Johan­na bekommt eine Mas­ken­be­frei­ung und Johann nicht … (Teil 2)

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Aus der ärzt­li­chen Praxis

Der knapp 50 jäh­ri­ge Pati­ent, pro­mo­vier­ter Leh­rer für Bio­lo­gie an einem Gym­na­si­um, mach­te durch­aus nicht den Ein­druck eines pseu­do­re­li­giö­sen Eife­rers. Er müs­se tag­täg­lich anse­hen, wie sehr die Schü­ler unter dem Mas­ken­zwang lit­ten, wie sicht­lich erschöpft und genervt sie sich am Ende des Unter­richts die ver­schmutz­ten und durch­feuch­te­ten Vlies­res­te vom Gesicht ris­sen und nach Luft japs­ten. Er sei die stän­di­gen Kla­gen über die mas­ken­be­ding­te ver­min­der­te Leis­tungs­fä­hig­keit wäh­rend der Klas­sen­ar­bei­ten leid eben­so wie die Untä­tig­keit von Kol­le­gen und Schul­lei­tung, die hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand ähn­li­che Zustän­de beklag­ten ansons­ten aber in kar­rie­re­för­dern­der Untä­tig­keit verharrten.

Als Natur­wis­sen­schaft­ler und Bio­lo­ge kön­ne er sehr wohl erken­nen, daß der unter­schieds­lo­se Mas­ken­zwang nicht medi­zi­ni­scher Not­wen­dig­keit son­dern macht­po­li­ti­scher Arro­ganz und Recht­ha­be­rei ent­sprin­ge. Des­halb wol­le er ein Zei­chen der Soli­da­ri­tät mit sei­nen Schü­lern set­zen und mit­tels Mas­ken­at­test für­der­hin auf das Tra­gen einer Mas­ke ver­zich­ten. Die hals-nasen-ohren­ärzt­li­che Unter­su­chung ergab kei­nen rele­van­ten krank­haf­ten Befund.

Nach dem Gespräch ver­ab­schie­de­ten wir uns in herz­li­chem Ein­ver­neh­men von­ein­an­der. Ein Mas­ken­at­test indes muß­te ich ihm ver­wei­gern, da er kei­ner­lei gesund­heit­li­che Pro­ble­me wäh­rend des Mas­ken­tra­gens gel­tend machte.

Eine Befrei­ung vom Tra­gen einer Atem­mas­ke aus poli­ti­schen oder welt­an­schau­li­chen Grün­den dür­fen wir Ärz­te nun ein­mal nicht aussprechen.

Ein paar Minu­ten spä­ter such­te mich ein 8‑jähriges Mäd­chen in Beglei­tung ihrer Mut­ter auf.

Das Kind berich­te­te glaub­haft über nicht zu beherr­schen­den Nies­reiz, Schwin­del, Kon­zen­tra­ti­ons­stö­run­gen und Übel­keit unter Mas­ken­tra­gen. Die beglei­ten­de Mut­ter bestä­tig­te zudem einen deut­li­chen Rück­gang der schu­li­schen Leis­tung. Der medi­zi­ni­sche Unter­su­chungs­be­fund war wie im zuvor geschil­der­ten Fall völ­lig unauffällig.

Die­sem Kind stell­te ich ohne zu zögern ein Mas­ken­at­test aus.

Die­se bei­den Epi­so­den kenn­zeich­nen die Spann­brei­te und das Span­nungs­feld inner­halb deren wir Ärz­te uns bei der Beur­tei­lung der soge­nann­ten Mas­ken­schä­den bewegen.

Wann ist der Mensch krank?

Wir Ärz­te sind zu aller­erst für den kran­ken Men­schen da.

Das wirft zunächst die Fra­ge auf: Wann ist der Mensch krank?

In der anthro­po­zen­tri­schen Medi­zin, der vom ein­zel­nen Indi­vi­du­um her den­ken­den Medi­zin, ent­schei­den nicht ein Bun­des­wehr­ge­ne­ral, eine Par­tei­zen­tra­le, ein Gesund­heits­mi­nis­ter, Staats­an­wäl­te und Rich­ter – übri­gens auch nicht der Arzt – ob sich der Mensch krank fühlt und wie krank er sich fühlt – son­dern der Patient.

Und, wir dür­fen noch hinzufügen:

Der Mensch ist auf jeden Fall dann krank wenn sich krank fühlt.

Selbst­ver­ständ­lich ist das nicht.

Die­se Art der Gefühls­ho­heit über sich selbst ist bei wei­tem nicht all­ge­mein akzeptiert.

