Kleine linke Klimaserie (VIII): Nettotreibhausgasemissionsverringerung auf Kapitalistisch

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»Wenn sie den Übergang von Kohle zu anderen Energiequellen erproben wollen, sollen sie es zuerst in Deutschland tun. […] Wir sehen, dass es sich um eine koloniale Übernahme durch den Westen handelt.«

Floyd Shivambu, Politikwissenschaftler und Parlamentsabgeordneter (2021)

Dieser Artikel ist Teil VIII der Kleinen linken Klimaserie in der MagMa.

Im Dickicht der Klimapropaganda mit neutralen Ausdrücken durchzukommen, ist gar nicht so einfach. »Nettotreibhausgasemissionsverringerung« ist ziemlich sperrig, geht aber hoffentlich als neutral durch. Vorausgesetzt oder bestritten, dass Verringerungen der Nettotreibhausgasemissionen »das Klima« »schützen« oder an Veränderungen hindern könnten oder dass »das Klima« schutzbedürftig wäre oder gleich bleiben sollte, wird durch den Ausdruck nicht.

Das Pariser Übereinkommen zum Klima von 2015 hat es ebenfalls in sich, so Artikel 9:

(1) Die Vertragsparteien, die entwickelte Länder sind, stellen finanzielle Mittel bereit, um […] die Vertragsparteien, die Entwicklungsländer sind, sowohl bei der Minderung [des Klimawandels] als auch bei der Anpassung [an den Klimawandel] zu unterstützen.

»Länder« sind keine Einheiten, die »finanzielle Mittel« bereit stellen oder erhalten oder auch nur Verträge abschließen. Es sind Personen mit komplexen und fragwürdigen Vertretungs‐ und Eigentumsansprüchen, die so etwas machen. Der Ausdruck »unterstützen« sollte wohl besser mit »Möglichkeiten zum Schuldenmachen bereitstellen« ersetzt werden. Denn in einem Papier des International Institute for Environment and Development von 2022 steht:

[M]ehr als 70 Prozent der Klimafinanzierung wird […] in Form von Krediten bereitgestellt, und zwar überwiegend für Zwecke der Minderung [des Klimawandels /​mitigation]. Diese Kredite tragen zu der wachsenden Schuldenkrise nach COVID bei.1

Die Hilfsorganisation CARE berichtet, dass

[…] nur 6 Prozent der zwischen 2011 und 2018 bereitgestellten Klimafinanzierung als neu und zusätzlich zu den Zusagen der öffentlichen Entwicklungshilfe der reichen Länder angesehen werden. Selbst bei einer schwächeren Definition der Zusätzlichkeit sind 55 Prozent der öffentlichen Klimafinanzierung des globalen Nordens Entwicklungsgelder, die für Klimaschutzmaßnahmen umgeleitet werden.2

Demnach scheint immerhin etwas Nettotreibhausgasemissionsverringerungsgeld bei irgendwelchen staatlichen oder privaten Stellen in »Entwicklungsländern« zu landen. Nach Berechnungen der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) von 2020 laufen die Finanzströme insgesamt trotzdem in entgegengesetzte Richtung:

In den letzten zwei Jahrzehnten […] sind mehr Finanzmittel von den Entwicklungsländern in die Industrieländer geflossen als umgekehrt. […] [D]iese Zahlen […] übersteigen bei weitem die Netto‐​Ströme der offiziellen Entwicklungshilfe in die Entwicklungsländer.3

Wachsende Verschuldung bedeutet für »Entwicklungsländer«: Um an die Euros oder US‐​Dollars für den Schuldendienst heranzukommen, müssen die Bevölkerungen dieser Länder zunehmend für den Export arbeiten. Für sich gesehen braucht das nicht schon schlecht zu sein – wenn die Verschuldung an anderen Stellen ausgleichenden Nutzen bringt. Grobes Beispiel: Einen Trecker auf Kredit zu kaufen lohnt sich, wenn der Trecker während seiner Betriebszeit pro Getreidebüschel 20 Durchschnittsarbeitsstunden einspart und die Schuldenrückzahlung mit Zinsen 19,99 Durchschnittsarbeitsstunden beansprucht. (Im Kapitalismus haben Arbeitseinsparungen schlimme Effekte, so dass die Rechnung nicht unbedingt aufgeht.)

Bei der Kreditvergabe erzeugen in »entwickelten Ländern« beheimatete Banken Euros oder US-Dollars »aus dem Nichts« oder leiten zuvor »aus dem Nichts« geschaffenes Finanzmarktblasengeld weiter. Die Arbeit, die für den Schuldendienst und bei der Umsetzung der Nettotreibhausgasemissionsverringerungen oder Klimaanpassungen geleistet wird, unterlegt das Makulatur‐​Geld mit Wert und bremmst den Geldwertverfall, der durch die Gelderzeugung entsteht. In dieselbe Richtung wirkt die wachsende Nachfrage nach Euros und US-Dollars für den Schuldendienst. Dies und der durch den Exportzwang der »Entwicklungsländer« entstehende Druck auf die Preise vieler Exportwaren hemmt in den Währungsgebieten des Euros und US‐​Dollars den Preisanstieg für Importe, so dass sich dortige Bevölkerungsteile bis auf Weiteres noch Kaffee, Tee, Bananen, volle Klamottenschränke, Handys, Sekundenkleber und Sorgen um dass Klima leisten können beziehungsweise deren Arbeit-»geber« nicht unter zu hohen Löhnen oder zu schlimmen sozialen Unruhen leiden.

Zusammengefasst findet bei der finanziellen Unterstützung der »Entwicklungsländer« eine Unterstützung Westlichen Geldkapitals und auch der Bevölkerungen beziehungsweise Kapitalherrschaft im Westen durch Arbeitsleistungen statt. Wie viel Arbeitsleistung die Menschen zum Beispiel in Afrika im Rahmen des Schuldendienstes dem Westen und in kleinerem Umfang auch an China – hier in der Regel mit ausgleichendem Nutzen – übergeben, lässt eine Mitteilung der Organisation Oxfam von 2022 erahnen:

Der jüngste Oxfam‐​Bericht zeigt, dass der Schuldendienst in Afrika fast dreimal so hoch ist wie die Ausgaben für Bildung, sechsmal so hoch wie die Ausgaben für Gesundheit, 22 mal so hoch wie die Sozialausgaben und 236 mal so hoch wie die Ausgaben für Klimaanpassung.4

Zu den Nettotreibhausgasemissionsverringerungs‐ und Klimaanpassungsgeldern, die nicht bloß verliehen werden, gehören vor allem Forschungsausgaben. Aber auch in dieser Angelegenheit steht Afrika, das rund 22 Prozent der Landmasse der Erde ausmacht, nicht so gut da:

Von 1990 bis 2019 erhielt die Forschung zu Afrika nur 3,8 Prozent der weltweiten klimabezogenen Forschungsmittel. Darüber hinaus gingen 78 Prozent der Mittel für klimabezogene Forschung zu Afrika an Einrichtungen in der EU, dem Vereinigten Königreich und den USA. Eine direktere Finanzierung afrikanischer Forscher:innen könnte mehr praxisnahe Erkenntnisse über Klimarisiken und Lösungen für Afrika liefern.5

Südafrika

Der bei anhaltend rund 30 Prozent Erwerbslosen industriell am weitesten entwickelte Nationalstaat Afrikas, Südafrika, bietet Gelegenheit für einen Naivitätstest. Was bedeutet die folgende Meldung »Milliardenhilfen für Südafrika für Abkehr von Kohle« der Tagesschau vom 8. November 2022?

