UN-Reso­lu­ti­on: EU-Län­der mit der Ukrai­ne nicht mehr gegen Nazismus

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Sech­zehn Jah­re lang leg­te Russ­land eine Reso­lu­ti­on zur Bekämp­fung des Nazis­mus in der UN vor, sech­zehn Jah­re lang ent­hiel­ten sich alle Län­der der EU. Eines Tages muss­te die­ser ver­meint­lich neu­tra­le Stand­punkt kip­pen. Jetzt stimm­ten sie mit der Ukrai­ne und den USA dagegen.

Ein­mal im Jahr wird in der UN Fie­ber gemes­sen, und die­ses Jahr ist das Ergeb­nis deut­lich: Die Tem­pe­ra­tur steigt. Seit dem Jahr 2005 legt die Stän­di­ge Ver­tre­tung Russ­lands bei den Ver­ein­ten Natio­nen jähr­lich eine Reso­lu­ti­on mit dem Titel »Bekämp­fung der Ver­herr­li­chung des Nazis­mus, des Neo­na­zis­mus und ande­rer Prak­ti­ken (…)« der UN-Voll­ver­samm­lung zur Abstim­mung vor.

Der ein­zi­ge Staat, der kon­ti­nu­ier­lich gegen die­se Reso­lu­ti­on gestimmt hat, waren die Ver­ei­nig­ten Staa­ten. Im Jahr 2005 waren es außer­dem noch Japan und Mikro­ne­si­en. Im Jahr 2013 waren es die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, Kana­da und Palau, die gegen die­se Reso­lu­ti­on stimm­ten. Wohl­ge­merkt, weder die Ukrai­ne noch die bal­ti­schen Staa­ten fan­den sich unter den Gegen­stim­men. Im Jahr 2014 waren es dann die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, Kana­da und die Ukrai­ne. Die Län­der der EU hat­ten sich all die Jah­re über ent­hal­ten. So blieb es bis ins ver­gan­ge­ne Jahr – nur die USA, die Ukrai­ne und even­tu­ell noch ein ande­res Land lehn­ten ab.

Auch wenn die Begrün­dung für das Stimm­ver­hal­ten, wie es in sol­chen Erklä­run­gen der Fall zu sein pflegt, sei­tens der USA wie sei­tens der EU-Staa­ten lau­tet, dass man vor inak­zep­ta­blen Beschrän­kun­gen der Mei­nungs­frei­heit bewah­ren wol­le – ein Argu­ment, das vor dem Hin­ter­grund gegen­wär­ti­ger Ent­wick­lun­gen gera­de­zu zynisch klingt – und die Kri­tik, die­se Reso­lu­ti­on erfas­se nicht alle gegen­wär­ti­gen For­men von Ras­sis­mus, dürf­ten es doch ande­re Pas­sa­gen der Reso­lu­ti­on sein, die stör­ten und stö­ren. Etwa die­ser Abschnitt, der schon in der ers­ten Ver­si­on die­ser Reso­lu­ti­on aus dem Jahr 2005 ent­hal­ten war:

Die Ver­samm­lung bringt ihre tie­fe Besorg­nis zum Aus­druck über die Ver­herr­li­chung der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung und der ehe­ma­li­gen Mit­glie­der der Waf­fen-SS, nament­lich durch die Errich­tung von Denk- und Ehren­mä­lern sowie die Ver­an­stal­tung öffent­li­cher Demons­tra­tio­nen zur Ver­herr­li­chung der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­gan­gen­heit, der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung und des Neonazismus.

Im Jahr 2007 wur­de die Reso­lu­ti­on des Jah­res 2005 um einen Absatz ver­län­gert, der in der Fol­ge dau­er­haf­ter Bestand­teil blieb und eben­falls mit dazu bei­getra­gen haben dürf­te, dass die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sie ablehnten.

Die Ver­samm­lung bekun­det ihre Besorg­nis über wie­der­hol­te Ver­su­che, Denk­mä­ler, die zum Geden­ken an die­je­ni­gen errich­tet wur­den, die wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs gegen den Nazis­mus kämpf­ten, zu schän­den oder zu zer­stö­ren sowie die sterb­li­chen Über­res­te die­ser Per­so­nen wider­recht­lich zu exhu­mie­ren oder zu ent­fer­nen, und for­dert die Staa­ten in die­ser Hin­sicht nach­drück­lich auf, ihre ein­schlä­gi­gen Ver­pflich­tun­gen, unter ande­rem nach Arti­kel 34 des Zusatz­pro­to­kolls I zu den Gen­fer Abkom­men von 1949, voll zu erfüllen.

