Wovon träu­men Quan­ten­scha­fe? (1/2)

Lese­zeit10 min
  • Die Fra­ge, ob sich mensch­li­ches Den­ken durch Com­pu­ter erset­zen las­se, bewegt glei­cher­ma­ßen Philosoph*innen, Kapi­ta­lis­ten und Kommunist*innen.
  • Der ita­lie­ni­sche Phi­lo­soph Gugliel­mo Car­che­di hat in der aktu­el­len Inter­na­tio­nal Cri­ti­cal Thought ver­sucht, anhand der Grund­la­gen der Dia­lek­tik, die­se Fra­ge zu beantworten. 
  • Nach ihm unter­schei­det sich Dia­lek­tik von der for­ma­len Logik durch die Dimen­si­on der Zeit und prägt das mensch­li­che Denken. 
  • Com­pu­ter funk­tio­nie­ren nach der for­ma­len Logik der Boole­schen Geset­ze und sind damit nicht in der Lage, mensch­lich zu denken.
  • Die Ent­wick­lung dia­lek­ti­scher Boole­scher Geset­ze ist an gesell­schaft­li­che Trans­for­ma­ti­ons­ge­set­ze gebunden.
Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst …

Die mar­xis­ti­sche Erkennt­nis- und Wis­sen­schafts­theo­rie habe sich seit Mate­ria­lis­mus und Empi­rio­kri­ti­zis­mus nicht grund­le­gend wei­ter­ent­wi­ckelt. Nicht weni­ger als die­se Behaup­tung stellt der ita­lie­ni­sche Phi­lo­soph Gugliel­mo Car­che­di in der aktu­el­len Inter­na­tio­nal Cri­ti­cial Thought auf. Kurz gesagt, weder ein Györ­gy Lukács, noch ein Alt­hus­ser oder ein Hans Heinz Holz wären über den Stand einer poli­tisch zwar bedeu­ten­den, aber theo­re­tisch lücken­haf­ten Streit­schrift Lenins hin­aus­ge­kom­men. Auf Grund die­ser man­geln­den Vor­stel­lung von Wis­sen­schaft ver­fie­len Marxist*innen in bür­ger­li­che Phra­sen von der »Wis­sen­schafts­ge­sell­schaft« oder dem »digi­ta­len Zeitalter«.

In zwei Bei­trä­gen soll Car­che­dis Erkennt­nis­theo­rie vor­ge­stellt und dar­aus sei­ne Kri­tik an den Fehl­vor­stel­lun­gen zur Quan­ten­theo­rie und digi­ta­len Öko­no­mie ent­wi­ckelt wer­den. Er berührt damit eine wesent­li­che Fra­ge­stel­lung der zeit­ge­nös­si­schen Debat­te: Wer­den Com­pu­ter den Men­schen erset­zen kön­nen? Oder genau­er: Kön­nen Com­pu­ter das Den­ken des Men­schen ersetzen?

Rea­li­tät ist Tranformation

Car­che­di beschäf­tigt sich zunächst mit prin­zi­pi­el­len Fra­gen der Epis­te­mo­lo­gie, also der Fra­ge, wie der Mensch etwas erken­nen kann. Jeg­li­che Erkennt­nis beruht auf Trans­for­ma­tio­nen oder zu deutsch Umwand­lun­gen. Die Erkennt­nis, dass die Son­ne scheint, erhält der Mensch nur durch die Umwand­lun­gen, die in den Atom­hül­len der Gase an der Son­nen­ober­flä­che. Das dadurch aus­ge­sen­de­te Licht­quant wird vice ver­sa durch Netz­haut in elek­tri­sche Impul­se umge­wan­delt, die im Gehirn durch wei­te­re Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­se ver­ar­bei­tet wer­den. Ohne Umwand­lun­gen gäbe es nur ein bezie­hungs­lo­ses neben­ein­an­der. A wür­de nie von B erfah­ren. Prin­zi­pi­ell kann man zwei Trans­for­ma­ti­ons­ar­ten unter­schei­den: objek­ti­ve und mentale.

