Sich mies beneh­men­de Mar­xis­ten: Über den Anti-Sta­li­nis­mus in der »Lin­ken«

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In der Theo­rie sind Mar­xis­ten Mate­ria­lis­ten. Mate­ria­lis­ten ent­schei­den auf der Grund­la­ge von Bewei­sen über die Wahr­heit oder Falsch­heit von Hypo­the­sen. Doch in Bezug auf Josef Sta­lin und die sowje­ti­sche Geschich­te wäh­rend sei­ner Regie­rungs­zeit sind vie­le Mar­xis­ten in Wirk­lich­keit Idea­lis­ten, die Bewei­se zuguns­ten ihrer vor­ge­fass­ten Mei­nun­gen igno­rie­ren. In die­sem Auf­satz geht es um die Not­wen­dig­keit von Objek­ti­vi­tät in der Geschichts­for­schung, um das dia­lek­ti­sche Ver­hält­nis von Pra­xis und Theo­rie und um sechs Begrif­fe, die für Idea­lis­mus und Anti­kom­mu­nis­mus in der pseu­do-mar­xis­ti­schen »Lin­ken« kenn­zeich­nend sind: Tota­li­ta­ris­mus; Sta­li­nis­mus; Sta­lin der »Dik­ta­tor«; »Der gro­ße Ter­ror«; der GULAG; Demo­kra­tie. Die anti­mar­xis­ti­sche Natur der trotz­kis­ti­schen Web­site Mar​xists​.org wird ent­larvt und kri­ti­siert. Der Auf­satz kommt zu dem Schluss, dass eine ech­te mar­xis­ti­sche Lin­ke die hier unter­such­ten Feh­ler zurück­wei­sen muss.1

Im Jahr 1843 schrieb Karl Marx in einem Brief an Arnold Ruge die­se Worte:

[…] so ist des­to gewis­ser, was wir gegen­wär­tig zu voll­brin­gen haben, ich mei­ne die rück­sichts­lo­se Kri­tik alles Bestehen­den, rück­sichts­los sowohl in dem Sin­ne, daß die Kri­tik sich nicht vor ihren Resul­ta­ten fürch­tet und eben­so­we­nig vor dem Kon­flik­te mit den vor­han­de­nen Mäch­ten.2

Mar­xis­ten müs­sen Mate­ria­lis­ten sein. Der dia­lek­ti­sche Mate­ria­lis­mus ist eine Wis­sen­schaft. Aber nur weni­ge Mar­xis­ten han­deln wie Mate­ria­lis­ten. Die meis­ten Mar­xis­ten »glau­ben« – sie glau­ben Chruscht­schow, sie glau­ben Gor­bat­schow, sie glau­ben Trotz­ki und sie glau­ben den west­li­chen anti­kom­mu­nis­ti­schen Aka­de­mi­kern, die über die sowje­ti­sche Geschich­te schreiben.

Objek­ti­vi­tät

Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, bei einer Unter­su­chung zur Wahr­heit zu gelan­gen, besteht dar­in, mit Objek­ti­vi­tät vor­zu­ge­hen. Ein Wis­sen­schaft­ler ver­sucht, objek­tiv zu sein, das heißt sei­ne eige­nen Vor­ur­tei­le zu hin­ter­fra­gen und nicht zuzu­las­sen, dass die­se Vor­ur­tei­le – die jeder Mensch besitzt – die Ergeb­nis­se sei­ner Ana­ly­se bestimmen.

Wir müs­sen eine Metho­de ent­wi­ckeln, um Bewei­se, die unse­re eige­nen Vor­ur­tei­le und vor­ge­fass­ten Mei­nun­gen unter­stüt­zen, mit beson­de­rer Skep­sis zu betrach­ten. Wir müs­sen auch alle Bewei­se, die unse­ren eige­nen Vor­ur­tei­len und vor­ge­fass­ten Mei­nun­gen wider­spre­chen, beson­ders groß­zü­gig berück­sich­ti­gen, denn sonst errei­chen wir das Gegenteil.

Unwei­ger­lich wer­den wir Bewei­se, die unse­re vor­ge­fass­ten Mei­nun­gen stüt­zen, beson­ders groß­zü­gig behan­deln und Bewei­se, die unse­re vor­ge­fass­ten Mei­nun­gen wider­le­gen, schnell zurück­wei­sen. Wir wer­den dem Bestä­ti­gungs­feh­ler [con­fir­ma­ti­on bias] ver­fal­len.3 Dann haben wir über­haupt kei­ne Chan­ce, die Wahr­heit zu ent­de­cken, denn selbst wenn wir über sie stol­pern, wer­den wir sie nicht erkennen.

Anti­kom­mu­nis­ten und Trotz­kis­ten kön­nen es sich nicht leis­ten, objek­tiv zu sein, weil die Bewei­se ihre Unwahr­hei­ten und Erfin­dun­gen nicht stüt­zen. Nur sehr weni­ge der aka­de­mi­schen Gelehr­ten, die über die sowje­ti­sche Geschich­te der Sta­lin­zeit schrei­ben, bemü­hen sich um Objektivität.

Pra­xis und Theorie

Lenin schrieb: »Ohne revo­lu­tio­nä­re Theo­rie kann es auch kei­ne revo­lu­tio­nä­re Bewe­gung geben«.4 Was aber macht eine Theo­rie wis­sen­schaft­lich und damit poten­zi­ell revo­lu­tio­när? Dass die Theo­rie durch ein genau­es Ver­ständ­nis der Welt geprüft wird, das durch die Pra­xis gewon­nen wird. Lenin ver­stand, dass die Pra­xis für die mar­xis­ti­sche Theo­rie uner­läss­lich ist:

In sei­ner Erwi­de­rung an Düh­ring, der die Marx­sche Dia­lek­tik angriff, führt Engels aus, daß Marx nie auch nur im Sin­ne gehabt habe, irgend etwas mit Hil­fe der Hegel­schen Tria­den »bewei­sen« zu wol­len, daß Marx bloß den tatäch­li­chen Pro­zeß stu­diert und erforscht habe und daß ihm als ein­zi­ges Kri­te­ri­um der Theo­rie ihre Über­ein­stim­mung mit der Wirk­lich­keit gegol­ten habe.5

Von der leben­di­gen Anschau­ung zum abs­trak­ten Den­ken und von die­sem zur Pra­xis – das ist der dia­lek­ti­sche Weg der Erkennt­nis der Wahr­heit, der Erkennt­nis der objek­ti­ven Rea­li­tät.6

[…] der Mensch [beweißt] durch sei­ne Pra­xis die objek­ti­ve Rich­tig­keit sei­ner Ideen, Begrif­fe, Kennt­nis­se, sei­ner Wis­sen­schaft […].7

Das Leben erzeugt das Gehirn. Im mensch­li­chen Gehirn wider­spie­gelt sich die Natur. Indem der Mensch die Rich­tig­keit die­ser Wider­spie­ge­lun­gen in sei­ner Pra­xis und in der Tech­nik über­prüft und anwen­det, gelangt er zur objek­ti­ven Wahr­heit. Die Wahr­heit ist ein Pro­zeß. Von der sub­jek­ti­ven Idee gelangt der Mensch zur objek­ti­ven Wahr­heit durch die ›Pra­xis‹ (und Tech­nik).8

Die Pra­xis ist höher als die (theo­re­ti­sche) Erkennt­nis, denn sie hat nicht nur die Wür­de des All­ge­mei­nen, son­dern auch der unmit­tel­ba­ren Wirk­lich­keit. 9

Die Ein­heit der theo­re­ti­schen Idee (der Erkennt­nis) und der Pra­xis – dies NB – und die­se Ein­heit gera­de in der Erkennt­nis­theo­rie […].10

Die Über­prü­fung durch die Tat­sa­chen resp. durch die Pra­xis fin­det hier bei jedem Schritt der Ana­ly­se statt.11

In dem Maße, wie mar­xis­ti­sche Theo­re­ti­ker von der Pra­xis getrennt sind, sind sie in Wirk­lich­keit gar kei­ne Marxisten.

Mar­xis­ten, die die Geschich­te – das heißt, die Pra­xis – des ers­ten sozia­lis­ti­schen Staa­tes, der UdSSR, wäh­rend sei­ner dyna­mischs­ten Peri­ode, näm­lich der »Stalin«-Periode von 1929 bis 1953, nicht ken­nen, die ihre Inter­pre­ta­ti­on der Sowjet­uni­on auf anti­kom­mu­nis­ti­sche Lügen stüt­zen, kön­nen nicht aus der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung der Ver­gan­gen­heit ler­nen, weil sie nicht wis­sen, was die Pra­xis die­ser Bewe­gung wirk­lich war. Sie haben unkri­tisch eine fal­sche und ver­leum­de­ri­sche Ver­si­on die­ser Pra­xis aus den Schrif­ten von Leo Trotz­ki, von Niki­ta Chruscht­schow und sei­nen ange­heu­er­ten Geschichts­lüg­nern, von Gor­bat­schow und des­sen ange­heu­er­ten Geschichts­lüg­nern sowie von west­li­chen anti­kom­mu­nis­ti­schen Schrift­stel­lern und Aka­de­mi­kern übernommen.

Sol­che selbst­er­nann­ten »Mar­xis­ten« rich­ten Scha­den an, indem sie den Sta­tus eines »Mar­xis­ten« oder »Kom­mu­nis­ten« für sich bean­spru­chen, wäh­rend sie inner­halb der Lin­ken Unwahr­hei­ten über die sowje­ti­sche Geschich­te ver­brei­ten. Damit füh­ren sie jün­ge­re oder nai­ve Men­schen, die, ange­wi­dert vom Kapi­ta­lis­mus, ler­nen wol­len, wie man für den Kom­mu­nis­mus kämpft, auf fata­le Wei­se in die Irre.

In einer Rezen­si­on von Phil Sla­ters Ori­gin and Signi­fi­can­ce of the Frank­furt School (Ursprung und Bedeu­tung der Frank­fur­ter Schu­le) schrieb Ter­ry Eagleton:

Als Mar­xist legt Sla­ter den Fin­ger genau auf die zen­tra­le, ver­hee­ren­de Unfä­hig­keit der gesam­ten [Frank­fur­ter] Schu­le: ihre chro­ni­sche Unfä­hig­keit, ihre Theo­rien in eine pro­duk­ti­ve Bezie­hung zur poli­ti­schen Pra­xis zu brin­gen.12

Das gilt für alle Trotz­kis­ten, denn ihr Geschichts­ver­ständ­nis beruht auf dem »Glau­ben« an anti­kom­mu­nis­ti­sche Lügen über Sta­lin und die UdSSR sei­ner Zeit und auf ihrer Hin­ga­be an das, was einem Kult um Leo Trotz­ki gleichkommt.

Sechs Wor­te

In den Jah­ren, in denen ich mich mit der sowje­ti­schen Geschich­te der Sta­lin­zeit befasst habe, bin ich auf eine Rei­he fal­scher Kon­zep­te gesto­ßen, die die nicht objek­ti­ve, nicht wis­sen­schaft­li­che For­schung auf die­sem Gebiet kenn­zeich­nen. Eini­ge davon sind in der Tat unehr­lich, ande­re jedoch schlicht­weg fehl­ge­lei­tet. Ich wer­de hier auf sechs der wich­tigs­ten Unwahr­hei­ten ein­ge­hen. Sie lau­ten: »Tota­li­ta­ris­mus«, »Sta­li­nis­mus«, »Dik­ta­tor«, »Ter­ror«, der »GULAG« und »Demo­kra­tie«.13

1. »Tota­li­ta­ris­mus«

Der Begriff »tota­li­tär« wird im Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry (OED) wie folgt definiert:

Bezieht sich auf ein Regie­rungs­sys­tem, das nur eine poli­ti­sche Par­tei dul­det, der alle ande­ren Insti­tu­tio­nen unter­ge­ord­net sind und das in der Regel die voll­stän­di­ge Unter­ord­nung des Ein­zel­nen unter den Staat ver­langt.14

Die OED-Zita­te zei­gen, dass der Begriff auf das Chris­ten­tum, den ita­lie­ni­schen Faschis­mus und den »tota­len« Krieg ange­wen­det wur­de. Aber er wird auch seit lan­gem von Anti­kom­mu­nis­ten ver­wen­det, um zu behaup­ten, der Kom­mu­nis­mus sei dem Faschis­mus ähnlich.

Juri Fjelscht­in­s­kij und Geor­gii Tscher­niavs­kij, sehr pro-trotz­kis­ti­sche und sehr stal­in­feind­li­che Schrift­stel­ler, sind die Autoren der neu­es­ten umfas­sen­den fünf­bän­di­gen Bio­gra­phie Trotz­kis in rus­si­scher Spra­che. Ihnen zufol­ge war Trotz­ki der ers­te, der den Begriff »tota­li­tär« in Bezug auf Sta­lin verwendete.