Im Jahr 2008 wur­de der ers­te hier zitier­te Absatz über die Ver­herr­li­chung ergänzt um den Halbsatz:

… dadurch, dass die­se Mit­glie­der und die­je­ni­gen, die gegen die Anti-Hit­ler-Koali­ti­on kämpf­ten und mit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung kol­la­bo­rier­ten, zu Mit­wir­ken­den in natio­na­len Befrei­ungs­be­we­gun­gen erklärt wer­den bezie­hungs­wei­se ver­sucht wird, sie dazu zu erklären.

Es gab noch wei­te­re Ände­run­gen, aber die­se Punk­te sind die Kern­punk­te, die dazu führ­ten, dass die Ukrai­ne ab dem Mai­dan-Putsch 2014 sich nicht mehr mit den EU-Län­dern der Stim­me ent­hielt, son­dern mit den USA gegen die­se Reso­lu­ti­on stimmte.

Schließ­lich waren gera­de diver­se Per­so­nen, die »gegen die Anti-Hit­ler-Koali­ti­on kämpf­ten und mit der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung kol­la­bo­rier­ten«, zu Natio­nal­hel­den erklärt wor­den. Seit­dem ist es dort staat­li­ches Pro­gramm, Denk­mä­ler für die Trup­pen, die gegen die Nazi­wehr­macht kämpf­ten, zu zer­stö­ren und Denk­mä­ler für SS-Trup­pen und Kol­la­bo­ra­teu­re zu errichten.

Das Votum der Abstim­mung der Ver­ein­ten Nationen

Die Ableh­nung die­ser Reso­lu­ti­on und die Ver­än­de­rung der ukrai­ni­schen Denk­mals­land­schaft soll­te eigent­lich bereits als Beleg dafür genü­gen, dass nazis­ti­sches Gedan­ken­gut in der Gesell­schaft weit­ver­brei­tet und von staat­li­chen Stel­len geför­dert wird. Immer­hin wür­de ein Denk­mal für Hein­rich Himm­ler in Deutsch­land (noch) nicht gedul­det. Wenn es sich beim ukrai­ni­schen Nazis­mus um ein Rand­phä­no­men han­del­te, wie sind dann die Denk­mä­ler zu erklären?

Man muss aber noch etwas ande­res kon­sta­tie­ren: Wie hät­ten unter ande­rem die bal­ti­schen Staa­ten reagiert, wenn es tat­säch­lich Druck aus der EU gege­ben hät­te, den Kult um SS-Abtei­lun­gen zu unter­las­sen? Sie hät­ten nach­ge­ge­ben. Und auch die Ukrai­ne hät­te wahr­schein­lich auf die Ver­herr­li­chung von Nazi­kol­la­bo­ra­teu­ren ver­zich­tet, wären ent­spre­chen­de Signa­le gekommen.

Als die FPÖ in Öster­reich das ers­te Mal an die Regie­rung kam, gab es einen euro­pa­wei­ten Auf­schrei. Öster­reich war erst fünf Jah­re zuvor der EU bei­getre­ten. Anfang 2000 kam eine Koali­ti­on aus ÖVP und FPÖ an die Regie­rung, und wegen frem­den­feind­li­cher Äuße­run­gen eini­ger FPÖ-Poli­ti­ker (also nicht wegen ent­spre­chen­der Geset­ze oder Ähn­li­ches) schränk­ten eine gan­ze Rei­he von EU-Län­dern ihre diplo­ma­ti­schen Kon­tak­te zu Öster­reich meh­re­re Mona­te lang ein. Man wol­le kei­ne Rechts­extre­mis­ten in Regie­run­gen von EU-Staa­ten, hieß es.

Im Jahr 2014 rief die Instal­lie­rung der ukrai­ni­schen Nazi­kol­la­bo­ra­teu­re als Natio­nal­hel­den nicht die min­des­te Reak­ti­on sei­tens der EU her­vor. Wie auch, hat­te doch die Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung in den Jah­ren zuvor Par­tei­funk­tio­nä­re von Swo­bo­da aus­ge­bil­det, einer sicht­bar nazis­ti­schen Par­tei, die dann in den Ver­hand­lun­gen der drei EU-Außen­mi­nis­ter aus Frank­reich, Polen und Deutsch­land mit Janu­ko­witsch pro­blem­los als Ver­tre­ter der »ukrai­ni­schen Oppo­si­ti­on« mit am Tisch saß, um am nächs­ten Tag ihre Schlä­ger­trupps zum Sturm auf den Prä­si­den­ten­sitz zu schicken.