Objek­tiv sind Trans­for­ma­tio­nen, wenn sie sich auch ohne mensch­li­che Beob­ach­tung voll­zie­hen, wäh­rend men­ta­le Trans­for­ma­tio­nen die Ver­än­de­rungs­pro­zes­se sind, die das Den­ken des Men­schen über die objek­ti­ve Rea­li­tät prä­gen. Bei­de Pro­zes­se sind mate­ri­ell. Das bedeu­tet, dass sie einen stoff­li­chen Trä­ger besit­zen. Das mensch­li­che Den­ken beruht auf der mate­ri­el­len Ver­knüp­fung von Neu­ro­nen durch Syn­ap­sen und jeg­li­che Denk­ar­beit ist letzt­end­lich phy­si­sche Arbeit auf klei­ner Ska­la, wenn die­se neu ange­ord­net wer­den. Streng genom­men gibt es daher kei­ne imma­te­ri­el­le Arbeit. Der Unter­schied zwi­schen men­ta­len und objek­ti­ven Trans­for­ma­tio­nen ist nur einer des Ortes: im mensch­li­chen Kopf oder außerhalb.

Eine zwei­te Bestim­mung des Den­kens neben der Mate­ria­li­tät ist, dass es sozi­al deter­mi­niert ist. Das liegt nicht am Den­ken selbst, son­dern am Gegen­stand des Den­kens, da Men­schen in Gesell­schaf­ten leben und mit­ein­an­der interagieren.

Wis­sens­pro­duk­ti­on ist Produktion

Die Fra­ge Wie wird Wis­sen pro­du­ziert? beant­wor­tet Car­che­di recht sim­pel: indem es pro­du­ziert wird. Da objek­ti­ve und men­ta­le Trans­for­ma­tio­nen glei­cher­ma­ßen mate­ri­ell sind und die Unter­schei­dung nur aus prak­ti­schen, die mensch­li­che Natur betref­fen­den Grün­den, gemacht wird, ver­hält sich die Pro­duk­ti­on von Wis­sen ana­log zur objek­ti­ven Pro­duk­ti­on eines Stuhls. Bei einem Stuhl wird der Gebrauchs­wert des Aus­gangs­ma­te­ri­als (Holz) in einen neu­en Gebrauchs­wert (Sitz­ge­le­gen­heit) über­führt. Bei einem men­ta­len Pro­duk­ti­ons­pro­zess wird der Gebrauchs­wert eines Aus­gangs­ma­te­ri­als (Wis­sen eines Leh­rers, Buch, Medi­um) in einem neu­en Gebru­achs­wert (zweck­mä­ßi­ge Neu­ver­net­zung der Neu­ro­nen über­führt). Für bei­de Pro­zes­se wer­den Pro­duk­ti­ons­mit­tel, Ener­gie und Zeit benö­tigt. Es wird hier­durch auch klar, war­um der Begriff der Arbeit in der mar­xis­ti­schen Phi­lo­so­phie eine so zen­tra­le Stel­lung besitzt. Sämt­li­ches Den­ken, sämt­li­che Theo­rie, sämt­li­ches Wis­sen ist ein Arbeits­pro­dukt und da die Stel­lung zum Arbeits­pro­zess sozi­al bestimmt ist, ist es not­wen­di­ger­wei­se auch das Pro­dukt. Aber Wis­sen ist noch kein Denken.

