Infla­ti­on und Hochwasser

Lese­zeit14 min

Jah­re­lang explo­dier­ten die Geld­men­gen, doch Infla­ti­ons­ra­ten und Zin­sen blie­ben nied­rig. Nun stei­gen bei­de in bis­her nicht bekann­tem Aus­maß. Die Noten­ban­ken reagie­ren mit der Anhe­bung der Zins­sät­ze. Das soll nach Mei­nung der bür­ger­li­chen Wirt­schafts­wis­sen­schaft den Preis­auf­trieb dämp­fen. Die Tat­sa­chen aber bestä­ti­gen nicht die Lehr­mei­nung von Geld­men­gen als Ursa­che der Inflation.

Irr­leh­ren

Nach der gro­ßen Finanz­kri­se von 2008/9 hat­ten die Noten­ban­ken die Märk­te mit bil­li­gem Geld geflu­tet, um den Zusam­men­bruch der Welt­wirt­schaft zu ver­hin­dern. Post­wen­dend pro­phe­zei­ten soge­nann­te Exper­ten, dass das Geld­men­gen­wachs­tum Infla­ti­on brin­gen wür­de. Denn die Lehr­bü­cher der bür­ger­li­chen Wirt­schafts­wis­sen­schaft begrün­den Infla­ti­on mit dem Wachs­tum der Geld­men­gen. Nicht weni­ge phan­ta­sier­ten sogar über eine Hyper­in­fla­ti­on (1). Aber allen Theo­rien zum Trotz stie­gen die Infla­ti­ons­ra­ten nicht. Den­noch scheint äußer­lich tat­säch­lich ein Zusam­men­hang zu bestehen zwi­schen Geld­men­ge und Infla­ti­on, denn Infla­ti­on ist immer auch ver­bun­den mit gro­ßen Geld­men­gen. Nur – sind sie wirk­lich auch deren Ursache?

Zum bes­se­ren Ver­ständ­nis: Auch Hoch­was­ser hat immer mit gro­ßen Was­ser­men­gen zu tun. Ohne die­se gibt es kein Hoch­was­ser. Aber gro­ße Was­ser­men­gen füh­ren nur unter bestimm­ten Umstän­den zu zer­stö­re­ri­schem Hoch­was­ser, wenn sie näm­lich wie im Fal­le der Ahrtal- Kata­stro­phe in enge Kanä­le strö­men. Im Fal­le des Nils bei­spiels­wei­se wer­den die gro­ßen Was­ser­men­gen her­bei­ge­sehnt, weil sie sich sanft in die Brei­te des Nil­del­tas aus­deh­nen und dort Segen brin­gen durch frucht­ba­re Abla­ge­run­gen und nach­hal­ti­ge Bewäs­se­rung des Bodens.

Ähn­lich ver­hält es sich auch mit den Geld­men­gen. Strömt es in enge Märk­te wie den Immobilien‑, den Akti­en- sogar auch den Anlei­he­markt, so führt das zu den stei­gen­den Prei­sen der ver­gan­ge­nen Jah­re. Brei­tet sich aber der Geld­se­gen über die Real­wirt­schaft aus, so führt das zu wach­sen­der Pro­duk­ti­on mit sin­ken­den Stück­prei­sen sowie stei­gen­dem Kon­sum und Wohlstand.

Die Ursa­chen des Hoch­was­sers sind leicht zu erken­nen anhand der Wirk­lich­keit. Es kann durch Regen­fäl­le ent­ste­hen, Schnee­schmel­zen, Damm­brü­che oder ande­re Ereig­nis­se. Immer drückt es sich aus durch gro­ße Was­ser­men­gen. Aber die­se sind nur Aus­druck nicht Ursa­che stei­gen­der Was­ser­pe­gel. Bei der Infla­ti­on ist das nicht so ein­fach. Ihre Ursa­chen lie­gen im Ver­bor­ge­nen und wer­den nur in stei­gen­den Prei­sen sicht­bar. Zwar blei­ben Geld­men­gen selbst nicht ver­bor­gen, aber die­se inter­es­sie­ren kaum jeman­den, solan­ge die Prei­se nied­rig bleiben.

