Stellungnahme der Neuen Gesellschaft für Psychologie zum Krieg

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Dass die Boykottmaßnahmen gegen Russland sich gegen die Interessen der Bevölkerung richten, sieht jeder: an den rasant steigenden Lebenshaltungskosten, den Drohungen mit Einschränkungen der Strom und Energieversorgung, den Einschränkungen im Zugverkehr, usw.

Das sieht jeder? Nur der, der es sehen will! Die sichtbaren Einschränkungen, Bedrohungen und für nicht wenige bereits real gewordenen, ihre Existenz bedrohendem Verluste treffen »nur« die »unteren und mittleren Einkommensempfänger« – aber diese stellen die Mehrheit der Bevölkerung – Habeck »muss nicht in den Krieg« wie er bei Maischberger frech einräumte, er »muss nicht sterben!« Er muss auch nicht frieren und er muss nicht zur Tafel!

Die Mehrheit der Bevölkerung dagegen sieht sich einer anderen Situation gegenüber. Sie will keinen Krieg, vor allem keine Verlängerung des Krieges. Schon wegen der Einschränkungen nicht, die ihr zugemutet werden durch die Maßnahmen, die die Regierung als »Reaktion« auf die vorausgegangene Aktion des von Russland vorgeblich begonnenen Krieges erklärt.

Diese Erklärung setzt allerdings die Verleugnung der Vorbereitung zum Krieg voraus.

Diese Vorbereitung beginnt allerspätestens mit dem Putsch auf dem Maidan in Kiew 2014, wenn man nicht den Informationskrieg seit den 90er Jahren dazurechnen möchte. Letztlich war es von Anfang an das Ziel der NATO, »to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down« ­ in den Worten des ersten Generalsekretärs Lord Ismay.

Verleugnung der Realität, der realen Zusammenhänge, ist das Grundprinzip der Kriegspropaganda. Nur wenn man die eigene Vorbereitung zum Krieg verleugnet, kann man die Behauptung aufrechterhalten:

Wir wollen keinen Krieg. Schuld ist der andere. Er ist der Angreifer. Wir verteidigen uns lediglich gegen ihn, einen bösartigen, hinterhältigen, kriegssüchtigen Feind, wir verteidigen die Freiheit, die Demokratie gegen die Autokratie, solidarisch mit den Hilflosen.

Welche Freiheit wird damit verteidigt, wenn man dazu selbst auf die Mithilfe von Autokratien wie Katar oder Saudi-​Arabiens angewiesen ist ­– um von dort Öl und Gas (um einen viel höheren Preis) einzukaufen, was man sich selbst durch den Boykott Russlands ausgeschlagen hatte. Auch das eine Verleugnung: Nicht sehen zu wollen, dass man sich dabei selbst mehr schadet als dem Boykottierten. Aber wer weiß, vielleicht handelt man gar nicht im eigenen Interesse, sondern im Auftrag eines anderen.

Immer mehr deutsche Unternehmen bauen ihre Präsenz in den Vereinigten Staaten aus, zum Nachteil von Produktionsstandorten in der Bundesrepublik – German Foreign-​Policy berichtet:

Die aktuell hohen Energiepreise stellen die Fortexistenz energieintensiver Fabriken in Deutschland infrage; es droht die Verlagerung ins Ausland – insbesondere in die USA, wo die Energiepreise erheblich niedriger sind. Die Reindustrialisierung der Vereinigten Staaten ginge dann mit der Deindustrialisierung Deutschlands einher.

Der Widerspruch zwischen Absicht und Ergebnis der Boykottmaßnahmen löst sich auf, wenn man das Ergebnis der Boykottmaßnahmen als Teil des Plans zum »Umbau der Gesellschaft« sieht, wie es Klaus Schwab im »Great Reset« entworfen hat. Es nicht zu tun, wäre Verleugnung – der seit Jahrzehnten vertretenen amerikanischen Geostrategie.

Die Verleugnung der Realität nimmt viele Formen an: von allen Formen der Lüge, der falschen Behauptung, der Verkehrung ins Gegenteil, der Diffamierung der Gegenposition als unsolidarisch, unmenschlich, egoistisch, machtbesessen bis hin zum Verschweigen.

Die Formen der Verleugnung sind nicht nur die Prinzipien der Kriegspropaganda, sondern des Diskurses der Macht überhaupt, jener medial vermittelten Gehirnwäsche, zu der die Bevölkerung tagtäglich eingeladen wird: das entscheidende Mittel der Herrschaft. Jener Herrschaft, die sich nicht in offener Gewaltausübung bloßstellen will, sondern sich als den Willen der Beherrschten darstellt. Sie wirkt nicht – oder nur im Grenzfall – durch Drohung, Befehl oder Vorschrift, sondern vielmehr durch »Überzeugung«, durch Behauptung, Belehrung, durch »Zeigen« – durch die Register des Redens – und des Verschweigens, Versteckens, einfach dadurch, dass man in den Diskurs einsteigt und sich gemäß seiner Regeln in diesem Diskurs bewegt (s. Michel Foucault). Wenn Verhaltensforscher heute von »nudging« sprechen, meinen sie genau das; sie versichern, es ginge dabei nicht darum, Menschen »durch strenge Regeln in eine bestimmte Zielrichtung zu schubsen, sondern sie in einem Verhalten zu unterstützen, das sie eigentlich gerne machen wollen« (Lucia Reisch vom Leibniz-​Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie).

Für die Beherrschten bietet die Verleugnung die Möglichkeit, ihr Beherrschtsein selbst zu verleugnen: Deshalb steigt man in den Diskurs der Macht bereitwillig ein, übernimmt die Fiktion der Kompetenz:

Ich kann das, was ich soll, also will ich das! – die Maske aufsetzen, den Abstand zum anderen einhalten, ihn als gefährlich definieren, ›Solidarität‹ – mit den Herrschenden üben und auf diese Weise ein anerkanntes Mitglied der Gemeinschaft sein.

Wir sehen hier das Phänomen der »Klassenpsychologie« (Peter Brückner): die Bedeutung des Unterschieds, von welcher gesellschaftlichen Position aus Verleugnung eingesetzt wird beziehungsweise auf deren Einsatz folgt. Das ist weniger eine Frage von »bewusst oder unbewusst«, davon ob Politiker ihren Lügen »glauben« oder nur so tun als ob, sondern: Die Verleugnung des Politikers ist das Angebot (nudge) an den Belogenen, so zu handeln, als ob er die Lüge als eigene Begründung seines Handelns übernehme (Rationalisierung). Auf beiden Seiten kann die Verleugnung ein »So tun als ob« kaschieren, ein Verhalten zeigen, so als ob sie es »eigentlich gerne machen wollen«. Und auf das Verhalten kommt es den Herrschenden letztlich an.

Mit dem Krieg hat sich der Ton des Diskurses der Macht verändert. An die Stelle der »Unterstützung« des Verhaltens der Bevölkerung, das »sie eigentlich gerne machen wollen«, ist die Drohung getreten.

Steinmeier kündigt in seiner präsidentiellen Ansprache vom 28. Oktober »raue« und »harte« Jahre an. Die Sanktionen seien »alternativlos«, die Bürger sollten gefälligst nicht jammern, denn »Energie mag teurer werden, aber Freiheit ist unbezahlbar«.

So autorisiert er sich, die Militarisierung der Gesellschaft voranzutreiben: »Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und auch die Kraft zur Selbstbeschränkung«, »Widerstandsgeist und Widerstandskraft«, eine entsprechend ausgestattete Bundeswehr und eine »Gesellschaft, die ihr den Rücken stärkt«.

Gleichzeitig hatte – acht Tage vorher – der Bundestag die Verschärfung des Paragrafen 130 StGB gegen »Volksverhetzung« beschlossen, die erlaubt, denjenigen zu verfolgen, der »Kriegsverbrechen« »billigt, leugnet oder gröblichst verharmlost«. Das Repertoire der psychologischen Kriegsführung scheint nicht mehr auszureichen.

Gleichwohl ist Verleugnung weiterhin im Spiel. Alle Definitionsmerkmale des Straftatbestands sind offen für Interpretation und damit abhängig vom Stand des Diskurses der Macht. Während der Corona-​Pandemie-​Inszenierung war »Verleugnung« als Straftatbestand in eine Reihe mit dem der Holocaustverleugnung gestellt worden. Damit war Kritik an der Inszenierung strafrechtlich sanktioniert. Dasselbe ist nun mit der Kritik an der Haltung der Wertegemeinschaft, incl. Deutschland gegenüber dem Krieg, möglich, und zwar in gesteigertem Ausmaß, indem man diese Kritik als Verleugnung, Verharmlosung oder gar Billigung von »Kriegsverbrechen« – und zwar einseitig auf russischer Seite verurteilt.

Und wenn andererseits Frau Baerbock, Mitglied in den wichtigsten »transatlantischen« Netzwerken wie WEF und German Marshall Fund, scheinbar ungeschützt verkündet: Ihr Opa habe 1945 an der Ostfront die Freiheit Europas gegen die heranrückende Rote Armee verteidigt, so leistet sie sich zwar eine für eine deutsche Außenministerin unerhörte Provokation, die zugleich unter den Straftatbestand der Verharmlosung des Nazi-​Krieges fallen müsste, mit der sie aber gleichzeitig davon ablenkt, in wessen Auftrag sie handelt.

Auch wenn sich mit dem Krieg der Ton des Diskurses der Macht verschärft hat, auch wenn an die Stelle der »Unterstützung« des Verhaltens der Bevölkerung die Drohung getreten ist, so bleibt immer noch wichtig, die Bevölkerung zu gewinnen, und sei es nur zur Duldung der Politik, des politischen Handelns der Herrschenden. Und dafür sind die Psychologen in der Regierungsberatung immer noch wichtig. Auch die Strafe hat ihre »psychologischen« Wirkungen – schließlich geht es, wie Lucia Reisch bereits für die Corona-​Pandemie- Inszenierung klarstellt, um das »Erlernen neuer Gewohnheiten«.

Wir sind also als Psychologen gefordert, dagegen Stellung zu beziehen.

Der Vorstand der Neuen Gesellschaft für Psychologie
Klaus-​Jürgen Bruder, Conny Stahmer-​Weinandy, Jürgen Günther

Bild: Ohne Titel (Wanderlust)

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