­nen Exis­tenz und ihre Ein­ord­nung ins »gro­ße Ganze«.

Der Mono­po­list ver­sprach auf all die­se Fra­gen eine ein­deu­ti­ge Ant­wort: das Virus ist super­ge­fähr­lich, die Maß­nah­men nut­zen, ohne die Sprit­ze wirst du ster­ben, aber kei­ne Angst, sie ist harm­los; wenn du folg­sam bist, wird alles gut – wenn da nur nicht die­se Schwurb­ler wären!

Wenig erstaun­lich ist, daß man sich von der Gefahr eines Impf­scha­dens nicht irri­te­ren ließ, die Unsi­cher­heit wäre sofort wie­der da gewe­sen; dann doch lie­ber dem Mono­po­lis­ten glau­ben. Im Grun­de stand die Fra­ge im Raum, zu wie vie­len Opfern man bereit war, wel­che Zumu­tun­gen und Ein­schrän­kun­gen man hin­neh­men, und zwar auf Dau­er (das »neue Nor­mal«), ob man sich frem­den Dik­ta­ten unter­wer­fen, der auto­ri­tä­ren Kon­troll­ge­sell­schaft Tür und Tor öff­nen will. Selbst­mord aus Angst vor dem Tod gewis­ser­ma­ßen. Nur um auch die kleins­te Mög­lich­keit aus­zu­schlie­ßen, an Coro­na zu ster­ben – oder ob nicht doch etwas Unsi­cher­heit vor­zu­zie­hen sei. Men­schen, denen vor sol­cher Inner­lich­keit ban­ge war, dürf­ten sich vor dem Hin­ter­grund einer mas­si­ven Angst­pro­pa­gan­da für die Sei­te des Mono­po­lis­ten ent­schie­den haben.

Gesell­schaft­li­che Bedin­gun­gen und Ich-Schwäche

Ich-Schwä­che ent­wi­ckelt sich als Ergeb­nis von viel­fäl­ti­gen Sozia­li­sa­ti­ons­pro­zes­sen in Fami­lie, Kin­der­ta­ges­stät­te, Schu­le, Freun­des­kreis – nicht zuletzt im Arbeits­le­ben. Nach außen hin ist unse­re Gesell­schaft weni­ger auto­ri­tär als in frü­he­ren Zei­ten. Das ist mei­nes Erach­tens nur schein­bar so, die erzwun­ge­nen Anpas­sungs­pro­zes­se sind nur ande­re, über­all muß man sich Auto­ri­tä­ten und der Gewalt der Ver­hält­nis­se unter­wer­fen, heu­te ledig­lich weni­ger direk­ten Befeh­len fol­gen, son­dern sich durch Selbst­steue­rung in eine funk­tio­nie­ren­de Maschi­ne verwandeln.

Der Anpas­sungs­druck ist eher grö­ßer als frü­her. Das Dik­tum Her­bert Mar­cu­ses von der »repres­si­ven Tole­ranz« trifft heu­te weit mehr ins Schwar­ze als zur Zeit sei­ner Ent­ste­hung in den 60er-Jah­ren. Gleich­zei­tig gibt es mehr (öko­no­mi­sche) Unsi­cher­heit, sozia­le Milieus, die frü­her Unter­stüt­zung auch see­li­scher Art gaben, sind viel­fach ver­schwun­den, der Mensch ist ten­den­zi­ell ato­mi­siert und steht allein. Dem sind Lin­ke wie Nicht-Lin­ke ausgesetzt.

Es ist also anzu­neh­men, daß auch bei Lin­ken, jün­ge­ren Lin­ken zumal, ein gehö­ri­ges Maß an Ver­un­si­che­rung, Ver­drän­gung inne­rer Nöte, Frus­tra­ti­on und rich­tungs­lo­se Wut, Gefüh­len der Sinn­lo­sig­keit, Ver­ein­ze­lung und dem Bedürf­nis nach Ein­klang mit der sozia­len Umge­bung besteht. Zudem glau­ben als Fol­ge der all­ge­mei­nen Kli­ma­hys­te­rie vie­le, der Unter­gang der Welt stün­de unmit­tel­bar bevor. Bedin­gun­gen, die die Mas­sen­psy­cho­lo­gie eines Mat­ti­as Des­met als den Stoff iden­ti­fi­ziert hat, aus dem Ver­mas­sungs­pro­zes­se entstehen.

Unter die­sen Bedin­gun­gen ist es schwer, Ich-Stär­ke aus­zu­bil­den. Ich-Stär­ke, die auch ein gelas­se­nes Ver­hält­nis zur poten­ti­el­len Bedro­hung durch ein Virus beinhal­tet und die dadurch erzeug­te Ver­un­si­che­rung aus­hält. Gera­de Lin­ke, denen so viel an ihrem abge­klär­ten Welt­bild ohne Geist und Sinn liegt, hat­ten damit offen­bar Schwierigkeiten.

Die meis­ten Men­schen ver­trau­ten ihrem gesun­den Men­schen­ver­stand, ihrer inne­ren Stim­me nicht mehr, ent­we­der weil sie die­se nicht hören konn­ten oder sie aus Angst vor Irri­ta­ti­on nicht hören woll­ten. Nach mei­ner Ein­schät­zung Lin­ke noch erheb­lich weni­ger als die all­ge­mei­ne Bevöl­ke­rung. Sie trau­ten sich nicht in ihr Inne­res zu hor­chen, um dort nach dem rech­ten Umgang mit dem Coro­na-Kom­plex zu for­schen, die ange­bo­te­ne Erzäh­lung mit ihrem gan­zen Wesen zu prü­fen. Dort, und nur dort, hät­ten die Men­schen, und nicht nur die ohne Exper­ten­wis­sen, eine Ant­wort fin­den kön­nen. Bei den aller­meis­ten Men­schen, die wider­stän­dig geblie­ben waren und mit denen ich gespro­chen habe, waren es nicht alter­na­ti­ve Infor­ma­tio­nen, kei­ne kri­ti­sche Prü­fung der Fak­ten, noch nicht ein­mal eine skep­ti­sche Grund­hal­tung, die dazu geführt hat­te. Sie »wuß­ten« ein­fach, daß an der Sache etwas nicht stim­men konn­te und die mRNA-Sprit­ze schlecht ist.

