Woh­nen: Ein sozia­les Pro­blem in der his­to­ri­schen Auseinandersetzung

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Woh­nen, ein Recht auf Woh­nen, gar als ein Men­schen­recht – um die­ses ist es in der Gegen­wart nicht gut bestellt, jeden­falls nicht hierzulande.

Rech­te wer­den heu­te gebo­gen, ver­wo­ben, ent­stellt, instru­men­ta­li­siert, sen­ti­men­ta­li­siert, es wird an der Ober­flä­che ope­riert, Rech­te wer­den ver­kün­det, ver­spro­chen und gebro­chen. Letzt­lich gibt es eine Woh­nungs­po­li­tik, aller­dings auch sie hat einem Zwe­cke zu die­nen, im Sys­tem das einst als Kapi­ta­lis­mus bezeich­net wur­de, heu­te als Markt­wirt­schaft vor­ge­führt wird und sich als Impe­ria­lis­mus entfaltet.

Es geht um Pro­fit und Pro­fi­ma­xi­mie­rung, und so kommt die Woh­nung in der Regel als Ware daher, wel­che gekauft, ver­kauft, gemie­tet, ver­mie­tet, gepfän­det, ver­schwen­det wer­den kann. Ja, wie es in einem imperia­listischen Staats­we­sen wohl anders nicht sein kann, da sein bestim­men­der Grund­zug die unein­ge­schränk­te öko­no­mi­sche und politi­sche Herr­schaft des Mono­pols zur Gewin­nung und Siche­rung von Mono­pol­pro­fit ist. Und womit lässt sich am bes­ten Geld ver­die­nen? Letzt­lich mit den Din­gen, wel­che der Mensch braucht und zwar bestän­dig, um sei­ne Grund­be­dürf­nis­se zu befriedigen!

Die DDR ging einen ande­ren Weg

Aber es gab in der deut­schen Geschich­te eine ande­re Woh­nungs­po­li­tik, wel­che nicht dem Stre­ben nach Pro­fit ver­pflich­tet war, son­dern das Bedürf­nis der Men­schen nach Woh­nen in den Mit­tel­punkt stell­te. Die Woh­nungs­po­li­tik umfass­te die »Gesamt­heit von poli­ti­schen, mate­ri­el­len und sozia­len Maß­nah­men, die dar­auf gerich­tet waren, in der DDR die Woh­nungs­fra­ge als sozia­les Pro­blem bis 1990 zu lösen.

Dem dien­ten alle auf­ein­an­der abgestimm­ten Bau- und Bewirt­schaf­tungs­maß­nah­men zur Erneue­rung der Städ­te und Sied­lun­gen sowie zur ratio­na­len Wohnungsbewirtschaf­tung und ‑nut­zung.«[1] Nun wäre zu fra­gen, wur­de die Woh­nungs­fra­ge als sozia­les Pro­blem bis 1990 gelöst?

Die DDR hör­te 1990 auf zu exis­tie­ren, ent­schei­den durf­ten die Bür­ger dar­über nicht und so änder­te sich die Woh­nungs­po­li­tik. Es dau­er­te nicht lan­ge und vie­ler­orts gab es einen Über­schuss an Woh­nun­gen, aller­dings nicht, weil nun rich­tig viel gebaut wur­de, auch wenn es man­cher­orts danach aus­sah, son­dern weil eine Volks­wirt­schaft abge­wi­ckelt und mit den Arbeits­plät­zen nicht nur sozia­le Struk­tu­ren ver­nich­tet, son­dern vie­le Men­schen gezwun­gen wur­den, auf der Suche nach Arbeit ihre Hei­mat zu verlassen.

Erst pen­del­ten die Men­schen von Ost nach West, spä­ter ver­leg­ten Sie ihren Lebensmittel­punkt dort­hin, wo sie in der Lage waren ihre Exis­tenz zu sichern, also ihre Arbeits­kraft zu ver­kau­fen. Vie­le Regio­nen ver­lo­ren einen gro­ßen Teil ihrer Bevöl­ke­rung und damit kam es rela­tiv schnell dazu, dass es viel frei­en Wohn­raum gab. Für den kapi­ta­lis­tisch orga­nisierten Woh­nungs­markt war das nicht gut, die Mie­ten waren zwar schon erheb­lich ge­stiegen, beweg­ten sich aller­dings in vie­len Gegen­den noch unter­halb west­deut­schen Niveaus; dies gilt bis heute.

