Der igno­rier­te Auf­stand in Peru

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Staats­streich im Dezem­ber, Auf­stand im Land und erschos­se­ne Demons­tran­ten. In Peru herrscht der Aus­nah­me­zu­stand, der kaum Beach­tung fin­det. Exklu­siv­be­richt für tkp​.at aus dem Land. 

Die Stil­le in den deut­schen Medi­en, auch in den alter­na­ti­ven Medi­en, über die Ereig­nis­se in Peru, Mas­sen­pro­tes­te gegen das Regime z. B. Toma de Lima, in der Haupt­stadt ver­an­lasst mich dazu, hier­mit dar­auf die Auf­merk­sam­keit zu lenken.

Sehr inter­es­sant für mich ist die Dau­er und Vehe­menz der Pro­tes­te, die oft gewalt­sam aus­ge­tra­gen wer­den. Obwohl schon seit einer Wei­le das Mili­tär zur Unter­stüt­zung der Poli­zei sich auf den Stra­ßen befin­det. Mitt­ler­wei­le sind über 60 Men­schen bei den Aus­ein­an­der­set­zun­gen ums Leben gekom­men.

Die Quel­len und Rol­le der Medi­en in Peru

Als Quel­len die­nen perua­ni­sche und inter­na­tio­na­le Medi­en. Wie fast über­all, sind auch die perua­ni­schen Medi­en wenig objek­tiv, geben aber einen guten Über­blick der Situa­ti­on. Die Schuld wird immer den Demons­tran­ten gege­ben, sie wären ver­ant­wort­lich an den stei­gen­den Prei­sen auf Lebens­mit­tel wegen den Stra­ßen­blo­cka­den und nicht der Kon­gress und die Prä­si­den­tin, die nicht zurück­tre­ten wol­len. Die Demons­tran­ten wären alle Ter­ro­ris­ten, oft wer­den Akti­vis­ten gezeigt in den Nach­rich­ten und es wird Ihnen eine Ver­bin­dung zum »Leuch­ten­den Pfad«, eine ter­ro­ris­ti­sche Abspal­tung der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Perus, unter­stellt (Video).

Gewalt geht angeb­lich immer von den Demons­tran­ten aus und sie wären sogar ver­ant­wort­lich für die Toten in Juli­a­ca, Pro­vinz Puno. Angeb­lich wäre aus Boli­vi­en DUM DUM Muni­ti­on nach Peru geschmug­gelt wor­den, durch die mili­tan­te Aymara Miliz Pon­cho Rojos, was bedeu­ten wür­de die Demons­trie­ren­den hät­ten sich gegen­sei­tig umge­bracht, wie absurd (Video). Das geht aber selbst dem TV Sen­der ATV Noti­ci­as zu weit, es wer­den in dem Bericht medi­zi­ni­sche Gut­ach­ten der Opfer gezeigt, die von 7,2mm Muni­ti­on spricht und nicht von DUM DUM. In Juli­a­ca sind 17 Men­schen erschos­sen wor­den, dar­un­ter zwei Min­der­jäh­ri­ge und ein Arzt, der vor Ort war, um die Ver­letz­ten zu ver­sor­gen. Im deutsch­spra­chi­gen Raum hat kaum jemand die­ses Ereig­nis vom 9. Jän­ner 2023 wahr­ge­nom­men. Aber der Rei­he nach.

Hoch­land

Evo Mora­les, der zu Beginn der Pro­tes­te öfters in der Regi­on Puno gese­hen wur­de, wird der Schmug­gel die­ser Muni­ti­on unter­stellt und bezich­tigt, die Pro­tes­te anzu­hei­zen. Der Kon­gress dekla­rier­te ihn des­halb als uner­wünsch­te Per­son. Damit ist es nicht mehr mög­lich, völ­lig ohne Pro­ble­me ein­zu­rei­sen. Im Hoch­land von Peru und Boli­vi­en leben vor allem Aymara und auch Evo Mora­les gehört der Nati­on der Aymara an, die in Boli­vi­en, Peru und Chi­le leben. Im perua­ni­schen und boli­via­ni­schem Hoch­land leben auch die Quechua, die Nach­fah­ren der Inka, aber ver­mehrt in der Regi­on Cus­co. In Puno, Juli­a­ca, Ila­ve sind die Pro­tes­te am größ­ten, ver­gan­ge­ne Woche ist das Mili­tär ein­mar­schiert. Aus­gangs­sper­re und Aus­nah­me­zu­stand wur­de ver­hängt in Lima, Puno und Cus­cou, trotz­dem wird wei­ter­hin demonstriert.