Auto­ri­tä­re Charaktere

Ein wich­ti­ger Grund für die Leich­tig­keit der Kon­ver­sa­ti­on zum neu­en Mono­po­lis­ten ist dar­in begrün­det, daß es sich dabei um eine auto­ri­tä­re Ord­nung han­delt. Dadurch macht sie Men­schen, die sich nach Auto­ri­tät seh­nen, ein attrak­ti­ves Ange­bot. Die Welt wird nicht nur angst­min­dernd ein­deu­tig, sie bie­tet auch »eine Mög­lich­keit, an Herr­schaft durch Unter­wer­fung teil­zu­ha­ben, sich selbst also unter Ver­ab­so­lu­tie­rung der Dele­ga­ti­on auf­zu­wer­ten« (S. 59). War der ver­un­si­cher­te Mensch ein unbe­deu­ten­des Räd­chen in der gro­ßen Gesell­schafts­ma­schi­ne, wird er nun qua­si Teil des Herr­schafts­ap­pa­ra­tes, er hält ein Quänt­chen Macht in sei­nen Hän­den. Oft nur sym­bo­lisch, häu­fig gibt es aber auch neue Rol­len und Auf­ga­ben zu erfül­len: als Schaff­ner, der im Feld­we­bel­ton die Coro­na-Ord­nung durch­setzt, als Denun­zi­ant oder in ver­gleich­ba­rer Block­wart­funk­ti­on. Jeder klei­ne pre­kä­re Schrei­ber­ling mutiert gefühlt zum Mit­glied der Chef­re­dak­ti­on, wenn er ins Coro­na-Horn trötet.

Vor Coro­na war die BRD for­mal demo­kra­tisch und libe­ral ver­faßt. Dies war das Bild, das die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung vom Land hat­te; und sich selbst betrach­te­ten sie eben­so. Die Wirk­lich­keit sah zwar anders aus, denn die Ansich­ten der brei­ten Bevöl­ke­rung spie­len in Poli­tik und Wirt­schaft kei­ne Rol­le. Den­noch traf die­se Ansicht in vie­len Berei­chen, beson­ders denen der per­sön­li­chen Lebens­füh­rung, durch­aus zu, die demo­kra­ti­schen und rechts­staat­li­chen Insti­tu­tio­nen funk­tio­nier­ten halbwegs.

Solan­ge dies so war, konn­te eine Ich-schwa­che, daher poli­tisch indif­fe­ren­te Per­son, nicht ein­fach zum offe­nen Anhän­ger einer auto­ri­tä­ren Kon­troll­ge­sell­schaft mutie­ren. Denn damit hät­te sie sich von der Mehr­heits­mei­nung ent­fernt. Jemand, dem der Gleich­klang mit den »kol­lek­ti­ven Stim­mun­gen des eige­nen Milieus« (S. 59) ein drin­gen­des Bedürf­nis ist, kann sich von so einem all­seits geteil­ten Ide­al erst dann ver­ab­schie­den, wenn die Stim­mung in Rich­tung Auto­ri­ta­ris­mus gekippt ist – selbst dann nicht, wenn die Per­son bereits eine star­ke cha­rak­ter­li­che Dis­po­si­ti­on und Sym­pa­thien in die­se Rich­tung gehabt haben sollte.

Auto­ri­tä­rer Cha­rak­ter und Sündenböcke

Durch die Eta­blie­rung der neu­en Mono­pol­mei­nung wur­de die Kon­ver­si­on nicht nur erleich­tert, sie ist jetzt auch not­wen­dig gewor­den. Die Not­wen­dig­keit ergibt sich aus einem wei­te­ren angst­be­setz­ten Mecha­nis­mus, der für Peter Brück­ner auch dafür ver­ant­wort­lich ist, daß so vie­le ursprüng­li­che Mit­läu­fer schließ­lich Anhän­ger wer­den. Die neue mono­po­lis­ti­sche Herr­schaft bie­tet den Unter­drück­ten stets jeman­den an, an denen sie ihre auf­ge­stau­ten Aggres­sio­nen abre­agie­ren kön­nen: die Sün­den­bö­cke. Die Sün­den­bö­cke des Coro­na-Regimes, das sind die Zweif­ler und Ableh­ner, die vom Mono­po­lis­ten zum Feind erklärt wor­den sind.

Der Indif­fe­rent-Pas­si­ve steht immer in der Gefahr, wegen sei­nes feh­len­den Enthu­si­as­mus für die Sache in das Fein­des­la­ger ein­sor­tiert zu wer­den. Aus die­ser poten­ti­ell gefähr­li­chen Posi­ti­on ver­sucht er her­aus­zu­kom­men: »Er ten­diert daher zu einer für ande­re bedroh­li­chen Maxi­mie­rung sei­ner Über­zeu­gungs­stär­ke, er ret­tet sich in Akti­vi­tät« (S. 60). Das heißt: er macht aktiv mit, denun­ziert, geriert sich als Block­wart. Den­noch behält er, trotz aller Iden­ti­fi­ka­ti­on, häu­fig Schuld­ge­füh­le gegen­über dem Mono­po­lis­ten, weil er nicht von Anfang an dabei gewe­sen ist, son­dern zuvor der dama­li­gen Mehr­heits­mei­nung ange­han­gen hat. Also in das Hohe­lied der libe­ra­len, demo­kra­ti­schen, die Auto­no­mie der Per­son beteu­ern­de Ord­nung ein­ge­stimmt, der jet­zi­gen Mono­pol­mei­nung also fern gestan­den hat­te (trotz even­tu­el­le Sym­pa­thien zu ihr), eben weil (!) sie kei­ne Mehr­heits­mei­nung war.

Nach Peter Brück­ner erle­ben des­halb die Mit­läu­fer nach ihrer Kon­ver­sa­ti­on rück­wir­kend ihre dama­li­gen »Kon­flik­te als schuld­haft, sie haben nicht rasch genug erkannt, daß der Mono­po­list es so gut mit ihnen mein­te, sie waren schlecht und bös, undank­bar. Sie müs­sen es wie­der gut machen« (S. 60). Ergeb­nis ist: »Die Ver­wand­lung des Pas­si­ven und/​oder Indif­fe­ren­ten in Mit­läu­fer, schließ­lich in über­zeu­gungs­star­ke Anhän­ger« (eben­da).