Der Miet­preis in der DDR lag zwi­schen 0,80 und 1,25 Mark, der im Wes­ten gern als wert­los bezeich­ne­te »Alu-Chip« hat­te nicht nur im Fall von Mie­ten eine Kauf­kraft, an wel­che die DM nicht ein­mal im Traum her­an­reich­te. Wäh­rend in der BRD ca. 30% des Fami­li­en­ein­kom­mens für die Mie­te aufge­wendet wer­den muss­te, waren es in der DDR ca. 3%. Heu­te gibt es die­sen Unter­schied nicht mehr, es gibt ja die DDR nicht mehr und wenn die Mie­ten im Osten gege­be­nen­falls noch nied­ri­ger als im Wes­ten sind, gleicht das Ein­kom­mens­ge­fäl­le zwi­schen West und Ost dies ohne Pro­ble­me aus.

Die Woh­nungs­fra­ge soll­te als sozia­les Pro­blem gelöst wer­den, jedem eine Woh­nung war das Ziel in der DDR, jedem sei­ne Woh­nung wäre ein wei­te­rer Schritt gewe­sen. Von dem einen wie von dem ande­ren sind wir heu­te im All­ge­mei­nen weit ent­fernt, und auch wenn es in vie­len Gegen­den kei­nen Woh­nungsmangel gibt, so kön­nen sich immer mehr Men­schen die­se Woh­nun­gen oft nicht leis­ten, sind gezwun­gen Wohn­geld zu bean­tragen, oder leben in Obdachlosenunter­künften, gele­gent­lich auch auf der Straße.

Mei­ne ers­ten Obdach­lo­sen habe ich 1992 in Essen gese­hen, heu­te gibt es die­se sogar in Qued­lin­burg, wo ich lebe. Mit der Bundes­republik kam auch der gesell­schaft­li­che Rück­schritt über die Men­schen der neu­en Bundesländer.

Die Stadt Qued­lin­burg ist ein gutes Bei­spiel, auch wenn sie in man­cher Bezie­hung eine Son­der­stel­lung ein­nimmt: sie gehört zum Welt­kul­tur­er­be auf­grund ihrer mittelalter­lichen Stadt­struk­tur und einer his­to­ri­schen Viel­falt an Bau­sub­stanz, wel­che in die­ser Fül­le nur sehr sel­ten so kon­zen­triert zu fin­den ist. Die Band­brei­te der Archi­tek­tur reicht von der Prä­ro­ma­nik bis in die Gegen­wart und jede Zeit hat Spu­ren hin­ter­las­sen. Vie­le Men­schen besu­chen Jahr für Jahr die­se Stadt, weil Vie­les noch vor­han­den ist, was andern­orts längst abge­ris­sen wur­de. Gern wird fabu­liert, dass für die­se Stadt die »Wen­de« gera­de zur rech­ten Zeit gekom­men sei und so his­to­ri­sche Bau­sub­stanz geret­tet wur­de. Ich sage, die »Wen­de« ist gekom­men, aber ohne DDR wür­de es die­se Viel­falt an Bau­sub­stanz heu­te nicht mehr gegeben.

Ein Blick in man­che Stadt in den alten Bun­des­län­dern reicht aus, um zu erfah­ren, wo mehr his­to­ri­sches Kul­tur­gut wäh­rend der Pha­se der unter­schied­li­chen gesellschaftli­chen Ent­wick­lung abge­ris­sen wur­de. So kom­men Men­schen hier­her, weil sie noch etwas vor­fin­den, was in ihrer Hei­mat oft ver­lo­ren ist. Gera­de dies­be­züg­li­che Gesprä­che mit älte­ren Men­schen bestä­ti­gen es immer wieder.

Kul­tur­gut ver­sus neue Bedürfnisse?

Nun mag die­se Stadt eine Aus­nah­me sein und ande­ren Ortes hat es viel­leicht anders aus­ge­se­hen, und das hat es auch, denn es ist nicht ein­fach, ein solch umfas­sen­des histo­risches Erbe aller­or­ten zu bewah­ren. Auch wur­de oft spät begon­nen, sich alter Bau­sub­stanz zuzu­wen­den, eine aus­rei­chen­de Ver­sor­gung mit Wohn­raum stand im Vor­der­grund und – machen wir uns nichts vor – die Sanie­rung alter Sub­stanz ist erheb­lich auf­wän­di­ger als die Errich­tung neu­er Bauten.

