»Frieden schaffen ohne Waffen« – Linkes Bündnis läutet den Demonstrationsherbst in München ein

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In der Hauptstadt des Konformismus bringt ein Bündnis linker Organisationen die ersten Friedensdemonstrationen auf die Straße.

Oktoberfestzeit – nicht die beste Zeit für politische Demonstrationen in München. Heißt es Atomkrieg gegen Augustiner gilt die Aufmerksamkeit hier meist Letzterem. Die Isarmetropole, die für ihr kafkaeskes Verhältnis zu regierungskritischen Demonstrationen bekannt ist, gibt sich auch an diesem Samstag, den ersten Oktober alles andere als einladend. Strömender Regen, frühwinterliche Temperaturen, ein Polizeiaufgebot in frostiger Stimmung. Zu der Demonstration aufgerufen hatte ein breites Bündnis linksgerichteter Akteure (unten im Einzelnen aufgeführt). Das Flugblatt zitiert Harri Grünberg aus dem Bundesvorstand der von Sahra Wagenknecht initiierten Sammelbewegung »Aufstehen«. Grünberg hatte Linke jeder Couleur aufgefordert, gemeinsam mit Corona-​Kritikern gegen die Regierungspolitik auf die Straße zu gehen. Als Überlebender der Shoa wisse er genau, was Rassismus ist, und es sei keineswegs jeder Corona-​Kritiker rechts.

Etwa 200 bis 300 Menschen sind dem Aufruf des Bündnisses gefolgt und finden sich gegen 13 Uhr auf dem Rotkreuzplatz ein. Anwesend ist auch der nach Auskunft von Teilnehmern bereits von anderen Demonstrationen bekannte schwarzgekleidete Mann mit schwarzer FFP2-​Maske und dem Aufdruck »Presse« auf der Kleidung, der emsig die Anwesenden fotografiert. Interviews führt er nicht. Die Stimmung ist zunächst gut, die Gesichter über den Regenumhängen wirken entspannt. Wer sie sind? Eine Sammelbewegung, so ähnlich wie »Aufstehen«, sagt ein Teilnehmer. Die Regierung messe mit zweierlei Maß, wenn sie einerseits Russland sanktioniere, andererseits aber mit Regimes verhandle, in denen Menschenrechte insbesondere von Frauen mit Füßen getreten würden. Die Sanktionen fielen vor allem auf die Armen zurück. Olaf Malek (Freie Linke) freut sich, dass es zum ersten Mal ein Bündnis mit der traditionellen Friedensbewegung gebe. Zu schnell werde jede regierungskritische Äußerung als »rechts« diffamiert – dagegen wehre er sich entschieden. Auch Melchior Ibing (München steht auf) ist froh über das Bündnis. »Wir haben den kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht«, sagt er, »um das Schlimmste zu verhindern.« Er hofft, dass die Demonstrationen im Herbst noch Fahrt aufnehmen.

Auf der kleinen Bühne sprechen zunächst die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW): Noch nie war die Gefahr eines Nuklearkriegs so groß wie jetzt, warnen sie. Es brauche ein Atomwaffenverbot, und wie in den 1980ern müsse man um den Frieden kämpfen. Wichtig sei dabei, sich nicht spalten zu lassen. Vor kurzem seien noch die Corona-​Maßnahmenkritiker als Feinde dargestellt worden, heute sei es die Friedensbewegung. »Krieg beginnt immer mit Feindbildern.«

DKP und SDAJ widmen sich dem sozialen Aspekt. Die Sanktionen ließen die Menschen verarmen und dienten nur den Interessen der Reichen. Besonders die Lage der jungen Leute, so SDAJ, sei verzweifelt. Sie können nicht nachvollziehen, warum für Krieg und teures, umweltschädliches Fracking-​Gas Geld da ist, sie selbst aber mit einem zunehmend unbezahlbaren Alltag alleingelassen werden. Die Sanktionen müssten sofort gestoppt werden und Deutschland aus EU und NATO austreten. Auch die DKP prangert die Preissteigerungen an: »ein sinnloses Aushungern«, das durch den Anschlag auf Nordstream noch verschlimmert worden sei. Man dürfe sich vom hetzerischen Framing als »rechts« nicht mundtot machen oder spalten lassen. Die Geschichte verpflichte zu dem Satz »Nie wieder Krieg.«

Das Friedensbündnis präsentiert sich mit klassischen Schwerpunktthemen des Pazifismus: »Frieden schaffen ohne Waffen« sei heute so wichtig wie eh und je. Der Krieg habe bereits jetzt Tausende Leben von Zivilisten gefordert, von Frauen und Kindern. Wer sich weigere zu töten, ob Russe oder Ukrainer, müsse Aufnahme in Deutschland finden, denn er verteidige das Menschenrecht auf Leben.

Buhrufe gibt es, als die Gewerkschaftslinke sich wegen der Corona-​Maßnahmenkritischen Position der Freien Linken von dieser distanziert und sie als »nicht links« bezeichnet. Umso überraschender, als beide Gruppen ja die Demonstration gemeinsam auf die Beine gestellt haben. Das spontane Werfen mit Schmutz kommt nicht gut an, weder beim Publikum noch bei den anderen Organisatoren. Man sei hier, um für den Frieden zu sprechen, erinnert ihn die Moderatorin, nicht für Hass.

Danach bewegt sich die Demonstration friedlich in Richtung Theresienwiese. Die Gesichter der Passanten sind mal neugierig, mal gleichgültig, mal feindselig. Eine Frau kommt dem Zug entgegen, das Smartphone ans Ohr gepresst. »Das sind Corona-​Leugner«, schnarrt sie ins Mikrophon. Entweder hat sie den Lautsprecherwagen und die Transparente mit den pazifistischen Texten nicht gesehen. Oder aber in der Hauptstadt des Konformismus – dort, wo man in der Innenstadt angesichts derselben Frisuren und Kleidermarken nicht selten an eine Uniform denkt – ist alles, was nicht freitags fürs Klima stattfindet, »Corona-​Leugner«.

Die Transparente sprechen eigentlich eine deutliche Sprache. »Gemeinsam für Diplomatie und gegen Waffen & Sanktionen« steht auf einem. »Atomwaffen abschaffen« auf einem anderen, oder »Kriege beenden. Abrüsten statt Aufrüsten.« Texte, wie man sie in den 1980er Jahren immer wieder auf Friedensdemos gesehen hat. Auch zu überhören ist die Botschaft nicht: »Frieden schaffen – ohne Waffen!« intonieren einige Stimmgewaltige in das Rauschen des Regens. Und dann »Alle zusammen für den Frieden!« Ab und zu wird auch »für die Freiheit« daraus. »Macht nichts«, meint eine Demonstrantin. »Das gehört schließlich zusammen.«

Auf dem Georg-​Freundorfer Platz versammelt man sich dann noch einmal zur Abschlusskundgebung. Längst haben alle nasse Füße und frieren, doch niemand will vorzeitig gehen. Den Abschluss bildet Kurt Tucholskys Gedicht »Krieg dem Kriege« (1919), aus dem diese Zeilen stammen:

Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.
Werden die Menschen es niemals lernen?
Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
Wer ist das, der da oben thront,
von oben bis unten bespickt mit Orden,
und nur immer befiehlt: Morden! Morden!

Initiatoren waren: das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus, das Münchner Friedensbündnis, die Gewerkschaftslinke München, DKP München, die Freie Linke München, der Freidenkerverband München, die Marxistische Linke München, SDAJ München, das Ebersberger Friedensbündnis, IPPNW München-​Oberbayern und ANPI.

Bild: Transparent der Freien Linken München

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