Über­spitzt auf die poli­ti­sche Lin­ke gemünzt:

Wir haben nicht erkannt, wel­che guten Men­schen Bill Gates, Antho­ny Fau­ci und Klaus Schwab sind, son­dern sie immer für aus­ge­mach­te Erz­schur­ken gehal­ten. Wir woll­ten nicht sehen, wie sehr sich Regie­rung und EU-Kom­mis­si­on um das Wohl­erge­hen der Men­schen sor­gen, wie mora­lisch inte­ger sich die Phar­ma­in­dus­trie um die Ent­wick­lung siche­rer Impf­stof­fe bemüht. Und wir woll­ten nicht wahr­ha­ben, daß unter den heu­ti­gen glo­ba­len Her­aus­for­de­run­gen das Behar­ren auf Grund­rech­te und auf Auto­no­mie über den eige­nen Kör­per ein­fach nicht mehr zeit­ge­mäß ist, son­dern deren Beschrän­kung rich­tig, die Bin­dung von Frei­heits­rech­ten an den Impf­sta­tus, Impf­päs­se und Kon­takt­ver­fol­gung not­wen­dig ist; und dies muß natür­lich auch für Beschäf­tig­te und klei­ne Selb­stän­di­ge gel­ten. Wie konn­ten wir nur frü­her glau­ben, das sei ein unzu­läs­si­ger Ein­griff in die Rech­te von Beschäf­tig­ten? Nein, Kolleg:*/_Innen, Kund:*/_Innen und Besucher:*/_Innen haben ein Recht dar­auf, daß die neue Ord­nung durch­ge­setzt wird, das ist geleb­te Soli­da­ri­tät, was wir frü­her unter Soli­da­ri­tät ver­stan­den haben, war ein aus­ge­mach­ter Quark. Aber unse­re Ver­wir­rung ist nun vor­bei, wir haben die wah­ren Zusam­men­hän­ge erkannt. Das könnt Ihr uns wirk­lich glau­ben! Des­halb wer­den wir in Zukunft tat­kräf­tig dabei hel­fen, die Fein­de der Mensch­heit, alle­samt Rech­te und Nazis, ding­fest zu machen, sie aus ihren Posi­tio­nen zu ent­fer­nen und sie über­all, wo sie auf­tau­chen, an ihren Ver­an­stal­tun­gen und Mani­fes­ta­tio­nen zu hindern.

Zuge­ge­ben, etwas krass for­mu­liert. Aber in die Rich­tung muß es schon gegan­gen sein, wenn man sich die Aktio­nen der Anti­fa so anschaut, anders kann man sich das nicht erklären.

Kein Weg zurück mehr

Die Ver­wand­lung in einen über­zeu­gungs­star­ken Anhän­ger bleibt nicht ohne Fol­ge: Der Ver­wan­del­te kann nicht so ein­fach zurück! Zunächst ein­mal ver­zich­tet er »nun in sei­nen auto­no­men Funk­ti­ons­res­ten auf jede Rea­li­täts­prü­fung ange­bo­te­ner Infor­ma­tio­nen« (S. 60) Der Mit­läu­fer glaubt alles, was der Mono­po­list sagt und nichts, was der Mono­pol­mei­nung wider­spricht. Auch wenn sie vor sei­nen Augen geschieht, zum Bei­spiel, wenn ein bis­her gesun­der Mensch kur­ze Zeit nach der Gen­sprit­ze aus hei­te­rem Him­mel tot umfällt. Wür­de er anders han­deln, käme die angst­be­setz­te Mehr­deu­tig­keit zurück (wie oben gezeigt).

Zum ande­ren besteht nun, nach Durch­set­zung der auto­ri­tä­ren Mono­pol­mei­nung, die rea­le Gefahr, vom Mono­po­lis­ten ins Fein­des­la­ger ein­sor­tiert zu wer­den, soll­te er wie­der zum Zweif­ler oder gar Ableh­ner wer­den. Es dro­hen in jedem Fall Pres­ti­ge- und Sta­tus­ver­lust: die gera­de glück­lich ergat­ter­te neue Posi­ti­on wäre wie­der weg, die schö­ne Dritt­mit­tel­fi­nan­zie­rung könn­te man kni­cken. Je nach Grad des Auto­ri­ta­ris­mus der neu­en Ord­nung dro­hen aber noch här­te­re Kon­se­quen­zen, denn Abtrün­ni­ge wer­den in der Regel beson­ders unnach­gie­big ver­folgt; ein Kar­rie­re­en­de wäre unter Umstän­den noch die harm­lo­ses­te Folge.

Gefah­ren ent­ste­hen aber auch aus dem eige­nen unmit­tel­ba­ren sozia­len Umfeld her­aus. Unter­stüt­zung und Ableh­nung der Coro­na-Erzäh­lung hat in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zu tie­fen Zer­würf­nis­sen in Fami­li­en, Freund­schaf­ten und Kol­le­gen­krei­sen geführt. Sol­che Zer­würf­nis­se zu ver­mei­den, schei­nen Lin­ke in beson­de­rem Maße bestrebt gewe­sen zu sein.

Denn vie­le lin­ke Milieus sind sehr eng, ihre Mit­glie­der ver­blei­ben häu­fig lan­ge in ihnen, es bestehen teils lang­jäh­ri­ge Arbeits­zu­sam­men­hän­ge, jeder kennt jeden. Der Grup­pen­zu­sam­men­hang ist stark, die ideo­lo­gi­schen Glau­bens­in­hal­te wer­den teils inten­siv gelebt, die stark akti­vis­ti­schen Tei­le leben auch manch­mal zusam­men. Abwei­chung führt schnell zur Exkom­mu­ni­ka­ti­on, zur Ein­ord­nung in das Fein­des­la­ger. Voll­kom­men unbe­ach­tet blieb bei der mit­lau­fen­den Lin­ken, daß die­ser »Feind« haar­ge­nau dem­je­ni­gen ent­sprach, der vom Mono­po­lis­ten als Feind, als Sün­den­bock ange­bo­ten wur­de. So konn­te es gesche­hen, daß Men­schen, mit denen man noch weni­ge Wochen zuvor (bei­spiels­wei­se) gegen neue Poli­zei­ge­set­ze demons­triert hat­te, nun als Rech­te denun­ziert, aus der Grup­pe aus­ge­schlos­sen und fort­an bekämpft wur­den. Eine bes­se­re Lek­ti­on dar­über, wie Pro­gro­me ent­ste­hen, kann man kaum fin­den. Jeder, der so etwas erlebt hat, braucht kei­ne Geschichts­lek­tio­nen mehr zu 1933 fortfolgende.

Kurz: Nicht weni­ge lin­ke Milieus haben eine Ten­denz zum Sek­ten­haf­ten, zu Rigo­ro­si­tät und Grup­pen­zwang. Beson­ders aus­ge­prägt ist dies bei Ver­tre­tern von Ideo­lo­gien, die selbst einen Mono­pol­an­spruch auf Welt­erklä­rung erheben.