Bei der Weltklimakonferenz haben führende Industriestaaten Südafrika Milliardenhilfen für die Abkehr von Kohle zugesagt. Bundeskanzler Scholz sprach mit Südafrikas Präsident Ramaphosa über eine Energiewende‐​Kooperation. […] Die von Deutschland, Großbritannien, Frankreich, der Europäischen Union und den USA [International Partners Group – IPG] geplanten Hilfen in Höhe von 8,5 Milliarden Dollar (knapp 8,5 Milliarden Euro) sollen unter anderem für die Stilllegung von Kohlekraftwerken und die Förderung erneuerbarer Energien verwendet werden […]

Die Partnerschaft von Industriestaaten mit Südafrika bei der Abkehr von der Kohle ist eine der Kooperationen, die als Just Energy Transition Partnership [Partnerschaft für eine gerechte Energiewende], kurz JETP, bezeichnet werden. Die JETP war im vergangenen Jahr bei der UN‐​Klimakonferenz in Glasgow [COP26] auf den Weg gebracht worden, um einen schnelleren und sozial gerechten Übergang von Entwicklungs‐ und Schwellenländern zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu ermöglichen.6

An keiner Stelle der Meldung wird auch nur angedeutet, dass es sich zu 97 Prozent um Kredite handelt. Die Pressemitteilung der südafrikanischen Regierung vom 9. November 2022 zum selben Thema und dem ersten »Hilfs«-Paket von JETP ist ungeschickter:

Schatzamt über Darlehensvereinbarungen zwischen Südafrika, Frankreich und Deutschland

[…] Südafrika, Frankreich und Deutschland haben Darlehensvereinbarungen unterzeichnet, wonach die beiden europäischen Länder Südafrika jeweils 300 Mio. EUR zu Vorzugsbedingungen zur Verfügung stellen, um die Bemühungen des Landes zu unterstützen, seine Abhängigkeit von der Kohle durch einen gerechten Übergang zu saubereren Energiequellen zu verringern. Die öffentlichen Entwicklungsbanken Frankreichs und Deutschlands, AFD und KfW, haben die Darlehen über das Finanzministerium direkt an die südafrikanische Regierung vergeben. […]

Im vergangenen Jahr haben die Gründungspartner der JETP, die International Partners Group (IPG), zugesagt, in den nächsten drei bis fünf Jahren einen Anfangsbetrag von 8,5 Mrd. US‐​Dollar zu mobilisieren, um die Partnerschaft voranzubringen. Andreas Peschke, deutscher Botschafter in Südafrika, sagte: ›Wir freuen uns sehr über diese Vereinbarungen, da sie eine sehr konkrete Umsetzung unserer Partnerschaft darstellen.‹ 7

Auch Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, freute sich: Die Partnerschaft sei eine weltweite Premiere und könne zu einem Muster für die Unterstützung eines gerechten Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in der ganzen Welt werden.8

Die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) mit ihrem von Leuten aus der privaten Geldkapitalwelt bestückten Vorstand sammelt Geld auf internationalen Kapitalmärkten und leiht es aus. Da die deutsche Regierung in Vertretung ihres Steuervolks Bürgschaften übernimmt, fallen die Kreditzinsen günstiger aus beziehungsweise werden Kreditzinsen teilweise dadurch ersetzbar, dass die Geldgebenden und nicht das südafrikanische Parlament kontrollieren, wofür das geliehene Geld ausgegeben werden darf.9 (Das deutsche Parlament kontrolliert natürlich auch nichts.)

In der südafrikanischen Öffentlichkeit löste die »Partnerschaft für eine gerechte Energiewende« JETP einige Diskussionen aus.

Floyd Shivambu, Abgeordneter für die sozialistisch/​kommunistische Partei Economic Freedom Fighters (EFF) im Parlament Südafrikas, sprach von einer »kolonialen Übernahme durch den Westen«. Die EFF werde den »Nonsens« bekämpfen, den die südafrikanische Regierung auf der COP26 mit Frankreich, Deutschland, Großbritannien, den USA und der EU abgeschlossen hat, und der »viele unserer Kleinstädte und Wirtschaftsgebiete zu zerstören« drohe.10

Die EFF ist die drittstärkste Partei in Südafrika. Die zweitstärkste Partei, die Democratic Alliance (DA), glaubt wie die Regierungspartei African National Congress (ANC) an den menschengemachten katastrophalen Klimawandel. Sie verlangt konsequentere Privatisierungen und Einspeiselösungen »erneuerbarer« Energien.11

Zwei Nichtregierungsorganisationen, die den Kohleausstieg Südafrikas unterstützen, und deshalb eingeladen wurden, als Vertretungen der »Zivilgesellschaft« Leute zur Mitorganisation von JETP vorzuschlagen, stellten den zuständigen Regierungsstellen in einem offenen Brief Fragen:

Wie viel ist tatsächliches Geld und wie viel sind Garantien oder Exportkredite zugunsten privater Investoren, insbesondere aus IPG‐​Mitgliedsländern, oder eine Form von Derivaten in Verbindung mit konzessionärer Finanzierung? […] Inwieweit enthalten die Finanzierungsangebote Bedingungen im Zusammenhang mit strukturellen Anpassungen unserer Wirtschaftslandschaft, der Steuerpolitik oder der Reform bestehender Institutionen? Inwieweit enthalten die Finanzierungsangebote Bedingungen, die unsere Mineralien für erneuerbare Energien an die Bedürfnisse des globalen Nordens binden und nicht an die der Menschen in Südafrika?

Erläutern Sie bitte, inwieweit die JETP‐​Vereinbarung Finanzmittel für die Anpassung an den Klimawandel [und nicht nur zur Minderung des Klimawandels] vorsieht.