Poten­ti­el­le und rea­li­sier­te Wirklichkeit

Den­ken ist eine Trans­for­ma­ti­on und eine Trans­for­ma­ti­on benö­tigt Zeit. Ein gro­ßer Man­gel der for­ma­len Logik ist die Blind­heit gegen­über der Zeit. Sie beruht auf drei wesent­li­chen Grund­prin­zi­pi­en: dem Satz der Iden­ti­tät (A=A), dem Satz des aus­ge­schlos­se­nen Drit­ten (A=A ist wahr oder falsch) und dem Satz der Wider­spruchs­frei­heit (A=A kann nicht gleich­zei­tig wahr und falsch sein). Kei­nes die­ser Geset­ze kann die Dimen­si­on der Zeit abbil­den. Wenn für einen Zeit­punkt t1 gel­te, dass A = A ist, dann muss dies für einen Zeit­punkt t2 nicht mehr unbe­dingt gel­ten. In der for­ma­len Logik gibt es jedoch kei­ne Nota­ti­on dafür, aus­zu­drü­cken, dass ein Objekt A zu einem wei­te­ren Zeit­punkt sowohl A blei­ben, aber auch zu B gewor­den sein kann. In der Dia­lek­tik unter­schei­det man daher in eine rea­li­sier­te Wirk­lich­keit und eine poten­ti­el­le. Zeit ist die Rich­tung der Ent­wick­lung poten­ten­ti­el­ler Rea­li­tä­ten in rea­li­sier­te. In einem Objekt ist schon immer die Ten­denz, nicht mehr A zu wer­den, ange­legt. Die­se Poten­tia­le sind genau­so Teil der mate­ri­el­len Exis­tenz, wie die rea­li­sier­te Wirk­lich­keit. Die rea­li­sier­te Wirk­lich­keit ist Gegen­stand der empi­ri­schen Unter­su­chung, die poten­ti­el­le ist Gegen­stand der wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­se. Ob ein Poten­ti­al rea­li­siert wird oder nicht, ist eine Fra­ge der Zeit und bemisst sich quan­ti­ta­tiv bei vie­len Beob­ach­tun­gen über die Wahr­schein­lich­kei­ten. In der Phy­sik wird die­ser Sach­ver­halt durch den Begriff der Entro­pie beschrie­ben. In der mar­xis­ti­schen Geschichts­wis­sen­schaft ent­hält jede neue Gesell­schafts­form neue poten­ti­el­le Wei­ter­ent­wick­lun­gen, deren Vor­han­den­sein und Rea­li­sie­rungs­wahr­schein­lich­keit durch den Stand der Klas­sen­kämp­fe bestimmt wird. Für Mate­ria­lis­ten ist wich­tig, dass nur aus der Trans­for­ma­ti­on rea­ler Wirk­lich­keit in eine neue rea­li­sier­te auch eine neue poten­ti­el­le Wirk­lich­keit ent­steht, was der wah­re Gegen­satz zum Idea­lis­mus ist.

Doch wie kam es eigent­lich zu die­ser ekla­tan­ten Leer­stel­le in der for­ma­len Logik? Um das zu erklä­ren, dient die Tat­sa­che, dass die for­ma­le Logik eine bür­ger­li­che Wis­sen­schaft ist, das heißt eine Wis­sen­schaft der bür­ger­li­chen Gesell­schaft. Die bür­ger­li­che Gesell­schaft ist bereits rea­li­siert und das Bür­ger­tum als herr­schen­de Klas­se ist natür­lich bestrebt, ihre rea­li­sier­te Herr­schaft zu erhal­ten. Daher inter­es­sier­te sich das Bür­ger­tum nur noch für Wis­sen­schaf­ten, die den rea­li­sier­ten Zustand mög­lichst prä­zi­se beschrie­ben, sein Poten­ti­al aber ver­nach­läs­sig­ten. Die empi­ri­sche For­schung als Samm­lung mehr oder weni­ger raf­fi­nier­ter Metho­den, wie es zudem rea­li­sier­ten Zustand kom­men muss­te, gewann die Ober­hand. Davon, dass das Bür­ger­tum gleich­zei­tig mit dem Pro­le­ta­ri­at das Poten­ti­al sei­ner eige­nen Abschaf­fung erschuf, woll­te man nicht so ger­ne hören.

Exkurs: Grund­le­gen­de Sät­ze der Dialektik

Aus dem oben geschrie­be­nen kann man drei ganz all­ge­mei­ne Prin­zi­pi­en aufstellen:

1. Jedes sozia­le Phä­no­me­ne ist gleich­zei­tig rea­li­sier­tes und potentielles.

2. Damit ist jedes sozia­le Phä­no­men durch ande­re bestimmt, aber auch bestimmend.

3. Sozia­le Phä­no­me­ne sind tendenziell.

In Gesell­schaf­ten, wel­che durch Klas­sen­ge­gen­sät­ze bestimmt sind, tref­fen Ten­den­zen auf Gegen­ten­den­zen, die in Wider­spruch gera­ten. Die­se drei Prin­zi­pi­en kön­nen auch als wesent­lich bekann­te­re dia­lek­ti­sche Sät­ze umfor­mu­liert werden:

1a. Ein­heit von Ein­heit und Differenz

2a. Ein­heit der Gegensätze

3a. Ein­heit von Wesen und Erscheinung

Die Geset­ze las­sen sich her­vor­ra­gend am Waren­be­griff von Karl Marx erläu­tern. Eine Ware ist rea­li­sier­tes Phä­no­men, indem sie Pro­dukt von Arbeit ist, aber auch poten­ti­el­les, da der Pro­du­zent die Ware nicht wegen ihres Gebrauchs­wer­tes geschaf­fen hat, son­dern wegen ihres Tausch­werts und der Tausch erst in der Zukunft rea­li­siert wer­den kann (1). Somit ist die Ware Ein­heit von Ein­heit und Dif­fe­renz, ein­heit­lich in ihrer rea­li­sier­ten Gegen­ständ­lich­keit, aber poten­ti­ell ver­schie­den hin­sicht­lich ihrer Rea­li­sie­rung als Tausch­wert (1a). Die­se Dif­fe­renz tritt auch als Dif­fe­renz von Erschei­nung als rea­li­sier­tes Objekt und Wesen als erst noch zu ver­kau­fen­des Objekt auf, die eben­so eine eige­ne Ein­heit bil­den (3a). Der Tausch­wert ist jedoch durch ein ande­res sozia­les Phä­no­men bestimmt, die abs­trakt mensch­li­che Arbeit. Als Pro­dukt kon­kre­ter Arbeit ist sie aber auch bestim­mend für den Wert ande­rer Waren (2). Hat der Pro­du­zent näm­lich nur die Hälf­te der Zeit zur Pro­duk­ti­on benö­tigt, senkt sie den Wert aller ande­ren Waren. Sie ist damit Ein­heit der Gegen­sät­ze (2a). Ob die Ware ver­kauft wird, hängt jedoch von ande­ren Umstän­den ab, zum Bei­spiel, ob poten­ti­el­le Käu­fer genü­gend Geld haben, um die Ware tat­säch­lich zu kau­fen. Ihr Tausch­wert ist also in der Waren­form nur ten­den­zi­ell poten­ti­ell vor­han­den (3).

Kön­nen Com­pu­ter denken?

Ein Lack­muß­test der Wis­sen­schafts­theo­rie ist die Fra­ge, ob Com­pu­ter selbst Wis­sen erzeu­gen kön­nen und ob sie in der Lage wären, mensch­li­ches Den­ken zu erset­zen. Hier­zu gibt es ver­schie­de­ne gut begrün­de­te Posi­tio­nen: Man­che sagen, Com­pu­ter kön­nen ler­nen, ande­re sagen, dass sie nur das ein­ge­ge­be­ne Wis­sen neu ord­nen kön­nen. Man­che behaup­ten, Com­pu­ter könn­ten mensch­li­ches Den­ken immi­tie­ren, ande­re hal­ten dage­gen, dass sozia­le Bezie­hun­gen ein wesent­li­cher Bestand­teil mensch­li­chen Den­kens sei­en und Com­pu­ter die­se nicht ein­ge­hen könnten.

