Ist Wla­di­mir Putin durch neue Bewei­se in den Absturz von Malay­sia Air­lines Flug 17 verwickelt?

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Am 8. Febru­ar ver­öf­fent­lich­te der renom­mier­te Jour­na­list Sey­mour Hersh auf Sub​stack​.com (dt. Übers. bei jun­ge Welt Teil 1/Teil 2) bahn­bre­chen­den Arti­kel dar­über, wie die USA und Nor­we­gen die Zer­stö­rung der euro­päi­schen Gas­le­bens­ader plan­ten. Die Gesprä­che hat­ten bereits begon­nen, lan­ge bevor Russ­land in der Ukrai­ne inter­ve­nier­te. Wäh­rend der NATO-Mari­ne­übun­gen Bal­tops in der Nähe der däni­schen Insel Born­holm im Juni 2022 brach­ten Tau­cher der US-Mari­ne die Spreng­la­dun­gen an den Pipe­lines Nord Stream 1 und 2 an. Am 26. Sep­tem­ber warf ein nor­we­gi­sches Mari­ne­flug­zeug die Sonar­bo­je ab, um die Bom­ben zu zün­den. Damit war die Mög­lich­keit gebannt, dass die EU eine »japa­ni­sche Lösung« (Aus­schluss des Ener­gie­sek­tors von den anti­rus­si­schen Sank­tio­nen) beschlie­ßen könnte.

Am sel­ben Tag, an dem Hershs Arti­kel erschien, ver­öf­fent­lich­te die Gemein­sa­me Ermitt­lungs­grup­pe (Joint Inves­ti­ga­ti­on Team, JIT), die mit der Ver­fol­gung der Täter hin­ter dem Absturz des Flu­ges MH17 der Malay­si­an Air­lines am 17. Juli 2014 beauf­tragt ist, einen par­al­le­len Bericht. Dar­in wird behaup­tet, dass der rus­si­sche Prä­si­dent Putin per­sön­lich die Lie­fe­rung von schwe­ren Flug­ab­wehr­ra­ke­ten an die Rebel­len im Don­bass ange­ord­net habe.

Da das JIT sehr lang­sam arbei­tet (schon allein des­halb, weil alle Schluss­fol­ge­run­gen zuvor von den Ver­tre­tern des Kie­wer Regimes über­prüft wer­den müs­sen), kön­nen wir aus­schlie­ßen, dass dies ein Ver­such war, von der Hersh-Ent­hül­lung über die Nord Stream-Explo­si­on abzulenken.

Der Zusam­men­hang ist sym­bo­lisch, obwohl er sicher­lich als (klei­ne) Ablen­kung funktioniert.

In einem Moment, in dem sich der pro­gnos­ti­zier­te Aus­gang des NATO-Stell­ver­tre­ter­kriegs gegen Russ­land, in dem die seit dem von den USA gesteu­er­ten Putsch im Febru­ar 2014 aus­ge­bil­de­ten und aus­ge­rüs­te­ten Kie­wer Streit­kräf­te auf­ge­rie­ben wer­den, als Illu­si­on erweist, muss jede mög­li­che ideo­lo­gi­sche Stüt­ze ein­ge­setzt wer­den, um »Putin« wei­ter­hin als Quel­le allen Übels zu verunglimpfen.

Wor­auf lau­fen die neu­en Bewei­se also hinaus?

Angeb­lich (obwohl der JIT-Bericht hin­zu­fügt, dass dies nicht bewie­sen wer­den kann) wur­de Putin die Bit­te der Don­bass-Rebel­len um wirk­sa­me­re Flug­ab­wehr­waf­fen unter­brei­tet, wäh­rend er am 6. Juni 2014 in der Nor­man­die war, um der Lan­dung der Alli­ier­ten 1944 zu geden­ken. Das OK für die­sen Antrag wür­de den rus­si­schen Prä­si­den­ten direkt für das letzt­end­li­che Dra­ma ver­ant­wort­lich machen.

Wir wis­sen, dass Putin wäh­rend des Besuchs in der Nor­man­die mit sei­nem Kie­wer Amts­kol­le­gen Petro Poro­schen­ko ver­ein­bart hat, Gesprä­che über einen Waf­fen­still­stand im Don­bass auf­zu­neh­men. Zwei Tage spä­ter traf tat­säch­lich ein rus­si­scher Gesand­ter in Kiew ein, um sol­che Ver­hand­lun­gen vor­zu­be­rei­ten. Dass dies sehr ernst genom­men wur­de, lässt sich an der Ent­schei­dung des rus­si­schen Föde­ra­ti­ons­ra­tes vom 24. Juni able­sen, dem Prä­si­den­ten die Befug­nis zur Ent­sen­dung rus­si­scher Trup­pen ins Aus­land zu ent­zie­hen. Die­se Befug­nis war ursprüng­lich zum Schutz der Krim erteilt wor­den, nach­dem die­se nach dem natio­na­lis­ti­schen Putsch ein Refe­ren­dum über die Abspal­tung von der Ukrai­ne abge­hal­ten hatte.