Trotz­ki … war der ers­te Autor, der die Sta­lin­zeit in das all­ge­mei­ne The­ma des Tota­li­ta­ris­mus ein­be­zog und, was für einen Kom­mu­nis­ten bei­spiel­los war, so weit ging, dass er drei Dik­ta­to­ren mit­ein­an­der ver­glich: den bol­sche­wis­ti­schen Füh­rer Sta­lin mit dem faschis­ti­schen Duce Mus­so­li­ni und dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Füh­rer Hitler.

… im Voka­bu­lar Trotz­kis und im Buch ›Sta­lin‹ wur­de der Begriff ›tota­li­tä­re Macht‹ ein­ge­führt, um das Wesen der poli­ti­schen Herr­schaft Sta­lins zu bezeich­nen.15

Im poli­ti­schen Sprach­ge­brauch seit Trotz­ki wur­de der Begriff ver­wen­det, um die Sowjet­uni­on mit Nazi­deutsch­land in einen Topf zu wer­fen und so die Tat­sa­che zu ver­wi­schen, dass Hit­ler ein Kapi­ta­list, Impe­ria­list und Anti­kom­mu­nist war, der den west­li­chen Alli­ier­ten ähn­li­cher war als unterschiedlicher.

Und hier ist das trotz­kis­ti­sche Mar​xists​.org: »Sta­lins Regime ist wahr­schein­lich das effek­tivs­te tota­li­tä­re Regime der Geschich­te …«16

2. »Sta­li­nis­mus«

So wie Leo Trotz­ki der ers­te war, der den Begriff »tota­li­tär« auf die UdSSR wäh­rend der Zeit von Sta­lins Füh­rung anwen­de­te, war er auch der ers­te, der den Begriff »Sta­li­nis­mus« ver­wen­de­te. Das Oxford Eng­lish Dic­tion­a­ry iden­ti­fi­ziert die ers­te Ver­wen­dung des Wor­tes »Sta­li­nis­mus« in der eng­li­schen Spra­che: »1927 Dai­ly Tel.22 Nov. 10/3A hef­ti­ge Anpran­ge­rung des ›Sta­li­nis­mus‹ und sei­ner ›Ter­ro­ri­sie­rung der Partei‹.«

Dies ist ein Ver­weis auf einen Arti­kel über die Akti­vi­tä­ten von Trotz­ki und ande­ren Oppo­si­tio­nel­len wäh­rend und nach den Fei­er­lich­kei­ten zum 10. Jah­res­tag der bol­sche­wis­ti­schen Revo­lu­ti­on am 7. Novem­ber 1927. Die Anfüh­rungs­zei­chen wei­sen dar­auf hin, dass die Zei­tung die Oppo­si­tio­nel­len zitiert.

Die trotz­kis­ti­sche Web­site Mar​xists​.org schließt sich offen pro-kapi­ta­lis­ti­schen Autoren an und erklärt: »Der Sta­li­nis­mus dau­er­te län­ger und war tota­ler als der Faschis­mus. Aber Faschis­mus und Sta­li­nis­mus hat­ten gemein­sam, dass sie sich auf abso­lu­ten Ter­ror stütz­ten …«17

Mar​xists​.org erkennt an, dass der Begriff »Sta­li­nis­mus« kei­ne fes­te Bedeu­tung hat:

… an die Kern­de­fi­ni­ti­on des ›Sta­li­nis­mus‹ her­an­zu­kom­men [ist] schwie­rig, aber nicht unmög­lich.18

Die poli­ti­schen Grund­sät­ze des Sta­li­nis­mus beru­hen auf der Theo­rie des Sozia­lis­mus in einem Land, die von Sta­lin ent­wi­ckelt wur­de, um der bol­sche­wis­ti­schen Theo­rie ent­ge­gen­zu­wir­ken, dass das Über­le­ben der rus­si­schen Revo­lu­ti­on von pro­le­ta­ri­schen Revo­lu­tio­nen in Euro­pa abhängt. Im Gegen­satz dazu besagt die sta­li­nis­ti­sche Theo­rie, dass eine sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft inner­halb eines ein­zi­gen Lan­des erreicht wer­den kann.19

Dies ist falsch. Mar​xists​.org fährt fort [Her­vor­he­bung von mir]:

Im April 1924 hat­te Sta­lin in der ers­ten Auf­la­ge sei­nes Buches Grund­la­gen des Leni­nis­mus die Idee, dass der Sozia­lis­mus in einem ein­zi­gen Land auf­ge­baut wer­den kann, aus­drück­lich abge­lehnt. Er schrieb: ›Bedeu­tet das aber, dass es [das Pro­le­ta­ri­at] damit schon den voll­stän­di­gen, end­gül­ti­gen Sieg des Sozia­lis­mus errei­chen wird, das heißt, bedeu­tet es, dass das Pro­le­ta­ri­at mit den Kräf­ten eines Lan­des allein end­gül­tig den Sozia­lis­mus ver­an­kern und das Land gegen die Inter­ven­ti­on und folg­lich auch gegen eine Restau­ra­ti­on völ­lig sichern kann? Nein, das bedeu­tet es nicht.‹20

Im Novem­ber 1926 hat­te Sta­lin die Geschich­te völ­lig revi­diert, indem er fest­stell­te: ›Die Par­tei ist stets davon aus­ge­gan­gen, dass der Sieg des Sozia­lis­mus in einem Lan­de … mit den Kräf­ten eines Lan­des gelöst wer­den kann.21 (Eben­da)

Man beach­te, dass Sta­lin in die­sem letz­ten Zitat vom »Sieg des Sozia­lis­mus« sprach, nicht vom »end­gül­ti­gen Sieg des Sozia­lis­mus« wie in dem Zitat von 1924.

Damit dies nicht als »Haar­spal­te­rei« erscheint, sei hier als Bei­spiel für mei­ne eige­ne Vor­ein­ge­nom­men­heit ange­merkt, dass im Kur­zen Lehr­gang, der 1938 auf Rus­sisch und 1939 auf Eng­lisch ver­öf­fent­licht wur­de, fol­gen­des zu lesen ist [Her­vor­he­bung von mir]:

der Sieg des Sozia­lis­mus in der Sowjet­uni­on, der sei­nen Aus­druck fin­det in der Besei­ti­gung des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems und in der Errich­tung des sozia­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems, den­noch nicht als end­gül­ti­ger Sieg betrach­tet wer­den kann22

Die Autoren von Mar​xists​.org haben die­sen Text in ihre Web­site auf­ge­nom­men, aber sie igno­rie­ren ihn. Ent­we­der täu­schen sie ihre Leser absicht­lich oder dies ist ein Bei­spiel für ihre eige­ne Vor­ein­ge­nom­men­heit. Ihre Schluss­fol­ge­rung, dass Sta­lin »die bol­sche­wis­ti­sche Theo­rie, dass das Über­le­ben der rus­si­schen Revo­lu­ti­on von pro­le­ta­ri­schen Revo­lu­tio­nen in Euro­pa abhing«, auf­ge­ge­ben habe, ist daher ungül­tig und eher ein Zei­chen von Vor­ur­tei­len als von Objektivität.

In dem Arti­kel von Mar​xists​.org wird behaup­tet, Lenin habe die Idee des »Sozia­lis­mus in einem Land« abge­lehnt. Auch dies ist falsch. In Wirk­lich­keit hat Lenin klar gesagt, dass der Sozia­lis­mus in einem Land erreicht wer­den kann.

Die Ungleich­mäs­sig­keit der öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Ent­wick­lung ist ein unbe­ding­tes Gesetz des Kapi­ta­lis­mus. Hier­aus folgt, dass der Sieg des Sozia­lis­mus zunächst in weni­gen kapi­ta­lis­ti­schen Län­dern oder sogar in einem ein­zeln genom­me­nen Lan­de mög­lich ist. (»Über die Losung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Euro­pa«)23

Die Ent­wick­lung des Kapi­ta­lis­mus geht höchst ungleich­mä­ßig in den ver­schie­de­nen Län­dern vor sich. Das kann nicht anders sein bei der Waren­pro­duk­ti­on. Dar­aus die unver­meid­li­che Schluß­fol­ge­rung: Der Sozia­lis­mus kann nicht gleich­zei­tig in allen Län­dern sie­gen. Er wird zuerst in einem oder eini­gen Län­dern sie­gen, ande­re wer­den für eine gewis­se Zeit bür­ger­lich oder vor­bür­ger­lich blei­ben. (»Das Mili­tär­pro­gramm der pro­le­ta­ri­schen Revo­lu­ti­on«)24

In der Tat, die Ver­fü­gungs­ge­walt des Staa­tes über alle gro­ßen Pro­duk­ti­ons­mit­tel, die Staats­macht in den Hän­den des Pro­le­ta­ri­ats, das Bünd­nis die­ses Pro­le­ta­ri­ats mit den vie­len Mil­lio­nen Klein- und Zwerg­bau­ern, die Siche­rung der Füh­rer­stel­lung die­ses Pro­le­ta­ri­ats gegen­über der Bau­ern­schaft usw. … ist das nicht alles, was not­wen­dig ist, um die voll­ende­te sozia­lis­ti­sche Gesell­schaft zu errich­ten? Das ist noch nicht die Errich­tung der sozia­lis­ti­schen Gesell­schaft, aber es ist alles, was zu die­ser Errich­tung not­wen­dig und hin­rei­chend ist. (»Über das Genos­sen­schafts­we­sen«)25

Die­se Lenin-Zita­te und die Wer­ke, denen sie ent­nom­men sind, befin­den sich alle auf der Web­site Mar​xists​.org. Die Mar​xist​.org-Autoren haben Zugang zu all die­sen Zita­ten, aber ihr Anti-Sta­lin-Para­dig­ma wirkt wie ein Hin­der­nis, das sie davon abhält, die­se Tex­te in ihr Den­ken zu inte­grie­ren – vor­aus­ge­setzt, sie sind nicht absicht­lich unehrlich.

Sie soll­ten wis­sen, dass Lenin die Theo­rie des »Sozia­lis­mus in einem Land« unter­stütz­te und dass es Sta­lin und nicht Trotz­ki war, der in die­ser Hin­sicht Lenins Theo­rie folg­te. Ein­mal mehr sind die Autoren von Mar​xist​.org ent­we­der Opfer ihrer eige­nen Vor­ein­ge­nom­men­heit oder sie belü­gen ihre Leser absichtlich.

Stüt­zen sich die Autoren von Mar​xists​.org auf irgend­wel­che Bewei­se? Nun, Trotz­ki behaup­te­te, dass Lenin die Idee des »Sozia­lis­mus in einem Land« ablehn­te. Das ist alles! Nur eine Behaup­tung Trotz­kis, die aus­reicht, um ihre bereits bestehen­den Vor­ur­tei­le gegen Sta­lin zu bestä­ti­gen. Die­se neh­men dabei die Form an, dass »der Sta­li­nis­mus die Grund­la­gen des Mar­xis­mus und Leni­nis­mus ent­wur­zelt hat«.

In Wirk­lich­keit war es Trotz­ki, nicht Sta­lin, der den Leni­nis­mus »ent­wur­zelt« hat­te, wenn man bedenkt, dass Lenin den »Sozia­lis­mus in einem Land« befür­wor­te­te! Die meis­ten Leser von Mar​xists​.org wis­sen wenig oder gar nichts über die sowje­ti­sche Geschich­te und sind daher anfäl­lig für Anti-Sta­lin- und Pro-Trotzki-Fälschungen.

Natür­lich soll­ten Lenins Schrif­ten nicht ver­ehrt und als feh­ler­frei ange­se­hen wer­den. In die­sem Fall ver­sucht Mar​xists​.org, Lenins Schrif­ten für eine unred­li­che Ankla­ge gegen Sta­lin zu verwenden.

3. »Sta­lin der Diktator«

Es gibt vie­le Bewei­se dafür, dass Sta­lin kein Dik­ta­tor war und kei­ne Bewei­se dafür, dass er einer war. Im Jahr 2004 ver­öf­fent­lich­te Ste­phen Wheat­croft, ein füh­ren­der aka­de­mi­scher Spe­zia­list für die Sta­lin­zeit, einen Arti­kel mit dem Titel »From Team-Sta­lin to Dege­ne­ra­te Tyran­ny« (Vom Team-Sta­lin zur ent­ar­te­ten Tyran­nei).26 Der gesam­te Arti­kel von Wheat­croft bezieht sich auf Sta­lins Hin­ga­be an die kol­lek­ti­ve Führung.