Dazu kommt, dass die Bedürf­nis­se der Men­schen sich wan­deln, Ansprü­che stei­gen und viel alte Bau­sub­stanz ent­sprach den sich ent­wi­ckeln­den Bedürf­nis­sen nicht mehr. Das Woh­nen in einem alten Fach­werk­haus zum Bei­spiel, beson­ders wenn es nicht zu den her­aus­ra­gen­den Bür­ger­häu­sern gehör­te und eher für die ein­fa­che Stadt­be­völ­ke­rung er­richtet wor­den war, ent­sprach nicht unbe­dingt den Vor­stel­lun­gen moder­nen Woh­nens, sodass die Men­schen bestrebt waren, die­se Quar­tie­re zu ver­las­sen und sich in moder­nerem Wohn­raum niederzulassen.

Oft wur­den leer­ste­hen­de Quar­tie­re abge­rissen, vie­ler­orts kam es zu Flä­chen­ab­ris­sen und es wur­den neue, der Zeit ent­spre­chen­de moder­ne Gebäu­de errich­tet. Das gab es in der alten BRD und das gab es in der DDR, nur wenn zwei das Glei­che tun, ist es lan­ge noch nicht dasselbe.

Und so wird gern der Teu­fel in Form der unchrist­li­chen DDR an die Wand gemalt, auch wenn vie­le Men­schen mehr und mehr den Osten der Repu­blik ent­de­cken und das auch auf Grund der vie­len his­to­ri­schen Kul­tur­gü­ter, die dank der Poli­tik in der DDR erhal­ten geblie­ben sind. Aber was nicht sein darf, soll nicht sein und so ist jeder alte Stein, wel­cher in der DDR abge­ris­sen wur­de, selbst wenn es Rui­nen aus dem zwei­ten Welt­krieg waren, ein Poli­ti­kum ers­ten Ran­ges. In der BRD war es nor­mal, es war Ent­wick­lung, gern durch das Attri­but fort­schritt­lich ergänzt.

Nur – was ist Fort­schritt? Ist das eine Fra­ge der Defi­ni­ti­on, eine Fra­ge der Mode, oder Aus­druck prak­ti­schen Lebens, geschicht­li­che Höher­ent­wick­lung der mensch­li­chen Gesell­schaft bzw. ein­zel­ner Berei­che des gesell­schaftlichen Lebens? Um die­ses geht es. Der Mensch ist in ers­ter Linie prak­tisch, wie auch die Pra­xis Prüf­stein jeder Theo­rie ist. Folg­lich: Wes­sen Inter­es­se dient das prak­ti­sche Sein eines Men­schen? Ist er Objekt, oder Sub­jekt, geht es um sein Wohl, oder ist sein vor­geb­li­ches Wohl nur Mit­tel zum Zweck?

Es ist eine Aus­ein­an­der­set­zung um den Umgang mit der Geschich­te, denn in der DDR lief in Fra­gen »Woh­nen« vie­les anders als in der BRD, aber nicht nur da, auch was ande­re Bau­sub­stanz betraf. Objek­te wie zum Bei­spiel Schlös­ser wur­den umge­nutzt, oft dien­ten sie zu Bil­dungs­zwe­cken und mit der Nut­zung war ihre Erhal­tung garan­tiert. Zum Bei­spiel Pro­duk­ti­ons­be­trie­be: Es war üblich, bestehen­de Sub­stanz wei­ter zu nut­zen. Wenn neue Maschi­nen alte ersetz­ten, wur­den sie an bestehen­de Bau­sub­stanz ange­passt und nicht umge­kehrt, für neue Maschi­nen auch neue Hal­len auf der »grü­nen Wie­se« errichtet.

Und was wur­de nicht alles nach 1990 abge­ris­sen im Osten, gan­ze Betriebs­an­la­gen ver­schwan­den! Im Gegen­zug hat jeder klei­ne Ort sei­ne Gewer­be- oder/​und Industriege­biete aus­ge­wie­sen, was nicht nur zur Ver­sie­ge­lung immer grö­ße­rer Flä­chen führ­te, son­dern dem ange­dach­ten Zweck oft nicht gerecht wur­de. Vie­le die­ser Flä­chen wur­den erst zu beleuch­te­ten Wei­den für Tie­re und spä­ter mit Solar­an­la­gen gepflas­tert. Mit dem Woh­nungs­pro­blem, mit der Woh­nungs­fra­ge hat das vor­der­grün­dig nichts zu tun, aller­dings mit dem Lebens­um­feld der Menschen.