Bei ihrem ers­ten Auf­tre­ten zu Beginn der 1920er Jah­re im Deut­schen Reich war Infla­ti­on eine rela­tiv neue Erschei­nung im Kapi­ta­lis­mus und so lag noch wenig Erfah­rung mit ihr vor. Wor­in aber die soge­nann­ten Exper­ten sich schnell einig waren, war das Offen­sicht­li­che: Gro­ße Geld­men­gen = Infla­ti­on. Doch ihr Ent­ste­hen blieb ihnen ein Buch mit sie­ben Siegeln.

Infla­ti­on und Interessen

Trotz der gewal­ti­gen Geld­men­gen, die nach 2008 von den Noten­ban­ken geschaf­fen wor­den waren, stieg die Infla­ti­on über zehn Jah­re nicht an. Bereits seit dem Ende der 1980er Jah­re, also nun­mehr seit mehr als drei­ßig Jah­ren, hat­te Japan nach dem gro­ßen Immo­bi­li­en-Crash die Geld­men­gen ste­tig erhöht, um defla­tio­nä­ren Ten­den­zen in sei­ner Wirt­schaft zu entkommen.

Aber trotz aller Anstren­gun­gen von Noten­bank und Poli­tik wur­de das ange­streb­te Ziel von zwei Pro­zent Infla­ti­on in Japan nie erreicht. Zeit­wei­lig waren die Infla­ti­ons­zah­len auch im Wes­ten sogar nega­tiv, obwohl die Geld­men­gen immer wei­ter anschwol­len. Aller Wirk­lich­keit zum Trotz hiel­ten die »Exper­ten« an ihrer Geld­men­gen-Theo­rie fest, hin­ter­fragt wur­de sie nicht.

Nüch­tern betrach­tet und befreit von allem theo­re­ti­schen Brim­bo­ri­um ist Infla­ti­on nichts ande­res als die Sum­me der Preis­stei­ge­run­gen, die sich in ihrer Gesamt­heit gesell­schaft­lich aus­wir­ken. Bis weit in die 1970er Jah­re wur­den Preis­stei­ge­run­gen auch als sol­che bezeich­net, bis der schein­bar wis­sen­schaft­li­che­re Begriff »Infla­ti­on« immer mehr um sich griff.

Damit wur­de Infla­ti­on unpo­li­tisch und erhielt den Cha­rak­ter von Schick­sals­schlä­gen wie Hun­ger, Pest oder Krieg, wodurch sie nicht mehr so leicht als eine Aus­wir­kung des kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schafts­sys­tems zu erken­nen war. Der Begriff der Preis­stei­ge­run­gen hat­te zu sehr die Auf­merk­sam­keit auf die Ver­ur­sa­cher von Preis­stei­ge­run­gen gelenkt, das pri­va­te Unter­neh­mer­tum, das die Prei­se gestaltet.

Infla­tio­nen haben aber in den wenigs­ten Fäl­len wirt­schaft­li­che Ursa­chen. Viel häu­fi­ger lie­gen ihnen poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen zu Grun­de wie die Erhe­bung von Zöl­len, Sank­tio­nen oder Pro­gram­me wie der Green-Deal der EU-Kom­mis­si­on zur Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels. Preis­an­stieg als deren Fol­gen wer­den durch den Begriff Infla­ti­on poli­tisch ent­schärft und ihre Ver­ur­sa­cher ver­schlei­ert. Aber die­se Ver­all­ge­mei­ne­rung durch einen ein­zi­gen Begriff hat einen Pfer­de­fuß. Sie erschwert das Erken­nen der Ursa­chen und begnügt sich mit dem Offen­sicht­li­chen, den aus­ufern­den Geldmengen.

Somit schei­nen, ober­fläch­lich betrach­tet, alle Infla­tio­nen gleich zu sein. Aber auch Zucker und Salz sind äußer­lich gleich. Den wirk­li­chen Unter­schied zwi­schen bei­den erkennt man erst, wenn man sich nicht mit der ober­fläch­li­chen Betrach­tung zufrie­den gibt, son­dern ihrem Wesen auf den Grund geht. Man merkt es aber auch, wenn man sie fälsch­li­cher­wei­se in Kaf­fee oder Sup­pe streut. Die Wirk­lich­keit macht dann den Unter­schied sehr schnell deut­lich. Nur die Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten blei­ben davon unbe­rührt. Sie hal­ten an den Äußer­lich­kei­ten fest. Wie unter­schied­lich die Infla­tio­nen jedoch in ihren inne­ren Trieb­kräf­ten sein kön­nen, soll im Fol­gen­den dar­ge­stellt werden.