Es war zu wich­tig, die Ukrai­ne unter die eige­ne Kon­trol­le zu brin­gen, die Wahl der Koope­ra­ti­ons­part­ner war dabei so beden­ken­los, wie es sonst fer­nen Kolo­nien gegen­über üblich ist, in Latein­ame­ri­ka bei­spiels­wei­se. Im Gegen­satz zu frü­he­ren Jah­ren wur­de nicht ein­mal mehr ver­sucht, die ent­spre­chen­de Kli­en­tel zumin­dest auf eine unauf­fäl­li­ge­re Sym­bo­lik zu eichen.

Bis heu­te wird so getan, als hät­te die­se Ideo­lo­gie bei der Ent­ste­hung des ukrai­ni­schen Bür­ger­kriegs kei­ne Rol­le gespielt. Wel­chen Hand­lungs­spiel­raum die­se Trup­pen hat­ten, hat­ten die Ver­tre­ter der EU aller­dings in der Hand. Man muss sich nur ein­mal vor­stel­len, dass die Putsch­re­gie­rung nicht aner­kannt wor­den wäre und die drei EU-Außen­mi­nis­ter auf der Ein­hal­tung des Abkom­mens bestan­den hät­ten, das sie am Tag vor dem Putsch geschlos­sen hatten …

Die­ser klei­ne Punkt wird oft über­se­hen, wenn man die Ent­wick­lung der Ukrai­ne ab dem Jahr 2014 betrach­tet. Wäre der Putsch nicht aner­kannt wor­den, hät­ten die Wah­len ver­mut­lich immer noch eine Mehr­heit erge­ben, die in die EU streb­te, aber vie­les von dem, was folg­te, wäre ver­mie­den wor­den. Die­se drei Minis­ter hät­ten aber auf dem Weg zu die­sen Ver­hand­lun­gen mit geschlos­se­nen Augen fah­ren müs­sen, um nicht zu erken­nen, wel­che Kräf­te da domi­nie­ren, selbst wenn sie sich gewei­gert hät­ten, Infor­ma­tio­nen über Swo­bo­da zur Kennt­nis zu neh­men. Es gibt einen BBC-Bericht aus dem Jahr 2014, der deut­lich zeigt, wie all­ge­gen­wär­tig Nazi­sym­bo­le waren.

Acht Jah­re lang wur­de die Behaup­tung auf­recht­erhal­ten, dass es kei­ne Nazis in der Ukrai­ne gäbe, oder wenn, dass sie eine völ­lig unbe­deu­ten­de Min­der­heit wären, auch wenn die­se unbe­deu­ten­de, klei­ne Min­der­heit es regel­mä­ßig schafft, die Bot­schaf­ter­pos­ten in der EU zu besetzen.

Nun, wenn es eine his­to­ri­sche Kon­flikt­li­nie gibt, ent­lang derer kei­ne neu­tra­le Posi­ti­on exis­tiert, dann ist es die des Zwei­ten Welt­kriegs. Wer nicht gegen die Nazis war, war für sie. Unzwei­fel­haft gab es reich­lich Kräf­te in den west­li­chen Staa­ten, die für die Nazis waren: Immer­hin muss­te ein bri­ti­scher König wegen sei­ner ent­spre­chen­den Sym­pa­thien abdan­ken, in Frank­reich gab es die Vichy-Regie­rung mit ihren Kol­la­bo­ra­teu­ren, und ein gan­zer Block der US-Indus­trie koope­rier­te den gan­zen Krieg über mit der IG Far­ben – nur Neu­tra­li­tät gab es nicht.

Kann es sie dann heu­te geben? Das Stimm­ver­hal­ten der euro­päi­schen Ver­tre­ter in den ver­gan­ge­nen Jah­ren scheint das anzu­deu­ten, aber es ist nicht zu über­se­hen, dass Stück für Stück die Ideo­lo­gie, die in der Ukrai­ne so gehegt wur­de, nach Wes­ten wan­dert. Noch nicht so weit, dass man sich selbst mit Wolfs­an­geln behängt, aber der Gruß der ukrai­ni­schen Nazi­kol­la­bo­ra­teu­re, der den Men­schen in Kiew nach dem Putsch ein­ge­prü­gelt wur­de wie einst in Deutsch­land das »Heil Hit­ler«, kommt längst auch einem Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz über die Lip­pen. Und auch, wenn das, was aus Kiew ver­brei­tet wird, lupen­rei­ne Nazi­pro­pa­gan­da in bes­ter Goeb­bels­scher Tra­di­ti­on ist, die man sofort als sol­che erken­nen müss­te, wird jede in Kiew erson­ne­ne Geschich­te in den west­eu­ro­päi­schen Medi­en verbreitet.

Auf die Dau­er hat das Fol­gen, und das zeig­te sich die­ses Jahr, als wie­der die­se Reso­lu­ti­on in der UN auf den Tisch kam. Das ers­te Mal hat der gan­ze Block der EU-Staa­ten dage­gen gestimmt. Im Grun­de ging das gar nicht anders. Die Lei­den­schaft dafür, Denk­mä­ler abzu­rei­ßen, die dar­an erin­nern, wer Euro­pa eigent­lich vom Nazis­mus befreit hat, strahlt immer wei­ter nach Wes­ten aus. Wenn sie mit blau­gel­ben Haken­kreu­zen beschmiert wer­den, ist das nicht ein­mal eine Nach­richt. Und selbst in Bun­des­tags­de­bat­ten fin­det sich bereits jene eigen­ar­ti­ge Ver­zer­rung der Geschich­te, nach der die Sowjet­uni­on zusam­men mit Nazi­deutsch­land den Zwei­ten Welt­krieg begon­nen hätte.

Statt, wie es mit den Mins­ker Abkom­men mög­lich gewe­sen wäre, den Staat Ukrai­ne auf dem Rück­weg zur Ver­nunft zu unter­stüt­zen, stell­te sich die gesam­te EU auf Gedeih und Ver­derb hin­ter die Ukrai­ne. Man woll­te eine Ukrai­ne, die sich gegen Russ­land plat­zie­ren lässt, bis zum Krieg. Etwas, das unge­fähr einer Auf­rüs­tung Öster­reichs gegen Deutsch­land ent­spricht, eine Absur­di­tät, die nur erzielt wer­den kann, indem auf die aggres­sivs­te Ideo­lo­gie gesetzt wird. Und jetzt stellt sich her­aus, dass sich die­ses Den­ken nicht ein­he­gen lässt, dass es aus dem brau­nen Zoo aus­ge­bro­chen ist und über­all dort­hin streut, wo man bereit ist, die­se Ukrai­ne als die Ukrai­ne zu akzeptieren.

Alles, was die EU von und mit der Ukrai­ne woll­te, wäre auch zu haben gewe­sen, ohne sie so zuzu­rich­ten. Alles außer einem – der Front­stel­lung gegen Russ­land. Sie könn­te bis heu­te ein tat­säch­lich demo­kra­ti­sches Land sein, nicht abgrund­tief zer­ris­sen, mit einer funk­tio­nie­ren­den Wirt­schaft, nicht auf immer und ewig ver­schul­det, viel­leicht sogar etwas weni­ger kor­rupt (obwohl die EU nicht wirk­lich als Vor­bild der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung taugt). Selbst die scham­lo­se Aneig­nung von Grund und Boden wäre drin, ohne die­se Ideo­lo­gie, ohne aus Schläch­tern Hel­den zu machen. Aber das gan­ze Land muss­te zum Werk­zeug wer­den. Es ist nicht so, dass die Ideo­lo­gie dazu geführt hat, dass die Ukrai­ne Krieg führt. Nein, die­se Ideo­lo­gie wur­de dort nicht nur gedul­det, son­dern sogar geför­dert, damit sie Krieg führt.

Und jetzt sitzt die­ses Euro­pa da und hat sei­nen Krieg. Und die Ideo­lo­gie, die man der Ukrai­ne für die­sen Krieg ver­passt hat, ver­brei­tet sich wie eine Blut­ver­gif­tung. Solan­ge sie nicht bekämpft wird, ist gar kei­ne ande­re Ent­schei­dung mehr mög­lich, als die­se Reso­lu­ti­on abzulehnen.

Dag­mar Henn ist Mit­glied des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des, von des­sen Web­site frei​den​ker​.org der Arti­kel über­nom­men wur­de. Erst­ver­öf­fent­li­chung am 16.02.2022 auf RT DE

Bild: Arthur John­son im Maga­zin Klad­de­ra­datsch, August 1932

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