Für Qued­lin­burg wur­de Anfang der 1970er Jah­re beschlos­sen, die Stadt in ihrer histo­rischen Struk­tur zu erhal­ten und bis zur »Wen­de« war ca. 1/3 der his­to­ri­schen Sub­stanz geret­tet, ein wei­te­res Drit­tel bis heu­te und fast 1/3 war­tet noch auf Rettung.

Heu­te leben in der Alt­stadt mehr Men­schen als zum Ende der DDR, es gibt einen gro­ßen Bestand an Feri­en­woh­nun­gen, nicht unbe­dingt för­der­lich für eine urba­ne Wohn­struktur, aber nicht weni­ge Objek­te wer­den so zumin­dest einer Nut­zung zuge­führt, auch unter dem Gesichts­punkt bes­se­rer Verwert­barkeit. dingt för­der­lich für eine urba­ne Wohn­struk­tur, aber nicht weni­ge Objek­te wer­den so zumin­dest einer Nut­zung zuge­führt, auch unter dem Gesichts­punkt bes­se­rer Ver­wert­bar­keit. Denn es ist das eine, alte Gebäu­de zu sanie­ren, nur ohne Nut­zung wür­de die­ses nicht gesche­hen und Kapi­tal muss schließ­lich akku­mu­liert werden.

Ein Bür­ger­meis­ter ver­kün­de­te vor Jah­ren, dass die Stadt gesund von außen nach innen schrumpft, und so wur­de viel abge­ris­sen, nicht die alte his­to­ri­sche Sub­stanz aus längst ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten, auch wenn die­se gele­gent­lich zer­fällt, son­dern Wohn­be­stand aus der DDR-Ver­gan­gen­heit. 1989 hat­te die Stadt noch ca. 28.500 Ein­woh­ner, heu­te sind es um die 20.000 in der ver­gleich­ba­ren Kernstadt.

Da mit dem Ver­lust an Ein­woh­nern der Bedarf an Wohn­raum zurück­ging, wur­de kräf­tig abge­ris­sen und die­ser Abriss über wei­te Stre­cken vom Staat geför­dert. Wur­de in der DDR der Woh­nungs­bau geför­dert, so war es nach 1990 der Abriss von Woh­nun­gen. Wur­de in der DDR die Arbeit zu den Men­schen gebracht, müs­sen heu­te die Men­schen der Arbeit hin­ter­her­ren­nen. Wo sie die­se fin­den, man­gelt es oft am nöti­gen und/​oder er­schwinglichen Wohn­raum. In der Regel zie­hen sie in Bal­lungs­zen­tren, die fort­schreitende Kon­zen­tra­ti­on und Zen­tra­li­sa­ti­on des Kapi­tals macht dies nicht nur mög­lich, son­dern sie bedingt die­ses zwingend.

Hier in die­ser klei­nen, beschau­li­chen Stadt haben Inves­to­ren ande­re Pro­ble­me – wenn genü­gend Wohn­raum vor­han­den ist, braucht es weni­ger neu­en und mit der Ware Woh­nung kann nicht opti­mal, bzw. maxi­mal ver­dient wer­den. Doch wo ein Wil­le ist, fin­det sich in der Regel auch ein Gebüsch, und wenn neu­er, teu­re­rer Wohn­raum ver­kauft oder ver­mie­tet wer­den soll, muss der preis­wer­te weg. Also wird auf der einen Sei­te neu gebaut und auf der ande­ren Sei­te abge­ris­sen, was der Pro­fitmaximierung im Wege steht. Oft gehö­ren Häu­ser dazu, wel­che nach 1990 noch saniert wur­den, in der Regel Plat­ten­bau­ten, oder wie in einem Vor­ort die Gebäu­de einer Kaser­ne, wel­che lan­ge Wohn­zwe­cken dienten.