März 2021, Hal­le. Ein Ableh­nen­der bie­tet einem womög­lich zwei­feln­dem Mit­läu­fer Schutz vor des­sen Grup­pe an (Freie Pres­se Halle)

Es bedarf somit einer aus­ge­präg­ten Ich-Stär­ke in einer sol­chen Situa­ti­on stand­haft zu blei­ben oder gar den Rück­zug anzu­tre­ten. Denn: Hat sich der ver­un­si­cher­te (lin­ke) Mensch erst ein­mal auf­ge­ge­ben, sich der Coro­na-Erzäh­lung erge­ben, fühlt er sich bes­ser. Er ist zum Mit­läu­fer gewor­den und han­delt ent­spre­chend. In Peter Brück­ners Worten:

Die vom Mono­po­lis­ten offe­rier­ten Ste­reo­ty­pe, Nor­men usw. gehen als Soll­wer­te in die Ver­hal­tens­steue­rung des frü­her ein­mal Pas­si­ven, Indif­fe­ren­ten ein – Soll­wer­te, die sich ver­fes­ti­gen, weil nach ihrer Über­nah­me Angst und Unsi­cher­heit gerin­ger wer­den, das Selbst­wert­ge­fühl zunimmt. (S. 61)

Wie oben bereits ange­deu­tet, ver­blei­ben aber Schuldgefühle:

Die qua­li­ta­tiv oft noch spür­ba­re, obwohl tief ver­schlei­er­te Gebro­chen­heit vom Mit­läu­fer zum Mono­po­lis­ten läßt ihn kom­pen­sa­to­risch eher beson­ders dog­ma­tisch, unbe­weg­lich und starr sein – der Anhän­ger der ers­ten Stun­de behält eher Res­te von Sou­ve­rä­ni­tät, die ihn not­falls geschick­ter tak­tie­ren läßt (eben­da).

Dies kommt einem wie eine Blau­pau­se für das Agie­ren etli­cher lin­ker Grup­pie­run­gen vor. Auch dies ist sicher­lich durch die Enge der lin­ken Milieus mit­ver­ur­sacht. Bei vie­len von ihnen scheint es wirk­lich kein Zurück mehr hin­ter die ein­mal ein­ge­nom­me­ne Radi­kal­po­si­ti­on zu geben – trotz über­wäl­ti­gen­der Evi­denz, daß die von ihnen über­nom­me­ne Coro­na-Erzäh­lung in prak­tisch allen Facet­ten vor Wider­sprü­chen, Halb­wahr­hei­ten, Mani­pu­la­tio­nen und dreis­ten Lügen strotzt.

Die von Peter Brück­ner genann­te »tief ver­schlei­er­te Gebro­chen­heit« konn­te man den­noch oft spü­ren: Hat­te sich der vor­mals kri­ti­sche Lin­ke zur Sprit­ze ent­schlos­sen, meist dann gleich im Abo, nah­men die Ver­tei­di­gung der Coro­na-Erzäh­lung an Vehe­menz wie auch die Unduld­sam­keit gegen­über Kri­tik erheb­lich zu. Der Ton, in dem das vor­ge­tra­gen wur­de, klang nicht sel­ten wie der eines frisch kon­ver­tier­ten Gläubigen.

Sagen wir: Ein Jens Spahn oder Chris­ti­an Dros­ten wäre eher in der Lage, bei Bedarf mit der Coro­na-Erzäh­lung tak­tisch umzu­ge­hen, als die hie­si­ge, so unan­ge­nehm deut­sche Anti­fa; die selbst jetzt, drei Jah­re nach dem 1. Lock­down, immer noch nicht von ihrem Trip run­ter­ge­kom­men sind und wei­ter die »rechts­of­fe­nen Schwurb­ler und Alu­hut-Trä­ger« bekämpfen.

Die sozia­le Basis der Mitläufer

Wir spre­chen hier immer noch über den ers­ten Typus des Mit­läu­fers in der Theo­rie Peter Brück­ners: der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit der ordi­nä­ren Mit­läu­fer aus der Mit­te der Gesell­schaft. Deren ent­schei­den­des Merk­mal ist laut Peter Brück­ner, daß sie »vor oder nach der Pha­se des auto­ri­tä­ren Mono­pols abhän­gig und ohn­mäch­tig« waren. Ihre »rela­ti­ve Poli­tik­neu­tra­li­tät oder Pas­si­vi­tät wird (…) auch ein Reflex ihrer fak­ti­schen Abhän­gig­keit und Ohn­macht sein; ihrer Ich-Schwä­che kor­re­spon­diert die Schwä­che ihrer poli­ti­schen, öko­no­mi­schen und gesell­schaft­li­chen Posi­ti­on« (S. 62)

Peter Brück­ners Text rekur­riert, wie bereits dar­ge­legt, auf die Ver­hält­nis­se vor, wäh­rend und nach der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Die erwähn­te abhän­gi­ge und ohn­mäch­ti­ge Lage ist für eine gro­ße Zahl an Men­schen heu­te so real wie damals. Mit dem Unter­schied, daß heu­te ein viel grö­ße­rer Anteil (lin­ker) Aka­de­mi­ker zu die­ser Grup­pe zu zäh­len ist. Es gibt sehr vie­le pre­kä­re Lin­ke, meist sol­che mit sozia­len und gesell­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Beru­fen, die in wirt­schaft­lich schlech­ter Lage mit wenig Per­spek­ti­ven leben. Beson­ders an und im Umfeld von Uni­ver­si­tä­ten, Stif­tun­gen und For­schungs­ein­rich­tun­gen ist Pre­ka­ri­tät der Normalzustand.

Solan­ge noch alles demo­kra­tisch und libe­ral zugeht, ver­hal­ten sich auch (pre­kä­re und ver­un­si­cher­te) Lin­ke nicht viel anders als die übri­ge Bevöl­ke­rung. Sie sind gegen­über vie­len Mei­nungs­ge­gen­stän­den indif­fe­rent und pas­siv, tre­ten ihre Inter­es­sen »an ver­schie­de­ne Anbie­ter« (S. 59) ab. Auch wenn man irgend­wie links fühlt und denkt, heißt das noch lan­ge nicht, daß man auch selbst aktiv ist und eine dezi­dier­te Mei­nung zu einem Gegen­stand ver­tritt. Wie man nun erle­ben muß­te, kann sich das aber schnell ändern und »unter dem Ein­fluß des Mono­po­lis­ten zur Akti­vie­rung und tota­len Iden­ti­fi­zie­rung mit dem auto­ri­tä­ren Staat« (S. 63) wer­den. Zu deutsch: Auch wenn man bis­her kei­nen Gedan­ken an Viren ver­schwen­det hat­te, iden­ti­fi­ziert man sich plötz­lich voll­kom­men mit der vom Staat ange­bo­te­nen Coro­na-Erzäh­lung und hilft, sie auf allen Ebe­nen durchzusetzen.