Infla­ti­on trotz gerin­ger Geldmengen

In der Hoch­kon­junk­tur des Wirt­schafts­wun­ders nach dem Zwei­ten Welt­krieg konn­ten Unter­neh­men auf­grund der hohen Nach­fra­ge der Ver­brau­cher höhe­re Prei­se am Markt durch­set­zen. Die Fol­ge war ein Anstei­gen der Prei­se im gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Rah­men (Infla­ti­on) in Deutsch­land zwi­schen der Mit­te der 1970er und 1980er Jah­re von bis zu acht Pro­zent. In den USA und Frank­reich lagen die­se Wer­te sogar über zehn Pro­zent. (2)

Der Anstieg der Prei­se im Wes­ten war aber gera­de nicht auf zu hohe Geld­men­gen zurück­zu­füh­ren son­dern viel­mehr im Gegen­teil auf nicht aus­rei­chen­de. Auf Grund der hohen Kon­sum­nach­fra­ge wei­te­ten die Unter­neh­men ihre Pro­duk­ti­on immer mehr aus, sie inves­tier­ten. Dafür nah­men sie Kre­di­te auf. Aber auch der pri­va­te Kon­sum wur­de zuneh­mend auf Pump finan­ziert. Die Kre­dit­nach­fra­ge wuchs und stieß bald an die Gren­zen der Kapi­tal­märk­te. Die an den Finanz­märk­ten vor­han­de­nen Kapi­tal­men­gen reich­ten nicht aus zur Bedie­nung der Kredit-Nachfrage.

Da Kapi­tal knapp war, war mehr Kre­dit nur gegen höhe­re Prei­se, das heißt höhe­re Zin­sen(3), zu haben. In der Fol­ge stie­gen neben den Waren­prei­sen auch die Zin­sen an, bis die­se in den 1980er Jah­ren Wer­te erreich­ten, die Pro­duk­ti­on immer weni­ger ren­ta­bel mach­ten. Denn trotz des Wohl­stands durch das Wirt­schafts­wun­der konn­ten die gestie­ge­nen Pro­duk­ti­ons­kos­ten nicht unbe­grenzt an die Kund­schaft wei­ter­ge­reicht wer­den. Mit dem Anstieg der Waren­prei­se zogen die Gewin­ne der Unter­neh­men nicht in glei­chem Maße mit.

Die­se Gleich­zei­tig­keit von stei­gen­den Prei­sen und nach­las­sen­den Gewin­nen war eine neue Erschei­nung im Kapi­ta­lis­mus, die sich die bür­ger­li­che Wirt­schafts­wis­sen­schaft nicht erklä­ren konn­te. Sie taten, was sie immer taten, wenn sie sich eine wirt­schaft­li­che Erschei­nung nicht erklä­ren konn­ten, sie schu­fen einen neu­en Begriff: die Lohn-Preis-Spi­ra­le. Die­ser drang aber nicht zum Kern des Pro­blems vor und konn­te des­halb auch kei­ne Lösung anbieten.

Erst die Kapi­tal­markt­re­for­men unter der bri­ti­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Mar­gret That­cher und dem US-Prä­si­den­ten Ronald Rea­gan ver­stärk­ten die Öff­nung der Kapi­tal­märk­te. Damit waren die natio­na­len Schran­ken der Kre­dit­ver­ga­be gesenkt wor­den und der Weg frei für die Aus­wei­tung der Geld­men­gen. Mit deren Aus­wei­tung stieg die Infla­ti­on aber gera­de nicht an, son­dern sie sank statt­des­sen(2).

Denn wenn immer mehr Bröt­chen auf den Markt kom­men, sinkt ihr Preis. Das ist beim Kapi­tal nicht anders. War­um soll­ten die Markt­me­cha­nis­men des Kapi­ta­lis­mus sich bei einem wach­sen­den Ange­bot an Bröt­chen anders ver­hal­ten als bei einem höhe­ren Ange­bot an Kapital?

