Einige Gedanken zu den Ursprüngen des Chruschtschowschen Revisionismus

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Ich werde die in diesem Artikel geäußerten Ideen weiterentwickeln und dieses Thema mit mehr Quellen ausführlicher behandeln, sobald ich mehr Zeit zum Forschen habe.

Unter selbsternannten anti-​revisionistischen Marxisten-​Leninisten hört man oft zwei grundlegende Erklärungen: Eine Ansicht ist, dass Chruschtschow durch ein Komplott an die Macht gekommen ist. Eine andere besagt, dass es in der sowjetischen Politik schwerwiegende Fehler gab, die zum Chruschtschowschen Revisionismus führten.

Einige geben zwar zu, dass Chruschtschow durch einen undemokratischen Staatsstreich an die Macht gekommen ist, bezeichnen die »Verschwörungstheorie« jedoch als naiv und oberflächlich. Sie sagen, es sei falsch zu glauben, dass in der UdSSR »alles in Ordnung« war, bis Stalin starb und »böse Revisionisten« einfach »plötzlich an die Macht kamen«. Als Marxisten suchen sie die Antwort in den materiellen Bedingungen der Gesellschaft (und den daraus resultierenden ideologischen Bedingungen). Meiner Meinung nach gehen sie jedoch zu weit in ein Extrem: Sie überanalysieren jede ideologische Position in der UdSSR der Stalin-​Ära (insbesondere in der späteren Periode), um die Wurzeln des Chruschtschowismus zu finden.

Einige von ihnen beschuldigen die Sowjetunion zu patriotisch zu sein, wie dieser besonders schlimme ultralinke Artikel bezeugt:

Während des Krieges gab es verständlicherweise einen Aufschwung nationaler Gefühle gegen die Nazi-​Aggressoren, aber Stalin förderte dies weit über ein Maß hinaus, das mit den proletarisch-​internationalistischen Prinzipien, auf denen der Sowjetstaat basierte, vereinbar war… Obwohl der Degenerationsprozess in der Sowjetunion erst irgendwann nach dem Krieg abgeschlossen wurde, war er 1939 bereits weit fortgeschritten (»The Origin and Development of Revisionism in the Soviet Union« by M. F.).

Der Artikel behauptet auch, dass « Tausende von Unschuldigen« auf Stalins Befehl getötet wurden, weil er »von den Massen isoliert« war, »keine Massenlinie hatte« und dass die Prozesse gegen Titoisten in Osteuropa »abgekartete Spiele« waren. Der Artikel enthält zahlreiche weitere falsche Behauptungen.

Andere, wie die Russische Kommunistische Arbeiterpartei (die vor kurzem eine Position eingenommen hat, die sich mit den unverhohlenen russischen Revisionisten vereint und Russland im zwischenimperialistischen Krieg verteidigt), haben behauptet, dass die Stalinsche Verfassung von 1936 einer der Gründe für den Aufstieg des Chruschtschowschen Revisionismus war. Sie schreiben, dass die Wahlregeln der Stalin-​Verfassung »[…] Voraussetzungen für ein parlamentarisches, von den Arbeiterkollektiven losgelöstes System waren […] trugen zur […] Bürokratisierung des gesamten Systems der Staatsmacht bei (»100 Jahre seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und die Lehren für heutige Kommunisten – Bericht des ZK der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei – Revolutionäre Partei der Kommunisten (RKAP-​RPK)).«

War in der UdSSR unter Lenin und Stalin alles in Ordnung? Die Dinge sind nie »absolut« richtig oder »absolut« gut. Aber die Partei und der Staat verfolgten im Allgemeinen eine korrekte Politik. Ich akzeptiere die Behauptung nicht, dass die Linie Stalins so schwerwiegend fehlerhaft war, dass sie »zum Revisionismus führte«. Einige Leute scheinen zu glauben, dass man Chruschtschow die Fehler der Stalin-​Ära anlasten muss, weil wir sonst keine materialistische Erklärung für den sowjetischen Revisionismus haben. Das ist falsch.