Wäh­rend des gesam­ten Monats Juni war die rus­si­sche Sei­te also durch nach­weis­ba­re Hand­lun­gen vom Prä­si­den­ten abwärts bemüht, die Fol­gen des Put­sches ein­zu­däm­men. Wäre es dann wahr­schein­lich, dass Putin gleich­zei­tig eine qua­li­ta­ti­ve Ver­bes­se­rung der Flug­ab­wehr­aus­rüs­tung der Rebel­len im Don­bass ange­ord­net hät­te? Und hät­te er die­se mili­tär­tech­ni­sche Ange­le­gen­heit abge­seg­net, wäh­rend er in der Nor­man­die einen vol­len Ter­min­ka­len­der hat­te, anstatt auf sei­ne Rück­kehr nach Mos­kau zu warten?

Noch im Juli war es Russ­lands Absicht, die Situa­ti­on in der Ukrai­ne nach dem Putsch ein­zu­däm­men. Das war, nach­dem die Kie­wer Sei­te die Kämp­fe wie­der auf­ge­nom­men hat­te. Denn Poro­schen­ko hat­te sich nicht gegen die ukrai­ni­schen Ultras durch­set­zen kön­nen, mit denen er in den letz­ten Juni­ta­gen kon­fe­rier­te und die die soge­nann­te Anti-Ter­ror-Ope­ra­ti­on gegen die Don­bass-Rebel­len fort­set­zen wollten.

In der Zwi­schen­zeit unter­nahm Putin eine Latein­ame­ri­ka­rei­se, die in Bra­si­li­en ende­te, wo er sich mit den Staats­chefs der BRICS-Län­der beriet, um die Grün­dung einer spe­zi­el­len Ent­wick­lungs­bank für die fünf Län­der vor­an­zu­trei­ben, der ein Wäh­rungs­fonds ange­glie­dert wer­den soll – eine direk­te Her­aus­for­de­rung an die von den USA domi­nier­te Kom­bi­na­ti­on aus Welt­bank und IWF. Außer­dem traf Putin mit Ange­la Mer­kel, der deut­schen Bun­des­kanz­le­rin, zusam­men, die zufäl­lig eben­falls zum Fina­le der Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft in Bra­si­li­en weil­te. Mit ihr ver­ein­bar­te er die Auf­nah­me von Ver­hand­lun­gen über eine Bei­le­gung des Kon­flikts in der Ukrai­ne, ein­schließ­lich des end­gül­ti­gen Sta­tus der Krim. Ange­sichts der Bedeu­tung der Gas­pipe­lines für den wirt­schaft­li­chen Wie­der­auf­bau des vom Krieg zer­rüt­te­ten Lan­des wur­de die­ses Res­sort dem ukrai­ni­schen Olig­ar­chen Dmy­t­ro Fir­tasch anver­traut, der all­ge­mein als wich­tigs­ter Part­ner der rus­si­schen Gaz­prom in dem Land gilt.

Am 16. Juli 2014 ver­häng­ten die USA, offen­sicht­lich als Reak­ti­on auf das BRICS-Bank­pro­jekt, neue Sank­tio­nen gegen Russ­land, die sich spe­zi­ell auf den Ener­gie­be­reich kon­zen­trier­ten. Im Gegen­satz zu frü­he­ren Straf­maß­nah­men konn­te sich die EU die­ses Mal jedoch nicht dar­auf eini­gen, die­sem Bei­spiel zu fol­gen. Meh­re­re Län­der wehr­ten sich gegen die Beein­träch­ti­gung ihrer Gas- und Ölver­sor­gung. Tat­säch­lich hat­ten die Arbei­ten an einer neu­en Gas­pipe­line durch das Schwar­ze Meer, South Stream, die Nord Stream ergän­zen soll­te, bereits 2012 begon­nen und soll­ten Russ­land mit Bul­ga­ri­en und wei­ter mit Ita­li­en und Öster­reich verbinden.

Erst nach dem Absturz von Flug MH17 am nächs­ten Tag stimm­te die EU zu, und auch die Ver­ein­ba­rung zwi­schen Putin und Mer­kel blieb auf der Stre­cke. South Stream hat­te bereits im Monat zuvor einen Rück­schlag erlit­ten, als Bul­ga­ri­en dem mas­si­ven Druck der USA nach­gab und die Arbei­ten an der Pipe­line stopp­te; spä­ter im Jahr soll­te sie ganz ein­ge­stellt werden.

Es gibt vie­le ande­re Aspek­te, die eine Rol­le gespielt haben könn­ten, wie zum Bei­spiel die mili­tä­ri­sche Lage im Don­bass, wo die Kie­wer Streit­kräf­te nach anfäng­li­chen Erfol­gen in der Nähe der rus­si­schen Gren­ze fest­steck­ten, genau in dem Kor­ri­dor, in dem MH17 abstür­zen soll­te. Spä­te­re Ent­hül­lun­gen eines ukrai­ni­schen Über­läu­fers – Oberst Was­si­li Pro­zo­row vom ukrai­ni­schen Sicher­heits­dienst – doku­men­tier­ten zudem ein Pla­nungs­tref­fen mit dem bri­ti­schen Geheim­dienst, bei dem eine Ope­ra­ti­on unter fal­scher Flag­ge aus­ge­ar­bei­tet wur­de, um Russ­land zu belas­ten und mög­li­cher­wei­se die Ein­heit auf dem bevor­ste­hen­den NATO-Gip­fel in Wales im Sep­tem­ber zu stärken.

Es gibt vie­le Unklar­hei­ten über die Umstän­de der MH17-Kata­stro­phe, aber kei­ne davon hat die tech­ni­schen und straf­recht­li­chen Ermitt­lun­gen behin­dert, denen ein Pro­zess in den Nie­der­lan­den folg­te. Mit­te Novem­ber 2022 ver­ur­teil­te das Gericht (in Abwe­sen­heit) drei mut­maß­li­che Täter (zwei Rus­sen und einen ukrai­ni­schen Rebel­len) zu lebens­lan­ger Frei­heits­stra­fe. Ein Ver­däch­ti­ger, der wohl­weis­lich nicht anwe­send war, son­dern von einem Ver­tei­di­gungs­team ver­tre­ten wur­de, wur­de frei­ge­spro­chen, obwohl sich die Bewei­se gegen ihn nicht von denen gegen sei­ne Mit­kom­man­deu­re unter­schie­den. Nach Ansicht des nie­der­län­di­schen Jour­na­lis­ten Eric van de Beek war der Grund für den Frei­spruch wahr­schein­lich das Risi­ko eines Beru­fungs­ver­fah­rens, bei dem die Qua­li­tät der Bewei­se erneut geprüft wer­den müsste.

Was waren die Beweise?

Die tech­ni­sche Unter­su­chung, die vom nie­der­län­di­schen Unter­su­chungs­rat für Sicher­heit OVV (Onderz­oeks­raad voor Vei­lig­heid) im Rah­men einer Ver­trau­lich­keits­ver­ein­ba­rung mit sei­nem ukrai­ni­schen Pen­dant gelei­tet wur­de, kam zu dem Schluss, dass die malay­si­sche Boe­ing von einer Buk-Flug­ab­wehr­ra­ke­te mitt­le­rer Reich­wei­te zum Absturz gebracht wur­de. Dabei muss­te es sich um eine rus­si­sche Ver­si­on han­deln, denn von den zwei­ein­halb­tau­send Stück, die ein Buk-Spreng­kopf die­ses Typs ent­hält, wur­den zwei Tei­le im Wrack gefun­den. Die­se sol­len die Schmet­ter­lings­form auf­wei­sen, die nur die rus­si­sche Ver­si­on hat. Wer sich die­se Frag­men­te, wie sie im OVV-Abschluss­be­richt abge­bil­det sind, ansieht und sie mit ihrer Form (plus Gewicht, Dicke usw.) vor dem Ein­schlag ver­gleicht, wird ver­ste­hen, dass es sich in Kom­bi­na­ti­on mit der Anzahl der gefun­de­nen Frag­men­te um eine offen­sicht­li­che Fäl­schung han­delt. Es gibt noch vie­le ande­re Unge­reimt­hei­ten, die zu dem Schluss füh­ren, dass das Haupt­ziel des OVV-Berichts dar­in bestand, Russ­land zu belasten.