Für eini­ge Zeit kön­nen sich sol­che Lin­ke etwas weni­ger »abhän­gig und ohn­mäch­tig« füh­len, sie hal­ten in ihrer Rol­le als Sturm­ab­tei­lung des Coro­na-Staa­tes etwas per­sön­li­che Macht in ihren Hän­den. Wie es ein schon etwas älte­res schwarz­berock­tes Anti­fa-Pär­chen wäh­rend einer unse­rer Pro­test­per­fo­mance auf einen zen­tra­len Innen­stadt­platz for­mu­lier­te: »Es wird Zeit, daß die ›Omas gegen Rechts‹ wie­der aktiv wer­den und hier mal für Ord­nung sor­gen«. Kein Witz.

Irgend­wann ist die auto­ri­tä­re Mono­po­l­ord­nung wie­der vor­bei, wenn auch meist nur nach erheb­li­chen Ver­hee­run­gen. Die Mit­läu­fer die­ses ers­ten Typs geben dann ihre Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem nun »macht­los gewor­de­nen Mono­po­lis­ten rasch auf – unter Erhal­tung ihrer psy­chi­schen Struk­tur.« (S. 64) Das Poten­ti­al für künf­ti­ges Mit­läu­fer­tum bleibt also erhal­ten und abruf­be­reit, wenn »jede Auf­ar­bei­tung des eige­nen Ver­hal­tens wäh­rend der Dik­ta­tur« (S. 64) unterbleibt.

Mit­läu­fer in Füh­rungs­po­si­tio­nen (Mit­läu­fer Typ 2)

Kom­men wir zu Typ 2 in Peter Brück­ners Psy­cho­lo­gie des Mit­läu­fers. Die­ser Typus stammt nicht aus dem Lager der Indif­fe­ren­ten und Pas­si­ven, son­dern dem der Geg­ner des neu­en Mono­po­lis­ten. Er beschreibt sie als Per­so­nen, die bei »stum­mer Ver­wei­ge­rung tota­ler Iden­ti­fi­ka­ti­on als Mit­läu­fer den­noch (…) Funk­tio­nen von Rang zu erfül­len ver­stan­den. (…) Die­ser Typus des Mit­läu­fers übte selbst Herr­schafts­funk­tio­nen aus, er war immer aus der Mas­se der abhän­gi­gen Popu­la­ti­on her­aus­ge­ho­ben«. (S. 61f). Das Wort »tota­ler« ist hier wich­tig, denn die­sen Typus grenzt Brück­ner von sol­chen Mit­läu­fern ab, die ein­fach nur mit­lau­fen, solan­ge sie sich nicht voll­kom­men ver­bie­gen müs­sen, ansons­ten aber bei einer »stum­men Total-Ver­wei­ge­rung der Iden­ti­fi­ka­ti­on« blie­ben – was nach Peter Brück­ner eine gro­ße Ich-Stär­ke voraussetzt.

Von sei­ner Cha­rak­ter­struk­tur her war der Typ 2 dar­auf ori­en­tiert, in Herr­schafts­po­si­tio­nen zu gelan­gen oder in ihnen zu ver­blei­ben; und zwar Herr­schafts­po­si­tio­nen, die eine kla­re Hier­ar­chie von Befehl und Gehor­sam boten. Er iden­ti­fi­ziert sich nicht völ­lig, aber wirk­lich stö­ren tut er sich am Mono­po­lis­ten auch nicht. Wich­tig ist ihm eine Posi­ti­on zu beklei­den, bei der es zu kei­nen Ein­re­den sub­al­ter­ner Krei­se (wie Gewerk­schaf­ten, oppo­si­tio­nel­le Grup­pen und Mei­nun­gen) kommt. Zu deutsch: er ist ger­ne Chef und Wider­spruch kann er nicht leiden.

Ein auf­stre­ben­der Mono­po­list, der eine sol­che gesell­schaft­li­che Ord­nung anstrebt, steht sol­chen Leu­ten »schon immer nahe, so groß die Dif­fe­ren­zen zu ihm auch sonst gewe­sen sein mögen. Der Mono­po­list treibt die Gesell­schaft gleich­sam in ihre Rich­tung – nur weit über ihre eige­nen Zie­le hin­aus« (S. 62). Ist das Mono­pol instal­liert, macht er mit und funk­tio­niert im Sin­ne des Mono­po­lis­ten. Laut Peter Brück­ner stell­te die­ser Typus das Gros der BRD-Eli­ten nach 1945.

Anti-demo­kra­ti­sche Grundhaltung

Peter Brück­ner weist auf ein wei­te­res Cha­rak­te­ris­ti­kum die­ses Typus hin, und zwar daß sie: »Im vor- und nach­mo­no­po­lis­ti­schen par­la­men­ta­ri­schen Sys­tem jede Form von poli­ti­schem Enga­ge­ment bekämp­fen, die auf eine Poli­ti­sie­rung der lohn­ab­hän­gi­gen Mas­sen und auf deren Betei­li­gung an der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung abzielt.« (S. 63). Die­se Aus­sa­ge bezieht sich natür­lich auf deren Agie­ren in der Wei­ma­rer Repu­blik und dann wie­der in der BRD.

Wenn man die­sen Ansatz Peter Brück­ners dahin­ge­hend erwei­tert, daß man nicht nur auf die dama­li­gen kon­ser­va­tiv-bür­ger­li­chen Krei­se, die in Geg­ner­schaft zu den Natio­nal­so­zia­lis­ten stan­den, rekur­riert, son­dern alle (oppo­si­tio­nel­len) Per­so­nen mit per­sön­li­chen Füh­rungs- und Herr­schafts­am­bi­tio­nen mit ein­be­zieht, dann eröff­net sich eine mög­li­che Erklä­rung für das irri­tie­ren­de Mit­läu­fer­tum vie­ler lin­ker Füh­rungs­per­so­nen – und sol­cher die es wer­den woll­ten – wäh­rend der Coro­na-Zeit. Bei ihnen han­del­te es sich nicht um indif­fe­rent-pas­si­ve Kar­tei­lei­chen, son­dern um aktiv han­deln­de Men­schen in her­vor­ge­ho­be­nen Posi­tio­nen. Wenn auch nicht immer in mate­ri­el­ler Hin­sicht, son­dern ledig­lich in ihrer Funk­ti­on als Intellektuelle.