In Bezug auf den JETP‐​Investitionsplan (JETP‐​IP) und den Entwurf der Investitionsleitlinien, die zwar ausgearbeitet, aber nicht öffentlich zugänglich gemacht wurden: […] Von der Zivilgesellschaft kann nicht erwartet werden, dass sie an den Konsultationen der Interessengruppen teilnimmt, ohne Zugang zu den zugrunde liegenden Dokumenten […] zu haben, die eine sinnvolle Teilnahme an diesen Konsultationen ermöglichen würden. Wir bestätigen, dass wir nicht an der nächsten Konsultation der Interessengruppen teilnehmen werden, wenn uns diese Informationen nicht im Vorfeld der Sitzung zur Verfügung gestellt werden.12

Antworten auf die Fragen des offenen Briefs konnte ich nicht finden – nur einen designerisch aufgemotzten JETP‐​Investitionsplan mit groben allgemeinen Angaben. Danach sind knapp 0,19 Prozent der mit welchen Haken und Bedingungen auch immer »bereitgestellten« 8,5 Mrd. US‐​Dollar für »Soziale Investitionen und Inklusion« vorgesehen, plus 0,14 Prozent für Ausbildungszwecke.13

Eine westliche akademische Gruppe namens Climate Finance for Equitable Transitions (CliFT), bei der die deutsche Friedrich‐​Ebert‐​Stiftung mitmacht, schreibt über den Investitionsplan (JETP‐​IP):

Das JET‐​IP stützt sich in hohem Maße auf Schuldeninstrumente und marktbasierte Mechanismen zur Finanzierung von Dekarbonisierungs‐ und wirtschaftlichen Übergangsplänen. […] Das aktuelle IPG‐​Angebot in Höhe von 8,5 Mrd. US‐​Dollar (mit dem nur 12 Prozent der geplanten Gesamtkosten des JET‐​IP finanziert werden) besteht in erster Linie aus Darlehen zu Vorzugsbedingungen sowie aus kommerziellen Darlehen und Garantien, wobei der Großteil der Finanzierung darauf ausgerichtet ist, andere öffentliche und kommerzielle Finanzierungsquellen zu erschließen (Abschnitt 6). Zuschüsse machen nur 29,7 Mio. US‐​Dollar oder weniger als vier Prozent des gesamten Finanzpakets aus und sind in erster Linie für technische Hilfe und Beratungsdienste bestimmt (Abschnitt 6 des JET‐​IP).14

Der JETP‐Vorstoß der südafrikanischen Regierung trifft mit zunehmenden, aber dafür gerecht über’s Land rollenden, Stromabschaltungen des staatlichen Versorgungsunternehmens Eskom zusammen.

Eskom erzeugt etwa 95 Prozent der südafrikanischen und 45 Prozent der afrikanischen Elektrizität, zu rund 85 Prozent auf Basis von Kohlekraftwerken. Botswana, Eswatini, Lesotho, Mosambik, Namibia, Sambia and Simbabwe hängen mit am Netz.15 Von ausfallenden Ampelanlagen und Sauerstoffgeräten, unterbrochenen Bergbauarbeiten, vergammelnden Lebensmitteln, Chemikalien und Pharmazeutika, verschobenen Operationen usw. abgesehen, treiben Eskoms Stromabschaltungen vor allem Mittel- bis Kleinstbetriebe in die Pleite, die sich keine alternativen Stromquellen leisten können.16

Über alle politischen Bänke hinweg werden die Stromabschaltungen vor allem mit der Unfähigkeit der Regierung, mit Korruption und Kriminalität erklärt. Letztere haben es in sich: Stromleitungen ganzer Straßenzüge landen im Altmetallexport, auf ihren Wegen zu den Kraftwerken verschwindet gute Kohle lastwagenweise … Als würde das nicht reichen, werden manchmal zusätzlich Streiks und ein böses Gesetz verantwortlich gemacht, das ärmeren Haushalten 50 kWh Strom pro Monat für umsonst garantiert – theoretisch.17

Eskom war einmal Afrikas fortgeschrittenster, preiswertester und zuverlässigster Stromlieferant. Zu Gunsten einer wirtschaftlich/​technisch vorsichtigen und entsprechend langsamen Energiewende wird argumentiert, Eskoms Kohlekraftwerk‐Flotte sei moderner als die in Europa und könnte bei ordentlicher Wartung, guter Kohle und guten Filteranlagen aus der Dreckschleuderzone herausgebracht werden.

Seit den 1990ern passierte mit Eskom das, was ältere Menschen in Deutschland besonders drastisch am Beispiel der Krankenhäuser mitbekommen haben: neoliberales Gegendiewandfahren, unter anderem durch Auslagerung entscheidender Betriebsteile, die je für sich gesehen Profit erwirtschaften müssen. Nach einigen Jahren bleibt eine unterfinanzierte Konkursmasse übrig, deren Verscherbelung an Privatkonzerne Mehrheiten als Einzug wirtschaftlicher Vernunft begrüßen – eh die privatisierten Realitäten sie eines Besseren belehren. Unterschied nur: Kohlekraftwerke nimmt Westliches Kapital nicht hinterhergeschmissen.

2008, kurz nach der ersten Stromabschaltungsrunde der Eskom, fasste Kate Bayliss vom Thinktank International Poverty Centre (IPC) in Brasilien die Situation wie folgt zusammen:

Es wird prognostiziert, dass die Elektrizitätsversorgung das Wachstum [Südafrikas] zumindest in den nächsten fünf Jahren einschränken wird. Wie konnte es dazu kommen, wo Südafrika doch bis vor kurzem noch einen Überschuss an billigem Strom hatte?

Die Krise hat ihren Ursprung in einem ehrgeizigen Programm zur Umstrukturierung und Privatisierung der Elektrizitätswirtschaft, das Anfang der 1990er Jahre eingeleitet wurde. […] Das staatliche Versorgungsunternehmen Eskom wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, und im Jahr 2001 wurden seine Kernaktivitäten (Stromerzeugung, ‑übertragung und ‑verteilung) getrennt und finanziell abgegrenzt. […] Das Ziel war letztlich der Wettbewerb und die Beteiligung des privaten Sektors an der Verteilung. […] Eskom beschloss ein Moratorium für Investitionen, um eine Verdrängung des Privatsektors zu verhindern. Darüber hinaus wurden öffentliche Ausgaben von Investitionen abgezogen, um die Wirtschaft nach der Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen anzukurbeln. Das Interesse des Privatsektors war jedoch praktisch nicht vorhanden: Die Investitionen in neue Stromerzeugungskapazitäten gingen zwischen 2002 und 2006 auf Null zurück. […]

In allen Entwicklungsländern gingen die Investitionen des Privatsektors in den Energiesektor von 47 Milliarden US‐​Dollar im Jahr 1997 auf 14 Milliarden US‐​Dollar im Jahr 2004 zurück. Die internationalen Berater:innen haben jedoch weiterhin an dem orthodoxen Paket von Umstrukturierungsmaßnahmen festgehalten.18

Nach Darstellung der EFF wurde es dem ANC und den mit ihm verbündeten Gewerkschaften zum Verhängnis, das Erbe des Apartheitsregimes angetreten zu haben, als der angloamerikanische Neoliberalismus erblühte.19 Lukrative Aufsichtsratsposten in kapitalistisch getrimmten Staatsunternehmen verwandeln die beste Sozialdemokratie in einen oligarchischen Co‐​Management‐​Sumpf. Gegen diesen organisierte die EFF am 20. März 2023 einen »Tag des nationalen Shutdowns«, dem sich links‐​progressive Gruppen anschlossen.20 Inwieweit die Aktion erfolgreich war, wird noch ausdiskutiert.

Vieles sieht danach aus, dass die Energiekrise zu Gunsten von Privatisierungen, JETP‐​Mega‐​Solar‐ und Windkraftprojekten, Einspeiselösungen und JETP‐​geförderten Elektroautos für den wohlhabenden Mittelstand »gelöst« wird.

Wegen Geldknappheit verfeuern zur Zeit rund 4 Millionen Haushalte in Südafrika Kohle, Holz und Kerosin in Innenräumen. Gerade sie könnten in Zeiten steigender Temperaturen billigen Strom, Klimaanlagen und Wasserpumpen brauchen. Die kühleren Plätze in den südafrikanischen Städten bewohnen reichere Leute.

Es wurde […] nachgewiesen, dass Menschen in absoluter oder relativer Armut in allen Breitengraden den höchsten Anstieg der Sterblichkeit aufgrund von Hitzeeinwirkung aufweisen (Curriero et al. 2002). Obwohl keine Daten verfügbar sind, kann davon ausgegangen werden, dass ein großer Teil der Südafrikaner:innen keinen Zugang zu Klimaanlagen hat und es sich nicht leisten kann, diese zu warten und zu betreiben. Wie festgestellt wurde, ist die Sterblichkeit durch Hitze eng mit dem wirtschaftlichen Status verbunden.21

Im Aktionsplan von Cape Town/​Kapstadt zur Klimarettung ist vorgerechnet, dass die ärmeren Haushalte 25 Prozent ihrer Einkommen für Energie zum Kochen und Heizen ausgeben können.22 Da es gerade die 20 Prozent der Haushalte sind, die laut südafrikanischem Statistikamt ihre Ernährungssituation als ungenügend einschätzen,23 könnten sie vielleicht beim Kochen sparen, was sie zum Kühlen bräuchten?

Der südafrikanische Energieminister und ANC‐​Vorsitzende Gwede Mantashe meint: »Fossile Brennstoffe töten, aber Hunger tötet schneller.»24

Mit seiner Mahnung und Aktivität zur vorsichtigen Abkehr von der Kohle bewegt sich Mantashe außerhalb des Regierungskonsenses. Klimarettungsgruppen fordern seinen Rauswurf als »virtuellen Klimaleugner«. Ohne die »internationale Klimafinanzierung«, argumentieren sie, sei die Energiekrise nicht zu beheben. »Erneuerbare Energien« seien »billiger, sauberer und würden mehr Arbeitsplätze« schaffen.25 Der Ausblick einer Studie von 2021 sieht etwas anders aus:

Mit steigenden Preisen werden diejenigen, die es sich leisten können, auf netzunabhängige Lösungen ausweichen. Insgesamt verschärft dies die Todesspirale der Energieversorgung, wodurch die Strompreise für die Armen weiter steigen und die Ungleichheit verschärft wird. Die Stromeinnahmen der Metropolen (die einen großen Teil ihrer kommunalen Haushalte durch die Verteilung von Netzstrom erwirtschaften) sinken, wodurch die für städtische öffentliche Dienstleistungen verfügbaren Mittel im Allgemeinen reduziert werden, was sich wiederum negativ auf die Armen auswirkt.26

2019 wurde eine noch ziemlich niedrige »Kohlenstoff‐​Steuer« (»carbon tax«) eingeführt. Die Steuer werde insbesondere der Landwirtschaft und den ärmeren Haushalten helfen, argumentiert Dr. Sifiso Ntombela, leitender Ökonom des National Agricultural Marketing Council (Beratungsgremium des Landwirtschaftsministeriums), da diese »am meisten von ungünstigen Witterungsverhältnissen betroffen« seien.27 Wie neue Steuern das Wetter ändern, kann er natürlich erklären: Verteuerung der Treibhausgasemissionen → Senkung der Treibhausgasemissionen → Senkung der Treibhausgase in der Atmosphäre → besseres Wetter in Südafrika.

Seit 2022 leistet die Europäische Union mit einer Versiebenfachung der Kohlekäufe Hilfe bei der Verteuerung der Treibhausgasemissionen. Der südafrikanische Kohlebergbau liegt weitgehend in den Händen multinationaler Konzerne, mit dem auf Profit getrimmten Staatskonzern Sasol als Ausnahme. Verkauft wird an die Meistbietenden.

Bevan Young, ein Rohstoffbroker, befürchtet, dass die Inlandsnachfrage nach Kohle mit den steigenden Exportpreisen nicht Schritt halten kann. In den Kohlekraftwerken der Eskom landet die schlechtere Kohle, so dass die Anlagen eher ausfallen als sie es mangels Wartung beziehungsweise aufgrund der Angewiesenheit unzähliger Subunternehmen auf zuverlässig eintreffende Reparaturaufträge ohnehin schon tun.