Anhand des oben auf­ge­stell­ten Kon­zepts erläu­tert Car­che­di sei­ne Ant­wort. Com­pu­ter arbei­ten nach den Bool­schen Geset­zen, also der Samm­lung der Geset­ze der for­ma­len Logik. Ihnen fehlt damit die zeit­li­che Dimen­si­on des Den­kens, die durch das Mit­den­ken der poten­ti­el­len Wirk­lich­keit im Wesen eines Phä­no­mens gekenn­zeich­net ist. Com­pu­ter arbei­ten abge­se­hen von rein zufäl­li­gen Feh­ler deter­mi­nis­tisch. Der Arbeits­pro­zess eines Com­pu­ters erschafft bei der Umwand­lung von A in B kein B, wel­ches das Poten­ti­al zu C oder D hat, son­dern nur zu C. Die logi­schen Ket­ten kön­nen dabei sehr kom­plex wer­den und Den­ken zum ver­wech­seln ähn­lich sehen, aber ohne zeit­li­che Dimen­si­on kön­nen Com­pu­ter bes­ten­falls Schein­po­ten­tia­le gene­rien. Com­pu­ter­den­ken leibt immer sta­tisch, auch wenn die Illu­si­on von Dyna­mik erweckt wird. Es ist daher rich­tig, davon zu spre­chen, dass Com­pu­ter neu­es Wis­sen erschaf­fen, da sie Zeit, Ener­gie und Res­sour­cen zur Trans­for­ma­ti­on von A in ein gewünsch­tes B benö­ti­gen, aber nicht, dass sie den­ken. Oder um eine alte Fra­ge der Popu­lär-Sci­ence-Fic­tion zu beant­wor­ten: Com­pu­ter wer­den sich nie gegen ihre Erschaf­fer wen­den, da sie nicht in der Lage sind das Poten­ti­al ihrer eige­nen Exis­tenz zu erken­nen, außer es wur­de ihnen bereits von vor­ne­her­ein gegeben.

Und Quan­ten­com­pu­ter?

Wenn Poten­tia­le aber durch Wahr­schein­lich­kei­ten und Ten­den­zen aus­ge­drückt wer­den kön­nen, wie sieht es dann eigent­lich mit Quan­ten­com­pu­tern aus, die tat­säch­lich mit Über­la­ge­rungs­zu­stän­den von Wahr­schein­lich­keits­ver­tei­lun­gen arbei­ten? Die­ses Argu­ment beruht nach Car­che­di auf der Ähn­lich­keit der Über­la­ge­rung zwei­er Quan­ten­zu­stän­de auf der einen und der Ein­heit der Gegen­sät­ze bzw. der Ein­heit von rea­li­sier­tem und poten­ti­el­lem Phä­no­men auf der ande­ren Seite.

Zur Erin­ne­rung: Die Kopen­ha­ge­ner Inter­pre­ta­ti­on der Quan­ten­phy­sik, die heu­te die gän­gi­ge Lehr­mei­nung ist, sagt aus, dass in einem Quant so lan­ge zwei Zustän­de über­la­gert sind, bis ein Expe­ri­ment einen der bei­den Zustän­de her­stellt. So sei­en in einer gewor­fe­nen Mün­ze die bei­den Zustän­de Kopf oder Zahl wäh­rend der Dre­hung solan­ge über­la­gert, bis das Expe­ri­ment, der Auf­prall auf den Boden, einen der bei­den Zustän­de herstelle.

Zunächst ein­mal klingt das sehr nach gro­ßer Über­ein­stim­mung mit der Dia­lek­tik. Car­che­di merkt an, dass sich die Quan­ten­phy­sik plau­si­bler beschrei­ben lie­ße, wenn ein dia­lek­ti­sches Kon­zept zu Grund gelegt wür­de. Ein Quant ist zunächst als Pro­dukt eines Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess, etwa der Ände­rung der Elek­tro­nen­kon­fi­gu­ra­ti­on in der Hül­le eines Atoms, etwas rea­li­sier­tes, wel­ches ver­schie­de­ne Poten­tia­le hat. Die Ein­heit der bei­den Poten­tia­le, Mate­rie- oder Licht­ei­gen­schaf­ten zu besit­zen, ist sei­ne mate­ri­el­le Rea­li­tät. Der Mess­pro­zess selbst ist ein Arbeits­pro­zess, der eines der bei­den Poten­tia­le rea­li­siert, in man­chen Expe­ri­men­ten dter­mi­nis­tisch und in man­chen pro­pa­bi­lis­tisch. Der Unter­schied zur Kopen­ha­ge­ner Deu­tung bestün­de hier­bei dar­in, dass der Begriff der Über­la­ge­rung kein zeit­li­ches Moment ent­hiel­te und damit dem Gegen­stands­be­reich der for­ma­len Logik ver­haf­tet bliebe.