Das Woh­nungs­pro­blem als sozia­le Fra­ge spielt heu­te nur in Sonn­tags­re­den eine Rol­le, Woh­nun­gen wur­den ver­spro­chen, aller­dings bil­den »ver­spro­chen und gebro­chen« in der bun­des­deut­schen Poli­tik oft eine Ein­heit. So kön­nen die aktu­ell ver­spro­che­nen Wohnun­gen nicht geschaf­fe­nen wer­den, denn »es ist Krieg«, es gibt wich­ti­ge­res, 100 Mil­li­ar­den zusätz­lich für die Bun­des­wehr und 200 Mil­li­ar­den für einen »Dop­pel­wumms« – herr­lich wie es die gegen­wär­ti­ge Regie­rung ver­steht, die Taschen der gro­ßen Kon­zer­ne zu fül­len: Erst wur­den die Taschen der Pharma­industrie gefüllt, jetzt die der Rüs­tungs- und Energiekonzerne.

Wer braucht da schon Woh­nun­gen zu erschwing­li­chen Prei­sen, knap­per Wohn­raum und Luxus­sa­nie­rung stei­gern die Gewin­ne. Über alten, vor­geb­lich über­schüs­si­gen Wohn­raum wird nicht lan­ge nach­ge­dacht, ob Ent­wick­lung oder Umnut­zung mög­lich ist, spielt kei­ne Rol­le, Abriss soll die Lösung sein.

In der Ver­gan­gen­heit spiel­te das The­ma öfter eine Rol­le, gera­de wenn es um die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Geschich­te der DDR und der sozia­len Fra­ge geht.

Der fol­gen­de Text vom Mai 2018 befasst sich mit dem nicht so sel­te­nen Pro­blem, dass Men­schen abwan­dern und »über­schüs­si­ger« Wohn­raum abge­ris­sen wird. Wenn Woh­nungen »frei­ge­zo­gen«, die Men­schen aus ihren Quar­tie­ren ver­drängt wer­den sol­len, schei­nen der Fan­ta­sie kei­ne Gren­ze gesetzt.

Als Grün­de wer­den oft Leer­stand und Kos­ten­druck ange­ge­ben, auch wenn die­ser künst­lich geschaf­fen wur­de und Ver­lus­te öffent­li­cher Woh­nungs­un­ter­neh­men ganz ande­re Ursa­chen haben, als die vorgeschobenen.

Der geschil­der­te Vor­gang liegt in der Ver­gan­gen­heit, die Wohn­ge­bäu­de sind heu­te wei­test­ge­hend abge­ris­sen, der Wider­stand gegen den Abriss konn­te geschickt gespal­ten wer­den, und wo einst die Häu­ser stan­den, fin­den sich heu­te freie Flä­chen, was ein­mal dar­aus wer­den wird, bleibt abzu­war­ten, viel­leicht wer­den ein­mal Häu­ser drauf gebaut.

Quarm­beck[2]

Heu­te hat­te ich Besuch von einem Bekann­ten, er erzähl­te mir, dass ihm in Quarm­beck auf sei­ner mor­gend­li­chen Rad­tour eine Rei­he hoch­ge­rüs­te­ter Poli­zis­ten über den Weg ge­laufen sind. Von der Poli­zei­schu­le in Aschers­leben, wel­che in letz­ter Zeit mit Drogen­delikten[3] und zumin­dest einem Ein­bre­cher[4] in ihren Rei­hen für Schlag­zei­len gesorgt hat, sol­len sie sein, wel­che wahr­schein­lich zum Trai­ning in die­ses leer­zu­zie­hen­de Wohnge­biet ein­ge­rückt sind.

Dass in den ver­schie­de­nen Häu­sern noch Men­schen woh­nen, spielt kei­ne Rol­le, der Krieg gegen das eige­ne Volk muss geübt wer­den und der Repres­si­ons­ap­pa­rat des Staa­tes gestärkt. Da kommt so ein Abriss­ge­biet gera­de recht, es kann unter Umstän­den wil­de Sau gespielt wer­den, Türen ein­ge­tre­ten, Fens­ter zer­bro­chen, mit Platz­pa­tro­nen ge­schossen usw., kommt nicht drauf an, wird eh abgerissen!