Es ist grundlegend falsch, Stalin den Revisionismus zuzuschreiben, denn das würde bedeuten, den Gegnern des Revisionismus den Revisionismus zuzuschreiben und Revisionismus und Anti-​Revisionismus gleichzusetzen. In Wirklichkeit gab es zwei gegensätzliche Tendenzen: die korrekte Linie von Stalin und die revisionistische Linie von Chruschtschow. Diejenigen, die Stalin die Schuld geben, beschuldigen ihn, dem Rechtsabweichertum verfallen zu sein, aus dem Chruschtschow hervorging, aber das ist falsch. In Wirklichkeit waren es Malenkow und seine Anhänger (möglicherweise auch Berija), die die Rechtsabweichung vertraten. Chruschtschow unterstützte auch die Außenpolitik Malenkows, und sogar Molotow und Kaganowitsch schlossen sich ihr an. Aber Malenkovs Position des Abbaus von Spannungen und des Abbaus des ideologischen Kampfes war das genaue Gegenteil von Stalins Position. In Wirklichkeit scheint es, dass Malenkow derjenige war, der Chruschtschow den Weg ebnete.

Wir können bestimmte Elemente in der Politik der Stalin-​Ära (und der Lenin-​Ära) finden, die später vom Chruschtschow-​Revisionismus verzerrt, umgedeutet und wiederverwendet wurden, aber das bedeutet nicht, dass die Wurzeln der Chruschtschowschen Theorien tatsächlich in der Politik der Lenin- oder Stalin-​Ära liegen. Jeglicher Revisionismus ist eine Verzerrung des Marxismus, und folglich nimmt er immer bestimmte Elemente des Marxismus und verdreht sie.

Oft wird behauptet: »Stalin muss sich geirrt haben, weil er den Revisionismus nicht verhindern konnte«. In gewissem Sinne ist das wahr, aber solange der Kapitalismus existiert, wird er immer Revisionismus hervorbringen. Es gab nichts, was Stalin hätte tun können, um zu verhindern, dass der Revisionismus überhaupt auftaucht. Stalins einziger Fehler war, dass die Revisionisten die Staatsmacht eroberten, nachdem Stalin bereits gestorben war. Stalin war nicht in der Lage, den modernen Revisionismus, den sowjetischen Revisionismus, vorherzusehen und eine Theorie darüber zu entwickeln, aber das ist kein Fehler in einem typischen Sinne. Wir würden auch nicht sagen, dass Marx sich geirrt hat und »rechte Fehler« gemacht hat, oder was auch immer, weil er keine Theorie des Imperialismus hatte.

Es ist bekannt, dass Stalin voraussagte, dass die kapitalistische Restauration nur dann gelingen würde, wenn es zu einer ausländischen Invasion in der UdSSR käme. Das ist natürlich nicht geschehen, vor allem weil Stalin eine solche Invasion durch die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der UdSSR verhindern konnte. Stalin sagte jedoch voraus, dass die Revisionisten versuchen würden, durch ein trotzkistisch-​bucharinistisches Komplott an die Macht zu kommen. Er hat den modernen Revisionismus nicht vollständig vorausgesehen, aber er hat bestimmte Aspekte davon genau prognostiziert.

Man sucht die Wurzeln des Chruschtschowismus in der sowjetischen Wirtschaftsbasis und der Struktur des Staates. Meiner Meinung nach werden sie dort aber keinen Chruschtschowismus finden. Die Wahrheit ist, dass der Chruschtschowismus in der sowjetischen Wirtschaft und im sowjetischen Überbau nur deshalb scheinbar »entdeckt« werden kann, weil der Sozialismus immer noch unter den Überbleibseln des Kapitalismus leidet, sowohl im »bürgerlichen Recht« als auch »in den Köpfen der Menschen«. Der Chruschtschow-​Revisionismus ist kein Produkt der Fehler Stalins, der Chruschtschow-​Revisionismus ist ein Produkt des kapitalistischen Einflusses, der kapitalistischen Überbleibsel.

Wie soll man also den Chruschtschow-​Coup verstehen? Es ist nicht völlig naiv oder oberflächlich zu behaupten, die Chruschtschowisten seien in erster Linie durch eine Verschwörung an die Macht gekommen und nicht als Ergebnis einer langsamen Degeneration oder einer Abweichung nach rechts. Die Trotzki-​Bucharin-​Gruppe versuchte durch eine Verschwörung an die Macht zu kommen. Die Wurzeln des Trotzkismus und des Bucharinismus liegen nicht in »Stalins Fehlern« oder »Lenins Fehlern«, sondern in kapitalistischen Überbleibseln und kapitalistischen Einflüssen, die unvermeidlich sind, bis der Sozialismus den endgültigen und vollständigen Sieg erringt.

Auch die Gruppe um Chruschtschow und Mikojan kam im Grunde durch eine Verschwörung an die Macht, und es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen ihnen und der Trotzki-​Bucharin-​Gruppe. Chruschtschow vertrat eine rechte Linie, die im Wesentlichen mit Bucharin übereinstimmte (und die vom gesamten Block der Rechten und Trotzkisten unterstützt wurde). Chruschtschows Anschuldigungen gegen Stalin sind im Grunde genommen trotzkistisch, und es ist gut möglich, dass Chruschtschow sogar Trotzki rehabilitiert hätte, wenn dies nicht von anderen Mitgliedern des Zentralkomitees (hauptsächlich Molotow und Kaganowitsch) verhindert worden wäre. Infolge des Widerstands echter Marxisten konnte Chruschtschow nur die strafrechtliche Verfolgung der Bucharinisten und Trotzkisten verurteilen, nicht aber deren ideologische Vernichtung durch Stalin.

Ausgehend von ihren Handlungen ist es durchaus möglich (und sogar wahrscheinlich), dass Chruschtschow und Mikojan in den 1930er Jahren der Rechten Opposition oder dem Block der Rechten und Trotzkisten angehörten (in der Tat haben Quellen dies behauptet). In den 1930er Jahren versuchten Chruschtschow und Mikojan, Stalin heuchlerisch grenzenlos zu loben und einen Kult um Stalin zu pflegen, was eigentlich eine übliche bucharinistisch-​trotzkistische Taktik war, die zum Beispiel von Bucharin und Radek praktiziert wurde. Lesen wir dazu Vijay Singh:

Die Verbindungen zwischen Trotzki und Chruschtschow waren nicht nur politischer, theoretischer und ideologischer Natur. Aus den Memoiren von Kaganowitsch geht hervor, dass Chruschtschow 1923 und 1924 Mitglied der trotzkistischen Opposition gewesen war. Ende 1924 »erkannte« er seinen Fehler und gab ihn zu. Er bat Kaganowitsch, seinen Arbeitsbereich zu wechseln, um sich von seinen früheren politischen Verbindungen zu lösen. Nach Rücksprache mit Stalin hatte Kaganowitsch ihn in neue Arbeitsbereiche versetzt. Chruschtschow, so argumentiert Kaganowitsch, habe später gute Arbeit gegen die Abweichung der rechten Opposition geleistet. Später wurde er zum Sekretär des Moskauer Komitees befördert… In seinem Kommentar zu den Aktivitäten Chruschtschows in den Jahren seiner Machtausübung auf der Grundlage seiner Erfahrungen und nach der Lektüre der Memoiren des ehemaligen Sowjetführers argumentierte Kaganowitsch: Es stellte sich heraus, dass Chruschtschow sich nicht als einfaches Chamäleon, sondern als ›Rückfalltäter‹ des Trotzkismus erwies (Vijay Singh, »Einige Überlegungen zu ›Chruschtschow hat gelogen‹ von Grover Furr«).

Aus der Geschichte wissen wir, dass die Bourgeoisie Spione und Verräter gegen den Sozialismus einsetzt. Das haben wir nicht nur im Fall des Blocks der Rechten und der Trotzkisten, im Fall des menschewistischen Gesamtunionsbüros und in den Fällen Rajk, Slansky, Kostow und Xoxe gesehen. Wir haben auch das Beispiel Jugoslawien, wo eine Bande von kapitalistischen Agenten bereits in der Stalin-​Ära erfolgreich die Macht übernahm. Warum sollten wir Chruschtschow grundlegend anders behandeln als Rajk und Tito? Natürlich gibt es Unterschiede, aber keine grundlegenden. Tito kam in einem Staat an die Macht, der nicht zu den führenden Supermächten gehörte. Infolgedessen wurde Jugoslawien zu einer Marionette der USA gegen das sozialistische Lager. Chruschtschow hingegen kam in einer Weltsupermacht an die Macht, und in der Folge entwickelte sich die UdSSR zu einem unabhängigen imperialistischen Staat.

Die Ansicht, dass Chruschtschow im Grunde ein geheimes Mitglied der Trotzki-​Bande war, dem das von Trotzki versuchte kriminelle Komplott gelungen ist, hat nichts Naives oder Oberflächliches an sich.

Was hätte Trotzki getan, wenn sein Komplott erfolgreich gewesen wäre? Er hätte Stalin umgebracht und behauptet, er habe die sowjetische Demokratie »vor der Bürokratie« gerettet. Möglicherweise wäre die Ermordung Stalins irgendwie verheimlicht oder vertuscht worden. Chruschtschow behauptete auch, er habe die UdSSR vor dem stalinistischen »Despotismus« gerettet und bezeichnete Stalin als antidemokratischen Bürokraten. Chruschtschow musste seinen Revisionismus besser verschleiern, als es bis dahin irgendjemand getan hatte, und das ist ein besonderes Merkmal des sowjetischen Revisionismus. Die anderen revisionistischen Verräter (Trotzki, Bucharin, Tito) hingegen rationalisierten und rechtfertigten ihre Politik mit der Behauptung, dass sie den echten Leninismus vertraten, und vielleicht führten nur besondere Bedingungen dazu, dass sie ihre Ansichten nicht noch besser verschleierten. Welche besonderen Bedingungen?

Die Trotzki-​Bucharin-​Opposition hatte eine gefestigte Tradition, gefestigte Ansichten und Unterstützer. Sie vertraten offen die Ansichten, die ihre politischen Ziele unterstützten. Diese Ansichten unterschieden sich deutlich von der Linie der bolschewistischen Partei, so dass ihr Revisionismus leicht erkennbar war, aber das lag daran, dass sie mit der Parteilinie konkurrierten. Tito stützte sich auf Chauvinismus und konkurrierte ebenfalls mit der bolschewistischen Linie. Chruschtschow erlangte die Macht innerhalb der bolschewistischen Partei und führte keine Bewegung außerhalb der Partei an. Außerdem arbeitete er zu einer Zeit, als die Oppositionsbewegungen schon lange tot waren. Daher hatte er gute Gründe, die Taktik zu wählen, die er wählte, nämlich sich als »orthodoxer« Marxist-​Leninist auszugeben und nur »Korrekturen« vorzunehmen.

Gab es also bestimmte ideologische oder wirtschaftliche Faktoren, die tatsächlich zum Aufstieg Chruschtschows beigetragen haben? Natürlich gab es die. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine spürbare Gefahr von rechts. Dimitrow erklärte auf dem 7. Kominternkongress, dass die Taktik der Volksfront zwar richtig sei, aber zu einer erhöhten rechten Gefahr führe (»Wir müssen unsere Wachsamkeit erhöhen … und dabei bedenken, dass die Gefahr des rechten Opportunismus in dem Maße zunehmen wird, wie sich die breite Einheitsfront mehr und mehr entwickelt«.). Das Gleiche gilt für die Volksdemokratie, die in Osteuropa im Entstehen begriffen war, und für ähnliche Taktiken, die von den westlichen kommunistischen Parteien angewandt wurden, sowie für die breite Friedensbewegung, die in der UdSSR eine zentrale Rolle spielte. Es wäre falsch, daraus den Schluss zu ziehen, dass irgendeine dieser Taktiken (Volksdemokratie, Volks- und Einheitsfront, Friedensbewegung) fehlerhaft oder falsch war, aber sie enthielten natürlich Risiken, wie jede Taktik.

Auch die Koalition zwischen der UdSSR und den westlichen Alliierten während des Zweiten Weltkriegs führte zu Abweichungen, für die der Browderismus das beste Beispiel ist. Chruschtschow und Malenkow vertraten in Bezug auf die »friedliche Koexistenz« bestimmte ähnliche Positionen wie Browder. Es gab auch eine spontane und legitimerweise schädliche Tendenz zur Rechtsabweichung, die durch die objektiven wirtschaftlichen und ideologischen Bedingungen in der Nachkriegszeit in der UdSSR verursacht wurde. Es gab eine Koalition mit dem Westen, einen verstärkten Einfluss der westlichen Kultur, eine Betonung der antifaschistischen Einheit, der nationalen Einheit und eine Abschwächung des Kampfes zwischen bestimmten Teilen der sowjetischen Intelligenz usw. Dem wurde bereits in der Stalin-​Ära mit den verstärkten Wachsamkeitskampagnen in Kunst, Wissenschaft und Kultur ab 1947 entgegengewirkt, mit den Kampagnen gegen die »Unterwürfigkeit gegenüber dem Westen« (Kosmopolitismus). Stalin und seine Genossen verstanden das Problem und handelten richtig. Diese Politik wurde von Malenkow und Chruschtschow rückgängig gemacht und nie wiederhergestellt, auch wenn die Breschnewisten vom Standpunkt des russischen Chauvinismus aus eine relativ stärker antiwestliche Position einnahmen.

Meiner Meinung nach gab es in der Nachkriegszeit eine spontane Tendenz nach rechts, weil die Menschen vom Krieg erschöpft waren. Sie wollten Konsumgüter, Entspannung und Unterhaltung. Es gab aber auch die entgegengesetzte Tendenz, die keineswegs zum Scheitern verurteilt war. Diese entgegengesetzte Tendenz war die klassenbewusste sozialistische Tendenz, die die Notwendigkeit einer verstärkten Industrialisierung, einer erhöhten Wachsamkeit und einer Aufrüstung der Verteidigungskräfte erkannte und sich für den Wiederaufbau nach dem Krieg und den Weg zum Aufbau des Kommunismus begeisterte. Der Unterschied besteht darin, dass die rechte Tendenz spontan war, während die richtige Tendenz bewusst war. Als die Parteiführung durch den Tod von Stalin, aber auch von Schdanow und anderen enthauptet wurde, setzten die neuen Führer die klassenbewusste Führung nicht fort, sondern führten stattdessen wirre und verworrene Ansichten ein, die die Spontaneität nährten und von der Spontaneität genährt wurden.

Malenkow, Berija und Chruschtschow hatten alle ähnlich verworrene Ansichten, die (anscheinend) auch Molotow und Kaganowitsch duldeten. Ich spreche hier von einzelnen Führern, und Marxisten sind oft der Meinung, dass Individuen überhaupt keine Rolle spielen und dass nur wirtschaftliche Faktoren und Klassen Einfluss haben. Der Marxismus-​Leninismus vertritt jedoch den Standpunkt, dass die einzelnen politischen Führer Klassen repräsentieren. Es ist nicht bedeutungslos, wer der Führer ist. Es war nie bedeutungslos, ob Trotzki oder Lenin Führer wurde, oder ob Trotzki oder Stalin Führer wurde. Das war eine sehr wichtige Frage. Genauso war es keine unbedeutende Tatsache, dass die mächtigsten Persönlichkeiten nach Stalin wirrköpfig waren und rechtsgerichtete Fehler machten (zum Beispiel Malenkow) oder regelrechte Verräter waren (insbesondere Chruschtschow).

Man könnte sich fragen, wie Malenkow solche Fehler unterlaufen konnten oder wie er so viel Macht erlangen konnte, wenn er die Theorie so schlecht beherrschte. Tatsache ist, dass, wie Lenin in »Marxismus und Revisionismus« sagt, neue Bedingungen immer neue Möglichkeiten für Revisionismus und Fehler schaffen. Bucharin war auch kein Idiot, ganz im Gegenteil, und doch war er völlig fehlgeleitet und falsch, was ihn zu einem Feind der Arbeiterklasse machte. Jeder macht Fehler, aber wie Lenin in »Der Linke Radikalismus« sagt, kommt es nur darauf an, wie schnell man diese Fehler erkennt und korrigiert. Die einzige Möglichkeit, auf dem richtigen Weg zu bleiben, besteht darin, eine feste Grundlage im Marxismus-​Leninismus zu haben, und das wichtigste Prinzip des Marxismus-​Leninismus ist der Klassenkampf. Malenkow hat diesen Grundsatz eindeutig vergessen und Chruschtschow hat seine »Theoretiker« beauftragt, die Aufgabe dieses Grundsatzes theoretisch zu rechtfertigen.

Molotow und Kaganowitsch waren weder dumm, noch waren sie dem Marxismus-​Leninismus untreu. Und doch verstanden sie weder den Rechtsruck noch das Wesen des Chruschtschowschen Revisionismus vollständig. Aus Molotows Memoiren geht hervor, dass er ihn nicht richtig verstanden hat. Andere tapfere und ehrliche Kämpfer, sehr intelligente und sogar geniale Menschen wie M. Rakosi haben ihn ebenfalls nicht ganz verstanden. Er hielt den Chruschtschow-​Revisionismus in Ungarn (Kadarismus) für eine sozialdemokratische Restauration und sah ihn nicht klar als eine qualitativ neue Art des Revisionismus, den modernen Revisionismus. Stalin war nur eine Person, aber dennoch eine außergewöhnliche Person, deren theoretische Führung es der Partei ermöglichte, den richtigen Weg zu gehen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass viele kluge Leute in Fehler verfallen sind, als sie Stalin nicht mehr als Lehrmeister hatten.

Marxisten-​Leninisten wie Molotow, Rakosi, Revai, Bierut, Tscherwenkow und viele andere (ganz zu schweigen von Schdanow, Dimitrow, Gottwald und so weiter, wenn sie noch am Leben wären*) verstanden jedoch, dass Malenkow ein Rechtsabweichler war, der den Klassenkampf vergaß, und dass etwas Ähnliches auch für Chruschtschow galt. Ihr Klasseninstinkt hat sie vor Chruschtschow gewarnt, auch wenn sie noch keine Theorie des modernen Revisionismus hatten. Ich möchte sie nicht als hoffnungslos unfähig bezeichnen, die Situation zu verstehen. Sie wurden nur vorübergehend erschüttert und getäuscht, was sie alles kostete.

Warum haben sie den Kampf verloren? Sie hatten nicht das besondere theoretische Genie, das man in einer solchen Situation braucht. Keiner von ihnen war Lenin. Keiner von ihnen war Stalin. Natürlich hatten sie auch viele andere Probleme. Molotow, Kaganowitsch und Rakosi waren gezwungen, unter dem Druck der Revisionisten zu manövrieren. Auch sie wurden überrumpelt. Die sich zuspitzende Weltlage verängstigte viele Menschen, so dass sie die Beschwichtigungspolitik Malenkovs gegenüber dem Westen akzeptierten. Es gab viele Faktoren, aber die einfache Verallgemeinerung ist, dass jede neue Situation neue Möglichkeiten für Fehler schafft. Es gab sowohl objektiv notwendige Bedingungen als auch zufällige Bedingungen, die Chruschtschow halfen. Sie fielen mit dem Tod von Stalin und Schdanow zusammen, was das theoretische Niveau der Partei stark schwächte. Dies war weder etwas Unvermeidliches, noch beruhte es auf Fehlern.

Allerdings war der Chruschtschow-​Revisionismus notwendigerweise eine qualitativ neue Art von Revisionismus, viel raffinierter, viel gefährlicher als jeder frühere Revisionismus. Wie Lenin in »Marxismus und Revisionismus« sagte, nimmt der Kampf zwischen Revisionismus und echtem Marxismus mit dem Fortschreiten des revolutionären Prozesses zu. Der trotzkistische Revisionismus war eine neue und noch gefährlichere Vorhut der Weltreaktion. Diese Rolle wurde später von Tito übernommen. Aber die Bedingungen, um ihn zu besiegen, waren gegeben, und der Marxismus-​Leninismus hat gesiegt. Der Chruschtschow-​Revisionismus war eine neue und noch gefährlichere, höhere Form des Antimarxismus, der sich als Marxismus ausgab. Es hätte außergewöhnliches Geschick (subjektiver Faktor) und bestimmte Bedingungen (objektiver Faktor) erfordert, um ihn zu verhindern. Daran fehlte es, und die Marxisten-​Leninisten wurden besiegt.

In Zukunft wird sich das nicht mehr wiederholen, denn wir wissen jetzt, was der moderne Revisionismus ist. Wir verstehen den Revisionismus jetzt viel besser als je zuvor. Fehler sind immer noch unvermeidlich, aber jedes Mal schreitet der Marxismus und der revolutionäre Prozess weiter voran. Der Sieg des Marxismus ist eigentlich unvermeidlich, auch wenn er große Opfer, Hingabe und harte Arbeit erfordert.

* Ich frage mich, ob es ein Zufall ist, dass Stalin, Schdanow, Scherbakow und Dimitrow unter verdächtigen Umständen starben, während sie sich in der UdSSR aufhielten. Wyschinski starb 1954 unter mysteriösen Umständen in New York. Gottwald starb bei Stalins Beerdigung, Bierut beim 20. Kongress der KPdSU. Obwohl es sich wahrscheinlich nicht einmal um Marxisten-​Leninisten handelte, sondern nur um seine Rivalen, wurden sogar Abakumow und Berija von Chruschtschow heimlich hingerichtet.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung des bei ML-​Theory: A Marxist-​Leninist Blog erschienen englischen Orginals.

Bild: Panfilow W.P. »Chruschtschows Rückkehr aus Amerika« 1962

2 thoughts on “Einige Gedanken zu den Ursprüngen des Chruschtschowschen Revisionismus

  1. Der Artikel ist schlecht wie nur wenig, was ich je gelesen habe.
    Was wollt Ihr damit erreichen, dass Ihr hier so einen Artikel postet?
    Wenn ich an das Postulat von Hanns Graaf denke, es wäre an der Zeit, eine neue Arbeiterpartei zu gründen (wobei es doch schon so viele gibt – DKP, MLPD, Arbeiterbund…), sollte man sich eher fragen, wie wir in *einer* Arbeiterpartei Stalinisten, Trotzkisten, sonstige Marxisten-​Leninisten, nur Marxisten… zusammenführen könnten.
    Den Blog »ML-​Theory…« kann man dann ja nach Lust und Laune aufrufen.
    Gleiches gilt meiner Ansicht nach auch für die hierhin übernommenen Ergüsse von »Spectrum of Communism«.

  2. »Es ist bekannt, dass Stalin voraussagte, dass die kapitalistische Restauration nur dann gelingen würde, wenn es zu einer ausländischen Invasion in der UdSSR käme. Das ist natürlich nicht geschehen, vor allem weil Stalin eine solche Invasion durch die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der UdSSR verhindern konnte.«

    Es hat doch eine Invasion gegeben.

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