Die deut­sche Infla­ti­on von 1923

Den­noch ste­hen die Infla­ti­ons­ra­ten der 1970er Jah­re in kei­nem Ver­hält­nis zu denen in der Wei­ma­rer Repu­blik zu Beginn der 1920er Jah­re. Von ihnen hat­te der Begriff »Infla­ti­on« sei­nen Schre­cken bekom­men, denn sie ver­nich­te­te die Lebens­grund­la­gen von Mil­lio­nen. Zudem stammt von ihr auch das Bild der aus­ufern­den Geld­men­gen als Erklä­rungs­ver­such für die Inflation.

Die tie­fe­re Ursa­che der Infla­ti­on von 1923 lag aber nicht in den Geld­men­gen son­dern im Ver­fall der deut­schen Wäh­rung gegen­über denen der Sie­ger­mäch­te, denen das Deut­sche Reich Repa­ra­tio­nen leis­ten muss­te. Die­se muss­ten in Devi­sen gezahlt wer­den. Um also die fran­zö­si­schen Repa­ra­ti­ons­for­de­run­gen zu bedie­nen, muss­te die deut­sche Reichs­bank fran­zö­si­sche Francs kau­fen, zu wel­chem Preis auch immer sie erhält­lich waren. Das trieb den Preis der fran­zö­si­schen Wäh­rung gegen­über der Reichs­mark. Die deut­sche Regie­rung war gezwun­gen, immer mehr Reichs­mark für den Ankauf des Fran­ken(4) aufzuwenden.

Ande­rer­seits aber muss­te auch der Geld­kreis­lauf im Reich selbst gewähr­leis­tet sein, woll­te man nicht den Zusam­men­bruch der Wirt­schafts­tä­tig­keit ris­kie­ren. Für bei­des jedoch, die For­de­run­gen von außen nach Bedie­nung der Repa­ra­tio­nen und denen von innen nach Auf­recht­erhal­tung der Geld­ver­sor­gung, reich­te die Geld­men­ge nicht aus. Das Pro­blem wur­de über die Noten­pres­se zu lösen ver­sucht. Um den Bedarf an Zah­lungs­mit­teln zu bedie­nen, schuf die Reichs­bank immer mehr Reichs­mark, mehr als der Leis­tungs­kraft der deut­schen Wirt­schaft entsprach.

Das Wachs­tum der Geld­men­gen blieb nicht ohne Fol­gen für die Außen­han­dels­be­zie­hun­gen. Die Reichs­mark ver­lor an Ver­trau­en an den inter­na­tio­na­len Märk­ten. Denn die Han­dels­part­ner waren nicht mehr sicher, ob sie für eine bestimm­te Men­ge Reichs­mark spä­ter noch die­sel­be Waren­men­ge bekom­men wür­den wie zu dem Zeit­punkt, als sie die­se Geld­men­ge erhal­ten hatten.

Die Aus­tausch­ver­hält­nis­se der Reichs­mark ver­schlech­ter­ten sich rapi­de gegen­über den ande­ren Wäh­run­gen. Dadurch wur­den Impor­te nach Deutsch­land immer teu­rer, sodass deren Prei­se im Inland explo­dier­ten. Aber mit die­sen Prei­sen konn­te die Ent­wick­lung der Löh­ne nicht Schritt hal­ten. Die Waren des täg­li­chen Bedarfs wur­den uner­schwing­lich. Unvor­stell­ba­re Armut und Ver­elen­dung grif­fen um sich.

Die Infla­ti­on von 1923 war nicht durch eine schwin­den­de Leis­tungs­kraft der deut­schen Wirt­schaft ver­ur­sacht. Die­se blieb weit­ge­hend sta­bil im inter­na­tio­na­len Ver­gleich. Allein das Aus­tausch­ver­hält­nis zwi­schen der deut­schen und den ande­ren Welt­wäh­run­gen ver­fiel mas­siv. Des­halb war das Pro­blem auch durch wirt­schaft­li­che Maß­nah­men nicht zu lösen. Es muss­ten poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen getrof­fen wer­den, die das Ver­trau­en in die Reichs­mark wie­der­her­stell­ten. Damit schlug die Stun­de der Ame­ri­ka­ner und ihrer Ein­fluss­nah­me auf die euro­päi­sche Politik.

Im Young- und im Dawes-Plan wur­den die deut­schen Repa­ra­tio­nen neu gere­gelt. Das deut­sche Reich wur­de durch die Bege­bung inter­na­tio­na­ler Anlei­hen reka­pi­ta­li­siert. Dafür wur­den deut­sche Ver­mö­gens­wer­te wie die Reichs­bahn ver­pfän­det und die staat­li­che Sou­ve­rä­ni­tät über die Finan­zen ein­ge­schränkt. Beson­ders aber wur­de die Bevöl­ke­rung durch die wei­te­re Absen­kung des Lebens­stan­dards zur Ader gelassen.

Qua­si über Nacht waren Geld­men­gen allein durch poli­ti­schen Beschluss plötz­lich kein Geld mehr son­dern Alt­pa­pier. Damit wider­legt gera­de der Ver­lauf der Infla­ti­on von 1923 die Theo­rie der Geld­men­gen als Ursa­che von Infla­ti­on. Auch die Vor­stel­lung von der Schaf­fung des Gel­des aus dem Nichts und die damit ver­bun­de­nen Ängs­te erwei­sen sich als grund­los. Zwar waren Geld­men­gen aus dem soge­nann­ten Nichts geschaf­fen wor­den, aber sie kehr­ten durch ihre Ver­nich­tung auch wie­der dort­hin zurück.

Neue­re Inflationen

Die deut­sche Infla­ti­on von 1923 kann noch in ihrem Ent­ste­hen als von wirt­schaft­li­che Fak­to­ren getrie­ben ange­se­hen wer­den. Die neue­ren, die ähn­li­che Dimen­sio­nen errei­chen, sind beson­ders seit dem Ende des Kal­ten Krie­ges meist das Ergeb­nis poli­ti­scher Ereig­nis­se, haupt­säch­lich west­li­cher Sank­tio­nen, bezie­hungs­wei­se deren Andro­hung. Die­se ver­un­si­chern die Anle­ger, die sich wegen erwar­te­ter nega­ti­ver Aus­wir­kun­gen auf ihre Kapi­tal­an­la­gen von die­sen Märk­ten zurück­zie­hen oder die­se von vor­ne­her­ein mei­den. Bei­spiel­haft hier­für sind der Iran, Russ­land, die Tür­kei, Vene­zue­la und Zim­bab­we, um nur die bekann­tes­ten zu nennen.

Deren wirt­schaft­li­che Pro­ble­me waren eine Fol­ge von poli­ti­schen Ein­wir­kun­gen und der dadurch ver­ur­sach­ten Ent­kopp­lung der Wäh­run­gen von der tat­säch­li­chen wirt­schaft­li­chen Leis­tungs­kraft. Als bei­spiel­haft für eine poli­tisch ver­ur­sach­te Infla­ti­on soll hier die Tür­kei betrach­tet werden.

Deren Infla­ti­ons­ra­ten (5) blie­ben zwi­schen 2004 und 2016 weit­ge­hend sta­bil bei acht Pro­zent, neig­ten viel­leicht eher sogar zum Sin­ken. Ab 2016 stie­gen die Wer­te sprung­haft an und ver­dop­pel­ten sich inner­halb von nur zwei Jah­ren. Dabei lag die tür­ki­sche Wirt­schafts­leis­tung (6) 2016 bei beacht­li­chen 3,32 % und die Ver­schul­dung (7) nur bei 29%, wofür die USA, Japan und jeder EU-Staat die Tür­kei benei­det hät­ten. Also kann es an den wirt­schaft­li­chen Daten nicht gele­gen haben, dass die tür­ki­sche Wäh­rung so plötz­lich an Wert verlor.

Um es kurz zu machen: 2016 schei­ter­te ein Putsch von Tei­len des tür­ki­schen Mili­tärs gegen Erdo­gan. Die­ser hat­te sich in sei­ner Syri­en-Poli­tik immer wei­ter vom Wes­ten ent­fernt und sich statt­des­sen zuneh­mend mit Russ­land arran­giert und die wirt­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit(8) ver­tieft. Die Kon­flik­te mit dem Wes­ten blie­ben nicht aus und nah­men ste­tig zu bis hin zu Sank­ti­ons­dro­hun­gen(9). Anle­ger wur­den nicht nur zurück­hal­ten­der mit ihrer Geld­an­la­ge in der Tür­kei, es floss auch Kapi­tal ab. »Ers­te Anle­ger zogen sich bereits direkt nach der Ver­hän­gung des Aus­nah­me­zu­stands aus der Tür­kei zurück.« (10).

Hat­ten aus­län­di­sche Direkt­in­ves­ti­tio­nen (11) 2015 noch bei cir­ca 20 Mil­li­ar­den Dol­lar gele­gen, so bra­chen sie im Fol­ge­jahr um etwa ein Drit­tel auf 14 Mrd Dol­lar ein. Es floss also weni­ger Geld in die Tür­kei, was die Nach­fra­ge nach der tür­ki­schen Lira sin­ken ließ und damit ihren Preis gegen­über dem Dol­lar. Zusätz­lich stieg der Druck auf die Lira durch den Abzug von aus­län­di­schem Kapi­tal, da bei die­sem Vor­gang Lira in Dol­lar oder Euro getauscht wer­den. Dol­lar und Euro waren gefragt.

Auf­grund des Wäh­rungs­ver­falls hät­ten aus­län­di­sche Anle­ger Wert­ver­lus­te hin­neh­men müs­sen, wenn in Lira aus­ge­zahl­te Divi­den­den und Zin­sen in Dol­lar und Euro umge­tauscht und aus­ge­zahlt wür­den. Das beschleu­nig­te die Flucht aus tür­ki­schen Anla­gen, zudem die tür­ki­sche Noten­bank der For­de­rung aus­län­di­scher Anle­ger nicht nach­kam, die Leit­zin­sen zu erhöhen.

Trotz­dem führ­te die Wei­ge­rung der Noten­bank und der damit ver­bun­de­ne Abzug von Kapi­tal nicht zur Schwä­chung der tür­ki­schen Wirt­schaft. Viel­mehr hät­te die Erhö­hung der Leit­zin­sen eine zusätz­li­che Belas­tung für die tür­ki­schen Wirt­schaft bedeu­tet wegen der höhe­ren Zins­kos­ten für tür­ki­sche Unter­neh­men. So stieg der Index der tür­ki­schen Bör­se von etwa 750 Punk­ten im Jahr 2016 auf über 5000 Ende 2022 (12).

Die Infla­ti­on ging zwar ein­her mit einer Ver­fünf­fa­chung der Geld­men­gen (13) seit 2015, ging aber Ende 2022 wie­der zurück von 85 auf 65 Pro­zent (14) ent­ge­gen der Geld­men­gen-Theo­rie. Denn die Geld­men­gen san­ken nicht. Einer der wesent­li­chen Grün­de für die­se Ent­wick­lung dürf­te der star­ke Aus­bau der Wirt­schafts­be­zie­hun­gen zwi­schen Russ­land und der Tür­kei sein als Fol­ge der west­li­chen Wirt­schafts­sank­tio­nen gegen­über Russland.

Infla­ti­on in der EU

Wie­der anders dage­gen ver­hält es sich bei den heu­ti­gen Preis­stei­ge­run­gen im Wes­ten. Die­se sind nicht durch den Ukrai­ne-Krieg ver­ur­sacht, eher durch die Sank­tio­nen gegen­über Russ­land. Denn bis­her hat­te das aus­ge­dehn­te Sank­ti­ons­re­gime des Wes­tens gegen­über vie­len Staa­ten der Welt kaum erkenn­ba­re Aus­wir­kun­gen auf die Prei­se in Euro­pa gehabt. Der Preis­an­stieg in der EU rührt in ers­ter Linie vom Ver­zicht auf rus­si­sches Öl und Gas.

Ener­gie­trä­ger ver­zeich­nen nicht nur die stärks­ten Preis­an­stie­ge, sie sind gleich­zei­tig auch von ihren Men­gen eine so bedeu­ten­de Grö­ße, dass sie gesell­schaft­li­ches Gewicht haben. So wür­de ein star­ker Preis­an­stieg z.B. für kuba­ni­sche Zigar­ren auf­grund ihrer gerin­gen Markt­be­deu­tung nicht zu einem sol­chen Infla­ti­ons­schub füh­ren wie der von Gas und Öl. Denn die­se sind die Grund­stof­fe und Ener­gie­trä­ger der Indus­trie. Ver­teu­ern sich die­se, strahlt das aus auf die Prei­se der Folgeprodukte.