Das Sys­tem wur­de von Sta­lin domi­niert, aber trotz des popu­lä­ren Bil­des des Dik­ta­tors, der ande­ren sei­nen Wil­len auf­zwingt, zei­gen die Auf­zeich­nun­gen sei­ner pri­va­ten Tref­fen, dass Sta­lin in den 1930er und frü­hen 1940er Jah­ren einen sehr brei­ten Bekann­ten­kreis hat­te und viel Zeit damit ver­brach­te, sich mit ande­ren zu tref­fen und mit ihnen zu arbei­ten … Sein Arbeits­stil war eher der eines Arbeits­kol­lek­tivs oder Redak­ti­ons­teams als der eines ›Ein­zel­gän­gers‹.27

In einer Rezen­si­on des Ban­des, in dem Wheat­crofts Auf­satz erscheint, kommt Gabor T. Rit­ter­sporn zu dem Schluss:

… man kann auch der Bemer­kung von Rees zustim­men, dass letzt­end­lich kaum eine Regie­rung den Stan­dards der kol­lek­ti­ven Ent­schei­dungs­fin­dung gerecht wird, selbst in demo­kra­ti­schen Staa­ten und dass die­ser Umstand berück­sich­tigt wer­den muss, wenn man über das sowje­ti­sche Sys­tem schreibt.28

Aber Moment mal – was ist mit dem Teil »dege­ne­rier­te Tyran­nei«? Das wird erst in den letz­ten Sät­zen erwähnt, ohne dass es einen Beweis dafür gibt. Wheat­croft been­det sei­nen Arti­kel folgendermaßen:

Aber gleich­zei­tig wur­de er [Sta­lin] mit die­ser Abhän­gig­keit immer unzu­frie­de­ner und begann, unbe­re­chen­ba­re und tyran­ni­sche Ent­schei­dun­gen zu tref­fen.29

Wel­che Ent­schei­dun­gen? Im Jahr 2004 konn­te Wheat­croft nicht einen ein­zi­gen Akt der »Dik­ta­tur« oder »Tyran­nei« Sta­lins fest­stel­len! Und auch heu­te kann dies nie­mand tun.

In einem gehei­men Bericht vom 2. März 1955 erklär­te die U.S. Cen­tral Intel­li­gence Agency:

Selbst zu Sta­lins Zei­ten gab es eine kol­lek­ti­ve Füh­rung. Die west­li­che Vor­stel­lung von einem Dik­ta­tor inner­halb des kom­mu­nis­ti­schen Sys­tems ist über­trie­ben. Die Miss­ver­ständ­nis­se zu die­sem The­ma beru­hen auf einem man­geln­den Ver­ständ­nis der tat­säch­li­chen Natur und Orga­ni­sa­ti­on der kom­mu­nis­ti­schen Macht­struk­tur. Sta­lin hat­te zwar weit­rei­chen­de Befug­nis­se, war aber nur der Kapi­tän einer Mann­schaft und es ist offen­sicht­lich, dass Chruscht­schow der neue Kapi­tän sein wird.30

In sei­ner berüch­tig­ten »Geheim­re­de« vor dem XX. Par­tei­tag am 25. Febru­ar 1956 stell­te Chruscht­schow eine Rei­he von Behaup­tun­gen über selt­sa­me Ent­schei­dun­gen auf, die Sta­lin angeb­lich in sei­nen letz­ten Lebens­jah­ren traf. In mei­nem Buch Chruscht­schows Lügen habe ich gezeigt, dass alle die­se Behaup­tun­gen Chruscht­schows in die­ser Rede falsch sind (bis auf eine, die ich weder als wahr noch als falsch bewei­sen kann).31

Es gab eini­ge Ver­su­che west­li­cher anti­kom­mu­nis­ti­scher »Gelehr­ter« zu behaup­ten, Sta­lin sei ein »Dik­ta­tor« gewe­sen. Alle stüt­zen sich auf die Behaup­tung, dass die Ange­klag­ten des Mos­kau­er Pro­zes­ses unschul­dig waren, dass die Hun­gers­not von 1932 – 33 durch die Kol­lek­ti­vie­rung ver­ur­sacht wur­de, wenn sie nicht sogar von Sta­lin gewollt war sowie, dass die Ange­klag­ten der Tuk­ha­chevs­ky-Affä­re unschul­dig waren und dass der »Gro­ße Ter­ror« – auf den wei­ter unten noch ein­ge­gan­gen wird – tat­säch­lich von Sta­lin geplant wurde.

Nichts davon ist wahr, wie ich in den letz­ten zehn Jah­ren in mei­nen Büchern und Arti­keln anhand von Pri­mär­quel­len gezeigt habe. Aber auf dem poli­tisch auf­ge­la­de­nen Gebiet der sowje­ti­schen Geschich­te ist es obli­ga­to­risch, Sta­lin einen »Dik­ta­tor« zu nennen.

4. »Der Gro­ße Terror«

Ein genaue­rer Begriff, der vor allem in Russ­land ver­wen­det wird, ist »Jeschowscht­schi­na« – »die schlim­me Jeschow­zeit«. Der Begriff »Gro­ßer Ter­ror« wur­de vom anti­kom­mu­nis­ti­schen bri­ti­schen Geheim­dienst­agen­ten und Pro­pa­gan­dis­ten32 Robert Con­quest erfun­den, der ihn auf prak­tisch die gesam­te sowje­ti­sche Geschich­te der 1930er Jah­re anwand­te.33 Nur weni­ge Main­stream-His­to­ri­ker der Sta­lin­zeit haben es gewagt ihn zurück­zu­wei­sen. Er impli­ziert irre­füh­ren­der­wei­se, genau wie die trotz­kis­ti­sche Web­site Mar​xist​.org fälsch­li­cher­wei­se behaup­tet, dass die UdSSR durch »abso­lu­ten Ter­ror« regiert wurde.

Unter die­ser Über­schrift zitiert Mar​xists​.org eine Lis­te von wert­lo­sem anti­kom­mu­nis­ti­schem Mate­ri­al aus den 1930er Jah­ren sowie Trotz­kis eige­ne Lügen.34 Sie begin­nen mit den fol­gen­den klein­ge­druck­ten Worten:

Sta­tis­ti­ken auf der Grund­la­ge von Archiv­quel­len, aber den­noch unge­fäh­re Zahlen:

  • Hin­ge­rich­tet (1930 – 53): 786.098
  • Inhaf­tier­te: 3,5 Millionen
  • Tod in Haft und Exil: 2 Millionen

3,5 Mil­lio­nen »Inhaf­tier­te« für den Zeit­raum 1930 – 1953. Für 24 Jah­re ist das eine klei­ne Zahl. In den USA sind heu­te mehr als 2 Mil­lio­nen Men­schen inhaf­tiert. Aber Russ­land und die UdSSR erleb­ten in die­sen Jah­ren Kata­stro­phen, die in der ame­ri­ka­ni­schen Geschich­te kei­ne Par­al­le­le haben: Der Ers­te Welt­krieg; der Bür­ger­krieg 1918 – 1921; vier Hun­gers­nö­te allein in den 1920er Jah­ren; die ver­hee­ren­de Hun­gers­not von 1932 – 33; die Ver­schwö­run­gen der 1930er Jah­re; der Zwei­te Weltkrieg.

Der Begriff »Tod im Gefäng­nis und im Exil« ist irre­füh­rend. Sech­zig Pro­zent der Gefan­ge­nen, die im GULAG star­ben, ver­lo­ren ihr Leben wäh­rend der gro­ßen Hun­gers­not von 1932 – 33 oder wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs von 1942 – 44.

Wäh­rend die­ser Zei­ten star­ben auch sehr vie­le Sowjet­bür­ger vor­zei­tig. Ein Bei­spiel: Wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs erkrank­ten und ver­hun­ger­ten sowje­ti­sche Arbei­ter an ihrem Arbeits­platz, weit ent­fernt von jeg­li­chen Kampfhandlungen.

Die hohe Arbeits­in­ten­si­tät in der Fabrik und die unzu­rei­chen­de Ver­pfle­gung machen es drin­gend erfor­der­lich, dass [die Arbei­ter ihren recht­mä­ßi­gen frei­en Tag erhal­ten], wie die Häu­fig­keit zeigt, mit der die Arbei­ter direkt an der Arbeit an Aus­zeh­rung ster­ben. An man­chen Tagen sieht man meh­re­re Lei­chen in den Werk­stät­ten. In den bei­den Mona­ten Dezem­ber 1942 und Janu­ar 1943 wur­den allein in den Werk­hal­len 16 Lei­chen gezählt. Bei den an Aus­zeh­rung Ver­stor­be­nen han­delt es sich haupt­säch­lich um Arbei­ter, die manu­el­le Arbei­ten ver­rich­ten. (Schlia­jew, Ober­staats­an­walt der Pro­vinz Tschel­ja­b­insk, an Bochkov, Gene­ral­staats­an­walt der UdSSR, 29. März 1943)

Dies ist einem Arti­kel von Donald Filt­zer ent­nom­men, »Star­va­ti­on Mor­ta­li­ty in Soviet Home Front Indus­tri­al Regi­ons During World War II« (Hun­ger­sterb­lich­keit in den sowje­ti­schen Indus­trie­re­gio­nen an der Hei­mat­front wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs).35 Filt­zer ist ein kon­ven­tio­nell-anti­kom­mu­nis­ti­scher Wis­sen­schaft­ler, der sich auf die Unter­su­chung der sowje­ti­schen Arbei­ter­klas­se spe­zia­li­siert hat. Er erklärt:

In den Jah­ren 1943 und 1944 waren Hun­ger und Tuber­ku­lo­se – eine in der UdSSR ende­mi­sche und vor allem auf aku­te Unter­ernäh­rung ansprin­gen­de Krank­heit – die häu­figs­te Todes­ur­sa­che bei der Zivil­be­völ­ke­rung ohne Kinder.

Filt­zer fährt fort:

Die UdSSR ver­füg­te nicht über genü­gend Nah­rungs­mit­tel, um sowohl das Mili­tär als auch die Zivil­be­völ­ke­rung zu ernäh­ren, selbst als die Lend-Lea­se-Nah­rungs­mit­tel­hil­fe ein­traf. Der Staat muss­te daher eine knall­har­te Rech­nung auf­stel­len und ent­schei­den, wie er sei­ne begrenz­ten Res­sour­cen am effi­zi­en­tes­ten ein­set­zen konn­te, das heißt wie vie­le Kalo­rien und Gramm Eiweiß er den ver­schie­de­nen Grup­pen zutei­len konn­te. Unter die­sen Umstän­den war es unver­meid­lich, dass eini­ge Men­schen nicht genug zu essen beka­men und vie­le ster­ben muss­ten. Unab­hän­gig davon, wel­ches Regime in der UdSSR an der Macht gewe­sen wäre – ob sta­li­nis­tisch, trotz­kis­tisch, men­sche­wis­tisch oder kapi­ta­lis­tisch – es hät­te vor den­sel­ben Ent­schei­dun­gen gestan­den.36

Ein neue­res Buch von Filt­zer und Gold­man ist Fort­ress Dark and Stern. The Soviet Home Front during World War II (Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2021). Auf der Grund­la­ge von Pri­mär­quel­len-Doku­men­ta­tio­nen der sowje­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen, die wäh­rend des Krie­ges für den Trans­port, die Unter­brin­gung, die Arbeit und die Ver­tei­lung von Lebens­mit­teln zustän­dig waren, ist es ein wahr­haft erschüt­tern­der Bericht über das mas­si­ve Lei­den, den Hun­ger, die Krank­hei­ten und den Hun­ger unter der zivi­len Arbei­ter­klas­se, die ange­sichts all die­ser Ent­beh­run­gen und unter der Füh­rung der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei die Fabri­ken in Bewe­gung setz­te und wie­der zusam­men­bau­te, die Maschi­nen besetz­te und die Fahr­zeu­ge, Waf­fen, Muni­ti­on, Klei­dung und Lebens­mit­tel pro­du­zier­te, ohne die die Rote Armee die faschis­ti­schen Inva­so­ren und Mas­sen­mör­der nicht hät­te zer­schla­gen können.

Für die Ver­haf­te­ten und Inhaf­tier­ten kön­nen wir uns an Arka­dij Rog­in­s­kij wen­den. Er war der Grün­der der »Memo­ri­al Socie­ty«, einer stark anti­kom­mu­nis­ti­schen Grup­pe, die sich selbst als »Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on« bezeich­net. Sie wird von west­li­chen Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen finan­ziert und hat ein wider­sprüch­li­ches Ver­hält­nis zur rus­si­schen Regie­rung, die ihr einen pri­vi­le­gier­ten Zugang zu vie­len Mate­ria­li­en gewährt, ihn aber gleich­zei­tig zu beschrän­ken ver­sucht (im April 2022 wur­de Memo­ri­al in Russ­land geschlossen).

So äußer­te sich der 2014 ver­stor­be­ne Rog­in­s­kij in einem Inter­view über den soge­nann­ten »Ter­ror«:

In den frü­hen 90er Jah­ren habe ich eine Men­ge Sta­tis­ti­ken über den sowje­ti­schen Ter­ror erstellt. Ich stu­dier­te eine rie­si­ge Anzahl von Berichts­blät­tern über den Ter­ror für alle Jah­re, aus ver­schie­de­nen Regio­nen der Sowjet­uni­on. Die Sta­tis­tik, die wir haben, beginnt 1921, bis 1921 blie­ben nur Frag­men­te übrig. Und seit 1921 – rie­si­ge Ord­ner. Im Jahr 1994 habe ich alles stu­diert, alles tran­skri­biert und weg­ge­legt. Spä­ter soll­te es ver­öf­fent­licht wer­den. Ich sah mir die Zah­len an, die ich erhal­ten hatte…

Es gibt Leu­te um mich her­um in der Außen­welt, deren Mei­nung für mich wich­tig ist: Es gibt die tra­di­tio­nel­le intel­lek­tu­el­le öffent­li­che Mei­nung, aber vor allem die Mei­nung der ehe­ma­li­gen Häft­lin­ge, die 1994 noch sehr leben­dig waren. Und sie bezif­fer­ten unse­re Opfer in der gesam­ten Geschich­te des Ter­rors mit abso­lut unvor­stell­ba­ren Zah­len, mit zwei­stel­li­gen Millionenbeträgen.