Die große Sorge gilt jedoch den industriellen Verbrauchern wie den Lebensmittelherstellern sowie den Zucker‑, Papier‐ und Zementfabriken. Sie kaufen höherwertige Kohle und können es sich einfach nicht leisten, exportabhängige Preise zu zahlen. Wenn nicht etwas unternommen wird, um die Lieferungen für sie zu günstigeren Preisen zu reservieren, könnte es zu erheblichen Lebensmittelengpässen im Land kommen, wenn diese Fabriken schließen müssen.28

Auflagen zur CO2-Abscheidung und ‑Speicherung (CCS) sorgen für weitere Verteuerungen des Kohlestroms. In einem Bericht des südafrikanischen Energieministeriums von 2017 heißt es:

Die Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatten entschieden, keine Investitionen mehr in Kohlekraftwerke zu tätigen und auch keine Maschinen und Ausrüstungen mehr herzustellen, die deren Betrieb aufrechterhalten. Die OECD‐​Position stellt eine Herausforderung für Südafrika beziehungsweise Eskom dar, wenn es darum geht, in Zukunft neue Kohlekraftwerke zu finanzieren, es sei denn, CCT [Clean Coal Technologies] wird eingesetzt. Diese OECD‐​Position zu kohlebefeuerten Kraftwerken ist seit Januar 2017 in Kraft. […] Südafrika ist zu einer effizienten Nutzung seiner Kohle durch den Einsatz von Clean Coal Technologies wie CO2-Abscheidung und ‑Speicherung (CCS) verpflichtet.29

CCS, aber auch zum Beispiel Senkungen von Giften wie Schwefeldioxid, vervielfachen den Wasserbedarf der Stromerzeugung aus Kohle – in Südafrika ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Energieerzeugungstechnologien. Beim Import von Solar‐ und Windenergieanlagen werden der Wasserverbrauch wie auch die Umweltschäden größtenteils ausgelagert. Bisher verbrauchen die Kohlekraftwerke etwa 2 Prozent des Frischwassers in Südafrika. Mindestens bis vor einiger Zeit forschte Eskom noch an weitergehenden Wassereinsparungen in diesem Bereich. Biomasseverfahren, Wasserkraftwerke, Öl‐ und Gasförderung verbrauchen deutlich mehr Frischwasser, Kernkraftwerke so gut wie keins, weil sie mit Salzwasser kühlen können. 30

Laut einer Studie von 2020 würde es die Wassersituation Südafrikas verbessern, ein paar Wälder abzuholzen, die seit der Kolonialzeit mit Hilfe importierter Baumarten hochgezogen wurden:

Everson et al. (2019:5 – 8) untersuchten den Wasserverbrauch von Plantagen und agroforstwirtschaftlichen Systemen im MCP [Maputaland Coastal Plain – Nordostküste Südafrikas am Indischen Ozean] und kamen zu dem Schluss, dass Eukalyptusbäume im Vergleich zur einheimischen Vegetation mehr Wasser pro Tag verbrauchen. Die Modellierungsergebnisse der Studie zeigten, dass die Beseitigung von Forstplantagen im Vasi‐​Gebiet des MCP zu einem Anstieg des Grundwasserspiegels um 2 m führen würde. Außerdem wurde ein Anstieg des Wasserertrags um 40 Prozent vorhergesagt, wenn die Plantagen aus der unmittelbaren Umgebung der Feuchtgebiete entfernt und durch Agroforstwirtschaft ersetzt würden.31

Auf der Suche nach der südafrikanischen Klimakatastrophe

Laut Berkeley Earth32 haben sich in Südafrika die Temperaturen seit 1857 beziehungsweise seit der Kleinen Eiszeit um rund 2 °C erhöht:

Vor 1940 gab es in Südafrika weniger als 10 Messstationen, d.h. pro 120 000 km² etwa eine.33 Berkeley Earth sagt: das Kurvenstück zwischen 1900 und 1940 ist wegen guter Rechenverfahren und günstiger physikalischer Zusammenhänge der Temperaturen in weiträumigen Gebieten genauer als ±0,5 °C. Seit der Jahrtausendwende hat Südafrika rund 50 Stationen, d.h. etwa eine pro 24 000 km2. Zwischen 1960 und 2000 gab es mal deutlich mehr Stationen. Rund 100 Stationen, vor allem ländliche, wurden zwischen 1996 und 2002 abgeschafft.34

Eine Studie von 2000 – neuere Studien sind leider hinter Geldschranken – ordnet die Daten der Thermometer‐​Zeit wie folgt in einen breiteren zeitlichen Rahmen ein:

Das Klima im Inneren Südafrikas war in der Kleinen Eiszeit etwa 1 °C kühler und könnte während der Extreme der Mittelalterlichen Warmzeit über 3 °C höher gewesen sein als heute. Das Klima war während des gesamten Jahrtausends schwankend, insbesondere aber während der Erwärmung im elften bis dreizehnten Jahrhundert.35

Im Zusammenhang von 3000 Jahren grob geschätzter Jahreshöchsttemperaturen36 sieht die Thermometer‐​Kurve oben ungefähr aus wie das blaue Gekräusel rechts:

Aber der Vergleich ist unfair: Jahreshöchsttemperaturen gegen Jahresmitteltemperaturen (die eigentlich keine sind, siehe letzte Folge). Auch stammen die Tropfsteine, mit denen die Jahreshöchsttemperaturen geschätzt wurden, aus der nordöstlichen Ecke Südafrikas, Nähe Polokwane/​Pietersburg (»M« in der Karte unten). In Südafrika37 gibt es viele Klimazonen – bedingt unter anderem durch die verschiedenartigen Einflüsse zweier angrenzender Ozeane:

Zur Erinnerung (Folge 4): Die Berkeley Earth‐​Kurve oben zeigt keine messbaren, spürbaren, erlebbaren Temperaturänderungen, sondern Resultate arithmetischer Mittelwertberechnungen über thermodynamische Nichtgleichgewichtsfelder.

Um herauszufinden, was sich in den einzelnen Klimazonen Südafrikas während der Thermometer‐Zeit beziehungsweise seit der Kleinen Eiszeit messbar getan hat, habe ich die globale Klimadatenbank GHCN, die von der US‐​Behörde NOAA‐​NCEI betreut wird, nach möglichst langen Thermometer-Datenreihen durchsucht.

Die folgenden Grafiken38 zeigen absolute Jahresmitteltemperaturen (°C) der in der Karte oben bepunkteten Orte. Rote Kurven: vor Datenänderungen der NOAA‐​NCEI, schwarze Kurven: nach Datenänderungen der NOAA‐​NCEI. Zeiträume ohne schwarze Kurve bedeuten: die Messdaten dieser Zeiträume wurden als unbrauchbar eingestuft.

Die Datenänderungen der NOAA‐​NCEI werden »Homogenisierung« genannt und mit einem Verfahren durchgeführt, das sich »Pairwise Homogenization Algorithm« (PHA) nennt. Eine Studie von 2021 untersuchte anhand europäischer Daten, was es damit auf sich hat, und kam zu folgendem Ergebnis:

Frühere Studien haben gezeigt, dass die PHA bei der Korrektur synthetischer Zeitreihen gut abschneiden kann, wenn bestimmte künstliche Verzerrungen eingeführt werden. Die Leistung bei realen Daten ist jedoch weniger gut untersucht worden. [Bei unserer Untersuchung…] zeigte sich eine bemerkenswerte Inkonsistenz […] Obwohl der PHA ein nützliches Instrument im Werkzeugkasten […] bleibt, könnten […] viele der PHA‐​Anpassungen […] falsch gewesen sein.39

Mit oder ohne Datenänderungen: Falls es statistische Zusammenhänge zwischen den Temperaturentwicklungen Südafrikas und wachsenden Treibhausgas‐​Emissionen gibt, sind sie an den Daten nicht ohne Weiteres erkennbar. In den verschiedenen Gebieten wurde es während der Thermometerzeit zu verschiedenen Zeiten wärmer. Mancherorts, aber deutlich seltener, wurde es auch kälter.

Nahe der Südküste, zwischen Cape Town/​Kapstadt und Gqeberha/​Port Elizabeth, stehen Tropfsteine herum, anhand derer Wissenschaftler versuchten, die absoluten Lufttemperaturen der letzten 6000 Jahre zu schätzen (»C« in der Karte oben).40 In diesem Zusammenhang sehen die Temperaturen von »Cape Town Astron Obs« mit ihrem rasanten Anstieg auf 19 °C Ende der 1990er Jahre wie das blaue Gekräusel rechts aus:

Aber der Vergleich könnte unfair sein: »Cape Town Astron Obs« (GHCN‐Identifikationsnummer SFXLT658717) ist nämlich ein sehr seltsamer Datensatz. Bis 1959 ist er mit dem Datensatz »Capetown« (GHCN‐Identifikationsnummer SFXLT408286) identisch:

Ab 1960 wurden an dieselbe Datenreihe von 1880 bis 1959 unterschiedliche Daten angehängt.

Sowohl für »Capetown« als auch für »Cape Town Atron Obs« weist das GHCN eine Höhenlage von 12 m aus. Für »Capetown« gibt das GHCN folgende Koordinaten an: 33.9 S, 18.5000 E, und für »Cape Town Atron Obs« folgende: 33.93 S, 18.4800 E. Falls keine der Angaben gerundet ist, wäre die Entfernung zwischen den Stationen knapp 4 km.41 Ob es auf diese Entfernung in derselben Höhe über dem Meeresspiegel dermaßen unterschiedliche Tendenzen der Entwicklung der Außentemperatur geben kann wie im Bild oben dargestellt? Und wenn ja: Bräuchte man dann nicht alle 2 km2 eine Messtation, um die bodennahen Lufttemperaturentwicklungen ordentlich zu erfassen?

Nach einer älteren Version des GHCN – Version 2, die bis 2011 benutzt wurde – sah die Temperaturentwicklung an den Koordinaten 33.9 S, 18.5 E und in derselben Höhenlage wie folgt aus.42 Die Station hieß »Capetown Safr« und hatte die Identifikationsnummer 141688160000.

In den unveränderten Daten ist ein Hitzeberg um 1930 herum zu sehen, der herausgerechnet wurde. Bis 1949 sind die Daten von »Capetown Safr« dieselben wie die von »Cape Town Astron Obs« beziehungsweise »Capetown«:

Da »Capetown« und »Capetown Safr« ziemlich gleich sind: Ist dann »Cape Town Astron Obs« eine falsche Datenreihe? Auf die Temperatur‐​Merkwürdigkeiten von Cape Town bin ich nur zufällig gestoßen. Um etwas über die Qualität der GHCN‐​Datenbank im Allgemeinen sagen zu können, müsste man systematisch nach Unstimmigkeiten suchen. Ob dafür bei der NOAA‐​NCEI oder vielleicht auch bei nationalen Wetterinstitutionen Arbeit aufgewendet wird?

Zur allgemeinen Interpretation der Daten, soweit sie stimmen, wären unter anderem die in der letzten Folge angesprochenen Unsicherheiten zu bedenken (Tmin/​Tmax-Problem, Gehäuse).

Eine noch nicht angesprochene Unsicherheit entsteht aus dem Wachstum der Städte: der »städtische Wärmeinseleffekt« (UHI‐​Effekt – urban heat island effect). Die Messstationen stehen in unterschiedlichen Entfernungen zu Wärmequellen wie Häuser, Autos, startende und landende Flugzeuge, Straßenbeläge … Mit der Verdichtung der Bevölkerung nahe der Messstationen steigen die gemessenen Temperaturen, wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden, zum Beispiel Parks entstehen oder Dächer begrünt werden. Die Bevölkerung Südafrikas hat sich seit 1960 mehr als verdreifacht.

Zum Ausgleich des UHI‐​Effekts wäre bei wachsenden Städten eigentlich eine Korrektur der jüngeren Absoluttemperaturen nach unten zu erwartenwenn man denn überhaupt an den Daten herumdoktern möchte. In den südafrikanischen Temperaturgrafiken oben wurden jüngere Temperaturen nur in Kimberley (rund 0,5 Millionen Einwohnende) abgesenkt.

Eine Studie aus Zeiten, in der es in Südafrika noch viele Messstationen gab, versuchte den UHI‐​Effekt anhand von Unterschieden der Tageshöchst‐ und Tiefsttemperaturen (Tagestemperaturspanne – DTR/​diurnal temperature range) einzuschätzen:

Die Temperaturtrends werden für eine Reihe von Orten in Südafrika untersucht. Die Aufzeichnungen der langfristigen Jahresmitteltemperaturen (1885 – 1993) zeigen eine Erwärmung während des letzten Jahrhunderts, wobei ein Großteil der Erwärmung in den letzten drei Jahrzehnten stattfand. Unsere Analysen zeigen jedoch, dass die Hälfte oder mehr dieser jüngsten Erwärmung mit dem städtischen Wachstum und nicht mit einem weit verbreiteten regionalen Temperaturanstieg zusammenhängen könnte. Die Höchst‐ und Tiefsttemperaturen für den Zeitraum 1960 – 1990 zeigen einen statistisch signifikanten Rückgang der Tagestemperaturspanne in großen städtischen Gebieten, aber keine Veränderung im nichtstädtischen Netz.43

Bis auf Weiteres wird es wohl sicherer sein, bezüglich des Klimas die Msinga von KwaZulu‐​Natal um Auskunft zu bitten. Sie befragen ihre Vorfahren und beobachten Tiere und Pflanzen und Winde. Die wiederkehrenden Dürren schätzen sie als »katastrophal« ein. Deshalb könnten sie Bewässerungssysteme wie die Weißen 100 km nordwestwärts brauchen, sagt Studienteilnehmerin Nummer 7.44 Oder vielleicht bessere: solarbetriebene? Leider bringen nach derzeitiger sozioökonomischer Lage ihre Töchter und Söhne, die Arbeit in den Haushalten der Wohlhabenden und in den Minen gefunden haben, die dafür nötige Kreditwürdigkeit nicht auf.