Im Neben­ef­fekt wer­den die Bewoh­ner ter­ro­ri­siert und so zum schnel­le­ren Umzug moti­viert, nur ist es nicht so ein­fach eine ver­gleich­ba­re Woh­nung zu fin­den. Zum einen wohnt ein Teil der Bewoh­ner schon sehr lan­ge in die­sem Vier­tel, ver­fügt also noch über alte Miet­ver­trä­ge aus Zei­ten der DDR, wel­che wesent­lich huma­ner abge­fasst sind als aktu­el­le Ver­trä­ge. Und wenn ein Bewoh­ner z. B. auf Hartz IV ange­wie­sen, oder mit einer nied­ri­gen Ren­te zurecht­kom­men muss, wird es sicher nicht leicht­fal­len, eine gefor­der­te Kau­ti­on zusätz­lich auf­zu­brin­gen. Und las­sen sich die alten Möbel in der neu­en Woh­nung alle unterbringen?

Alles Fra­gen, die die­je­ni­gen nicht inter­essieren, wel­che für den »Leer­zug« und den dar­auf fol­gen­den Beschluss des Abris­ses des Woh­nungs­be­stan­des der städ­ti­schen Woh­nungsgesellschaft in Quarm­beck verant­wortlich zeich­nen. Der Geschäfts­füh­rer der städ­ti­schen Woh­nungs­ge­sell­schaft hat­te im Jahr 2016 schon sinn­ge­mäß ver­kün­det[5], dass das alles »mit den Men­schen nichts zu tun hat«. Der Mensch spielt kei­ne Rol­le, er ist nur Spiel­ball macht­po­li­ti­scher Inter­es­sen. Und nun auch Spiel­ball poli­zei­li­cher Übun­gen, was eben­falls mit der­glei­chen Inter­es­sen zu tun hat, denn wo kämen wir hin, wenn das Volk hier­zu­lan­de mit­be­kommt, wie sei­ne Mög­lich­kei­ten immer wei­ter beschnit­ten wer­den. Die Men­schen als Spiel­ball poli­ti­schen Seins, als Aus­druck spe­zi­fi­scher ökonomi­scher Interessen.

Dabei wäre es sicher auch anders gegan­gen. Qued­lin­burg gehört zum Welt­erbe, da müss­ten sich doch Mög­lich­kei­ten fin­den, auch für ein Wohn­ge­biet wie Quarm­beck. So könn­ten die Woh­nun­gen inter­na­tio­nal ange­boten und preis­wert an Künst­ler ver­mie­tet wer­den, denn wo ist so viel kul­tu­rel­les Erbe so geballt zu fin­den, wie in Quedlinburg?

Archi­tek­to­ni­sche Spu­ren fin­den sich z. B. aus der Zeit der Prä­ro­ma­nik bis in die Gegen­wart. Von der dar­an festzu­machenden Geschich­te ganz zu schwei­gen, Welt­erbe eben! Da wären Arbeit, künst­le­risch-kul­­tu­rel­ler Aus­tausch und vie­les mehr mög­lich, aller­dings möch­te davon die in Quedlin­burg regie­ren­de Ein­falt nichts wis­sen: Haupt­sa­che das Schüt­zen­haus in Quarm­beck, Aus­druck der Hoch­kul­tur klein­bür­ger­li­chen Seins, bleibt erhalten.

Auch hat es ein­mal anders ausge­sehen, als um das Jahr 2000 her­um nach Alter­na­ti­ven und Entwicklungs­möglichkeiten für die­sen Orts­teil ge­sucht wur­de. Da gab es ein Struk­­tur- und Ent­wick­lungs­kon­zept für die­sen Orts­teil, es wur­de bera­ten, die Bewoh­ner des Orts­teils mit ein­be­zo­gen und Vor­schlä­ge erar­bei­tet. Von die­sem Pro­jekt hat­te ich bis dato nur gehört und eini­ge Sei­ten der damals erstell­ten Unter­la­gen gese­hen. Aller­dings fand ich vor eini­ger Zeit einen prall gefüll­ten Brief­um­schlag im Brief­kas­ten, wel­cher die­se Unter­la­gen ent­hielt und einen inter­es­san­ten Ein­blick in die damali­gen Bestre­bun­gen gewährte.

Als dann aller­dings der Geschäfts­füh­rer der städ­ti­schen Woh­nungs­ge­sell­schaft in den Ruhe­stand ging und von der Stadt ein neu­er bestellt wur­de, wur­de die­ses Vor­ha­ben auf­ge­ge­ben und kur­ze Zeit spä­ter ein Zuzugs­stopp ver­hängt. Es wur­de begon­nen, das Vier­tel zu ent­völ­kern und für den Abriss vor­zu­be­rei­ten. An die­ser Stel­le sei dar­auf hin­ge­wie­sen, dass gro­ße Tei­le der Woh­nungen in den 1990iger Jah­ren noch teil- oder kom­plett­sa­niert wurden.