Seit Anfang Dezem­ber wer­den die Pro­tes­te immer stär­ker. Es ist sehr schwer eine Über­sicht der Ereig­nis­se zu schaf­fen. Klar ist, dass die Regio­nen, die offi­zi­ell am ärms­ten sind, die größ­te Pro­test­be­tei­li­gung haben. Das ist vor allem im Hoch­land, wo die Men­schen bis in die 60er Jah­re wie Leib­eig­ne einer spa­ni­schen Ober­schicht dien­ten, dem der Mili­tär Juan Velas­co Alva­ra­do mit einer Agrar­re­form ein Ende setz­te. Die­se Men­schen sind Stolz auf Ihre Kul­tur und Spra­chen, ihre Fes­te wie der Kar­ne­val in Puno, Fes­ti­val del­la Can­del­aria, der immer im Fern­se­hen über­tra­gen wird, besticht mit Folk­lo­re aus Klei­dung, Musik, Tän­zen und Kuli­na­ri­schem. Es ist klar, dass der Wider­stand hier kaum zu bre­chen sein wird, da die Aymaras und Qechua an Ent­beh­run­gen und den Kampf um Gerech­tig­keit gewöhnt sind.

Lima, Pro­tes­te und Auswirkungen

Die Pro­tes­te began­nen im Dezem­ber 2022 nach der Amts­ent­he­bung von Pedro Castil­lio und sei­ner sofor­ti­gen Fest­nah­me, mach­ten über die Fei­er­ta­ge am Ende des Jah­res eine Pau­se und gin­gen ab dem 04.01.2023 wie­der los. Nach den oben beschrie­be­nen Ereig­nis­sen in Juli­a­ca nah­men die Pro­tes­te zu. Seit dem 19.01.2023 befin­den sich Demons­tran­ten aus allen Tei­len (über­wie­gend aus dem Hoch­land und Ama­zo­nas Regio­nen) Peruś in Lima, um die nicht gewähl­te Prä­si­den­tin und den ver­hass­ten Kon­gress fort­zu­ja­gen. Als his­to­ri­sches Vor­bild dient die Mas­sen­de­mons­tra­tio­nen vom Ende Juli 2000 (Toma de Lima / Mar­cha de los Cua­t­ro Suy­os) Tage­lang fan­den auf­grund des Vor­wurfs der Wahl­fäl­schung rie­si­ge Demons­tra­tio­nen statt. Der dama­li­ge Dik­ta­tor muss­te zwar nicht sofort aber doch gehen und ist wei­ter­hin im Gefängnis.

Die Uni­ver­si­tät für Inge­nieur­wis­sen­schaf­ten San Mar­cos in Lima hat­te sich soli­da­risch mit den Demons­trie­ren­den erklärt und die Men­schen aus den Regio­nen des Hoch­lan­des die Mög­lich­keit gege­ben, auf dem Gelän­de zu kam­pie­ren. Die Uni­ver­si­tät wur­de geräumt, obwohl sie nach natio­na­lem Recht Immu­ni­tät genie­ßen wür­de. Des­halb wur­den Ermitt­lun­gen gegen den Innen­mi­nis­ter Vin­cen­te Rome­ro aufgenommen.

Mitt­ler­wei­le hört man, das Akti­vis­ten ver­schleppt wer­den, oder ver­schwin­den und nach Ihnen gesucht wird.

Die Regio­nen die haupt­säch­lich an den Pro­tes­ten betei­ligt sind , sind die mit dem größ­ten Anteil Indi­ge­ner Men­schen, Aya­cu­cho, Are­qui­pa, Cus­co Puno, Apuri­mac, Mad­re de Dios und Puer­to Mal­do­na­do. In die­sen Regio­nen kam es zu Angrif­fen auf Poli­zei­sta­tio­nen, Flug­hä­fen, Gerich­ten, Finanz­be­hör­den, eine Mine in der Regi­on Cus­cuo, Bahn­stre­cke Cus­cuo Machu Pic­chu, die teil­wei­se nie­der­ge­brannt oder so ver­wüs­tet wur­den, dass der Betrieb ein­ge­stellt wer­den muss­te. Wie etwa der Flug­ha­fen von Arequipa.