Auch in der Gesund­heit gilt: Fremd­be­stim­mung ist beque­mer als Selbstbestimmung

Gefragt, war­um alle Ver­su­che, dem ein­zel­nen Indi­vi­du­um, die­se wie auch ande­re Selbst­de­fi­ni­tio­nen zurück­zu­ge­ben, müs­sen wir uns ein­ge­ste­hen, daß Selbst­be­stim­mung ohne Selbst­ver­ant­wor­tung nicht zu haben ist. Die brei­te Mas­se ist daher immer geneigt, auch in Gesund­heits­fra­gen den beque­me­ren Weg der Fremd­be­stim­mung inkl. Fremd­ver­ant­wor­tung, also den Weg aller übri­gen Her­den­tie­re zu gehen und ihr Schick­sal dem sich am wir­kungs­vollst gebär­den­den Alpha-Tier anzu­ver­trau­en. Die Wahl­er­geb­nis­se der letz­ten Wah­len bestä­ti­gen das in ein­drucks­vol­ler Weise.

Sym­ptom geht vor Befund

Ich habe die­se Über­le­gun­gen an den Anfang mei­ner Aus­füh­rung über die Mas­ken­at­tes­ten gestellt um eins von Beginn an unmiß­ver­ständ­lich klar zu machen:

Der Mensch, der sich unter der Mas­ke wirk­lich krank fühlt, der unter der Mas­ke also krank ist, hat Anspruch auf ein Attest zur Maskenbefreiung.

Ent­schei­dend für das Aus­stel­len eines Mas­ken­be­frei­ungs­at­tests sind zu aller­erst die vom Pati­en­ten glaub­haft vor­ge­brach­ten Beschwerden.

Kein Arzt, kein Gesund­heits­be­am­ter, kein Staats­an­walt und kein Rich­ter kann sich bei der Beur­tei­lung der Rich­tig­keit von Mas­ken­at­tes­ten über die­sen Grund­satz hinwegsetzen.

Die geklag­ten Beschwer­den, bzw. die geäu­ßer­ten und viel­mehr noch die sicht­ba­ren Sym­pto­me ste­hen in der Rang­fol­ge der Begrün­dun­gen eines Attests an ers­ter Stel­le. Erst danach folgt der vom Arzt erho­be­ne Unter­su­chungs­be­fund, falls er ihn denn erhe­ben kann.

Mit den Befun­den ist das ohne­hin so eine Sache:

Nor­mal­be­fun­de wie etwa Labor­be­fun­de sind nichts ande­res als sta­tis­ti­sche Wahr­schein­lich­kei­ten des Nor­ma­len, des Nicht-Krankseins.

Letzt­lich bewei­send dafür ob der Ein­zel­ne krank ist, sind sie nicht. Jeder Mensch hat sei­ne eige­nen Richt­grö­ßen, sprich Nor­mal­wer­te, und die sind im Zwei­fels­fall entscheidend.

So kann sich ein Kind mit einer unter der Mas­ke exzes­siv erhöh­ten Koh­len­di­oxid­kon­zen­tra­ti­on noch unbe­ein­träch­tigt füh­len, ein ande­res Kind dage­gen sich elend und krank fühlen.

Eine Fra­ge, die sich gleich anschließt, ist ob das zunächst unbe­ein­träch­tigt schei­nen­de Kind nach einer län­ge­ren Anwen­dungs­zeit der Mas­ke nicht doch auf lan­ge Sicht unum­kehr­ba­re Gehirn­schä­den davonträgt.

Das weiß nie­mand und das will offen­sicht­lich auch nie­mand wis­sen. Gleich­wohl kann es bei der Beur­tei­lung eines Mas­ken­at­tes­tes nicht völ­lig unbe­rück­sich­tigt bleiben.

Vor Miß­brauch ist man nie gefeit

Ich will nicht ver­heh­len, daß die­ser Grund­satz in der Pra­xis durch­aus auch Schwie­rig­kei­ten birgt: Wer garan­tiert, daß die vor­ge­brach­ten Sym­pto­me nicht vor­ge­scho­be­ner Art, die Moti­va­ti­on zum Erlan­gen einer Mas­ken­be­frei­ung ledig­lich welt­an­schau­li­cher oder poli­ti­scher Natur sind, sol­cher­wei­se ein ärzt­li­ches Befrei­ungs­at­test ausschließend?

Ehr­lich gesagt, niemand.

Eben­so­we­nig wie jemand garan­tiert, daß nicht ein Regie­rungs­chef der Bestech­lich­keit, ein Minis­ter der viel­fa­chen Lüge oder ein kirch­li­cher Wür­den­trä­ger ein­mal des Kin­des­miß­brauchs über­führt wer­den wird.

Um Miß­brauch soweit wie mög­lich vor­zu­beu­gen, und die Glaub­wür­dig­keit der anthro­po­zen­tri­schen, Medi­zin nicht in Miß­kre­dit zu brin­gen, set­zen wir Ärz­te natür­lich alles dar­an, einen mög­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen den geäu­ßer­ten Beschwer­den und einem tat­säch­lich vor­han­de­nen Unter­su­chungs­be­fund her­zu­stel­len. Das gelingt bei aus­rei­chend sorg­fäl­ti­ger Unter­su­chung sehr häu­fig aber eben nicht immer.