Der NATO-Geheim­dienst hat berich­tet, dass außer den leich­te­ren Kurz­stre­cken­ra­ke­ten, über die die Don­bass-Rebel­len bereits ver­füg­ten, kei­ne rus­si­sche Flug­ab­wehr­aus­rüs­tung in die Ukrai­ne gelangt ist; auch hat kein glaub­wür­di­ger Zeu­ge den Abschuss einer Rake­te gese­hen, obwohl zahl­rei­che Zeu­gen Düsen­jä­ger beob­ach­tet haben. Obwohl die Boe­ing ein sehr gro­ßes Objekt ist, das in gera­der Linie fliegt, ver­fehl­te die ver­meint­li­che Buk das Ziel und explo­dier­te durch einen Annä­he­rungs­zün­der in der Nähe des Cock­pit­fens­ters. Die Boe­ing zer­brach dann durch eine offen­sicht­li­che Explo­si­on im Inne­ren des Flug­zeugs in Ein­zel­tei­le, wofür mög­li­cher­wei­se eine ille­ga­le Ladung von 1,4 Ton­nen Lithi­um-Ionen-Bat­te­rien ver­ant­wort­lich war – eine Ladung, die vom OVV als »eine ein­zel­ne Bat­te­rie, gut ver­packt« bezeich­net wurde.

Dies war dann die Grund­la­ge für die straf­recht­li­che Ver­fol­gung durch die JIT, wie­der­um unter der Lei­tung der nie­der­län­di­schen Staats­an­walt­schaft und mit dem Kie­wer Regime an Bord (sowie Aus­tra­li­en, Bel­gi­en und, mit Ver­zö­ge­rung, Malay­sia). Auch hier wur­de durch eine Ver­trau­lich­keits­ver­ein­ba­rung sicher­ge­stellt, dass Kiew ein Veto gegen jeg­li­che Ergeb­nis­se ein­le­gen konn­te. Die »Buk-Theo­rie« wur­de trotz ekla­tan­ter Unre­gel­mä­ßig­kei­ten bestä­tigt, zunächst durch die JIT-Unter­su­chung und dann durch den Pro­zess, der das gewünsch­te Ergeb­nis brachte.

Die­ses Ergeb­nis war jedoch offen­sicht­lich unbe­frie­di­gend, da nur loka­le Kom­man­deu­re auf der Ankla­ge­bank saßen, kei­ner von ihnen erschien und nur einer die Zustän­dig­keit des nie­der­län­di­schen Gerichts aner­kann­te. Schon wäh­rend der OVV-Unter­su­chung hat­te man mit dem Fin­ger auf den Kreml gezeigt. Und nun, inmit­ten eines NATO-Ver­tre­ter­krie­ges gegen Russ­land, der nicht nach Plan ver­läuft und dabei ist, das, was von der Ukrai­ne übrig geblie­ben ist, voll­stän­dig zu zer­stö­ren, kommt die JIT mit »neu­en Erkennt­nis­sen« daher, die Putin per­sön­lich belasten.

Kees van der Pijl (gebo­ren am 15. Juni 1947) ist ein nie­der­län­di­scher Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, der Pro­fes­sor für inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen an der Uni­ver­si­tät von Sus­sex war. Er ist bekannt für sei­nen kri­ti­schen Ansatz zur glo­ba­len poli­ti­schen Öko­no­mie und hat unter ande­rem Flight MH17, Ukrai­ne and the New Cold War ver­öf­fent­licht. Prism of Dis­as­ter (2018), eine Tri­lo­gie über Modes of For­eign Rela­ti­ons and Poli­ti­cal Eco­no­my (2007, 2010, 2014); Glo­bal Rival­ries from the Cold War to Iraq (2006); Trans­na­tio­nal Clas­ses and Inter­na­tio­nal Rela­ti­ons (1998); und The Making of an Atlan­tic Ruling Class (1984, Neu­auf­la­ge 2012). Sein jüngs­tes Werk Sta­tes of Emer­gen­cy: Kee­ping the Glo­bal Popu­la­ti­on in Check behan­delt den Coro­na-Coup als prä­ven­ti­ve Kon­ter­re­vo­lu­ti­on der herr­schen­den Klas­sen, um eine demo­kra­ti­sche und ega­li­tä­re Gesell­schaft zu ver­hin­dern, die durch die Revo­lu­ti­on in der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie ange­trie­ben wird. Sie­he dazu auch die Prä­sen­ta­ti­on van der Pijls »Kon­ter­re­vo­lu­ti­on und Revol­te. Die Infor­ma­ti­ons­re­vo­lu­ti­on, die Pan­de­mie und staat­li­che Über­wa­chung« bei der ers­ten inter­na­tio­na­len Kon­fe­renz der Frei­en Lin­ken in Prag.

Die­ser Arti­kel ist eine Über­set­zung des in der Mag­Ma Eng­lish erschie­nen Ori­gi­nals.

Bild: Unter­su­chung der Absturz­stel­le von MH-17 durch Nie­der­län­di­sche und Aus­tra­li­sche Ermitt­ler (Quel­le: https://​www​.defen​sie​.nl/​o​n​d​e​r​w​e​r​p​e​n​/​o​e​k​r​a​i​n​e​-​r​e​p​a​t​r​i​e​r​i​n​g​s​m​i​s​s​i​e​/​f​o​tos)

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