So sieht das aus:

Auch sind die Haupt­ver­kehrs­we­ge in die­sen Regio­nen blo­ckiert (gegen­wär­tig spre­chen wir von 85 Blo­cka­den) und es kommt immer wie­der zu Aus­ein­an­der­set­zun­gen, wie hier in der Regi­on Ica ein paar 100 km süd­lich von Lima. Auch dazu ein Video, um sich ein Bild zu machen:
Die­se Stra­ßen­blo­cka­den füh­ren dazu, dass man in die­sen Regio­nen nicht rei­sen kann, sowie der Trans­port von wich­ti­gen Gütern nicht funk­tio­niert. In eini­gen Regio­nen bekommt man wenig Lebens­mit­tel, vor allem fri­sche, aber auch Gas zum Kochen wird knapp und es bil­den sich lan­ge Schlan­gen vor Tank­stel­len. Bar­geld bekommt man in Puno noch, der Trans­port kann aber nicht sicher gestellt werden.

Covid-19-Maß­nah­men in Peru

Peru ist laut Sta­tis­ti­ken das am stärks­ten betrof­fe­ne Land der soge­nann­ten Covid-19 Pan­de­mie, hier gab es die höchs­ten Ster­be­zah­len von angeb­lich an Covid 19 Ver­stor­be­nen in Süd­ame­ri­ka. Peru war mit Stand Juli 2022 647 Covid Toten auf 100.000 Ein­woh­nern gefolgt von Bra­si­li­en mit 315 Toten auf 100.000 Einwohnern.

Die Maß­nah­men in Peru waren extrem streng, Mas­ken­pflicht selbst im Frei­en und Zwangs­imp­fung, ansons­ten durf­te man z. B.: nicht mehr arbei­ten oder eine Bank betre­ten. In Peru sind 85,34 % der Bevöl­ke­rung voll­stän­dig soge­nannt geimpft. Neben Pfi­zer wur­den aber auch chi­ne­si­sche Her­stel­ler zuge­las­sen. Die Impf­kam­pa­gne läuft wei­ter­hin. Mir wur­de erzählt, wie die Men­schen stun­den­lang ange­stan­den waren, um Ihre Sprit­ze zu erhal­ten. Umso erstaun­li­cher, wie sehr die Men­schen jetzt aufstehen.

Die Mas­ken­pflicht und Test­pflicht wur­den mitt­ler­wei­le end­lich auf­ge­ho­ben. Man kann seit Novem­ber 2022 ohne die­se Pro­ze­dur ein­rei­sen, trotz­dem tra­gen vie­le Men­schen in Peru wei­ter­hin eine Mas­ke. Per­sön­lich habe ich von vie­len Men­schen gehört, dass jemand aus dem Umfeld gestor­ben ist oder nach der Sprit­ze stark erkrankte.

Hin­ter­grün­de

Beim Staats­streich Anfang Dezem­ber ging es vor allem auch dar­um, Pedro Castil­lio zu ent­fer­nen, da er der Ver­län­ge­rung der aus­beu­te­ri­schen Ver­trä­ge di Alber­to Fuji­mo­ri vor 30 Jah­ren mit den Fir­men, die die Boden­schät­ze in Peru aus­beu­ten, abge­schlos­sen hat, nicht ver­län­gert woll­te. Das ist der wich­tigs­te Punkt der Pro­tes­te, der so aber in den Medi­en nicht dis­ku­tiert wird.

In Peru gibt es vie­le Men­schen ohne Kran­ken­ver­si­che­rung und gute Bil­dung muss in pri­va­ten Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten bezahlt wer­den. Trink­was­ser muss gekauft wer­den und kos­tet min­des­tens 2 Euro für 7 Liter. Eines der meist­ver­kauf­ten Was­ser kommt von Coca Cola. Die Bevöl­ke­rung par­ti­zi­piert nicht an den Erlö­sen der Boden­schät­ze, ganz im Gegen­teil kommt es zur Ver­un­rei­ni­gung von Trink­was­ser mit Chemikalien.