Es dürf­te nicht zufäl­lig sein, daß vie­le rigo­ro­se Unter­stüt­zer des Coro­na-Regimes, denen oft­mals die beschlos­se­nen Maß­nah­men noch nicht streng genug waren, tra­di­ti­ons­so­zia­lis­ti­sche, beson­ders aber trotz­kis­ti­sche Hin­ter­grün­de hat­ten. Kenn­zei­chen die­ser Krei­se ist ihr Füh­rungs- und Avant­gar­de-Anspruch gegen­über den lohn­ab­hän­gi­gen Mas­sen – bei einer gleich­zei­ti­gen Vor­lie­be für staat­li­che Groß­sys­te­me, denen sich der Ein­zel­ne unter­ord­nen soll. Die­ser (auto­ri­tä­re) Tra­di­ti­ons­strang bekämpft seit über 150 Jah­ren unab­hän­gi­ge und selbst­or­ga­ni­sier­te Bewe­gun­gen, die »von unten« aus der Bevöl­ke­rung ent­ste­hen. So man sich nicht an deren Spit­ze set­zen, ihnen The­men, Ideo­lo­gien und Aki­ons­for­men vor­schrei­ben kann, weil die­se auf ihrer eige­nen Inter­pre­ta­ti­on eines Sach­ver­hal­tes und der anzu­stre­ben­den Zie­le behar­ren, wer­den sie zum Geg­ner erklärt. Man kommt nicht auf die Idee, sich als Glei­che unter Glei­chen in die Bewe­gun­gen ein­zu­rei­hen und dort mit sei­nen Argu­men­ten zu über­zeu­gen. (Dies ist klar vom »Ent­ris­mus« zu unter­schei­den, um durch aller­lei, aber immer unde­mo­kra­ti­sche, Tricks die Füh­rung einer Grup­pe zu erobern und den Laden zu übernehmen).

Lin­ke gegen eman­zi­pa­ti­ve Kri­tik »von unten«

In den ver­gan­ge­nen drei­ßig Jah­ren (aber auch zuvor) konn­ten man die­ses Ver­hal­ten aus­gie­big beob­ach­ten. Vor Coro­na waren bereits diver­se Pro­test­be­we­gun­gen ins Faden­kreuz sol­cher Lin­ker gera­ten. Fast immer war der Vor­wurf, eine Pro­test­be­we­gung sei rechts, »rechts-offen«, anti­se­mi­tisch etce­te­ra. Selbst wenn sich nur ver­ein­zel­te Rech­te einem Pro­test ange­schlos­sen hat­ten, wur­de die­ser Vor­wurf erho­ben. Davon abge­se­hen, daß es schlech­ter­dings kei­ne poli­ti­sche Bewe­gung gibt, bei der sich nicht auch obsku­re Leu­te ein­klin­ken wol­len, konn­te man den­noch den wah­ren Grund für sol­che Ein­ord­nung stets her­aus­hö­ren: Eine Pro­test­be­we­gung, die sich nicht von einem selbst füh­ren las­sen will, darf nicht sein! Dann sie lie­ber Hand in Hand mit der Macht zerstören!

Die­ses gan­ze »Rechts-offen«-Gerede ist über­haupt erst durch lin­ke Krei­se in die Welt gekom­men, nament­lich bei den diver­sen Ver­su­chen der Wie­der­be­le­gung der Mon­tags­de­mons­tra­tio­nen (Hartz-Geset­ze, Ukrai­ne-Krieg seit 2014), bevor es im Zuge von Coro­na dan­kend von der Staats­macht auf­ge­grif­fen und gegen jeg­li­chen Pro­test ein­ge­setzt wurde.

Die­se Sor­te Lin­ke ver­hält sich also objek­tiv anti-demo­kra­tisch und anti-eman­zi­pa­to­risch. Es ist das glei­che anti-demo­kra­ti­sche Ver­hal­ten, wie es Peter Brück­ner oben für den Mit­läu­fer vom zwei­ten Typus kon­sta­tiert hat, »wenn näm­lich ›Demo­kra­tie‹ den Abbau von Herr­schaft und die Ein­be­zie­hung der (frü­her) Beherrsch­ten in die poli­ti­sche Wil­lens- und Ent­schei­dungs­fin­dung der Gesell­schaft bedeu­tet« (S. 62).

Die­se Demo­kra­ti­sie­rungs­ver­hin­de­rung hat in Bezug auf das Mit­läu­fer­phä­no­men fata­le Folgen:

Da aber allein die­se Poli­ti­sie­rung und Demo­kra­ti­sie­rung mit der fak­ti­schen Ohn­macht der Popu­la­ti­on zugleich eine struk­tu­rel­le Bedin­gung künf­ti­ger Mit­läu­fer­schaft auf­hebt, erweist sich die gesteu­er­te Indif­fe­renz der Mas­sen und eli­tä­re Orga­ni­sa­ti­ons­for­men plu­ra­ler Demo­kra­tie (…) als per­ma­nen­te Vor­be­rei­tung für die End­stre­cke auto­ri­tär-mono­po­lis­ti­scher Macht­über­nah­me, die durch das Mas­sen­phä­no­men der Mit­läu­fer und der ›Anhän­ger der zwei­ten Stun­de‹ cha­rak­te­ri­siert wird. (S. 63)

Das heißt nichts ande­res, daß eine der­ar­tig agie­ren­de Lin­ke, einer Lin­ken mit Füh­rungs­an­spruch und Auf­stiegs­am­bi­tio­nen, die Her­stel­lung der Grund­be­din­gun­gen für eine (künf­ti­ge) Selbst­be­frei­ung der abhän­gi­gen Mas­sen kon­ter­ka­riert: die selbst ins Werk gesetz­te Poli­ti­sie­rung und Bewe­gungs­bil­dung. Und damit die psy­chi­sche Vor­aus­set­zung für zukünf­ti­ge neue auto­ri­tä­re Lösun­gen kon­ser­vie­ren hilft.

Kei­ne Befrei­e­ung ohne Selbstbefreiung

Ein sol­ches Ver­hal­ten ist wider­sin­nig – es sein denn, man ist an einer Selbstbefrei­ung der Mas­sen nicht inter­es­siert, son­dern möch­te die­se von oben zu ihnen brin­gen und dabei selbst Chef sein. Aber das wäre natür­lich kei­ne Befrei­ung, son­dern neue Knecht­schaft unter einer neu­en Herr­schaft. Die­ses Chef-Sein-Wol­len muß lei­der erheb­li­chen Tei­len der Lin­ken zum Vor­wurf gemacht werden.

Befrei­ung ohne Selbst­be­frei­ung ist kei­ne. Befrei­ung der abhän­gi­gen Mas­sen setzt die selbst­tä­ti­ge Poli­ti­sie­rung vor­aus, die For­mu­lie­rung eige­ner Zie­le und Akti­ons­for­men und kein betreu­tes Den­ken und Han­deln. Es soll­te evi­dent sein, daß ein sol­cher Pro­zeß not­wen­di­ger­wei­se in ande­ren Bah­nen ver­lau­fen und zu ande­ren Zie­len füh­ren muß, als eine von aka­de­mi­schen Lin­ken in ihren Elfen­bein­tür­men for­mu­lier­te; der Erfah­rungs­hin­ter­grund ist ein­fach zu grund­ver­schie­den. Lin­ke mit Füh­rungs­an­spruch und Deu­tungs­mo­no­pol, die vor­schrei­ben wol­len, wer sich einem Pro­test anschlie­ßen darf und wer nicht, Lin­ke, die sich fort­lau­fend und so lan­ge von allem und jeden distan­zie­ren, bis nur noch sie sel­ber übrig­blei­ben, pas­sen da nicht rein. (So erlebt bei einer »Frie­dens­kund­ge­bung« der Par­tei die Lin­ke; die dann noch übrig­ge­blie­be­ne Posi­ti­on war von der Regie­rungs­mei­nung kaum mehr zu unterscheiden).

Die Lin­ke hat­te wäh­rend der Coro­na-Zeit die Chan­ce, die anschwel­len­de Pro­test­be­we­gung mit den rich­ti­gen Argu­men­ten zu ver­sor­gen. Statt­des­sen hat sie sich Kapi­tal und Staats­macht in die Arme gewor­fen, ist (neben Main­stream-Medi­en und Staats­funk) zur wich­tigs­ten Hilfs­trup­pe bei der Durch­set­zung der Coro­na-Agen­da (und dem, was in die­sem Zuge noch alles erreicht wer­den soll­te) gewor­den. Sie hat objek­tiv alles getan, um die Selbst­be­frei­ung genau der­je­ni­gen zu ver­hin­dern, deren Inter­es­sen sie vor­gibt zu ver­tre­ten. Sie hat die Macht von Staat und Kapi­tal über die Mas­sen nicht nur nicht abzu­bau­en gehol­fen, son­dern noch­mals ver­stärkt. Sie hat genau das getan, was die Mit­läu­fer mit Herr­schafts­am­bi­tio­nen, wie sie Peter Brück­ner cha­rak­te­ri­siert, wäh­rend des Drit­ten Rei­ches getan hatten.

Man kann auch sagen: Vie­le Lin­ke sind wäh­rend der Coro­na-Zeit zu ihrem wah­ren Selbst gekommen.

Den­noch: Es gibt Hoffnung

Trotz des erschre­cken­den Mit­läu­fer­tums der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit der Lin­ken, macht die Tat­sa­che Hoff­nung, daß sich den­noch so vie­le Men­schen selbst poli­ti­sier­ten, unbe­irrt von allen Anfein­dun­gen, aus allen poli­ti­schen Rich­tun­gen kom­mend, und nach Wegen such­ten, ihren Pro­test aus­zu­drü­cken und die Rea­li­tät zu ver­än­dern. Coro­na hat bei einem nicht ganz klei­nen Teil der Bevöl­ke­rung zu einem erheb­li­chen Legi­ti­mi­täts­ver­lust des Staa­tes und die­ser Gesell­schafts­ord­nung geführt; ein Riß, der so schnell nicht mehr zu kit­ten sein wird.

Wahr­schein­lich hat Coro­na den Tod der Lin­ken, wie wir sie in den ver­gan­ge­nen drei­ßig Jah­ren kann­ten, ein­ge­lei­tet. Ihre Posi­tio­nie­rung im rus­sisch-ukrai­ni­schen Kon­flikt, die bruch­los an ihr Coro­na-Mit­läu­fer­tum anschließt, dürf­te die­sen Tod nun end­gül­tig besiegeln.

Ob eine Erneue­rung der Lin­ken mög­lich ist, wird die Zukunft zei­gen. Auch, ob man den Begriff »links« über­haupt noch wird ver­wen­den kön­nen, ob er als poli­ti­sche Ein­ord­nung noch aus­sa­ge­kräf­tig ist. Ich habe da so mei­ne Zwei­fel. Jeden­falls haben gefühlt 95 Pro­zent der bis­he­ri­gen Lin­ken bei mir jeg­li­che Glaub­wür­dig­keit ver­lo­ren, ich sehe in ihnen kei­ne Mit­strei­ter für eine demo­kra­ti­sche, freie und lebens­wer­te Zukunft mehr, son­dern betrach­te sie als Teil des Pro­blems. Ich muß auch geste­hen, daß sich mei­ne anti-staat­li­che Grund­hal­tung seit März 2020 noch ein­mal mäch­tig ver­stärkt hat. Eine »neue Lin­ke« kann in mei­nen Augen daher nur staats­kri­tisch sein.

Ver­wei­se

i Brück­ner, Peter [1969] Zur Psy­cho­lo­gie des Mit­läu­fers, in: Brück­ner, Peter (1983) Zer­stö­rung des Gehor­sams. Auf­sät­ze zur poli­ti­schen Psy­cho­lo­gie, hrsg. von Axel R. Oest­mann, Ber­lin: Ver­lag Klaus Wagenbach

ii Tran­skript der Sen­dung im BR, 30. Janu­ar 2020: »Wie ein Virus die Ver­nunft zer­stört«. Der 5‑Mi­nu­ten-Bei­trag stellt eine Art sati­ren Kom­men­tar dar.

Mode­ra­tor:

Mit­ein­an­der reden, nicht über­ein­an­der. Die Men­schen müs­sen ein­fach wie­der in Kon­takt kommen,

(Mode­ra­tor flippt jetzt aus und schreit): Dann ste­cken Sie sich mit die­sem Kle­sen­vi­rus (?) an!

Ein­spie­ler aus Wuhan:

- Auto­kon­trol­le »Das geht aber nicht. Steig aus. Du hast 38,2 Grad Temperatur«

- Mit Fie­ber darf nie­mand mehr nach Hau­se, und ist sich selbst überlassen

- Aus dem gan­zen Land wird das medi­zi­ni­sche Per­so­nal in die schwer betrof­fe­nen Pro­vinz Hub­ei gebracht. In Wuhan wer­den zwei neue Kran­ken­häu­ser aus dem Boden gestampft. Wer in die Öffent­lich­keit geht, muß Mund­schutz tra­gen, die Mas­ken­her­stel­ler schie­ben Über­stun­den. Wenn ein Auto fährt, ist es ein Kran­ken­wa­gen. Die hoch­ent­wi­ckelt 11-Mil­lio­nen Ein­woh­ner Stadt gleicht einer Geisterstadt.

Mode­ra­tor mit Hygie­ne­an­zug und Maske:

Okay, was heißt das jetzt? Nur kei­ne Panik, oder (schreit) Panik !?

Ich bin im wesent­li­chen für bei­des zu haben. Panik gilt als eher unge­müt­lich, und ich als Bay­er habe es ger­ne gemüt­lich. Als moder­ner Nihi­list aber ist man immer ein bischen Vater der Panik, mal etwas ande­res im Mit­tel­klas­se Einerlei.

Also was jetzt: Wie geht es den Coro­na Opfern in München?