Auch ist die Ent­wick­lung der Bevöl­ke­rung des Orts­teils inter­es­sant, im erwähn­ten Ent­wick­lungs­kon­zept fin­den sich auf Sei­te 6 ent­spre­chen­de Aus­sa­gen. Es wer­den die Zah­len der Stadt Qued­lin­burg und des Orts­teils genannt. Die­se unter­la­gen im Lau­fe der Zeit erheb­li­chen Schwan­kun­gen, aller­dings ist für die Stadt seit 1990 ein kon­tinuierlicher Rück­gang der Bevöl­ke­rung zu ver­zeich­nen, in Quarm­beck ver­hält es sich bis 2000 etwas anders. 1990 hat­te die Stadt 27.870 Ein­woh­ner, in Quarm­beck waren es 569, im Jahr 2000 hat­te die Stadt noch 24.057 Ein­woh­ner und davon leb­ten in Quarm­beck 784, 1997 waren es sogar 920.

Zwar hat­te der Orts­teil wie­der Ein­woh­ner ver­lo­ren, aller­dings ent­sprach dies in etwa dem städ­ti­schen Durch­schnitt. Aus die­sem Grund wur­de ein umfas­sen­des Kon­zept in Angriff genom­men, was aller­dings spä­ter ein­gestampft wur­de. Dass nach Ver­hän­gung des Zuzug­stopps die Ein­woh­ner­ent­wick­lung rück­läu­fig sein wür­de, dürf­te den Verant­wortlichen klar gewe­sen sein, die­ser Orts­teil soll­te nun nicht mehr auf­ge­wer­tet, son­dern für den Abriss vor­be­rei­tet werden.

Qued­lin­burg hat wei­ter Ein­woh­ner ver­loren, heu­te woh­nen in der Kern­stadt um die 21.000 Men­schen, mit Gern­ro­de und Bad Suder­o­de hat­te Qued­lin­burg 2016 24.411 Ein­wohner, also setzt sich die­ser Abwärts­trend fort, was auch mit der Poli­tik in die­ser Stadt zu tun hat.

Zwar fabu­liert der eine und ande­re Poli­ti­ker von einem Indus­trie­ge­biet,[6] wel­ches zu pla­nen ist und die Kara­wa­ne der blin­den Inves­to­ren anlo­cken soll, aller­dings sind die­ses Wunsch­träume, wenn die all­ge­mei­ne wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung betrach­tet wird.

Das Pfund, mit dem Qued­lin­burg wuchern kann, wird von die­sen Poli­ti­kern eher stief­mütterlich behan­delt und mit kul­tu­rel­lem und sozia­lem Kahl­schlag in die­ser Stadt bedacht.

All­ge­mei­ne neo­li­be­ra­le Heils­leh­ren wer­den gepre­digt und den Vor­ga­ben wirt­schaft­li­cher Ego­zen­trik gefolgt. Dabei wird nicht davor zurück­ge­schreckt, Arbeits­plät­ze wei­ter­hin zu ver­nich­ten, wie vor eini­gen Jah­ren mit der Schlie­ßung des Kur­zen­trums in Bad Suder­o­de gesche­hen.[7] Nach eini­gem hin und her wur­de die­ses pri­va­ti­siert, wobei seit dem auch nichts wei­ter pas­siert ist, außer dass gele­gent­lich ver­kün­det wur­de, dass etwas pas­sie­ren solle.

Also statt auf Tou­ris­mus, Kul­tur, Natur und Gesund­heit zu set­zen, wer­den alte Rezep­te aus­ge­bud­delt, mit neu­em Lack ver­se­hen und den Men­schen als erstrebens­werte Alter­na­ti­ve geprie­sen. Dazu wer­den Gut­ach­ten erstellt, Pro­jek­te ent­wi­ckelt, Land­schaft ver­sie­gelt, kul­tu­rel­le Ein­rich­tun­gen geschleift und öffent­li­che Mit­tel mit vol­len Hän­den zum Fens­ter raus­ge­wor­fen. Dabei wird genau dar­auf geach­tet, wer vor dem Fens­ter steht und sei­ne Hän­de aufhält!

