»Russ­land als Ter­ror­staat«? Ein Doku­ment bar­ba­ri­schen Wahns

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Das EU-Par­la­ment hat eine Ent­schlie­ßung ange­nom­men, die in jeder Hin­sicht grenz­über­schrei­tend ist: in der Über­nah­me pro­pa­gan­dis­ti­scher Erzäh­lun­gen, der Miss­ach­tung demo­kra­ti­scher Wer­te, der Zer­stö­rung der Diplo­ma­tie. Ein wirk­lich his­to­ri­sches Dokument.

EU-Beschlüs­se, gleich, ob von Kom­mis­si­on oder Par­la­ment, sind immer unan­ge­nehm zu lesen; aber der Beschluss des EU-Par­la­ments unter der Num­mer P9_TA(2022)0405 ist es ganz beson­ders. Es geht um die »Ein­stu­fung der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on als dem Ter­ro­ris­mus Vor­schub leis­ten­der Staat«, und das ein­zi­ge Stück anti­rus­si­scher Pro­pa­gan­da der letz­ten zehn Jah­re, das dar­in nicht auf­ge­führt ist, ist das vom Doping im Sport.

Gleich zu Beginn der Begrün­dung, im ers­ten der vie­len Sät­ze, die mit »In der Erwä­gung« begin­nen, wird die Wirk­lich­keit hem­mungs­los ver­zerrt. »Dass Russ­lands Streit­kräf­te seit 2014 und ins­be­son­de­re seit dem 24. Febru­ar 2022, als Russ­land sei­nen rechts­wid­ri­gen, unpro­vo­zier­ten und unge­recht­fer­tig­ten Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne begann, wahl­los Wohn­ge­bie­te und zivi­le Infra­struk­tur ange­grif­fen …« Es war also die rus­si­sche Armee, die all die Jah­re über Donezk beschos­sen hat? Nicht die ukrai­ni­sche? Steht die rus­si­sche Armee all die Jah­re in Awde­jew­ka? Die ein­zi­ge wah­re Anga­be in die­sem Absatz ist das Datum.

In die­sem Ton­fall geht es wei­ter, als wäre der gesam­te Text direkt in Kiew ver­fasst wor­den. Selbst der »Angriff auf den Bahn­hof Kra­ma­torsk, bei dem 60 Zivi­lis­ten getö­tet wur­den«, der ein­deu­tig mit einer Totsch­ka-U-Rake­te erfolg­te, die nur die Ukrai­ne ein­setzt, wird mit auf­ge­führt, und es geht noch bes­ser: Unter Punkt G steht nach »In der Erwä­gung, dass Russ­land seit Okto­ber 2022 die kri­ti­sche Infra­struk­tur in der gesam­ten Ukrai­ne vor­sätz­lich angreift« am Ende des Absat­zes: »in der Erwä­gung, dass bei die­sen Angrif­fen pol­ni­sches Hoheits­ge­biet getrof­fen wur­de und dabei zwei pol­ni­sche Bür­ger getö­tet wurden«.

Die ganz Welt weiß längst, dass es eine ukrai­ni­sche Rake­te war, die in Polen lan­de­te. Nur das EU-Par­la­ment weiß dies nicht. Es weiß auch nicht, was die UNC­TAD über die Infla­ti­on bei Nah­rungs­mit­teln schrieb, dass sie näm­lich min­des­tens zur Hälf­te auf Spe­ku­la­ti­on zurück­geht, und erklärt, »dass Russ­land infol­ge sei­nes Angriffs­kriegs gegen die Ukrai­ne und sei­ner Blo­cka­de ukrai­ni­scher See­hä­fen für die welt­wei­te Kri­se der Ernäh­rungs­si­cher­heit ver­ant­wort­lich ist«.

Aber das ist noch nicht der Schluss. Russ­land lässt in Ener­go­dar »die unmit­tel­ba­re Umge­bung des Gelän­des beschie­ßen«, und es setzt nicht nur »die Ener­gie­ver­sor­gung als Waf­fe« ein, auch an dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipe­lines ist es schuld: »… dass durch die Beschä­di­gung der Erd­gas­fern­lei­tun­gen Nord Stream 1 und 2 am 26. Sep­tem­ber 2022 gro­ße Gas­le­cka­gen in der Ost­see ver­ur­sacht wur­den, was zudem ein Umwelt­an­schlag auf die Uni­on ist«.

In ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten hät­te an die­sen Stel­len irgend­je­mand ein­ge­grif­fen, um zumin­dest den mög­li­chen Scha­den für die eige­ne Glaub­wür­dig­keit durch die Ver­brei­tung längst erkann­ter Lügen zu begren­zen, sprich, wenigs­tens die bereits auf­ge­flo­ge­nen Pro­pa­gan­da­stü­cke aus dem Text zu ent­fer­nen. In die­sem EU-Par­la­ment sit­zen Ver­tre­ter aller EU-Mit­glieds­staa­ten, aus allen poli­ti­schen Rich­tun­gen, aber es fand sich nicht ein­mal genug Ver­nunft, um den Punkt mit der ukrai­ni­schen Rake­te in Polen gera­de­zu­rü­cken. Statt­des­sen wur­de ein Doku­ment ver­ab­schie­det, in dem mit Schaum vor dem Mund alles auf­ge­lis­tet wird, was der wil­des­te anti­rus­si­sche Wahn zu bie­ten hat, ein­schließ­lich der jetzt angeb­lich von Russ­land erzwun­ge­nen Lan­dung eines Flug­zeugs in Weiß­russ­land und dem Absturz des Flug­zeugs des pol­ni­schen Prä­si­den­ten bei Smo­lensk im Jahr 2010.

Abge­se­hen von dem hem­mungs­lo­sen Anfall von Fremd­scham könn­te man die­ses Doku­ment in der Abla­ge für Bei­spie­le pro­pa­gan­dis­ti­schen Wahns in Kriegs­zei­ten ver­sen­ken, wenn da nicht eine Absicht dahin­ter­steck­te. Genau genom­men meh­re­re Absich­ten. Die ers­te ist noch recht offen­sicht­lich: Die­ser Beschluss soll das Fun­da­ment lie­fern, auf dem die recht­li­che Kon­struk­ti­on für die Ent­eig­nung des beschlag­nahm­ten rus­si­schen Ver­mö­gens auf­set­zen soll. Das lässt sich in fol­gen­dem Absatz erkennen:

[Das Par­la­ment] for­dert, dass die Uni­on und ihre Mit­glied­staa­ten einen EU-Rechts­rah­men für die Ein­stu­fung von Staa­ten als dem Ter­ro­ris­mus Vor­schub leis­ten­de Staa­ten und als ter­ro­ris­ti­sche Mit­tel ein­set­zen­den Staa­ten aus­ar­bei­ten, wobei die­se Ein­stu­fung eine Rei­he erheb­li­cher restrik­ti­ver Maß­nah­men gegen die­se Län­der aus­lö­sen und tief­grei­fen­de restrik­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die Bezie­hun­gen der Uni­on zu die­sen Län­dern haben würde.

Damit kann behaup­tet wer­den, ent­spre­chen­de Beschlüs­se der EU-Kom­mis­si­on wären demo­kra­tisch legi­ti­miert. Unter »erheb­li­chen restrik­ti­ven Maß­nah­men« kann man so etwas wie die völ­li­ge Auf­he­bung diplo­ma­ti­scher Immu­ni­tät, die Aus­set­zung jeg­li­cher Bezie­hun­gen und die Ein­zie­hung des gesam­ten Ver­mö­gens ver­ste­hen. Ver­mut­lich kennt Ursu­la von der Ley­en schon einen Immo­bi­li­en­spe­ku­lan­ten, der auf das Grund­stück der rus­si­schen Bot­schaft in Ber­lin scharf ist. Aber es geht noch weiter:

… for­dert die Uni­on und ihre Mit­glied­staa­ten auf, Maß­nah­men zu ergrei­fen, mit denen eine voll­um­fäng­li­che inter­na­tio­na­le Iso­la­ti­on der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on ein­ge­lei­tet wird, auch im Hin­blick auf die Mit­glied­schaft Russ­lands in inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen und Gre­mi­en wie dem Sicher­heits­rat der Ver­ein­ten Natio­nen, und von der Orga­ni­sa­ti­on sämt­li­cher offi­zi­el­ler Ver­an­stal­tun­gen im Hoheits­ge­biet der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on abzu­se­hen; for­dert, dass die diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen zu Russ­land wei­ter ein­ge­schränkt und die Kon­tak­te zu sei­nen offi­zi­el­len Ver­tre­tern auf allen Ebe­nen auf das abso­lut not­wen­di­ge Min­dest­maß beschränkt wer­den; for­dert die Mit­glied­staa­ten der Uni­on auf, staats­na­he rus­si­sche Ein­rich­tun­gen wie die rus­si­schen Zen­tren für Wis­sen­schaft und Kul­tur und Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­bän­de der rus­si­schen Dia­spo­ra, die unter dem Schutz und der Lei­tung rus­si­scher diplo­ma­ti­scher Ver­tre­tun­gen agie­ren und die rus­si­sche Staats­pro­pa­gan­da unter­stüt­zen, zu schlie­ßen und zu verbieten.

Bezo­gen auf inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen bedeu­tet das schlicht, dass die Mit­glieds­län­der der EU dar­auf ver­pflich­tet wer­den, aktiv deren Spal­tung zu betrei­ben. Denn es ist eben nicht die gesam­te Welt, son­dern nur die »Welt­ge­mein­schaft« der west­li­chen Staa­ten selbst, die Russ­land iso­liert, und an die­ser Tat­sa­che wird auch die­ser Beschluss nichts ändern; aber der Scha­den, der durch die­se Manö­ver sämt­li­chen inter­na­tio­na­len Orga­ni­sa­tio­nen bereits zuge­fügt wur­de, wird sich dadurch wei­ter ver­grö­ßern und die Ten­denz, anstel­le der kor­rum­pier­ten UNO eine Alter­na­tiv­struk­tur zu schaf­fen, noch wei­ter ver­stär­ken. Dass es am Ende EU-Euro­pa sein wird, das sich damit iso­liert, ist das eine. Das ande­re ist aber, dass sol­che mit Schaum vor dem Mund ver­fass­ten Beschlüs­se die Mög­lich­keit irgend­ei­ner Form diplo­ma­ti­scher Lösung ins Nichts ent­schwin­den lassen.

Einen Hin­weis auf die Vor­stel­lun­gen die­ses Par­la­ments von demo­kra­ti­schen Rech­ten ver­mit­telt die Auf­for­de­rung, »Orga­ni­sa­tio­nen und Ver­bän­de der rus­si­schen Dia­spo­ra, die unter dem Schutz und der Lei­tung rus­si­scher diplo­ma­ti­scher Ver­tre­tun­gen agie­ren und die rus­si­sche Staats­pro­pa­gan­da unter­stüt­zen, zu schlie­ßen und zu verbieten«.

Das ist die Auf­for­de­rung, jeden Ver­ein zu ver­bie­ten, der Kon­takt zur rus­si­schen Bot­schaft hat und nicht in vol­ler Laut­stär­ke das Lied vom »unge­recht­fer­tig­ten rus­si­schen Angriffs­krieg« singt. Schlie­ßen und ver­bie­ten. Unge­ach­tet der Tat­sa­che, dass die Mit­glie­der von Ver­bän­den der rus­si­schen Dia­spo­ra weit über­wie­gend min­des­tens auch die Staats­bür­ger­schaft eines der EU-Staa­ten besit­zen dürf­ten und selbst ohne die­se das Recht haben soll­ten, ihre Mei­nung frei zu ver­brei­ten. Um sich zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, wel­che Posi­tio­nen betrof­fen sein dürf­ten, muss man sich nur ins Gedächt­nis rufen, was alles in den ver­gan­ge­nen Mona­ten in Deutsch­land schon zu rus­si­scher Pro­pa­gan­da erklärt wurde.

Aber es geht noch wei­ter. Das EU-Parlament

for­dert den Rat auf, die Grup­pe Wag­ner und das 141. Mecha­ni­sier­te Regi­ment der rus­si­schen Natio­nal­gar­de zur beson­de­ren Ver­wen­dung, auch bekannt als Kady­row­zy, sowie ande­re von Russ­land finan­zier­te bewaff­ne­te Grup­pen, Mili­zen und Hilfs­trup­pen wie die­je­ni­gen, die in den besetz­ten Gebie­ten der Ukrai­ne ope­rie­ren, in die Uni­ons­lis­te der an ter­ro­ris­ti­schen Hand­lun­gen betei­lig­ten Per­so­nen, Grup­pen und Ein­rich­tun­gen (EU-Ter­ro­ris­ten­lis­te) aufzunehmen.

Abge­se­hen von Wag­ner und den Tsche­tsche­nen sind mit den »ande­ren von Russ­land finan­zier­ten bewaff­ne­ten Grup­pen« mit Sicher­heit die Mili­zen aus Donezk und Lugansk gemeint, auch wenn sie mitt­ler­wei­le Teil der rus­si­schen Armee sind. Nun müs­sen wir etwas zurück­bli­cken, ins Jahr 2015. Damals gab es bereits einen Ver­such in die­se Rich­tung. Im Sep­tem­ber die­ses Jah­res ver­öf­fent­lich­te der dama­li­ge Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te der Lin­ken, Wolf­gang Gehr­ke, ein Schrei­ben des Aus­wär­ti­gen Amtes, das sich auf eine Sit­zung der stän­di­gen Ver­tre­ter der EU-Mit­glieds­staa­ten in Brüs­sel bezog. In die­sem Schrei­ben fand sich die Infor­ma­ti­on, dass eine Kom­mis­si­on namens CP 931 sich damit befas­sen sol­le, die Volks­re­pu­bli­ken Donezk und Lugansk zu »ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gun­gen« zu erklä­ren, also genau das zu tun, was die Kon­se­quenz die­ser Auf­for­de­rung des EU-Par­la­ments wäre.

Ver­gli­chen mit den Fol­gen, die ein sol­cher Beschluss hät­te, sind die Fol­gen der Ände­rung des § 130 StGB noch ver­gleichs­wei­se harm­los. Wenn eine sol­che Lis­tung geschieht, kann in Deutsch­land das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um durch eine Ermäch­ti­gung die vol­le Band­brei­te der Ver­fol­gung nach § 129b StGB akti­vie­ren. Damals beschrieb ich das so:

Um sich die Fol­gen vor­zu­stel­len, muss man nur ein­mal in Gedan­ken durch­ge­hen, wie man sich über die wirk­li­che Lage im ukrai­ni­schen Bür­ger­krieg infor­mie­ren kann. Eine Pres­se­kon­fe­renz der Repu­blik Donezk im Inter­net tei­len? Wer­bung für eine ter­ro­ris­ti­sche Ver­ei­ni­gung. Bil­der über die Ver­wüs­tun­gen, die die ukrai­ni­sche Armee dort anrich­tet? Könn­ten ja die ‚Ter­ro­ris­ten‘ zum Wei­ter­ma­chen ermu­ti­gen. Eben­so ver­bo­ten. Fah­nen, Abzei­chen, selbst das Ver­lin­ken der Hym­nen, jede Form von Bericht­erstat­tung, die nicht der vor­ge­ge­be­nen Linie ent­spricht, schon die schlich­te Aus­sa­ge, man hal­te den Auf­stand für gerecht­fer­tigt, all das kann zur Wer­bung erklärt und ver­folgt werden.

Der Straf­rah­men des § 129b StGB beginnt bei sechs Mona­ten und endet bei fünf Jah­ren. Die Ver­fah­ren, die dadurch aus­ge­löst wer­den, lau­fen unter den Bedin­gun­gen der Anti-Ter­ror-Geset­ze; das reicht vom Son­der­ein­satz­kom­man­do bei der Haus­durch­su­chung bis zur Iso­la­ti­ons­haft und Pro­zes­sen im Hoch­si­cher­heits­trakt. Für jeden, der ein Video von Kady­row teilt?

2015 gab es die­sen Beschluss nicht; irgend­et­was hat ihn in letz­ter Minu­te ver­hin­dert, das The­ma stand bereits auf der Tages­ord­nung die­ser Kom­mis­si­on CP 931, die sich zwei­mal die Woche trifft. Aber es steht zu fürch­ten, dass dies­mal nie­mand mehr einen ent­spre­chen­den Beschluss verhindert.

Natür­lich wer­den wei­te­re Sank­tio­nen und Sekun­där­sank­tio­nen gegen alle Staa­ten gefor­dert, die nicht sank­tio­nie­ren, aber auch der sui­zi­da­le Ansatz wird wei­ter­ver­folgt. Das EU-Par­la­ment »for­dert ein sofor­ti­ges und voll­stän­di­ges Embar­go auf Ein­fuh­ren von fos­si­len Brenn­stof­fen und Uran aus Russ­land in die Uni­on sowie die voll­stän­di­ge Auf­ga­be der Erd­gas­fern­lei­tun­gen Nord Stream 1 und 2, um der Finan­zie­rung des rus­si­schen Angriffs­kriegs ein Ende zu set­zen«. Ein Embar­go auf Uran. Immer­hin, dann sind es nicht nur die deut­schen EU-Abge­ord­ne­ten, die ihr Land dem anti­rus­si­schen Wahn opfern, es sind auch die Fran­zo­sen, deren Kern­kraft­wer­ke nicht mehr betrie­ben wer­den kön­nen. Weni­ger Strom für alle!

Und dann kommt noch eine Bestä­ti­gung des § 130 StGB: »for­dert die Uni­on und ihre Mit­glied­staa­ten auf, die bewuss­te öffent­li­che Bil­li­gung bzw. Leug­nung der mili­tä­ri­schen Aggres­si­on und der Kriegs­ver­bre­chen Russ­lands in jed­we­der Form zu unter­sa­gen«. Die­se Auf­for­de­rung geschieht in einem Doku­ment, das gleich­zei­tig eine Lis­te sol­cher ver­meint­li­cher Ver­bre­chen lie­fert, die auf kei­ner­lei Art und Wei­se einer nüch­ter­nen Über­prü­fung stand­hält, sie­he die Rake­te in Polen und der Anschla­ge auf Nord Stream; aber man wird beim Lesen den Ver­dacht nicht los, dass eben­die­se Lis­te als Fest­le­gung all des­sen die­nen soll, was künf­tig inner­halb der EU nicht mehr in Zwei­fel gezo­gen wer­den darf. Man wird die Bil­der der Totschka‑U in Kra­ma­torsk nicht mehr zei­gen dür­fen, weil damit ein »Kriegs­ver­bre­chen Russ­lands« geleug­net würde.

Wei­ter unten im Doku­ment wird noch ein­mal zu von der Ley­ens Aneig­nungs­wün­schen zurückgekehrt.

[Das Par­la­ment] »for­dert die Kom­mis­si­on und die Mit­ge­setz­ge­ber auf, die recht­li­che Rege­lung zu ver­voll­stän­di­gen, die die Ein­zie­hung rus­si­scher Ver­mö­gens­wer­te, die von der Uni­on ein­ge­fro­ren wur­den, und deren Ver­wen­dung zur Bewäl­ti­gung der ver­schie­de­nen Fol­gen der Aggres­si­on Russ­lands gegen die Ukrai­ne, auch für den Wie­der­auf­bau der Ukrai­ne und die Ent­schä­di­gung der Opfer der Aggres­si­on Russ­lands, ermöglicht.

Die Tat­sa­che, dass die west­li­chen Staa­ten spä­tes­tens seit 2014 eif­rig dar­an arbei­ten, jeden inter­na­tio­nal vor­han­de­nen recht­li­chen Rah­men in Stü­cke zu schla­gen, wird natür­lich in den hei­mi­schen Medi­en ver­schwie­gen. Dabei frönt man bis heu­te dem Wahn, der Wes­ten kön­ne es sich leis­ten, mal eben den Besitz eines ande­ren Staa­tes zu ent­eig­nen, ohne eine gleich­ar­ti­ge Ant­wort fürch­ten zu müs­sen. Schließ­lich klapp­te das mit Vene­zue­la und mit Afgha­ni­stan; in bei­den Fäl­len war weit­aus mehr vene­zo­la­ni­sches oder afgha­ni­sches Ver­mö­gen im Aus­land, als Ver­mö­gen der west­li­chen Län­der dort war. Aber gilt das auch für Russ­land? Oder gar für Chi­na? Nach den diplo­ma­ti­schen Regeln, die eine gleich­ar­ti­ge Ant­wort immer als legal betrach­ten, könn­te Russ­land auf einen sol­chen Schritt hin sämt­li­ches Ver­mö­gen, das Bür­ger oder Fir­men aus EU-Län­dern in Russ­land besit­zen, eben­so enteignen.

Dabei ist der kri­ti­sche Punkt nicht ein­mal so sehr der loka­le Besitz. Kri­tisch ist ein sol­ches Vor­ge­hen, weil es im Grun­de inter­na­tio­na­len Han­del unmög­lich macht. Denn die Auf­he­bung der im zwi­schen­staat­li­chen Umgang übli­chen Immu­ni­tät wür­de es auch ermög­li­chen, Schif­fe zu beschlag­nah­men und zu ent­eig­nen, die mit rus­si­schen Gütern euro­päi­sche Häfen anlau­fen, was aller­dings im Gegen­zug dann eben auch für euro­päi­sche Schif­fe in rus­si­schen Häfen gäl­te. Über die eben­falls gefor­der­ten Sekun­där­sank­tio­nen wären dann auch noch chi­ne­si­sche Schif­fe betrof­fen, wäh­rend dann ande­rer­seits die Chi­ne­sen die euro­päi­schen Schif­fe … Gut, ein der­art voll ent­fach­ter Sank­ti­ons­krieg trä­fe vor allem die Super­con­tai­ner­frach­ter und damit neben den Chi­ne­sen – ja, die Deut­schen, es wäre aber ganz neben­bei eine völ­li­ge Spal­tung des Welt­han­dels in zwei Sphä­ren, eine klei­ne west­li­che und eine gro­ße multipolare.

Die Regeln, die inter­na­tio­na­len Han­del über­haupt erst ermög­li­chen, sind weit­aus älter als die Euro­päi­sche Uni­on; nicht ein­mal das römi­sche Impe­ri­um beschlag­nahm­te die Schif­fe frem­der Natio­nen, und auch die diplo­ma­ti­sche Immu­ni­tät fin­det sich bereits in anti­ken Zivi­li­sa­tio­nen. Was das EU-Par­la­ment unauf­fäl­lig und fast neben­bei abstreift, nur um noch här­ter sank­tio­nie­ren zu kön­nen, um sei­nen uner­klär­ten Krieg noch ein Stück wei­ter zu eska­lie­ren, sind Ker­ner­run­gen­schaf­ten zivi­li­sier­ten Verhaltens.

Bei der Bewer­tung des gesam­ten Doku­ments muss man aus­nahms­wei­se der Spre­che­rin des rus­si­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums Maria Sacha­rowa wider­spre­chen. Die­ser Beschluss dient nicht der För­de­rung der Idio­tie; Idio­tie ist in die­sem Zusam­men­hang ein viel zu harm­lo­ser Begriff. Die­ser Beschluss ist eine Urkun­de der Bar­ba­rei, einer rasen­den Manie, der man alles zu opfern bereit ist und die die so geprie­se­nen euro­päi­schen Wer­te längst ver­schlun­gen hat. Es ist der Grab­stein, unter dem alles Posi­ti­ve ver­scharrt wur­de, das die­ses Euro­pa noch zur Zukunft der Mensch­heit hät­te bei­tra­gen können.

Dag­mar Henn ist Mit­glied des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des, von des­sen Web­site frei​den​ker​.org der Arti­kel über­nom­men wur­de, Erst­ver­öf­fent­li­chung am 24.11.2022 auf RT DE

Bild: Pix­a­bay

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