Aller­dings macht das Quan­ten­com­pu­ter noch lan­ge nicht zu den­ken­den, poten­ti­ell zur Dia­lek­tik befä­hig­ten Wesen. Wahr­schein­lich­kei­ten kön­nen nur ein quan­ti­ta­ti­ves Ver­hält­nis von bestimm­ten Grö­ßen zuein­an­der aus­drü­cken. Es gibt zwei genau defi­nier­te Aus­gän­ge des Expe­ri­ments mit einer genau defi­nier­ten Wahr­schein­lich­keits­ver­tei­lung. Ein gesell­schaft­li­ches Phä­no­men habe jedoch ein form­lo­ses Poten­ti­al. Die Aus­gän­ge sind stoff­lich unbe­stimmt. Ein Quan­ten­com­pu­ter kann im End­ef­fekt nur die Wahr­schein­lich­keits­ver­tei­lun­gen der Zustän­de der Mate­rie mani­pu­lie­ren und für Berech­nun­gen zu Grun­de legen, die phy­si­ka­lisch genutzt wird, aber nicht des sozia­len Phä­no­mens, dass durch den Quan­ten­com­pu­ter abge­bil­det wird. Er ist immer an die Mate­rie gebun­den, mit der er arbei­tet und nicht an die, wel­che abge­bil­det wer­den soll. Bei­de Wahr­schein­lich­kei­ten sind grund­sätz­lich ver­schie­den und die eine lässt sich nicht in die ande­re über­füh­ren. Quan­ten­scha­fe träu­men also nicht. Oder etwas genau­er: sie träu­men nicht anders als Quan­ten, aus denen sie bestehen.

So plau­si­bel Car­che­dis Argu­men­ta­ti­on ist, kann er eine Fra­ge nicht beant­wor­ten. Wel­cher mate­ri­el­le Unter­schied befä­higt das mensch­li­che Gehirn im Gegen­satz zu den Schalt­krei­sen eines Com­pu­ters zum dia­lek­ti­schen Den­ken? In sei­nen Ein­gangs­the­sen ver­trat Car­che­di ja eine ganz bio­lo­gisch-mate­ria­lis­ti­sche Sicht auf Denk­pro­zes­se als Neu­ver­schal­tung von Neu­ro­nen durch Syn­ap­sen. War­um soll­ten die­se Ver­schal­tun­gen nicht durch Com­pu­ter­schalt­krei­se abge­bil­det wer­den kön­nen? Car­che­di ant­wor­tet zumin­dest im vor­lie­gen­den Text nicht auf die­se Fra­ge, aber viel­leicht könn­te eine Ant­wort sein, dass es kei­ne Fra­ge der Hard‑, son­dern eine Fra­ge der Soft­ware ist. Viel­leicht könn­ten mit Fort­schrei­ten der Ent­wick­lung der dia­lek­ti­schen Logik, die einen gesell­schaft­li­chen revo­lu­tio­nä­ren Pro­zess vor­aus­setzt, die Boole­schen Geset­ze um die zeit­li­che Dimen­si­on so erwei­tert wer­den, die von Com­pu­tern ver­ar­bei­tet wer­den kann. Viel­leicht ist dies ein Poten­ti­al, was erst noch rea­li­siert wer­den muss … und kann, wenn die gesell­schaft­li­chen Bedin­gung, eine über die rea­li­sier­te Gesell­schaft hin­aus­wei­se Bewe­gung, dafür rea­li­siert ist.

Im zwei­ten Teil wer­den die Impli­ka­tio­nen der Über­le­gun­gen Car­che­dis für die digi­ta­le Wis­sens­öko­no­mie analysiert.

Lite­ra­tur:

Car­che­di, G. (2011): Behind the Cri­sis. Marx´s Dialec­tics of Value and Know­ledge. Lei­den, Bos­ton: Brill.

Car­che­di, G. (2022): The Onto­lo­gy and Social Dimen­si­on of Know­ledge: The Inter­net Quan­ta Time. In: Inter­na­tio­nal Cri­ti­cal Thought. Online First. DOI: 10.1080/21598282.2022.2113170.

Bild: Pix­a­bay

Zuerst erschie­nen bei Spec­trum of Com­mu­nism unter einer CC4.0‑BY-NC-Lizenz

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert