Dass mehrere Anfragen der Abgeordneten Żaklin Nastić und Sahra Wagenknecht zum Anschlag auf Nord Stream nur mit einem »Sagen wir nicht« beantwortet wurden, dürfte allgemein bekannt sein. Aber auch dieses Schweigen verrät mehr, als der Bundesregierung lieb sein kann.
Man wird und wird nicht schlauer, was die Anschläge auf die Nord‐Stream‐Pipelines betrifft. Zumindest will die Bundesregierung keine Antwort geben, und diese Tatsache wurde auch aufgegriffen und gemeldet. Aber der Teufel steckt hier, wie so oft, im Detail. Es gibt nämlich in solchen Fällen keine Art und Weise, nichts zu sagen, ohne nicht doch etwas zu sagen.
Dazu muss man einen Punkt herausstellen – Antworten auf parlamentarische Anfragen können verschleiernd formuliert sein, sie können Lücken haben, und sie können auf verschiedene Arten in einer Nichtantwort enden; aber im Regelfall wird in ihnen nicht gelogen. Das ist die Grundvoraussetzung, um zu entschlüsseln, was da passiert ist.
Leider sind sämtliche Antworten auf die Anfragen sowohl von Sahra Wagenknecht als auch von Żaklin Nastić bisher nicht veröffentlicht worden; es liegen mir also nur die Sätze vor, die in der Presse zitiert wurden. Die genügen aber.
Die Aussage lautet, die Regierung sei »nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können«. Dann erfolgt eine Berufung auf eine Drittparteiregel, nach der geheimdienstliche Erkenntnisse anderer Länder nicht bekannt gegeben werden könnten, und dann wird noch eins draufgelegt: »Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt.«
Jetzt einmal als Erstes – diese Drittparteiregel ist etwas, das sehr nach Laune zum Einsatz gebracht wird. Schließlich wird immer wieder von Regierungsseite geraunt, es gebe diese oder jene geheimdienstlichen Erkenntnisse; so etwas hat den ungeheuren Vorteil, dass man auf diese Weise Behauptungen aufstellen kann, die man nicht beweisen muss. Und dabei wird immer wieder auch gern auf vermeintliche britische oder US‐amerikanischen Erkenntnisse verwiesen. Sprich, in Wirklichkeit kommt diese Regel nur dann zum Einsatz, wenn das Ergebnis nicht gefällt. Nachdem wir es bei der Ostsee mit einer Gegend zu tun haben, die maximal überwacht ist, kann man dieses Argument auch ziehen, wenn man eigene Erkenntnisse hat, die man nicht herausrücken will, nur weil andere ebenfalls solche Erkenntnisse haben und vorgeschoben werden können.
Hinter der »eingestuften Form« verbirgt sich ein Verfahren, das selten zur Anwendung kommt und selbst immer schon zeigt, dass hier eigentlich etwas verborgen werden soll. Ich hatte vor vielen Jahren einmal eine Anfrage zu den MBS‐Papieren angeregt, die in den Bad Banks lagen, und zwar spezifisch auf von der Deutschen Bank in den USA ausgegebene Papiere hin. Diese Anfrage hatte erst zwei Ehrenrunden Verlängerung verpasst bekommen (damals geradezu sensationell), und dann erfolgte die Antwort, ein Abgeordneter dürfe die Antwort einsehen, aber weder Aufzeichnungen machen noch das Gesehene weitersagen … Auch eine Variante von Nichtantwort, die mir aber damals signalisierte, ins Schwarze getroffen zu haben.
Diese Art der Nichtantwort wird also als zu gefährlich befunden. Und da kommen wir zum interessanten Teil. Und zurück zur Liste der Verdächtigen.
Eines ist unbestreitbar – gäbe es die leiseste Möglichkeit, Russland die Verantwortung zuzuschieben, die Frage einer Geheimhaltung hätte sich nicht gestellt. Im Gegenteil. Aber diese Variante war von vornherein so unwahrscheinlich, dass sie gar nicht ernsthaft versucht wurde. Eher wurde das Thema des Anschlags so gründlich beschwiegen, dass die zwei Jungs von The Duran schon spotteten, demnächst würden die Nord‐Stream‐Pipelines selbst in einem Gedächtnisloch verschwinden und europäische Politiker auf die Frage nach Nord Stream nur noch mit »Nord was?« antworten.
Wie wäre das Thema behandelt worden, hätte sich einer der »kleineren« Verdächtigen als Täter erwiesen? Im Falle von Polen kann man davon ausgehen, dass die Variante Einsicht im Geheimschutzraum gewählt worden wäre, womöglich mit dem Hintergedanken, dass die Information dann doch auf die eine oder andere Weise an die Öffentlichkeit geriete. Schließlich ist es eine Sache, selbst im Grunde erleichtert zu sein, weil es die einfache Lösung, die Sanktionen aufzuheben und so das Energieproblem zu lösen, gar nicht mehr gibt, aber eine ganz andere, wenn sich da Polen eingemischt hat. Das wäre eine Form politischer Kränkung, die mit Sicherheit irgendwie entgolten würde.
Selbst bei einer Beteiligung der Briten würde normalerweise nach irgendeinem Schlupfloch gesucht, um nach diesem unverkennbar äußeren Angriff auf deutsche Interessen die Dinge wieder geradezurücken. So servil diese Bundesregierung auch ist, sie ist es nach oben, und die Kleineren in der Hackordnung bleiben die Kleineren; auch das stetige ukrainische Gejammere würde auf völlig taube Ohren stoßen, gäbe es nicht den geopolitischen Hintergrund und die US‐Beteiligung.
Es gibt auf diesem Planeten exakt ein Land, dessen Benennung als Täter selbst unter den Bedingungen der Geheimschutzkammer riskant wäre. Zwar weniger im Sinne des Staatswohls (das würde eine Veröffentlichung und eine entsprechende Reaktion der Bundesregierung verlangen), aber im Sinne des Wohls der Bundesregierung. Dieses Land sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Einzig bei diesem Ergebnis ergibt dieses völlige Abblocken Sinn. Und man muss sich auch nicht wundern, warum Marinetaucher angeblich an den Anschlagsort gefahren sind, ohne die für die gegebene Tiefe erforderliche Ausrüstung mitzunehmen.
Besonders schwierig würde in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Bundesregierung informiert war, falls ja, wann, und warum darauf keine Reaktion erfolgte. Das sind alles Fragen, die das heikle Thema des Landesverrats berühren, und die Regierung Scholz hat jeden Grund, dieses Thema nicht aufkommen zu lassen. Auch das wäre anders, wären es die Briten oder die Polen gewesen. Denn in diesem Fall ginge niemand davon aus, dass zuvor informiert oder nachgefragt worden wäre. Aber gerade bei solchen Lakaien, die sich etwas darauf zugutehalten, unter der Dienstbotenschaft zumindest der erste zu sein, wie das ein Robert Habeck mit seinem »dienend führen« auch noch ausgesprochen hat, hätte jede Variante, nicht gefragt worden zu sein, einen Tobsuchtsanfall ausgelöst; von Handlungen tiefer stehender Lakaien ganz zu schweigen.
Wie man sieht, diese Antwort verrät doch einiges, es kommt nur darauf an, die Art der Antwort richtig zu bewerten. Und natürlich bestätigt der Umgang mit dieser Frage ein weiteres Mal, dass dieser Bundesregierung ihr eigenes, persönliches Wohl über das Wohl des Landes und seiner Bewohner geht; aber das ist nichts Neues, und wer das bis heute nicht begriffen hat, wird es wohl nicht mehr begreifen.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker‐Verbandes, von dessen Website freidenker.org der Beitrag, Erstveröffentlichung am 18.10.2022 auf RT DE, übernommen wurde.
Bild: Orte der Explosionen, die durch die Nord Stream‐Angriffe am 26. September 2022 verursacht wurden (https://www.berria.eus/albisteak/218737/berlinek-eta-moskuk-laquosabotajetzatraquo-jo-dituzte-nord-streameko-isuriak.htm /License CC‐By‐SA : https://www.berria.eus/lizentzia)