Prof. Cle­mens Wendt:

Die vier sind »pum­perl­ge­sund«, haben kei­ne Sym­pto­ma­tik, sind fie­ber­frei, hus­ten nicht, denen ist so lang­wei­lig, daß sie uns stän­dig mit der Ent­lass­fra­ge nerven.

Prof. August Stich:

Die­ses neu­ar­ti­ge Coro­na-Virus scheint nicht so gefähr­lich zu sein. Letz­tes Jahr sind 25.000 Men­schen an der ech­ten Grip­pe gestorben.

Mode­ra­tor:

Ich wer­de also nicht am neu­ar­ti­gen Coro­na-Virus hin­schei­den. Das ist gut. Was mich aber beun­ru­higt, ist, daß jedes Jahr 25.000 Mit­men­schen an der Grip­pe ster­ben. Das wird bei jeder auf­kom­men­den Virus­pa­nik gesagt: an SARS, Ebo­la, Den­gue­fie­ber. Immer, wenn wir uns gera­de in kol­lek­ti­ver Hypo­chon­drie erbau­en und Pan­de­mie­gru­sel haben, dann kommt wer und sagt: »Jedes Jahr ster­ben tau­sen­de Men­schen an der Grippe«.

Jetzt kommt das beun­ru­hi­gen­de: Ich bin jedes­mal über­rascht, (…) aber das ist mög­li­cher­wei­se auch ein Abwehr­me­cha­nis­mus des Gehirns, denn wür­de man sich jedes­mal sol­che Hor­ror­zah­len mer­ken, man zer­fie­le ja zu Staub.

Jetzt fol­gen die ent­schei­den­den Sätze:

Es gibt natür­lich immer auch die, die erregt sein wol­len, weil Erre­gung das Zen­trum ihrer poli­ti­schen Arbeit dar­stellt. Mar­tin Sell­ner von der rechts­extre­men Iden­ti­tä­ren Bewe­gung zwit­scher­te: »Das Wuhan-Virus ver­brei­tet sich rasen­d­schnell. Offe­ne Gren­zen bedeu­ten auch offe­ne Gren­zen für Viren.«

Wer die Apo­ka­lyp­se zur Basis sei­nes Den­kens macht, schlägt Maß­nah­men zu deren Ver­wirk­li­chung vor. Neh­men wir den hier impli­zit gemach­ten Vor­schlag doch mal ernst. Was wäre, wenn man die Gren­zen schlie­ßen wür­de? Vor­teil: kei­ne Aus­län­der kom­men mehr rein. Juhu! Nach­teil: Kein Ver­kehr mehr, Flug­zeu­ge blei­ben am Boden, Züge fah­ren nicht, qua­si Gene­ral­streik, und schon hät­te man das, was man drau­ßen hal­ten will: das Desaster!

Natür­lich betei­ligt sich auch der Ast­ma­an­fall für Deutsch­land, kurz AfD, an der Para­noia­pro­duk­ti­on. Und rech­te You­tuber krie­gen sich vor lau­ter End­zeit­psy­cho­sen gar nicht mehr ein.

Ein­spie­ler: »Die Coro­na-Virus Pan­de­mie ist weit­aus schlim­mer als man euch glau­ben machen möch­te. Sie ist viel, viel, viel schlim­mer. Ich möch­te kei­ne Panik ver­brei­ten oder euch verunsichern«

Mode­ra­tor: Ja, das ging ja nun echt schief.

(Ein­spie­ler von Bil­dern aus Chi­na) Wel­che von die­sen Bil­dern aus der aktu­el­len Kri­se stam­men, bleibt unklar. Den­noch wird die­se Video mil­lio­nen­fach geteilt.

War­um sind so vie­le so leicht mit Ver­schwö­rungs­theo­rien zu infi­zie­ren? Eine klu­ge Chi­ne­sin bringt es auf den Punkt:

Ein­spie­ler einer jun­gen Frau: »Wir kön­nen nicht sicher sein, ob der Staat uns die gan­ze Wahr­heit sagt. Ob sie die Zah­len viel­leicht nicht her­un­ter­spie­len. Nicht zu wis­sen, was wirk­lich pas­siert und wie lan­ge es dau­ert, das macht mir am meis­ten Angst.«

(Jetzt wird es rich­tig real­sa­ti­risch, ws)

Mode­ra­tor: Die­se Chi­ne­sin hat völ­lig Recht, weil Chi­na ist eine Dik­ta­tur; eine freie Pres­se gibt es dort nicht. Die Ver­mu­tung, unvoll­stän­dig oder unrich­tig infor­miert zu wer­den, ist plau­si­bel. Wir haben eine freie Pres­se, die wie­der­um besteht aus ehr­gei­zi­gen Men­schen, die mal einen ech­ten Scoop lan­den wol­len. Also wenn es hier ein Geheim­nis gäbe, dann wür­de das wer aus­plau­dern, weil man damit Geld ver­dient. Je mehr Geheim­nis, des­to Geld. Glau­ben Sie, die BILD wür­de etwas ver­schwei­gen, wenn sie etwas zu ver­kün­den hät­te? Nur weil Jens Spahn es befoh­len hat? Ehrlich.

Aber sol­che Gedan­ken sind für vie­le nicht über­zeu­gend. Weil man darf ja eh nichts mehr glauben. (…)

Kor­rek­to­rat Annit­sch­ka Hej.

Bild: Gegen­pro­test gegen eine Demons­tra­ti­on der Frei­en Lin­ken in Berlin

One thought on “Zur Psy­cho­lo­gie des Mit­läu­fers: Ein Ver­such über lin­kes Mit­läu­fer­tum auf einen Text von Peter Brückner

  1. Über­aus erhel­lend. Die 200 pro­zen­ti­ge Anpas­sung vie­ler Lin­ker an das Pan­de­mie- Nar­ra­tiv blieb auch mir ein Rätsel.
    Der inne­woh­nen­de Auto­ri­ta­ris­mus ist eine inter­es­san­te Erklärung.
    Ein wei­te­rer Aspekt ist viel­leicht auch das medi­zi­ni­sche The­ma an sich.
    Die kos­ten­lo­se Gesund­heits­ver­sor­gung sowie Vor­sor­ge, z. B. durch Impf­pro­gram­me, war ja immer eine ger­ne prä­sen­tier­te Errun­gen­schaft sozia­lis­ti­scher Gesellschaften.
    Auf wsws oder jw fand sich die Argu­men­ta­ti­ons­li­nie, die »Schutz­maß­nah­men« erfolg­ten im Inter­es­se der Arbei­ter und wider­sprä­chen den Inter­es­sen des Kapitals.
    Auf die Idee, die Arbei­ter zu fra­gen, ob und wie sie geschützt wer­den wol­len, ist in lin­ken oppor­tu­nis­ti­schen Krei­sen anschei­nend nie­mand gekommen.

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