Doch nach mei­nen Berech­nun­gen wur­den in der gesam­ten Geschich­te der Sowjet­macht, von 1918 bis 1987 (die letz­ten Ver­haf­tun­gen erfolg­ten Anfang 1987), nach den erhal­te­nen Doku­men­ten sie­ben Mil­lio­nen ein­hun­dert­tau­send Men­schen im gan­zen Land von den Sicher­heits­or­ga­nen ver­haf­tet. Dabei wur­den vie­le von ihnen nicht nur wegen poli­ti­scher Ver­bre­chen ver­haf­tet. Ja, sie wur­den von den Sicher­heits­be­hör­den ver­haf­tet, aber die Sicher­heits­be­hör­den ver­haf­te­ten auch Men­schen wegen Ban­di­ten­tum, Schmug­gel und Fäl­schung. Und wegen vie­ler ande­rer »all­ge­mei­ner« Verbrechen…

Und hier ist die end­gül­ti­ge Zahl: sie­ben Mil­lio­nen. Die­se Zahl bezieht sich auf die gesam­te Geschich­te der Sowjetmacht.

Was kann man dage­gen tun? Die öffent­li­che Mei­nung sagt, dass wir allein für die Jah­re 1937 – 1939 fast 12 Mil­lio­nen Ver­haf­te­te haben. Und ich gehö­re zu die­ser Gesell­schaft, ich lebe unter die­sen Men­schen, ich bin ein Teil von ihnen. Nicht der Teil der Sowjet­re­gie­rung, nicht der Teil der rus­si­schen Demo­kra­tie, son­dern die­se Men­schen. Ich war mir nur sicher, dass man mir ers­tens nicht glau­ben wür­de. Und zwei­tens wür­de es für den Kreis, dem ich mich zuge­hö­rig füh­le, bedeu­ten, dass alles, was man uns bis­her über die von uns Men­schen durch­aus respek­tier­ten Zah­len gesagt hat, nicht stimmt.

Also habe ich alle mei­ne Berech­nun­gen bei­sei­te gelegt. Für eine lan­ge Zeit. Nach Jah­ren könn­te es mög­lich sein, sie zu ver­öf­fent­li­chen. Aber nicht jetzt. Spä­ter!37

Die­ser pro­mi­nen­te Anti­sta­li­nist stimm­te zu, dass Anti­kom­mu­nis­ten wie er selbst – »sei­ne Leu­te« – die Ver­haf­tun­gen durch die OGPU-NKVD weit über­schätzt haben. Aber sei­ne Berech­nung ist immer noch unvollständig.

  • Rog­in­s­kij ver­säum­te es hin­zu­zu­fü­gen, dass 7,1 Mil­lio­nen Ver­haf­tungs­ak­ten nicht 7,1 Mil­lio­nen ver­schie­de­ne Per­so­nen bedeu­ten: Vie­le Per­so­nen wur­den mehr als ein­mal oder unter zwei oder mehr Iden­ti­tä­ten ver­haf­tet. Die tat­säch­li­che Zahl der ver­haf­te­ten Per­so­nen – nicht ver­ur­teilt, nicht inhaf­tiert, hin­ge­rich­tet und so wei­ter, son­dern ver­haf­tet – muss viel nied­ri­ger sein als 7,1 Mil­lio­nen. Und dies über einen Zeit­raum von 67 Jah­ren – 1921 bis 1987.
  • Rog­in­s­kij ver­säum­te es, die mehr als eine Mil­li­on Ver­haf­tun­gen durch Niko­lai Jeschow und sei­ne Scher­gen im Zuge ihrer anti­so­wje­ti­schen Ver­schwö­rung her­aus­zu­rech­nen. Im Jahr 1939, dem ers­ten Jahr, in dem Law­ren­tij Beria das NKWD nach Jeschow lei­te­te, wur­den min­des­tens 110.000 Per­so­nen frei­ge­las­sen, die von Jeschow und sei­nen Scher­gen zu Unrecht ver­haf­tet wor­den waren.38

Die »Exil«-Zahl von Mar​xists​.org impli­ziert, dass die­se Per­so­nen star­ben, weil sie im Exil waren. In Wirk­lich­keit bedeu­tet dies ein­fach, dass die Men­schen – haupt­säch­lich ehe­ma­li­ge Kula­ken und ihre Fami­li­en, aber auch Anti­kom­mu­nis­ten – schließ­lich an den Orten star­ben, an die sie ver­bannt wor­den waren, nor­ma­ler­wei­se um in Kol­cho­sen zu arbei­ten (»Exil« bedeu­te­te nicht die Ein­wei­sung in ein Arbeits­la­ger). Es han­del­te sich dabei um natür­li­che Todes­fäl­le, die auf Alter, Krank­hei­ten, Hun­gers­nö­te und den Krieg zurück­zu­füh­ren waren, also auf Ursa­chen, die eine gro­ße Zahl von Sowjet­bür­gern töteten.

Was die Hin­rich­tun­gen anbe­langt, so erge­ben sich aus dem Chruscht­schow im Dezem­ber 1953 vor­ge­leg­ten »Paw­low-Bericht«39 und den jüngs­ten Nach­for­schun­gen von Oleg W. Mozochin40, einem Exper­ten für die NKWD-Archi­ve, fol­gen­de Zah­len für die Hin­rich­tun­gen in den Jah­ren 1936 bis 1939:

  • 1936: 1118
  • 1937: 353,074
  • 1938: 328,618
  • 1939: 2552/2601 (Pawlow/​Mozochin)
  • 1940:1649/1863 (Pawlow/​Mozochin)

Die Gesamt­zahl für 1937 – 1938 beträgt 681.692 oder 86,7 Pro­zent der ins­ge­samt 786.098 Hin­rich­tun­gen zwi­schen 1930 und 1953. Man beach­te, dass in den Jah­ren 1939 und 1940, Beri­as ers­tem und zwei­tem Jahr als Lei­ter des NKWD, die Zahl der Hin­rich­tun­gen weni­ger als ein Pro­zent der Zahl der von Jeschow in den Jah­ren 1937 bis 1938 Getö­te­ten betrug. Vie­le von ihnen waren Jeschows Hand­lan­ger, die die Mas­sen­mor­de began­gen hat­ten – und natür­lich Jeschow selbst, der für sei­ne unge­heu­er­li­chen Ver­bre­chen am 4. Febru­ar 1940 vor Gericht gestellt und hin­ge­rich­tet wurde.

Da die meis­ten Hin­rich­tun­gen wäh­rend der Jeschowscht­schi­na statt­fan­den, die Sta­lin ablehn­te, als er von ihr erfuhr41, soll­ten wir kurz dar­auf ein­ge­hen, was in den Jah­ren 1937 – 1938 geschah. Niko­lai Jeschow, Kom­mis­sar (Lei­ter) des Kom­mis­sa­ri­ats für inne­re Ange­le­gen­hei­ten42 oder NKWD, töte­te so vie­le Men­schen wie mög­lich, um Wut und Unmut in der sowje­ti­schen Bevöl­ke­rung zu schü­ren. Sein Plan war es, die Macht in der UdSSR an sich zu rei­ßen, indem er aus der so geschaf­fe­nen Unzu­frie­den­heit eine Armee oder zumin­dest Rebel­len­grup­pen rekru­tier­te, wenn die japa­ni­schen und/​oder deut­schen Macht­ha­ber die UdSSR angrif­fen. Im Fol­gen­den gehe ich kurz auf Jeschows vor­sätz­li­che Miss­wirt­schaft in den GULAGs (Arbeits­la­gern) ein.

Die Pri­mär­do­ku­men­te, die die­se Fak­ten bele­gen, sind seit mehr als einem Jahr­zehnt ver­füg­bar. Im Jahr 2010 habe ich einen Online-Arti­kel ver­öf­fent­licht, in dem ich dies sehr viel aus­führ­li­cher zusam­men­fass­te. Dem Arti­kel habe ich alle Geständ­nis­se von Jeschow aus den Jah­ren 1939 und 1940 bei­gefügt, sowohl im rus­si­schen Ori­gi­nal als auch in eng­li­scher Über­set­zung.43 Im Janu­ar 2017 habe ich ein Buch in vol­ler Län­ge zu die­sem The­ma ver­öf­fent­licht.44 Ich habe auch einen Arti­kel ver­öf­fent­licht, in dem ich die wich­tigs­ten Punk­te mei­nes Buches zusam­men­fas­se.45 Das Buch ent­hält Bewei­se, die die Geständ­nis­se von Jeschow und eini­gen sei­ner Kom­pli­zen bestätigen.

Die trotz­kis­ti­sche Web­site Mar​xists​.org und die meis­ten Anti­kom­mu­nis­ten begin­nen den »Gro­ßen Ter­ror« mit dem Mos­kau­er Pro­zess 1936 und füh­ren ihn ent­we­der bis zum Mos­kau­er Pro­zess im März 1938 (Mar​xists​.org) oder bis zum Ende des Jeschowscht­schi­na im Novem­ber 1938 fort. In Wirk­lich­keit waren die Ange­klag­ten in den Mos­kau­er Pro­zes­sen sowie die Mili­tär­kom­man­dan­ten der »Tuk­ha­chevs­ky-Affä­re« alle schul­dig. In mei­nen Büchern The Moscow Tri­als as Evi­dence, Sta­lin Wai­ting for … the Truth und – in jüngs­ter Zeit – Trots­ky and the Mili­ta­ry Con­spi­ra­cy habe ich die pri­mä­ren Beweis­mit­tel iden­ti­fi­ziert, aus­fin­dig gemacht und stu­diert, von denen wir jetzt einen gro­ßen Teil haben.46

5. Der »Gulag«

Jedes Land hat ein Straf­voll­zugs­sys­tem. Mei­nes Erach­tens sind die ein­zi­gen sinn­vol­len Fra­gen, die man zum »GULAG« stel­len kann, die folgenden:

  • Waren die im Straf­voll­zug Ein­ge­sperr­ten tat­säch­lich der Ver­bre­chen schul­dig, derer sie beschul­digt wurden?
  • Wie waren die Lebens- und Arbeits­be­din­gun­gen im Strafvollzug?

Der GULAG – eigent­lich der Name der Straf­voll­zugs­ver­wal­tung (er bedeu­tet »Haupt­di­rek­ti­on der Lager«) – umfass­te Gefäng­nis­se, Arbeits­la­ger und Exil­sied­lun­gen. Vie­le der Insas­sen der Exil­sied­lun­gen waren ehe­ma­li­ge Kula­ken, also Bau­ern, die im Ver­gleich zu ihren Nach­barn reich waren und Arbeits­kräf­te beschäf­tig­ten. Ande­re waren die­je­ni­gen, die sich der Kol­lek­ti­vie­rung mit Gewalt wider­setz­ten, akti­ve Anti­kom­mu­nis­ten und gewöhn­li­che Kriminelle.

Zur Kol­lek­ti­vie­rung der Land­wirt­schaft: Wie die objek­ti­ve For­schung von Mark Tau­ger gezeigt hat, war die Kol­lek­ti­vie­rung uner­läss­lich, um den Zyklus ver­hee­ren­der Hun­gers­nö­te zu been­den, die in Russ­land und ins­be­son­de­re in der Ukrai­ne ein Jahr­tau­send lang alle drei bis fünf Jah­re auf­tra­ten. Tau­gers For­schungs­ar­ti­kel sind jetzt im Inter­net ver­füg­bar.47 Ich habe sie in den Kapi­teln eins und zwei von Blood Lies (2014) und – in jün­ge­rer Zeit – in Kapi­tel eins von Sta­lin Wai­ting for … the Truth (2019) zusammengefasst.

Heu­te ver­fü­gen wir über eine gro­ße Anzahl von Pri­mär­quel­len über den GULAG. Der Kür­ze hal­ber wer­den wir uns hier auf die Sterb­lich­keits­ra­ten kon­zen­trie­ren. Die höchs­ten Sterb­lich­keits­ra­ten waren 15,3 Pro­zent im Jahr 1933, 24,9 Pro­zent im Jahr 1942 und 22,4 Pro­zent im Jahr 1943.48 1933 war das Jahr der gro­ßen Hun­gers­not, in dem etwa 3 Mil­lio­nen Men­schen ent­we­der an Hun­ger oder häu­fi­ger an Krank­hei­ten star­ben, die durch schlech­te Ernäh­rung ver­ur­sacht oder ver­schlim­mert wur­den. 1942 und 1943 waren die schwers­ten Jah­re des Krie­ges, in denen Mil­lio­nen von Sowjet­bür­gern ent­we­der im Mili­tär, durch die Nazis und ihre Ver­bün­de­ten oder durch Über­ar­bei­tung und Unter­ernäh­rung hin­ter den Front­li­ni­en starben.

Die Häft­lin­ge in den Arbeits­la­gern wur­den für ihre Arbeit sowohl in Geld als auch in Form von »Zeit­ab­zug« von ihrer Stra­fe bezahlt. Sie wur­den ermu­tigt, aber nicht gezwun­gen, nach ihrer Ent­las­sung als regu­lä­re Arbei­ter wei­ter­zu­ar­bei­ten, was vie­le auch taten.

Hier sind eini­ge Fak­ten über die Arbeits­be­din­gun­gen im GULAG aus dem Dmit­rovs­kii Cor­rec­tion­al Labor Camp oder »Dmit­lag«49 aus der Ver­ord­nung vom 9. Okto­ber 1932:

  • Auf­wa­chen: 5:30 Uhr
  • Früh­stück: 5:45 – 6:30 Uhr
  • Fahrt zur Arbeit: 6:30 bis 7 Uhr
  • Arbeit: 7 bis 17 Uhr (10 Stunden)
  • Abend­essen: 17:00 bis 19:00 Uhr
  • Von 19:00 bis 22:00 Uhr – kul­tu­rel­le und päd­ago­gi­sche Akti­vi­tä­ten (KVCh, kul’turno-vospitatel’naia chast‹)
  • Ab 22:05 Uhr – Rück­zug und Schlaf50

Das fol­gen­de Zitat ist der rus­si­schen Wiki­pe­dia-Sei­te über »Dmit­lag« entnommen:

An der Stel­le des Kul­tur­hau­ses des Dmi­t­row-Bag­ger­werks in der bol­sche­wis­ti­schen Stra­ße gab es bis Ende der 1950er Jah­re einen Klub namens ›Dmit­lag‹. … Der Klub ver­an­stal­te­te fest­li­che Fei­ern und Tref­fen der füh­ren­den Arbei­ter. Im August 1934 sprach Maxim Gor­ki hier auf einer Ver­samm­lung der füh­ren­den Arbei­ter beim Bau des Wol­ga-Mos­kau-Kanals. In der Nähe befin­det sich das schö­ne Gebäu­de der Dmi­t­row­ski-Elek­tri­zi­täts­wer­ke der Mos­kau­er Kanal­ver­wal­tung, das wäh­rend des Baus des Kanals errich­tet wur­de. Im Dmit­lag wur­den bis zu zehn Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten gleich­zei­tig her­aus­ge­ge­ben, dar­un­ter in meh­re­ren ver­schie­de­nen Spra­chen der Völ­ker der UdSSR. Es gab einen Biblio­theks­fonds und ein eige­nes Film­stu­dio. Es gab Sport- und Bil­dungs­ab­tei­lun­gen sowie eine eige­ne Blas­ka­pel­le und ein Thea­ter. Bau­trupps, die nicht mecha­ni­sier­te schwe­re kör­per­li­che Arbeit ver­rich­te­ten und plan­mä­ßi­ge Auf­ga­ben erfüll­ten, erhiel­ten von Febru­ar bis April 1935 eine fünf­tä­gi­ge Ruhe­pau­se, außer­dem wur­de der Kampf gegen Para­si­ten (Läu­se und Nis­sen) geführt.51

Niki­ta Petrov, ein feu­er­spu­cken­der Anti­kom­mu­nist und Anti-Sta­lin-Schrift­stel­ler und Spit­zen­funk­tio­när der »Memorial«-Gesellschaft (sie­he oben), schreibt jedoch Fol­gen­des über die Erho­lungs­ein­rich­tun­gen in einem Arbeitslager:

1935: Am 14. Janu­ar wird mit dem Befehl Nr. 39 die Zusam­men­set­zung der Sek­tio­nen der Dyna­mo-Lager­ge­sell­schaft fest­ge­legt: Gewehr, Ski, Eis­schnell­lauf, Hockey, Auto­sek­ti­on, Pferd, Gym­nas­tik, ›Ver­tei­di­gung und Angriff‹ (Rin­gen), Jagd, Schach und Dame, medi­zi­ni­sche Kon­trol­le, Kam­pa­gnen­pro­pa­gan­da­sek­tor.52

Natür­lich kam es, wie in jedem Straf­voll­zug, zu Miss­bräu­chen. Wir wis­sen von die­sen Miss­bräu­chen aus dem Mate­ri­al, das bei den Unter­su­chun­gen der Miss­bräu­che durch die zen­tra­len Behör­den zusam­men­ge­stellt wur­de.53

Wie bereits erwähnt, lei­te­te Niko­lai Jeschow in der Zeit zwi­schen Juli 1937 und Novem­ber 1938 eine Ver­schwö­rung zum Sturz der sowje­ti­schen Regie­rung und Par­tei. In sei­nen Geständ­nis­sen vom 2. und 4. August 1939 gab Jeschow zu, dass er sei­nen Män­nern die Ver­ant­wor­tung für die Arbeits­la­ger über­tra­gen und gute Bedin­gun­gen für Kri­mi­nel­le und sei­ne Getreu­en, aber schlech­te Bedin­gun­gen für ande­re Gefan­ge­ne geschaf­fen hat­te.54

Die Geständ­nis­se von Jeschow sind seit lan­gem ver­füg­bar. Ich habe sie als Anhang zu mei­nem Arti­kel von 2010 wie­der­ge­ge­ben. Ich bespre­che die­ses und ande­re Geständ­nis­se auch in den Kapi­teln 13 und 14 mei­nes Buches Yez­hov vs Sta­lin. Ich bin jedoch noch nie auf ein Buch eines Main­stream-Wis­sen­schaft­lers der sowje­ti­schen Geschich­te gesto­ßen, der eine die­ser Pas­sa­gen aus Jeschows Geständ­nis­sen über die Nut­zung des GULAG für sei­ne Ver­schwö­rung erwähnt, geschwei­ge denn zitiert. Dies ist jedoch nicht rich­tig, son­dern ein Ergeb­nis der Vor­ein­ge­nom­men­heit gegen­über dem, was ich das »Anti-Sta­lin-Para­dig­ma« in der sowje­ti­schen Geschich­te genannt habe.

Berich­te über den GULAG stim­men dar­in über­ein, dass die Bedin­gun­gen in den Lagern in den Jah­ren 1937 – 1938 schlecht waren und sich sofort ver­bes­ser­ten, als Law­ren­tij P. Beria im Novem­ber 1938 das NKWD von Jeschow über­nahm. Arch Get­ty, ein ange­se­he­ner Wis­sen­schaft­ler der Sta­lin­zeit, schreibt:

Jew­ge­ni­ja Ginz­burg, die im Gefäng­nis von Jaros­lawl saß und kei­ne Zei­tun­gen sah, sag­te, dass die Gefan­ge­nen den Zeit­punkt des Stur­zes von Jeschow erken­nen konn­ten: Das dra­ko­ni­sche Regime in den Gefäng­nis­sen (häu­fi­ge Iso­la­ti­ons­haft und Ent­zug aller Pri­vi­le­gi­en) wur­de eines Tages gelo­ckert. Der Zeit­punkt wur­de eini­ge Tage spä­ter, als Beri­as Name auf den offi­zi­el­len Gefäng­nis­aus­hän­gen zu erschei­nen begann, bestä­tigt.55

6. »Demo­kra­tie«

Uns wird stän­dig gesagt, dass die Sowjet­uni­on »nicht demo­kra­tisch« war, wäh­rend die west­li­chen kapi­ta­lis­ti­schen und impe­ria­lis­ti­schen Gesell­schaf­ten »Demo­kra­tien« waren. Das ist irre­füh­rend. Weder die Ver­ei­nig­ten Staa­ten noch irgend­ein ande­res kapi­ta­lis­ti­sches Land ist heu­te oder war jemals eine Demo­kra­tie in dem Sin­ne, wie die Werk­tä­ti­gen sie ver­ste­hen. Egal, wel­che Par­tei die Wahl gewinnt, die herr­schen­de Klas­se regiert wei­ter und es ändert sich wenig. Refor­men fin­den bes­ten­falls schritt­wei­se statt, und auch das nur, wenn es mas­si­ve, kämp­fe­ri­sche Reform­be­we­gun­gen gibt, wie es sie in der ame­ri­ka­ni­schen Gesell­schaft sel­ten gege­ben hat.

Im Jahr 1917 beschrieb Lenin die kapi­ta­lis­ti­sche Demo­kra­tie wie folgt:

Marx hat die­ses WESEN der kapi­ta­lis­ti­schen Demo­kra­tie glän­zend erfaßt, als er in sei­ner Ana­ly­se der Erfah­run­gen der Kom­mu­ne sag­te: den Unter­drück­ten wird in meh­re­ren Jah­ren ein­mal gestat­tet, dar­über zu ent­schei­den, wel­cher Ver­tre­ter der unter­drü­cken­den Klas­se sie im Par­la­ment ver- und zer­tre­ten soll!56

Lenin stell­te mit einer Klas­sen­ana­ly­se und von einem revo­lu­tio­nä­ren mar­xis­ti­schen Stand­punkt aus ein­fach fest, was vie­le in der kapi­ta­lis­ti­schen Welt bereits erkannt hat­ten: Es gibt kei­ne Demo­kra­tie in den selbst­er­nann­ten, soge­nann­ten »demo­kra­ti­schen« kapi­ta­lis­ti­schen Län­dern. Wal­ter Lipp­mann, der in Har­vard aus­ge­bil­de­te Bera­ter von Prä­si­den­ten, erkann­te dies an. Im ers­ten Satz sei­nes 1925 erschie­ne­nen Buches The Phan­tom Public schrieb Lippmann:

Der Pri­vat­mann fühlt sich heu­te eher wie ein tau­ber Zuschau­er in der letz­ten Rei­he, der sich auf das Mys­te­ri­um dort drü­ben kon­zen­trie­ren soll­te, es aber nicht ganz schafft, wach zu blei­ben.57

Der Medi­en­his­to­ri­ker Micha­el Schud­son schil­dert Lipp­manns Aus­ein­an­der­set­zung mit den Irr­tü­mern der Demokratie:

Ein Pro­blem ent­steht nur dann, wenn sich jemand gegen die aktu­el­le Poli­tik wen­det – sofern es eine all­ge­mei­ne Über­ein­stim­mung gibt, hat die Öffent­lich­keit kein Inter­es­se an der Poli­tik und soll­te auch kein Inter­es­se dar­an haben. Das Volk regiert nicht und soll­te nicht regie­ren; allen­falls unter­stützt es die Per­so­nen, die regie­ren, oder stellt sich gegen sie.58

Der Pro­zess der Durch­set­zung der Herr­schaft der herr­schen­den Klas­se in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ist seit Lenins Zei­ten sub­ti­ler gewor­den. Per­so­nen, die eine poli­ti­sche Kar­rie­re als ehr­li­che Arbei­ter begin­nen, wer­den durch den poli­ti­schen Pro­zess kor­rum­piert. Die »Rie­ge« der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Kon­gress­ab­ge­ord­ne­ten wird selbst durch ihr fal­sches Ver­ständ­nis des Kapi­ta­lis­mus und durch die Gren­zen des­sen, was im Rah­men eines poli­ti­schen Pro­zes­ses, der sich ihrer Kon­trol­le ent­zieht, mög­lich ist, in die Enge getrie­ben. Der­sel­be Pro­zess voll­zog sich zu Lenins Zei­ten in der bri­ti­schen Labour Par­ty, wo Arbei­ter manch­mal ins Par­la­ment gewählt wurden.

G. Wil­liam Dom­hoff von der UC San­ta Cruz hat die For­schungs­me­tho­den der aka­de­mi­schen Sozio­lo­gie auf die Unter­su­chung der Art und Wei­se ange­wandt, wie die Ver­ei­nig­ten Staa­ten regiert wer­den. Dom­hoff hat die spe­zi­fi­schen Mecha­nis­men auf­ge­zeigt, durch die die ame­ri­ka­ni­sche herr­schen­de Klas­se, die reichs­ten Finanz‑, Industrie‑, Han­dels- usw. Kapi­ta­lis­ten, nicht nur die Wah­len, son­dern auch die Poli­tik der Regie­rung kon­trol­lie­ren, unab­hän­gig davon, wel­che Par­tei im Amt ist. Er ver­öf­fent­licht wei­ter­hin aktua­li­sier­te Ver­sio­nen sei­nes bahn­bre­chen­den Werks Who Rules Ame­ri­ca, zuletzt im Jahr 2021.59

Dom­hoff hat sich jahr­zehn­te­lang mit die­ser Klas­se und ihren Metho­den beschäf­tigt, um alles, was auch nur im Ent­fern­tes­ten mit Demo­kra­tie zu tun hat, zu ver­ei­teln. Er hat vie­le Bücher ver­öf­fent­licht, in denen er die Herr­schafts­me­tho­den der herr­schen­den Klas­se bis ins kleins­te Detail beschreibt. Hier ist ein Zitat:

Heu­te glaubt die Mehr­heit der Men­schen, dass gro­ße Unter­neh­men und Rei­che alles kon­trol­lie­ren und dass die Regie­rung sich nicht um den Durch­schnitts­bür­ger küm­mert.60

Eben­so klar wie die Ana­ly­se der Herr­schafts­ver­hält­nis­se im eige­nen Land ist die Bilanz des Impe­ria­lis­mus in den so genann­ten »demo­kra­ti­schen« kapi­ta­lis­ti­schen Län­dern. Die euro­päi­schen Impe­ria­lis­ten und die Ver­ei­nig­ten Staa­ten hät­ten in den von ihnen beherrsch­ten Län­dern Asi­ens, Afri­kas und Latein­ame­ri­kas die Demo­kra­tie ein­füh­ren kön­nen. Sie haben es nie getan. Im Gegen­teil: Wo immer es so aus­sah, als wür­de sich in Län­dern wie Nica­ra­gua, Hai­ti, Iran, Argen­ti­ni­en, Bra­si­li­en oder Chi­le so etwas wie eine Demo­kra­tie nach west­li­chem Vor­bild her­aus­bil­den, haben die US-Macht­ha­ber die­se mit Gewalt unter­drückt und faschis­ti­sche Dik­ta­tu­ren instal­liert. Ande­rer­seits stel­len sich die US-Macht­ha­ber auch gegen den Faschis­mus, wenn er für sie nicht mehr von Nut­zen ist, wie in Grie­chen­land (1974) und Hai­ti (1986).