Die Men­schen in die­ser Stadt spie­len kei­ne, oder eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le, sie haben zu die­nen und sich dem poli­ti­schen Geba­ren zu fügen. Lei­der erken­nen die meis­ten Men­schen erst, dass sie Spiel­ball ver­schie­de­ner Inter­essen sind, dass ihnen die Hose längst run­ter­ge­zo­gen wur­de, wenn ihnen die rosa­ro­te Bril­le von der Nase gerutscht ist.

Eine Meis­ter­leis­tung bür­ger­li­cher Ideo­lo­gie ist es, den Men­schen, wel­che die ihnen zuge­teil­te Arsch­kar­te gezo­gen haben, einzu­reden, dass es der Joker sei, wel­chen sie auf der Hand haben. So wer­den die meis­ten erst wach, wenn es längst zu spät ist!

Tho­mas Loch ist gelern­ter Maschi­nen- und Anla­gen­mon­teur, arbei­tet als Rei­se­be­glei­ter in Qued­lin­burg und ist stell­ver­tre­ten­der Landes­vorsitzender der Frei­den­ker in Sach­sen-Anhalt, von deren Web­site www​.frei​den​ker​.org der Text über­nom­men wur­de. Erst­ver­öf­fent­li­chung: »FREI­DEN­KER« Nr. 4 – 22, Dezem­ber 2022, S. 28 – 34, 81. Jahr­gang, Titel von der Redak­ti­on der Mag­Ma leich ergänzt

Quel­len

[1] Klei­nes Poli­ti­sches Wör­ter­buch, Dietz Ver­lag Ber­lin 1986, Sei­te 1088

[2] https://​kucaf​.blog​spot​.com/​2​0​1​8​/​0​5​/​q​u​a​r​m​b​e​c​k​.​h​tml

[3] https://​www​.mz​-web​.de/​a​s​c​h​e​r​s​l​e​b​e​n​/​a​f​f​a​e​r​e​-​w​e​i​t​e​t​-​s​i​c​h​-​a​u​s​-​p​o​l​i​z​e​i​s​c​h​u​e​l​e​r​-​s​o​l​l​e​n​-​m​i​t​-​d​r​o​g​e​n​-​g​e​h​a​n​d​e​l​t​-​h​a​b​e​n​-​2​9​9​7​2​660

[4] https://​www​.mz​-web​.de/​s​a​c​h​s​e​n​-​a​n​h​a​l​t​/​l​a​n​d​e​s​p​o​l​i​t​i​k​/​s​t​u​r​z​-​n​a​c​h​-​e​i​n​b​r​u​c​h​-​t​o​d​-​e​i​n​e​s​-​p​o​l​i​z​e​i​s​c​h​u​e​l​e​r​s​-​b​e​s​c​h​a​e​f​t​i​g​t​-​d​e​n​-​i​n​n​e​n​a​u​s​s​c​h​u​s​s​-​3​0​1​1​5​834

[5] http://​kucaf​.blog​spot​.com/​2​0​1​6​/​0​9​/​d​e​r​-​g​e​s​c​h​a​f​t​s​f​u​h​r​e​r​-​d​e​r​-​w​o​w​i​-​b​r​i​n​g​t​-​e​s​.​h​tml

[6] https://​kucaf​.blog​spot​.com/​2​0​1​7​/​0​2​/​g​e​s​t​e​r​n​-​s​c​h​o​n​-​i​m​-​i​n​t​e​r​n​e​t​-​h​e​u​t​e​-​i​n​-​d​e​r​.​h​tml

[7] https://​kucaf​.blog​spot​.com/​2​0​1​2​/​1​1​/​f​u​r​-​i​n​v​e​s​t​o​r​e​n​-​s​c​h​o​n​e​r​-​g​e​m​a​c​h​t​-​w​u​r​d​e​.​h​tml

Bild: Diet­her Dem­me, Erfurt, Rieth, Biblio­thek ADN-ZB Dem­me 26.10.78 Erfurt: Der Erfur­ter Maler Erich Enge gestal­te­te die­ses Wand­bild der Biblio­thek des gesell­schaft­li­chen Zen­trums im Neu­bau­ge­biet Rieth der Bezirks­stadt. Das mit Sili­kat­far­ben gemal­te Wand­bild schuf der Künst­ler nach dem Marx-Wort »Die Idee wird zur mate­ri­el­len Gewalt, wenn sie die­se Mas­sen ergreift«

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