In letz­te­rem Fall nut­zen wir Ärz­te einen uns zuste­hen­den und von nie­man­dem ein­zu­en­gen­dem Ermes­sens­spiel­raum, der sich auf unser spe­zi­fi­sches medi­zi­ni­sches Wis­sen, unser ärzt­li­ches Gewis­sen und – viel­leicht am wich­tigs­ten – auf unse­re beruf­li­che Erfah­rung gründet.

Mag sein, daß auf die­se Wei­se auch ein­mal ein geschickt agie­ren­der Pati­ent zu sei­nem ersehn­ten Attest gelangt. Aber das ist zwei­fel­los eher zu ver­schmer­zen, als einem wehr­lo­sen mas­ken­ge­schä­dig­ten Kind einen Scha­den fürs gan­ze Leben zuzu­fü­gen nur weil es zum Zeit­punkt der Unter­su­chung nicht mög­lich war, einen krank­haf­ten Unter­su­chungs­be­fund, der die Sym­pto­me des Kin­des erklä­ren konn­te, zu erheben

Fol­gen­der Grund­satz ist von uns allen zu beherzigen:

Man darf sub­jek­ti­ve Beschwer­den, nicht nur des­we­gen leug­nen weil man mit den uns zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln deren Ursa­che nicht findet.

Ein­fach mal den Spieß umdrehen

Die­ser Grund­satz zielt gera­de auch auf die­je­ni­gen beam­te­ten Gesund­heits­wäch­ter, Staats­an­wäl­te und Rich­ter, die häu­fig in auf­fäl­li­ger Art und Wei­se von der Angst um ihr eige­nes gesund­heit­li­ches Wohl­erge­hen umge­trie­ben und von blin­dem Ver­trau­en in behörd­li­che Anord­nun­gen, Zah­len und Meß­ergeb­nis­se beseelt, das Recht auf die Gefühls­ho­heit des ein­zel­nen Indi­vi­du­ums geringschätzen.

Von die­sem Per­so­nen­kreis bedrängt, emp­fiehlt es sich im Bedarfs­fal­le, die Betref­fen­den von Ange­sicht zu Ange­sicht zu fra­gen wie sie, soll­ten sie die Absicht haben, sich z.B. wegen Bauch­schmer­zen oder Migrä­ne krank schrei­ben zu las­sen, dem behan­deln­den Arzt die Stär­ke ihrer Schmer­zen und die dar­aus resul­tie­ren­de Beein­träch­ti­gung objek­tiv nach­wei­sen kön­nen. Gera­de im Bereich der häu­figs­ten und längs­ten Krank­schrei­bun­gen, dem öffent­li­chen und Staats­dienst also, die­nen Beschwer­den, die sich oft nur unge­nü­gend oder gar nicht objek­ti­vie­ren las­sen als Grund für wochen- und mona­te­lan­ge Arbeits­un­fä­hig­kei­ten: Erschöp­fungs­zu­stän­de, Hit­ze- Käl­te- Chef- und Kol­le­gen­un­ver­träg­lich­kei­ten, chro­ni­sche Schmer­zen, burn­out, depres­si­ve Ver­stim­mun­gen aller Art, Über­ar­bei­tungs­ge­fühl und auch mal eine als nötig gefühl­te Ent­schä­di­gung für einen ver­reg­ne­ten Urlaub: Wenn Sie wüß­ten, was ich in mehr als 40 Jah­ren ärzt­li­cher Tätig­keit alles erlebt habe…

Raten Sie mal, lie­be Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rer, was geschä­he, falls sich ein Arzt dazu ent­schlös­se, die Arbeits­un­fä­hig­keits­be­stä­ti­gung solan­ge zu ver­wei­gern bis, um einen hypo­the­ti­schen Fall zu nen­nen, der um Krank­schrei­bung nach­su­chen­de Rich­ter, Staats­an­walt oder Minis­te­ri­al­be­am­te einen zwei­fels­frei­en und objek­ti­ven Beweis für die Stär­ke sei­ner Bauch­schmer­zen zu lie­fern in der Lage ist.

Des­halb abschlie­ßend noch ein­mal unmißverständlich:

Letzt­lich ent­schei­dend für das Aus­stel­len einer Mas­ken­be­frei­ung sind die indi­vi­du­el­len Beschwer­den, die geklag­ten Beein­träch­ti­gun­gen sowie der indi­vi­du­el­le Leidensdruck.

Aus­blick

Beim dem­nächst fol­gen­den und letz­ten Teil unse­rer klei­nen Mas­ken­tri­lo­gie wer­den wir uns mit eini­gen häu­fi­gen und häu­fig über­se­he­nen Krank­heits­bil­dern aus der Hals-Nasen-Ohren­heil­kun­de beschäf­ti­gen, wel­che zur Mas­ken­un­ver­träg­lich­keit füh­ren können.

Und auch damit, wie ein Attest aus­se­hen und wie es auf kei­nen Fall aus­se­hen sollte.

Bild: Zeich­nung einer Zehntklässnerin

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