Die west­li­chen Impe­ria­lis­ten setz­ten mas­si­ve Gewalt ein, um ihre kolo­nia­len Besit­zun­gen für bil­li­ge Roh­stof­fe zu plün­dern, als Absatz­märk­te für ihre Über­pro­duk­ti­on und als Quel­len für bil­li­ge Arbeits­kräf­te. Wenn die Men­schen in den Kolo­ni­al­län­dern, manch­mal unter kom­mu­nis­ti­scher Füh­rung, oft aber auch nicht, für die Unab­hän­gig­keit oder gar für Refor­men kämpf­ten, wur­den sie mit Gewalt unter­drückt. Oft wur­de die­se mas­si­ve Gewalt als »Kampf gegen den Kom­mu­nis­mus« bezeichnet.

Mahat­ma Gan­dhi bekämpf­te den bri­ti­schen Impe­ria­lis­mus und erkann­te ihn als das, was er war. Er schrieb:

Stel­len Sie sich einen Hit­ler vor, der Eng­land besetzt und die Eng­län­der erfolg­reich spal­tet, so wie die Inder in Indi­en gespal­ten sind und sich dann über sie lus­tig macht, indem er sagt: ›Ich wer­de ein Abkom­men zwi­schen euch rati­fi­zie­ren.‹ Ich behaup­te, dass wir in Indi­en eine Hit­ler-Herr­schaft haben, auch wenn sie mit sanf­te­ren Wor­ten getarnt sein mag.

Und: »Hit­ler war ›Groß­bri­tan­ni­ens Sün­de‹. Hit­ler ist nur eine Ant­wort auf den bri­ti­schen Impe­ria­lis­mus …61

Man soll­te Mar​xists​.org nicht unkri­tisch nutzen

Ich habe bereits aus den Unwahr­hei­ten von Mar​xists​.org über Sta­lin, »Tota­li­ta­ris­mus« und »Ter­ror« zitiert. Hier sind noch ein paar wei­te­re, die man nicht allein an der Rhe­to­rik erken­nen kann. Um sie als Unwahr­hei­ten zu erken­nen, muss man etwas über die sowje­ti­sche Geschich­te wis­sen. Das tun aber nur weni­ge Nut­zer von Mar​xists​.org, was sie anfäl­lig für die auf die­ser Sei­te ver­brei­te­ten Unwahr­hei­ten macht.

Hier ist der Ein­trag von Mar​xists​.org über Law­ren­tij Beria: »… Lei­ter des NKWD von 1938 bis zu Sta­lins Tod. Ver­ant­wort­lich für zahl­lo­se Mor­de auf eige­ne Initia­ti­ve und auf Sta­lins Befehl…«62

Das ist völ­lig falsch. Die Wirk­lich­keit ist:

(a) Beria war von Dezem­ber 1938 bis Dezem­ber 1945 Volks­kom­mis­sar für inne­re Ange­le­gen­hei­ten und vom 15. März bis zum 26. Juni 1953 erneut – jetzt mit dem Titel »Innen­mi­nis­ter« – und nicht »von 1938 bis zu Sta­lins Tod«.

(b) Es gibt kei­nen Beweis dafür, dass Beria – oder, was das betrifft, Sta­lin – jemals ange­ord­net hat, jeman­den zu ermor­den; nach gericht­li­chen Ver­ur­tei­lun­gen auf der Grund­la­ge von Bewei­sen für abscheu­li­che Ver­bre­chen, ja, aber nie­mals ermordet.

Mar​xists​.org erwähnt nicht ein­mal einen ein­zi­gen Mord, geschwei­ge denn »unzäh­li­ge Mor­de«. Niki­ta Chruscht­schow und sei­ne Män­ner, die Beria 1953 selbst ermor­det hat­ten, behaup­te­ten, Beria sei ein Mör­der und Ver­ge­wal­ti­ger. Sie haben jedoch nie Bewei­se für die­se oder ande­re Ver­bre­chen Beri­as ange­führt. Auch nach der Ver­öf­fent­li­chung von Zehn­tau­sen­den von Doku­men­ten aus ehe­ma­li­gen sowje­ti­schen Archi­ven nach dem Ende der UdSSR im Jahr 1991 ist nichts davon ans Licht gekommen.

Hier Mar​xists​.org über Ser­gei M. Kirow:

Im Som­mer 1932 wur­de Josef Sta­lin bewusst, dass der Wider­stand gegen sei­ne Poli­tik zunahm. Eini­ge Par­tei­mit­glie­der kri­ti­sier­ten Sta­lin öffent­lich und for­der­ten die Wie­der­auf­nah­me von Leo Trotz­ki in die Par­tei. Als das The­ma im Polit­bü­ro erör­tert wur­de, ver­lang­te Sta­lin, dass die Kri­ti­ker ver­haf­tet und hin­ge­rich­tet wer­den soll­ten. Kirow, der bis zu die­sem Zeit­punkt ein über­zeug­ter Sta­li­nist gewe­sen war, sprach sich gegen die­se Poli­tik aus. Bei der Abstim­mung unter­stütz­te die Mehr­heit des Polit­bü­ros Kirow gegen Stalin.

Im Früh­jahr 1934 schlug Kirow eine Poli­tik der Ver­söh­nung vor. Er plä­dier­te für die Frei­las­sung von Per­so­nen, die sich gegen die Poli­tik der Regie­rung in Bezug auf die Kol­cho­sen und die Indus­tria­li­sie­rung aus­ge­spro­chen hat­ten. Erneut befand sich Josef Sta­lin im Polit­bü­ro in der Minderheit

Nach­dem er jah­re­lang dafür gesorgt hat­te, dass sei­ne Geg­ner aus der Par­tei ent­fernt wur­den, muss­te Josef Sta­lin fest­stel­len, dass er sich nicht auf die vol­le Unter­stüt­zung der Leu­te ver­las­sen konn­te, die er an ihre Stel­le gesetzt hat­te. Sta­lin begann sich zwei­fel­los zu fra­gen, ob Kirow bereit war, den Tod sei­nes Men­tors abzu­war­ten, bevor er Par­tei­chef wur­de. Beson­ders beun­ru­higt war Sta­lin über Kirows Bereit­schaft, öffent­lich mit ihm zu strei­ten. Er befürch­te­te, dass dies sei­ne Auto­ri­tät in der Par­tei unter­gra­ben würde.

Wie üblich fuh­ren Kirow und Josef Sta­lin in die­sem Som­mer gemein­sam in den Urlaub. Sta­lin, der Kirow wie einen Sohn behan­del­te, nutz­te die­se Gele­gen­heit, um ihn davon zu über­zeu­gen, sei­ner Füh­rung treu zu blei­ben. Sta­lin bat ihn, Lenin­grad zu ver­las­sen und zu ihm nach Mos­kau zu kom­men. Sta­lin woll­te Kirow an einem Ort haben, an dem er ihn genau im Auge behal­ten konn­te. Als Kirow ablehn­te, wuss­te Sta­lin, dass er die Kon­trol­le über sei­nen Schütz­ling ver­lo­ren hat­te.63

Jede ein­zel­ne Behaup­tung in die­sen Absät­zen ist falsch. Nichts davon ist über­haupt pas­siert. Es hat seit 1989 eine Men­ge For­schung über Kirow gege­ben. Mar​xists​.org igno­riert sie kom­plett.64

Mar​xists​.org hat vie­le wich­ti­ge Tex­te. Die­se Tex­te ver­lei­hen der Web­site als Gan­zes Glaub­wür­dig­keit. Die Nicht-Text-Abschnit­te – die so genann­te »Enzy­klo­pä­die« und die his­to­ri­schen Abschnit­te – sind von anti­kom­mu­nis­ti­schen Unwahr­hei­ten durch­zo­gen. In der Tat wäre es ange­mes­sen, das Wort »Lügen« in Bezug auf die Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen zu ver­wen­den, die durch kei­ner­lei Bewei­se gestützt wer­den, da dies eine ekla­tan­te Miss­ach­tung der Wahr­heit dar­stellt. Leo Trotz­ki und pro­fes­sio­nel­le Anti­kom­mu­nis­ten sind in der Regel die ulti­ma­ti­ven Quellen.

Ich for­de­re jeden dazu auf, unab­hän­gig davon, ob Mar­xist oder nicht, Mar​xists​.org gegen­über sehr vor­sich­tig und skep­tisch zu sein, es sei denn, er sucht einen Text, der nicht auf alter­na­ti­ven Web­sites wie Marx To Mao65 oder Wiki­rouge66 zu fin­den ist.

Schluss­fol­ge­run­gen

1. Alle Mar­xis­ten und ande­re, die die Wahr­heit über die sowje­ti­sche Geschich­te der Sta­lin­zeit erfah­ren wol­len, soll­ten jede Dar­stel­lung als Pro­pa­gan­da zurück­wei­sen, die durch ihre Rhe­to­rik, Mora­li­sie­rung, belas­te­te Spra­che, Ver­un­glimp­fung usw. zeigt, dass der Autor nicht objek­tiv ist.

2. Alle Berich­te, die die UdSSR als »tota­li­tär« bezeich­nen, die die Begrif­fe »sta­li­nis­tisch« oder »Sta­li­nis­mus« ver­wen­den, die Sta­lin als »Dik­ta­tor« bezeich­nen, die behaup­ten, die UdSSR sei durch »Ter­ror« regiert wor­den oder die den Begriff »Gro­ßer Ter­ror« ver­wen­den, die den GULAG als »Todes­la­ger« oder die Gefan­ge­nen als »Skla­ven« bezeich­nen oder die behaup­ten, kapi­ta­lis­ti­sche, impe­ria­lis­ti­sche Staa­ten sei­en »Demo­kra­tien«, sind als Pro­pa­gan­da abzulehnen.

3. Alle Arbei­ten, die in irgend­ei­ner Wei­se ver­su­chen, die Sowjet­uni­on der Sta­lin­zeit mit Hit­ler­deutsch­land oder Sta­lin mit Hit­ler zu ver­glei­chen, sind als Pro­pa­gan­da abzulehnen.

Die gehei­me Kol­la­bo­ra­ti­on Leo Trotz­kis mit den Nazis und den Japa­nern wur­de wäh­rend der Mos­kau­er Pro­zes­se in den 1930er Jah­ren auf­ge­deckt. Die­se Kol­la­bo­ra­ti­on wur­de unter dem Ein­fluss der Lügen Chruscht­schows und Gor­bat­schows über Sta­lin geleug­net. Nun aber haben wir zahl­rei­che Bewei­se für Trotz­kis Kol­la­bo­ra­ti­on. Wir soll­ten zuerst uns selbst infor­mie­ren und dann ande­re infor­mie­ren, wann immer wir kön­nen.67

4. Alle Schrif­ten, die den »Holo­do­mor« oder eine »von Men­schen ver­ur­sach­te Hun­gers­not« behaup­ten, die Mos­kau­er Pro­zes­se als »abge­kar­te­tes Spiel« bezeich­nen und behaup­ten, dass Sta­lin »Men­schen erschie­ßen ließ«, dass die Kol­lek­ti­vie­rung nicht not­wen­dig war oder »nicht funk­tio­nier­te« und dass die Indus­tria­li­sie­rung »bru­tal« war, sind als Pro­pa­gan­da abzulehnen.

5. Trotz­kis­ti­sche Dar­stel­lun­gen über die UdSSR, auch über Lenin, Sta­lin, den »Sozia­lis­mus in einem Land« oder über Trotz­ki selbst, sind zu ver­mei­den. Kein Trotz­kist stellt den »Per­so­nen­kult« um Trotz­ki selbst in Fra­ge. Trotz­kis­ten stre­ben per defi­ni­tio­nem nicht nach Objek­ti­vi­tät und fal­len daher der Vor­ein­ge­nom­men­heit zum Opfer.

6. Man soll­te sich dar­über im Kla­ren sein, dass die »Enzyklopädie«-Sektion der Web­site Mar​xists​.org Unwahr­hei­ten über Sta­lin und die Sta­lin-Peri­ode der sowje­ti­schen Geschich­te ver­brei­tet – Behaup­tun­gen, von denen die Redak­teu­re ent­we­der wuss­ten oder hät­ten wis­sen müs­sen, dass sie falsch sind -, die durch die Bewei­se wider­legt wer­den, wie z.B. der Ein­trag »Kirow, Ser­gej (1886 – 1934)« und die Dis­kus­si­on über den »Sozia­lis­mus in einem Land«, die oben bespro­chen wurde.

7. Alle soge­nann­ten »mar­xis­ti­schen« Theo­rien, die nicht auf Bewei­sen beru­hen, sind abzu­leh­nen. Alle »Theo­rien«, die auf den Chruscht­schow- und Nach-Chruscht­schow-Lügen über die sowje­ti­sche Geschich­te der Sta­lin­zeit beru­hen, haben nichts zu bie­ten. Sicher, es mag eine Nadel der Wahr­heit im Heu­hau­fen des lee­ren Geschwät­zes geben – aber es wird zu lan­ge dau­ern, sie zu fin­den, wenn sie über­haupt da ist.

Nur eine Theo­rie, die sich auf ein genau­es Ver­ständ­nis der Geschich­te der UdSSR wäh­rend der Stalin­jah­re stützt, kann den­je­ni­gen von uns, die aus den Erfol­gen und Miss­erfol­gen der Sowjet­uni­on ler­nen wol­len, einen Nut­zen bringen.

8. Man soll­te sich dar­an erin­nern, war­um es die­se gan­ze anti­kom­mu­nis­ti­sche, anti­sta­li­nis­ti­sche Pro­pa­gan­da über­haupt gibt. Sie exis­tiert auf­grund der Errun­gen­schaf­ten der Stalin­jah­re in der UdSSR. Um nur ein paar zu nen­nen: die Kol­lek­ti­vie­rung der Land­wirt­schaft, die den mehr als tau­send Jah­re wäh­ren­den Zyklus ver­hee­ren­der Hun­gers­nö­te und der Armut unter den Bau­ern been­de­te; die Indus­tria­li­sie­rung, die in kaum mehr als einem Jahr­zehnt und ganz ohne aus­län­di­sche Inves­ti­tio­nen erreicht wur­de und sich allein auf die sowje­ti­sche Arbei­ter­klas­se und Bau­ern­schaft stütz­te; die Nie­der­la­ge der Nazi­hor­den und ihrer Ver­bün­de­ten; die welt­wei­te Ver­brei­tung der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung; der Kampf gegen den Ras­sis­mus; der Kampf gegen die Dis­kri­mi­nie­rung der Frau­en; die Ver­sor­gung aller Arbei­ter mit preis­wer­tem Wohn­raum, preis­wer­ten öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln, kos­ten­lo­ser Bil­dung, kos­ten­lo­ser Hoch­schul­bil­dung, Jah­res­ur­laub, all­ge­mei­ner medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung, Alters- und Hin­ter­blie­be­nen­ren­ten; der erfolg­rei­che Kampf gegen den Impe­ria­lis­mus der so genann­ten »demo­kra­ti­schen« kapi­ta­lis­ti­schen Län­der; der gro­ße Auf­schwung der gewerk­schaft­li­chen Orga­ni­sie­rung der Arbei­ter in den Indus­trie­län­dern; der Zwang für die kapi­ta­lis­ti­schen Staa­ten, ein gewis­ses Maß an Sozi­al­leis­tun­gen für die arbei­ten­de Bevöl­ke­rung bereit­zu­stel­len, um die Anzie­hungs­kraft der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung zu schwä­chen. Und man muss sich fra­gen, war­um bis heu­te, wenn älte­re Rus­sen befragt wer­den, wel­che his­to­ri­schen Per­sön­lich­kei­ten sie am meis­ten bewun­dern, immer Sta­lin an ers­ter Stel­le steht.

Dies sind nur eini­ge der Grün­de, war­um pro-kapi­ta­lis­ti­sche Autoren die sowje­ti­sche Geschich­te der Sta­lin­zeit ver­fäl­schen, ver­zer­ren und schlicht­weg lügen. Nie­mand, der sich für einen Lin­ken oder ins­be­son­de­re einen Mar­xis­ten hält, soll­te die­ses fal­sche Nar­ra­tiv unter­schrei­ben oder verbreiten.

Auch die Bol­sche­wi­ki unter Sta­lin und Lenin haben vie­le Feh­ler gemacht. Feh­ler sind bei allen mensch­li­chen Unter­neh­mun­gen unver­meid­lich, denn »Ver­such und Irr­tum« sind das Herz und die See­le der wis­sen­schaft­li­chen Metho­de. In die­sem Sin­ne ist »Irr­tum« kein Feh­ler, son­dern ein wesent­li­cher Bestand­teil der Erfor­schung und Beherr­schung der Wirklichkeit.

Lei­der führ­ten die Aktio­nen der Bol­sche­wi­ki zwar zu gro­ßen Errun­gen­schaf­ten, aber ihre Feh­ler führ­ten auch dazu, dass die­se Errun­gen­schaf­ten abstumpf­ten und abge­bro­chen wur­den und sich nur teil­wei­se erfüllten.

Letzt­end­lich führ­ten die­se Feh­ler dazu, dass Leu­te wie Niki­ta Chruscht­schow und sei­ne Nach­fol­ger an die Macht kamen, die den Kampf für den Kom­mu­nis­mus auf­ga­ben. Schließ­lich führ­ten sie zur Umkeh­rung der Errun­gen­schaf­ten der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on und zum Rück­fall in den aus­beu­te­ri­schen Kapi­ta­lis­mus in allen Län­dern, die einst sozia­lis­tisch waren oder die, wenn auch unvoll­kom­men, nach Sozia­lis­mus und Kom­mu­nis­mus strebten.

Wir müs­sen sowohl aus den Erfol­gen als auch aus den tra­gi­schen – aber viel­leicht unver­meid­li­chen – Miss­erfol­gen der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung des 20. Jahr­hun­derts ler­nen, wenn wir es in Zukunft bes­ser machen wol­len. Wegen mei­ner For­schung neh­men Kom­mu­nis­ten aus vie­len Län­dern Kon­takt zu mir auf. Ich weiß, dass es unter Mil­lio­nen von Werk­tä­ti­gen, Stu­den­ten, Intel­lek­tu­el­len und ande­ren auf der gan­zen Welt einen gro­ßen Hun­ger nach Frei­heit von den Schre­cken der kapi­ta­lis­ti­schen Aus­beu­tung, nach einer ande­ren inter­na­tio­na­len kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung gibt.

Wenn wir eine Rol­le dabei spie­len wol­len, die­se neue inter­na­tio­na­le Bewe­gung ins Leben zu rufen und dann vor­an­zu­kom­men, um den Kapi­ta­lis­mus zu besie­gen und eine klas­sen­lo­se, kom­mu­nis­ti­sche Welt zu gewin­nen, müs­sen wir die wah­re Geschich­te der Sowjet­uni­on wäh­rend der Sta­lin­zeit ent­de­cken. Nur dann wer­den wir in der Lage sein, die Lek­tio­nen zu ler­nen, die uns die Erfol­ge und Miss­erfol­ge der Bol­sche­wi­ki leh­ren kön­nen. Nur dann kön­nen wir eine revo­lu­tio­nä­re Theo­rie haben, die die­sen Namen verdient.

Gro­ver Furr hat vie­le Bücher über die sowje­ti­sche Geschich­te der 1930er Jah­re geschrie­ben. Sein Buch The Mys­tery of the Katyn Mas­sacre: The Evi­dence, the Solu­ti­on (Ket­te­ring, OH: Ery­thrós Press) wur­de im Juli 2018 ver­öf­fent­licht. Eine voll­stän­di­ge Über­sicht fin­det man auf sei­ner Web­site: https://msuweb.montclair.edu/~furrg/

Ver­wei­se

1 Hin­weis: Der ers­te Ent­wurf die­ses Essays wur­de am Inter­na­tio­na­len Frau­en­tag fer­tig­ge­stellt, an dem wir die Kämp­fe der Arbei­te­rin­nen fei­ern. Der 1910 ins Leben geru­fe­ne Tag war lan­ge Zeit nur in der Sowjet­uni­on und nach dem Zwei­ten Welt­krieg in den pro­so­wje­ti­schen sozia­lis­ti­schen Län­dern ein Fei­er­tag. Bis in die 1960er Jah­re war er vor allem ein kom­mu­nis­ti­scher Fei­er­tag. Er erin­nert uns sowohl an die Kämp­fe der arbei­ten­den Frau­en welt­weit als auch an die Errun­gen­schaf­ten der kom­mu­nis­ti­schen Bewegung.

2 Karl Marx/​Friedrich Engels, in: Wer­ke. (Karl) Dietz Ver­lag, Ber­lin. Band 1. Berlin/​DDR. 1976. S. 344 [Her­vor­he­bung G.F.]

4 Lenin, »Was tun?«, in: Wer­ke 5, 4. Aufl. Dietz Ver­lag, 1955, Kap. 1 d, S. 379,

5 Lenin, »Was sind die ›Volks­freun­de‹ «, in: Wer­ke 1, S. 156.

6 Lenin, Kon­spekt zur »Wis­sen­schaft der Logik«. Die Leh­re vom Begriff, in: Wer­ke 38, S. 160

7 Eben­da, S. 181.

8 Eben­da, 191 (Herv. G.F.). In der dt. Über­set­zung der Kon­spek­te kommt der Satz »Die Wahr­heit ist ein Pro­zeß …« anders als in dem Quel­len­band, den der Autor benutzt, vor »Das Leben…« [Anm. d. Übers.].

9 Eben­da, S. 204.

10 Eben­da, S. 211. Furr bricht das Zitat in der Mit­te ab. Es geht so wei­ter: »[…] denn im Resul­tat ergibt sich die »abso­lu­te Idee« (Idee aber = »das objek­ti­ve Wahre«).«

11 Eben­da, S. 320.

12 Eagle­ton, Ter­ry. Rezen­si­on von Phil Sla­ter, Ori­gin and signi­fi­can­ce of the Frank­furt School (Lon­don: Rout­ledge & Kegan Paul, 1977), New Black­fri­ars. Zitiert von der Innen­sei­te der Titel­sei­te aus Sla­ters Buch.

13 Ich ver­wen­de iro­ni­sche Anfüh­rungs­zei­chen (sca­re quo­tes), um die Falsch­heit die­ser Kon­zep­te in Bezug auf die sowje­ti­sche Geschich­te zu unterstreichen.

14 Herv. G.F. Im Ori­gi­nal: Of or per­tai­ning to a sys­tem of govern­ment which tole­ra­tes only one poli­ti­cal par­ty, to which all other insti­tu­ti­ons are sub­or­di­na­ted, and which usual­ly demands the com­ple­te sub­ser­vi­ence of the indi­vi­du­al to the State.

15 Juri Fjelscht­in­sky, Geor­gii Tscher­niavs­kij, Lev Trots­kii. Vrag No. 1 1929 – 1940. Mos­kau: Tse­n­tro­po­li­graf, 2013, S. 380, 383.

17 Eben­da [Herv. G.F.].

19 Eben­da [Herv. G.F.].

20 Eben­da. Anmer­kung des Über­set­zers: Quel­le zum Sta­lin­zeit: J.W. Sta­lin, Über die Grund­la­gen des Leni­nis­mus, in: ders., Wer­ke, Band 6, https://​kom​mu​nis​ti​sche​-geschich​te​.de/​S​t​a​l​i​n​W​e​r​k​e​/​s​t​a​l​i​n​-​b​a​n​d​0​6​.​pdf

21 Eben­da. Anmer­kung des Über­set­zers: Mar​xists​.org gibt das Sta­lin­zi­tat inkor­rekt wie­der, indem die Aus­las­sung­zei­chen … feh­len, aus denen her­vor­geht, dass der Satz im Ori­gi­nal wei­ter geht. Das ist in die­sem Fal­le inkor­rekt, weil der voll­stän­di­ge Satz­laut offen­sicht­lich den gegen­tei­li­gen Sinn hat, wie der durch nicht gekenn­zeich­ne­te Aus­las­sun­gen ange­führ­te: »Die Par­tei ist stets davon aus­ge­gan­gen, dass der Sieg des Sozia­lis­mus in einem Lan­de die Mög­lich­keit bedeu­tet, den Sozia­lis­mus in die­sem Lan­de zu errich­ten, wobei die­se Auf­ga­be mit den Kräf­ten eines Lan­des gelöst wer­den kann, dass der voll­stän­di­ge Sieg des Sozia­lis­mus dage­gen die Garan­tie gegen Inter­ven­ti­on und Restau­ra­ti­on bedeu­tet, wobei die­se Auf­ga­be nur unter der Vor­aus­set­zung des Sie­ges der Revo­lu­ti­on in eini­gen Län­dern gelöst wer­den kann.« J.W. Sta­lin, Heil­lo­ses Durch­ein­an­der, oder Sino­wjew über revo­lu­tio­nä­ren Geist und Inter­na­tio­na­lis­mus, in: ders., Wer­ke 8, https://​kom​mu​nis​ti​sche​-geschich​te​.de/​S​t​a​l​i​n​W​e​r​k​e​/​s​t​a​l​i​n​-​b​a​n​d​0​8​.​pdf

23 Lenin Wer­ke, Band 21, Sei­te 342 – 346; Dietz Ver­lag Ber­lin, 1972 [Her­vor­he­bung G.F.], http://​www​.mlwer​ke​.de/​l​e​/​l​e​2​1​/​l​e​2​1​_​3​4​2​.​htm

24 Zuerst ver­öf­fent­licht im Sep­tem­ber und Okto­ber 1917 in der Zeit­schrift Jugend-Inter­na­tio­na­le, Nr.9 u. 10.,Unterschrift: N. Lenin, https://​www​.mar​xists​.org/​d​e​u​t​s​c​h​/​a​r​c​h​i​v​/​l​e​n​i​n​/​1​9​1​6​/​1​0​/​m​i​l​i​t​a​e​r​.​htm

25 Zuerst ver­öf­fent­licht am 26. und 27. Mai 1923 in der »Praw­da« Nr. 115 und 116, http://​www​.mlwer​ke​.de/​l​e​/​l​e​3​3​/​l​e​3​3​_​4​5​3​.​htm

26 Ste­phen G. Wheat­croft. »From Team-Sta­lin to Dege­ne­ra­te Tyran­ny.” In E.A.Rees, ed., The Natu­re of Stalin’s Dic­ta­tor­ship. The Polit­bu­ro, 1924 – 1953. Basingsto­ke: Pal­gra­ve Macmil­lan, 2004, 79 – 107.

27 Eben­da, S. 90.

28 Euro­pean Histo­ry Quarterly36 (2006), 332.

29 Ste­phen G. Wheat­croft. »From Team-Sta­lin to Dege­ne­ra­te Tyran­ny.” In E.A.Rees, ed., The Natu­re of Stalin’s Dic­ta­tor­ship. The Polit­bu­ro, 1924 – 1953. Basingsto­ke: Pal­gra­ve Macmil­lan, 2004, S. 79 – 107, S. 104.

31 Gro­ver Furr. Khrush­chev Lied: The Evi­dence That Every »Reve­la­ti­on« of Stalin’s (and Beria’s) Cri­mes in Niki­ta Khrushchev’s Infa­mous »Secret Speech”to the 20th Par­ty Con­gress of the Com­mu­nist Par­ty of the Soviet Uni­on on Febru­ary 25, 1956, is Pro­v­a­b­ly Fal­se. Ket­te­ring, OH: Ery­thrós Press & Media LLC, 2011. Deut­sche Über­set­zung: Gro­ver Furr, Chruscht­schows Lügen, Das Neue Ber­lin, 2014.

32 Zu den Bewei­sen, dass Con­quest ein bri­ti­scher Agent war, sie­he Gro­ver Furr: »Respon­se to the Death of Robert Con­quest.” At https://msuweb.montclair.edu/~furrg/research/furr_conquest_obit.html

33 Robert Con­quest. The Gre­at Ter­ror. Stalin’s Pur­ge of the Thir­ties. Lon­don: Macmil­lan, 1968. A new but equal­ly disho­nest edi­ti­on was published in 2008 as The Gre­at Ter­ror. A Reas­sess­ment. 40th Anni­ver­sa­ry Edi­ti­on. New York: Oxford Uni­ver­si­ty Press, 2008.

35 Wen­dy Gold­man and Donald Filt­zer, ed. Hun­ger and War. Food Pro­vi­sio­ning in the Soviet Uni­on during World War II., Bloo­ming­ton, IN: India­na Uni­ver­si­ty Press, 2015.

36 Herv. G.F.

37 »Arse­nij Rog­in­s­kij o molch­a­nii isto­ri­ka« (Arse­ny Rog­in­sky über das Schwei­gen eines Historikers/​Herv. G.F) unter: http://​old​.memo​.ru/​d​/​1​2​4​3​6​0​.​h​tml

38 Lubi­an­ka. Sta­lin i NKVD-NKGB-GUKR »Smersh”. 1939 –mart 1946. Moscow: MDF, 2006, S. 564 n.11; Okho­tin and Rog­in­s­kii in Danilov,V., et al., ed., Tra­ge­diia Sovets­koi Derev­ni vol. 5 No. 2. Moscow: ROS­SPEN, 2006, S. 517. Die­se bei­de Pas­sa­gen wur­den ins Eng­li­sche über­setzt in: Yez­hov vs Sta­lin, S. 113 – 4.

39 Eine rus­sisch­spra­chi­ge Ver­öf­fent­li­chung die­ser Zah­len fin­det sich unter https://www.alexanderyakovlev.orgfond/issues-doc/1009312

40 Was Mozochin betrifft, sind die am bes­ten zugäng­li­chen Zah­len im Inter­net zu fin­den. Für 1939 auf http://​ist​mat​.info/​n​o​d​e​/​290; 1940 auf http://​ist​mat​.info/​n​o​d​e​/​291

41 Die­se Fra­ge wird in dem Buch Yez­hov vs. Sta­lin aus­führ­lich erör­tert und mit Pri­mär­quel­len belegt.

42 NKWD ist die Abkür­zung für »Narod­ny kom­mis­sa­ri­at wnu­tren­nich del«, Volks­kom­mis­sa­ri­at für inne­re Angelegenheiten.

43 Gro­ver Furr, »The Moscow Tri­als and the ‘Gre­at Terror’of 1937 – 1938: What the Evi­dence Shows.” Unter https://msuweb.montclair.edu/~furrg/research/trials_ezhovshchina_update0710.html

44 Gro­ver Furr. Yez­hov vs. Sta­lin: The Truth about Mass Repres­si­ons and the So-Cal­led ‘Gre­at Ter­ror’ in the USSR.Kettering, OH: Ery­thrós Press & Media, LLC, 2017.

45 Yez­hov vs. Sta­lin: The Cau­ses of the Mass Repres­si­ons of 1937 – 1938 in the USSR.”Journal of Labor and Socie­ty 20 (Sep­tem­ber, 2017) 325 – 347. Sie ist jetzt auch auf mei­ner Home­page ver­linkt unter https://msuweb.montclair.edu/~furrg/research/yvs_jls2017.pdf

46 Eine Lis­te der von mir ver­öf­fent­lich­ten Bücher fin­det sich unter https://msuweb.montclair.edu/~furrg/research/thirteen_book_flyer.pdf

48 Sie­he https://en.wikipedia.orgwiki/Gulag#Mortality_rate. Die rus­si­sche Quel­le ist A.I. Koku­rin und N.V. Petrov, Hrsg., Gulag (Glav­noe uprav­le­nie lage­rei) 1917 – 1960. (Mos­kau: MDF, 200), Dok. Nr. 103, S. 441 – 2.

49 Auch »Dimit­ro­v­lag« genannt.

50 A.I. Koku­rin, Yu.N. Moru­kov, eds. Sta­lin­s­kie stroi­ki GULA­Ga. 1930 – 1953​.Moscow: MDF, 2005, S. 61.

53 Ein Bei­spiel dafür ist die Nazi­no-Insel-Affä­re von 1933, die vom anti­kom­mu­nis­ti­schen fran­zö­si­schen Autor Nico­las Werth als »Kan­ni­ba­len­in­sel« sen­sa­tio­nell dar­ge­stellt wur­de. Wert­hs Doku­men­ta­ti­on ist die der zeit­ge­nös­si­schen sowje­ti­schen Unter­su­chung. Auf der eng­li­schen Wiki­pe­dia-Sei­te ist ein Bild von Sta­lin abge­bil­det, um anzu­deu­ten, dass er ver­ant­wort­lich war. Auf der rus­si­schen Wiki­pe­dia-Sei­te gibt es kein sol­ches Bild.

54 Für Jeschows Ver­hör vom 2. August 1939 sie­he https://msuweb.montclair.edu/~furrg/research/ezhovinterrogs.html (Scrol­len Sie nach unten zu »Ezhov inter­ro­ga­ti­on 08.02.39 by Rodos.«). Für Jeschows Geständ­nis vom 4. August 1939 sie­he hier: https://msuweb.montclair.edu/~furrg/research/ezhov080439eng.html

55 J. Arch Get­ty. Ori­g­ins of the Gre­at Pur­ges. The Soviet Com­mu­nist Par­ty Recon­side­red, 1933 – 1938. New York and Cam­bridge: Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press, 1985, S. 189.

56 Lenin, »Staat und Revo­lu­ti­on Lenin. Die Leh­re des Mar­xis­mus vom Staat und die Auf­ga­ben des Pro­le­ta­ri­ats in der Revo­lu­ti­on«, in: Wer­ke, Band 25, Sei­te 393 – 507, Dietz Ver­lag Ber­lin, 1972, Teil 5 [Her­vor­he­bung G.F.]; http://​www​.mlwer​ke​.de/​l​e​/​l​e​2​5​/​l​e​2​5​_​4​7​0​.​htm

57 Wal­ter Lipp­mann, The Phan­tom Public. With a New Intro­duc­tion by Wil­fred M. McClay. New Bruns­wick, NJ: Tran­sac­tion Publishers, 1993 (1927), S. 3.

58 Micha­el Schud­son, Dis­co­ve­ring the News. A Social Histo­ry of Ame­ri­can News­pa­pers. New York: Basic Books, 1978, S. 124.

60 »Sta­te and Ruling Class in Cor­po­ra­te Ame­ri­ca (1974): Reflec­tions, Cor­rec­tions, and New Direc­tions.” Cri­ti­cal Socio­lo­gy 25, 2 (1999), S. 264.

61 M.K. Gan­dhi. The Coll­ec­ted Works of Mahat­ma Gan­dhi, Publi­ca­ti­ons Divi­si­on, Minis­try of Infor­ma­ti­on and Broad­cas­ting, Govern­ment of India, New Delhi. »Ans­wers to Ques­ti­ons [April 25, 1941],” Vol. 80, p. 200; »Inter­view to Ralph Conis­ton, Maha­ba­le­shwar [Befo­re April 25, 1945],« Vol. 86, S. 223.

64 Eine kri­ti­sche Betrach­tung die­ser Unter­su­chun­gen sowie mei­ne eige­nen Unter­su­chun­gen und Schluss­fol­ge­run­gen fin­den sich in Gro­ver Furr, The Mur­der of Ser­gei Kirov. Histo­ry, Scho­lar­ship and the Anti-Sta­lin Para­digm. Ket­te­ring, OH: Ery­thrós Press and Media, LLC, 2013.

67 Sie­he Gro­ver Furr, Leon Trotsky’s Col­la­bo­ra­ti­on with Ger­ma­ny and Japan: Trotsky’s Con­spi­ra­ci­es of the 1930s, Volu­me Two. Ket­te­ring, OH: Ery­thrós Press & Media, LLC, 2017, New Evi­dence of Trotsky’s Con­spi­ra­cy. Ket­te­ring, OH: Ery­thrós Press & Media, LLC, 2020; und Gro­ver Furr / Vla­di­mir L. Bobro­v/S­ven-Eric Holm­ström, Trots­ky and the Mili­ta­ry Con­spi­ra­cy. Soviet and Non-Soviet Evi­dence with the Com­ple­te Tran­script of the »Tuk­ha­chevs­ky Affair” Tri­al. Ket­te­ring, OH: Ery­thrós Press and Media, LLC, 2021.

Zuerst im eng­li­schen Ori­gi­nal erschie­nen in Cul­tu­ral Logic: Mar­xist Theo­ry & Prac­ti­ce Volu­me 25 (2021), S. 51 – 71 (PDF) unter einer CC BY 4.0‑Lizenz. Der Unter­schied zum Ori­gi­nal besteht ledig­lich in weni­gen als sol­chen gekenn­zeich­ne­ten Anmer­kun­gen oder Ein­fü­gun­gen in ecki­gen Klam­mern des Über­set­zers. Die Über­set­zung ent­hält etwas mehr Fuß­no­ten, da die deut­schen Stan­dar­über­set­zun­gen der Klas­si­ker ein­zelnd refe­reziert wur­den, wo Gro­ver Furr auf eine ein­zel­ne Antho­lo­gie ver­wei­sen kann.

Bild: »Die Kon­kur­renz« von Erich Schil­ling aus dem Sim­pli­cis­si­mus vom 20. Mai 1943 (wiki­me­dia com­mons)

One thought on “Sich mies beneh­men­de Mar­xis­ten: Über den Anti-Sta­li­nis­mus in der »Lin­ken«

  1. Zum The­ma Sta­lin und russischer/​sowjetischer Geschich­te wür­de ich unbe­dingt noch das Buch von Ger­hard Schne­hen emp­feh­len. Es ist nicht nur das mit den neus­ten Quel­len son­dern auch das ein­zi­ge Buch dazu daß auch noch span­nend zu lesen ist.

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