Es wird behaup­tet, Pedro Castil­lio hät­te einen Putsch began­gen, weil er ver­such­te, den Kon­gress auf­zu­lö­sen. Dies hät­te er erst machen kön­nen, wenn das 3. Miss­trau­ens­vo­tum gegen ihn geschei­tert wäre, wel­ches zu die­sem Zeit­punkt lief. Auf der ande­ren Sei­te bekam das Votum nicht genü­gend Stim­men, um ihn abzu­set­zen, womit die­ses eben­falls ille­gal war. Ver­schie­de­ne latein­ame­ri­ka­ni­sche Län­der erken­nen des­halb Dina Boluar­te nicht an und mei­nen, der recht­mä­ßi­ge Prä­si­dent sit­ze im Gefängnis.

Die aktu­el­le Prä­si­den­tin Dina Boluar­tes hat Bezie­hun­gen zum WEF nach Davos. Sie rief dort zu Inves­ti­tio­nen in Peru auf (ein Schelm, der…). Außer­dem lädt sie 2023 zu einer regio­na­len WEF-Ver­an­stal­tung für Latein­ame­ri­ka ein.

Abschlie­ßen­de Gedanken

Der Kampf des perua­ni­schen Vol­kes muss mehr Beach­tung und Soli­da­ri­tät fin­den, vor allem in den alter­na­ti­ven Medi­en. Es ver­dient Beach­tung, von dem auch die Euro­pä­er, die gera­de auf den 3. Welt­krieg war­ten, ler­nen kön­nen. Frei­hei­ten und Rech­te wur­den immer auf der Stra­ße erkämpft. Die Zeit der Mon­tags­spa­zier­gän­ge ist vor­bei. Es bringt nichts, sich einen Fahr­schein zu kau­fen oder ein Park­ti­cket, um irgend­wo 2 Stun­den an einer Demo teil­zu­neh­men, das macht kei­nen Sinn. Chi­le ist einen sehr viel fried­li­che­ren Weg gegan­gen, mit der Beset­zung der Plaz­za Ita­lia- heu­te Plaz­za del­la Digni­dad und hat sehr viel erreicht. Nie­mand hat dort einen Fahr­schein gekauft oder ein Park­ti­cket bezahlt.

Die­ser Text soll­te nur einen Über­blick geben. Vie­le wei­te­re Punk­te könn­te man noch behandeln:

  • Die Form der Demonstrationen;
  • Gewalt von Sei­ten der Demonstranten;
  • Was bedeu­tet es für die vie­len klei­nen Geschäf­te die aus Angst geschlos­sen blei­ben wegen Angrif­fe von Sei­ten der Demonstranten;
  • Ras­sis­mus der wei­ßen Ober­schicht gegen Indigene;

Abschlie­ßend: Die Bot­schaf­te­rin der USA war direkt nach der Inhaf­tie­rung Pedro Castil­lio zu Gesprä­chen bei Dina Boluar­te. Kolum­bi­en hat eine neue Pro­gres­si­ve Regie­rung – in Bra­si­li­en Lula. Der Abstieg des Impe­ri­ums der USA, hat auch unmit­tel­ba­re Aus­wir­kun­gen auf Peru und den rest­li­chen »Hin­ter­hof« der USA. Die Fried­rich Nau­mann Stif­tung dürf­te ein kon­spi­ra­ti­ves Tref­fen im Febru­ar 2022 in Lima ver­an­stal­tet haben, um die Amts­ent­he­bung Pedro Castil­lio zu pla­nen. Ist es des­halb so ruhig im deut­schen Blätterwald?

Der Autor schreibt aus Sor­ge vor Repres­si­on anonym, lebt in Peru und hat jah­re­lang Süd­ame­ri­ka bereist. Er ist eine Stim­me der »nor­ma­len Bür­ger« und hat kei­nen jour­na­lis­ti­schen Hin­ter­grund. Der Arti­kel erschein zuerst bei tkp​.at

Bild Can­dy Soto­ma­yorParo Nacio­nal 19 de ene­ro en la ciu­dad de Lima 06 (CC BY-SA 4.0)

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