Zahlenmaterial dieser Folge:

Für die nächste Folge brauche ich vielleicht zwei Monate, denn dafür muss ich meine schulische Physiktraumatisierung bewältigen: Wie hängen Lufttemperaturen und atmosphärisches CO2 zusammen? Das hat nach herkömmlichen Darstellungen mit im Nichts herumflitzenden Kräften und magischen Daumenpraktiken zu tun, an die zu glauben weitreichende Fähigkeiten zur Irrationalität erfordert: elektromagnetische Strahlung!

Verweise

1 S Patel, E Klok et al.: Why lending for climate drives debt distress. Issue Paper October 2022, IIED’s Shaping Sustainable Markets Group, S. 10 und 13. Zu den Geldquellen der IIED siehe International Institute for Environment and Development – Trustees’ report and accounts for the year ended 31 March 2021, S. 45

3 Unctad: Topsy‐​turvy world: Net transfer of resources from poor to rich countries. Policy Brief No. 78, Mai 2020. Sämtliche Übersetzungen aus englischsprachigen Quellen in diesem Text sind unautorisiert.

4 Chelsea Hodgkins, Gerald Byarugaba: Time to deliver on climate finance: the cost of a just transition. Oxfam 8.11.2022. Oxfam Deutschland ist Mitglied der Klima‐​Allianz Deutschland (gesehen 19.3.2022). Zur Verschuldung Afrikas in China siehe zum Beispiel Donatien Niyonzima: Wer steckt wirklich hinter Afrikas Schuldenfalle? China heute 15.8.2022 – Harry Verhoeven: China has waived the debt of some African countries. But it’s not about refinancing. The Conversation 31.8.2021

5 G Ziervogel, C Lennard et al.: Climate change in South Africa: Risks and opportunities for climate‐​resilient development in the IPCC Sixth Assessment WGII Report. S. Afr. j. sci. vol.118 n.9 – 10 Pretoria Sep./Oct. 2022

9 Außer beim Geldkapital wird ein Teil der südafrikanischen Staatsschulden als Gewinn bei Unternehmen landen, die im großen Maßstab Ökostromanlagen bauen und warten können. Zufallsfund: Vestas wins major wind order in South Africa, African Review 14.3.2023. Großer Anteilseigner von Vestas: BlackRock Inc. (Pressemitteilung von Vestas 12.10.2020, gesehen auch 20.3.2023).

11 Siehe z.B. DA: What has the DA been doing to fix the electricity crisis? (gesehen 26.3.2023). Was Einspeiselösungen technisch bedeuten, beschrieb Jean‐​Marie Jacoby in Das Stromnetz, das unbekannte Wesen und Der Wille steht nicht fürs Werk beim Stromnetz. Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek 16.3.2021 und 18.3.2021

12 Life After Coal campaign, Fair Financing South Africa: Letter to Head of the Presidential Climate Finance Task Team 2 September 2022

14 Climate Finance for Equitable Transitions (CliFT): Evaluation of the Just Energy Transition Investment Plan (JET‐​IP). 30.3.2023, S. 3

15 I Pretorius, S Piketh et al.: A perspective on South African coal fired power station emissions. J. energy South. Afr. vol.26 n.3 Cape Town Aug. 2015 – Department of Mineral Resources and Energy: The South African Energy Sector Report 2021.

17 Siehe z.B. Kate Tissington: Targeting the Poor? An Analysis of Free Basic Services (FBS) and Municipal Indigent Policies in South Africa. SERI Nov 2013. DOI 10.13140/RG.2.1.1582.2324

18 Kate Bayliss: Lessons from the South African Electricity Crisis. International Poverty Centre, One Pager No.56, Juni 2008. Zum Effekt der Auslagerung der Wartungsarbeiten siehe William Mabapa von der National Union of Mineworkers (NUM), eNCA 21.7.2022

20 Das öffentliche Fernsehen Südafrikas, SABC, berichtete ordentlich über die Proteste. Kein Vergleich zu GEZ‐​Medien. Siehe auch z.B. die Übertragung der EFF‐​Pessekonferenz zum Shutdown‐​Tag.

21 Lukas Robin Nigel Beuster: Urban heat islands in South Africa: A case study of Cape Town. Master Thesis of Urban and Regional Science in the Faculty of Arts and Social Sciences at Stellenbosch University, S. 81

22 Lukas Robin Nigel Beuster: Urban heat islands in South Africa: A case study of Cape Town. Master Thesis of Urban and Regional Science in the Faculty of Arts and Social Sciences at Stellenbosch University, S. 36

23 Department of Statistics: General Household Survey 2021, S. 53

25 Alex Lenferna: President Ramaphosa’s vital climate test: firing Gwede Mantashe. Eyewitness News 15.10.2021

26 E Tyler, B Cohen: A complex systems view of climate and development issues in South African coal power expansion. J. energy South. Afr. vol.32 n.1 Cape Town Feb. 2021, DOI 10.17159/2413 – 3051/​2021/​v32i1a9052

28 Bevan Young, African Source Markets, zit.n. Bulelwa Payi: Europe is buying up all SA’s ‘good’ coal. IOL 23.10.2022. Siehe auch MJ Wingfield, B Hurley et al.: Tree health in South Africa: Retrospect and prospect. S. Afr. j. sci. vol.116 n.11 – 12 Pretoria Nov./Dec. 2020, DOI 10.17159/sajs.2020/8038

29 Department of Energy: South African Coal Sector Report 2017, S. 21

30 D Sparks, A Madhlopa et al.: Renewable energy choices and their water requirements in South Africa. J. energy South. Afr. vol.25 n.4 Cape Town Nov. 2014 – South African Government 15.12.2021: Eskom receives DFFE’s decisions on minimum emissions standard.

31 M Ramjeawon, M Demlie et al.: Analysis of three decades of land cover changes in the Maputaland Coastal Plain, South Africa. Koedoe vol.62 n.1 Pretoria 2020. DOI 10.4102/koedoe.v62i1.1642. Eine ähnlich unromantische Studie warnt davor, dass die Ökosysteme der afrikanischen Savannen durch CO2-Senken, früher »Wälder« genannt, zerstört werden könnten (Julie C. Aleman, Université de Montréal, zit. in Mail & Guardian 12.4.2018: Deforestation in tropical Africa is not as bad as previously thought – Studie: Julie C. Aleman, Marta A. Jarzyna, A. Carla Staver: Forest extent and deforestation in tropical Africa since 1900. Nat Ecol Evol 2, 26 – 33 (2018). DOI 10.1038/s41559-017‑0406‑1).

32 Grafik aufgrund offener Fragen zur Zitierbarkeit selbst gemacht mit Daten von Berkeley Earth: Regional Climate Change: South Africa (gesehen 26.2.2023). Dort ist auch ein 95 Prozent‐​Konfidenzintervall eingezeichnet. Zur Temperaturentwicklung in Südafrika siehe auch Grafik aus R Schulze, S Schutte, M Taylor: Thematic Booklet 3 Agriculture’s Natural Capital 2: Weather and Climate – Now and into the Future. Sep 2016, DOI:10.13140/RG.2.2.26145.76645

35 PD Tyson, W Karlén et al.: The Little Ice Age and medieval warming in South Africa. S. Afr. J. Sci. 96, 121 – 126 (2000), S. 121. Zur Kleinen Eiszeit und mittelalterlichen Warmzeit siehe 3. Folge. Auf der Suche nach Studien zum Klima in Südafrika bin ich oft auf Geldmauern gestoßen. Daher verwende ich in diesem Text viele ältere Studien.

36 Grafik nach K Holmgren, PD Tyson et al.: A preliminary 3000‐​year regional temperature reconstruction for South Africa : research letter. South African Journal of Science, Jan 2001. Academy of Science for South Africa (ASSAf), ISSN 0038 – 2353, pp 49 – 51, Fig. 1d. Von Stalagmit abgeleitete regionale jährliche Höchsttemperaturanomalien (°C) um den Mittelwert 1961 – 1990 für den Nordosten Südafrikas über 3000 Jahre. Die Datenreihe wurde mit einem gleitenden Mittelwert über 9 Jahre geglättet. Siehe auch H Sundqvist, K Holmgren et al.: Evidence of a large cooling between 1690 and 1740 AD in southern Africa. Sci Rep 3, 1767 (2013). DOI 10.1038/srep01767

37 Klimazonenbild bezogen auf den Zeitraum 1980 bis 2018, aus Wikimedia. Dortige Quellenangabe der Nachzeichnung: Beck, H.E., Zimmermann, N. E., McVicar, T. R., Vergopolan, N., Berg, A., & Wood, E. F.: Present and future Köppen‐​Geiger climate classification maps at 1‑km resolution. Nature Scientific Data. DOI:10.1038/sdata.2018.214.

Zum Vergrößern Bild rechtsklicken und in neuer Registerkarte öffnen – dort Strg gedrückt halten und die Plus‐​Taste + drücken. »M« (Makapansgat) oben rechts und »C« (Cango Caves) unten links kennzeichnen Orte mit Stalagmiten, anhand derer Schätzungen der Lufttemperaturen alter Zeiten vorgenommen wurden.

38 Verwendete Messstationen: Okiep Northern Cape (SFXLT220486) nachher | vorher – Upington Agr (SF003174470) nachher | vorher – Pietersburg Muni (SF006778340) nachher | vorher – Durban Intl (SFM00068588) nachher | vorher – Johannesburgjoube (SFXLT799779) nachher | vorher – Johannesburg Intl (SFM00068368) nachher | vorher – Kimberley (SF000068438) nachher | vorher – Aliwal Northtnk E (SFXLT476842) nachher | vorher – Port Elizabeth Intl (SFM00068842) nachher | vorher – Calvinia (SF001344780) nachher | vorher – Cape Town Astron Obs (SFXLT658717) nachher | vorher – Capetown (SFXLT408286) nachher | vorher. Eine allgemeine Stationssuche für GHCN Version 4 ermöglicht diese Seite der NASA‐​GISS.

40 Datenquelle: AS Talma, JC Vogel: Late Quaternary paleotemperatures derived from a speleothem from Cango Caves, Cape Province, South Africa. Quaternary Research, Volume 37, Issue 2, 1992, pp 203 – 213, ISSN 0033 – 5894, DOI 10.1016/0033 – 5894(92)90082‑T. Grafik nach L Scott, J Lee‐​Thorp: Holocene climatic trends and rhythms in southern Africa. DOI 10.1007/978 – 1‑4020 – 2121‑3, S. 78, und Kalte Sonne: Die Mittelalterliche Wärmeperiode in Afrika. 23.11.2015 (die Grafik dort scheint eine Originalkopie zu sein, und hat eine logarithmische Zeit‐​Skalierung). Dass die Schätzung noch als brauchbar gilt, geht u.a. hieraus hervor: A Hahn, E Schefuß et al.: Southern Hemisphere anticyclonic circulation drives oceanic and climatic conditions in late Holocene southernmost Africa. Clim. Past, 13, 649 – 665, 2017, DOI 10.5194/cp-13 – 649‐​2017 – BM Chase, A Boom et al.: High‐​resolution record of Holocene climate change dynamics from southern Africa’s temperate‐​tropical boundary, Baviaanskloof, South Africa. Manuskript für Elsevier 2019, Palaeogeography, Palaeoclimatology, Palaeoecology Vol. 539, 1 February 2020, DOI 10.1016/j.palaeo.2019.109518 – BChase, C Harris et al.: South African speleothems reveal inuence of high‐ and lowlatitude forcing over the past 113.5 k.y. Geology, Geological Society of America, In press, hal‐​03312173 –> July 2021 Geology 49(11), DOI:10.1130/G49323.1

41 Hier ist ein Entfernungsrechner.

42 Daten für »Capetown Safr« von NASA‐​GISS, die die NOAA‐​NCEI‐​Daten verwendet: vorher | nachher.
Eine allgemeine Stationssuche für GHCN Version 2 ermöglicht diese Seite der NASA‐​GISS.

43 WS Hughes, RC Balling Jr.: Urban Influences on South African Temperature Trends. International Journal of Climatology Vol. 16/​8, August 1996, DOI 10.1002/(SICI)1097 – 0088(199608)16:8<935::AID-JOC64>3.0.CO;2‑V, pp. 935 – 940 – Neuere Studien zur Einschätzung des UHI‐​Effekts auf Klimadaten in Südafrika konnte ich nicht finden. Durch »Homogenisierung« wird der Effekt auf umliegende Landgebiete verschmiert, so dass auch diese als wärmer werdend erscheinen. N Scafetta: Detection of non‐​climatic biases in land surface temperature records by comparing climatic data and their model simulations (Clim Dyn 56, 2959 – 2982 (2021). DOI 10.1007/s00382-021 – 05626‑x) schätzt den UHI‐​Effekt auf 15 – 25 Prozent der globalen Erwärmung seit 1940 – 1960.

44 JR RukemaI, BS Umubyey: Indigenous knowledge approach in maintaining a livelihood in the face of disastrous climate change: Case of drought in Msinga villages, KwaZulu‐​Natal. Jàmbá: Journal of Disaster Risk Studies Vol.11 n.1 Cape Town 2019, DOI 10.4102/jamba.v11i1.758

Bild: Jewgeni Wassiljewitsch Seduchin »Symphonie des sechsten Hochofens« 1979 (https://t.me/SocialRealm)

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