Der schar­fe Preis­an­stieg für Ener­gie hat­te aber nicht erst mit dem Krieg und den west­li­chen Sank­tio­nen begon­nen son­dern mit der Unter­wer­fung der west­li­chen Regie­run­gen und der EU-Kom­mis­si­on unter die For­de­run­gen der Kli­ma­be­we­gung. Die­ser haben die Füh­rungs­kräf­te der west­li­chen Gesell­schaf­ten poli­tisch und argu­men­ta­tiv wenig ent­ge­gen zu set­zen. Die Kli­ma­be­we­gung ist Fleisch vom eige­nen Flei­sche der Wer­te-Mis­sio­na­re, nur dass sie die Wer­te­ori­en­tie­rung radi­ka­ler fort­setzt als ihre Lehr­meis­ter. Die west­li­chen Idea­le sind mitt­ler­wei­le zum Aus­hän­ge­schild, aber auch Bin­de­mit­tel der soge­nann­ten Wer­te­ge­mein­schaft geworden.

Im Kampf für die west­li­chen Wer­te sind sich deren Erfin­der wie auch ihre Kli­ma-Jün­ger mitt­ler­wei­le eben­so einig wie in den Staa­ten, die sie zu gemein­sa­men Fein­den ernannt haben. Die Kli­ma­be­we­gung ist die Ver­tre­te­rin die­ser Wer­te­ori­en­tie­rung in einem gesell­schaft­li­chen Milieu, das mit der eta­blier­ten Poli­tik bis­her eher im Kon­flikt lag. Mit dem gemein­sa­men Ein­tre­ten für das Kli­ma und für die west­li­chen Wer­te sind die­se Kräf­te zusammengerückt.

Das führt aber auch dazu, dass die poli­ti­schen Füh­rungs­kräf­te die inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung auf­ge­ge­ben haben. Sie haben die Sicht­wei­sen der Kli­ma­ak­ti­vis­ten weit­ge­hend wider­stands­los über­nom­men, weil ihnen selbst das Rüst­zeug fehlt, sich mit deren Ansich­ten zu mes­sen. Mitt­ler­wei­le ist die­se Ver­schmel­zung so weit gegan­gen, dass man weit­ge­hend das macht, was die poli­ti­schen Ver­tre­ter der Kli­ma­be­we­gung for­dern. Und die­se For­de­run­gen ver­ur­sa­chen gewal­ti­ge Kos­ten wie die Beprei­sung des Kohlendioxid.

Die­se Maß­nah­me hat schon 2021 zu einem star­ken Preis­schub bei den Ener­gie­trä­gern (15) geführt. Zusam­men mit der Libe­ra­li­sie­rung des Gas­mark­tes sind die­se poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen für den Anstieg der Infla­ti­ons­ra­te ver­ant­wort­lich schon vor dem Ukrai­ne­krieg und den Sank­tio­nen gegen Russ­land. Aber die­se Vor­ge­schich­te ist unter dem Ein­druck des der­zei­ti­gen Preis­an­stiegs in Ver­ges­sen­heit geraten.

Die Infla­ti­on in der EU geht zurück auf poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen wie CO2-Beprei­sung, Russ­land­sank­tio­nen und Ver­zicht auf rus­si­sche Ener­gie­trä­ger, nicht auf Geld­men­gen. Beson­ders seit dem Ende des Kal­ten Krie­ges füh­ren Sank­tio­nen und Zöl­le zu Ver­wer­fun­gen im Aus­tausch­ver­hält­nis der Wäh­run­gen. Die Poli­ti­sie­rung beson­ders des Dol­lars ver­ur­sacht die Preis­stei­ge­run­gen in den Län­dern, gegen die sich die­se Maß­nah­men richten.

Ver­wei­se

  1. https://www.theintelligence.de-rüdiger-rauls-wo-bleibt-die-inflation.html
  2. https://​www​.bun​des​bank​.de/​d​e​/​a​u​f​g​a​b​e​n​/​t​h​e​m​e​n​/​i​n​f​l​a​t​i​o​n​-​l​e​h​r​e​n​-​a​u​s​-​d​e​r​-​g​e​s​c​h​i​c​h​t​e​-​6​1​4​516
  3. Ent­wick­lung der Leitzinsen
  4. Sie­he dazu: Rüdi­ger Rauls – Wie funk­tio­niert Geld?
  5. https://​de​.sta​tis​ta​.com/​s​t​a​t​i​s​t​i​k​/​d​a​t​e​n​/​s​t​u​d​i​e​/​2​1​6​0​5​6​/​u​m​f​r​a​g​e​/​i​n​f​l​a​t​i​o​n​s​r​a​t​e​-​i​n​-​d​e​r​-​t​u​e​r​k​ei/
  6. https://​de​.sta​tis​ta​.com/​s​t​a​t​i​s​t​i​k​/​d​a​t​e​n​/​s​t​u​d​i​e​/​1​4​5​5​6​/​u​m​f​r​a​g​e​/​w​a​c​h​s​t​u​m​-​d​e​s​-​b​r​u​t​t​o​i​n​l​a​n​d​s​p​r​o​d​u​k​t​s​-​i​n​-​d​e​r​-​t​u​e​r​k​ei/
  7. https://​de​.sta​tis​ta​.com/​s​t​a​t​i​s​t​i​k​/​d​a​t​e​n​/​s​t​u​d​i​e​/​2​1​6​1​7​0​/​u​m​f​r​a​g​e​/​s​t​a​a​t​s​v​e​r​s​c​h​u​l​d​u​n​g​-​d​e​r​-​t​u​e​r​k​e​i​-​i​n​-​r​e​l​a​t​i​o​n​-​z​u​m​-​b​r​u​t​t​o​i​n​l​a​n​d​s​p​r​o​d​u​k​t​-​b​ip/
  8. https://​rue​di​ger​rauls​blog​.word​press​.com/​2​0​1​7​/​0​4​/​1​9​/​t​u​e​r​k​e​i​-​v​o​r​w​a​e​r​t​s​-​i​n​-​d​i​e​-​v​e​r​g​a​n​g​e​n​h​e​it/
  9. https://​rue​di​ger​rauls​blog​.word​press​.com/​2​0​1​8​/​0​8​/​1​6​/​d​e​r​-​l​a​n​g​e​-​s​c​h​a​t​t​e​n​-​d​e​s​-​s​y​r​i​e​n​k​r​i​e​gs/
  10. https://​finanz​kun​.de/​a​r​t​i​k​e​l​/​k​a​p​i​t​a​l​f​l​u​c​h​t​-​a​u​s​-​d​e​r​-​t​u​e​r​k​ei/
  11. https://​www​.bpb​.de/​t​h​e​m​e​n​/​e​u​r​o​p​a​/​t​u​e​r​k​e​i​/​3​0​1​8​9​7​/​a​u​s​l​a​e​n​d​i​s​c​h​e​-​d​i​r​e​k​t​i​n​v​e​s​t​i​t​i​o​n​e​n​-​i​n​-​dietuerkei/​
  12. https://​www​.finan​zen100​.de/​i​n​d​e​x​/​i​s​e​-​n​a​t​i​o​n​a​l​-​1​0​0​_​H​1​6​8​8​0​0​8​2​6​0​_​8​3​1​3​3​20/
  13. https://​de​.tra​din​ge​co​no​mics​.com/​t​u​r​k​e​y​/​m​o​n​e​y​-​s​u​p​p​l​y​-m3
  14. https://​de​.tra​din​ge​co​no​mics​.com/​t​u​r​k​e​y​/​i​n​f​l​a​t​i​o​n​-​cpi
  15. https://​www​.tages​schau​.de/​w​i​r​t​s​c​h​a​f​t​/​v​e​r​b​r​a​u​c​h​e​r​/​w​i​e​-​e​n​t​s​t​e​h​t​-​d​e​r​-​g​a​s​p​r​e​i​s​-​1​0​1​.​h​tml

Der Bei­trag ist unter dem Titel »Gesich­ter der Infla­ti­on« erschie­nen bei https://​www​.vier​te​.online/

Rüdi­ger Rauls ist Buch­au­tor und betreibt den Blog Poli­ti­sche Analyse

Bild: Pix­a­bay

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert