Der Ukrai­ne-Krieg und zwei unver­söhn­ba­re poli­ti­sche Stel­lung­nah­men der Arbei­ter­klas­se: bür­ger­lich und marxistisch-leninistisch

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Auf­grund der Ent­schei­dung der ML-Dis­kus­si­ons­grup­pe wer­de ich die Quelle(n) nicht direkt anspre­chen, son­dern indi­rekt den bür­ger­li­chen Kon­text der Argu­men­te über den Krieg in der Ukrai­ne aufdecken.

Der Krieg in der Ukrai­ne: über das Pre­di­gen von »Selbst­be­stim­mung« für Neo­na­zis, das Pre­di­gen der Ver­tei­di­gung des Vater­lan­des, das Pre­di­gen von »Mensch­lich­keit« und »Frie­den«, »Frie­den um jeden Preis« und die unver­meid­li­chen Schluss­fol­ge­run­gen dar­aus: Neu­ab­gren­zung der Linie zwi­schen dem Mar­xis­mus-Leni­nis­mus und Oppor­tu­nis­mus sowie zum zwei­ten Tod der »Zwei­ten Internationalisten«.

Im Arti­kel »Sophis­te­rei in Bezug auf das Selbst­be­stim­mungs­recht der Ukrai­ne – der Mar­xis­mus-Leni­nis­mus wird sei­nes revo­lu­tio­nä­ren Geis­tes beraubt und auf die Sei­te der Bour­geoi­sie gestellt« vom 18. März heißt es:

Der Krieg in der Ukrai­ne, den die einen als ›Inva­si­on‹, die ande­ren als ›Ein­mi­schung‹ bezeich­nen, zieht lang­sam aber sicher die Trenn­li­nie zwi­schen Mar­xis­mus-Leni­nis­mus und Libe­ra­lis­mus, zwi­schen idea­lis­ti­schem Abs­trak­tio­nis­mus und dia­lek­ti­schem Ansatz, der auf den Ein­schät­zun­gen aller ML-Par­tei­en, Orga­ni­sa­tio­nen und ML-Indi­vi­du­en beruht. Eini­ge sind auf­grund ihrer libe­ra­len, refor­mis­ti­schen Ten­denz unver­meid­lich, ande­re auf­grund des Rück­griffs auf abs­trak­te Theo­rien und deren Ver­all­ge­mei­ne­rung, ohne die Dia­lek­tik des Mar­xis­mus und sei­nen Beur­tei­lungs­pro­zess tat­säch­lich anzu­wen­den. 1

Was damals über die Zwei­te Inter­na­tio­na­le im Juni 1916 gesagt wur­de, gilt heu­te wieder:

In der gan­zen Welt ist die Spal­tung tat­säch­lich schon da, es bestehen bereits zwei völ­lig unver­söhn­ba­re poli­ti­sche Stel­lung­nah­men der Arbei­ter­klas­se zum Krieg. […] Den Sozia­lis­ten aber obliegt die Auf­ga­be die Mas­sen auf­zu­klä­ren über die Unver­meid­lich­keit des Bru­ches mit den­je­ni­gen, die eine Poli­tik der Bour­geoi­sie unter der Fah­ne des Sozia­lis­mus trei­ben. 2

West­li­che bür­ger­li­che Nar­ra­ti­ve und bür­ger­li­che Defi­ni­tio­nen von poli­ti­schen Begrif­fen wer­den für »sozia­lis­ti­sche« Ana­ly­sen und »Argu­men­te« her­an­ge­zo­gen. Begin­nen wir mit dem Begriff »Anne­xi­on« und sei­ner wie­der­hol­ten Ver­wen­dung durch die­se »Sozia­lis­ten« in Bezug auf die Krim und den Don­bass. Nach Ansicht die­ser »Sozia­lis­ten« wur­de die Krim »annek­tiert« und der Don­bass ist dabei, »annek­tiert« zu werden.

Lenin stellt in dem Arti­kel »Vor­schlä­ge des Zen­tral­ko­mi­tees der SDA­PR an die zwei­te sozia­lis­ti­sche Kon­fe­renz« den Begriff so klar dar, dass es kei­ner wei­te­ren Dis­kus­si­on mehr bedarf. Er erklärt:

Es muß Klar­heit dar­über geschaf­fen wer­den, was Anne­xi­on eigent­lich ist, war­um und wie die Sozia­lis­ten gegen Anne­xio­nen kämp­fen müs­sen. Nicht jede Anglie­de­rung eines »frem­den« Ter­ri­to­ri­ums ist Anne­xi­on, denn im all­ge­mei­nen sind die Sozia­lis­ten für das Ver­schwin­den der Gren­zen zwi­schen den Natio­nen und für die Bil­dung von grö­ße­ren Staa­ten. Nicht jede Ver­let­zung des Sta­tus quo ist Anne­xi­on. Das zu glau­ben wäre im höchs­ten Gra­de reak­tio­när und ein Hohn auf die Grund­be­grif­fe der Geschichts­wis­sen­schaft. Nicht jede Anglie­de­rung eines Lan­des durch Kriegs­ge­walt ist Anne­xi­on, denn die Sozia­lis­ten kön­nen Gewalt­an­wen­dung und Krie­ge, die im Inter­es­se der Mehr­heit der Bevöl­ke­rung geführt wer­den, nicht grund­sätz­lich ableh­nen. Unter Anne­xi­on ver­ste­hen wir bloß die Anglie­de­rung eines Lan­des gegen den Wil­len sei­ner Bewoh­ner. Mit ande­ren Wor­ten: Der Begriff der Anne­xi­on ist mit dem Begriff des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Natio­nen aufs engs­te ver­bun­den (ebd.).

Müs­sen wir wirk­lich noch ein­mal auf die Krim ein­ge­hen, auf der die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der Bevöl­ke­rung für den Bei­tritt zur Rus­si­schen Föde­ra­ti­on gestimmt hat. Oder auf den Don­bass, wo die von ihrem eige­nen »Vater­land« unter­drück­ten Men­schen seit acht Jah­ren einen Bür­ger­krieg um ihre Rech­te und das Recht auf Abspal­tung führen.

Wie in unse­rem Arti­kel »Sophis­te­rei des ukrai­ni­schen Selbst­be­stim­mungs­rechts« erläu­tert und dar­auf hin­ge­wie­sen wird, ver­schlei­ert die­se Sophis­te­rei die Tat­sa­che, dass die »wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Anne­xi­on« der Ukrai­ne bereits von der US-NATO auf Kos­ten und gegen den Wil­len des ukrai­ni­schen Vol­kes durch­ge­führt wur­de. Wenn man also die rus­si­sche Ein­mi­schung als »Anne­xi­on« ablehnt, ver­sucht man, die bereits erfolg­te Anne­xi­on eines feind­li­chen Staa­tes zu beschö­ni­gen und »den impe­ria­lis­ti­schen Krieg durch die Anwen­dung des Begrif­fes Vater­lands­ver­tei­di­gung auf ihn beschö­ni­gen, d. h. ihn für einen demo­kra­ti­schen Krieg aus­ge­ben, heißt die Arbei­ter betrü­gen und auf die Sei­te der reak­tio­nä­ren Bour­geoi­sie über­ge­hen«. 3

»Soll der Kampf gegen Anne­xio­nen mehr denn Heu­che­lei oder eine hoh­le Phra­se sein, soll er tat­säch­lich die Mas­sen im Geis­te des Inter­na­tio­na­lis­mus erzie­hen«, sagt Lenin, so:

[…] muß die Fra­ge so gestellt wer­den, daß den Mas­sen die Augen geöff­net wer­den, damit sie den heu­te herr­schen­den Betrug in der Anne­xi­ons­fra­ge wahr­neh­men, nicht aber so, daß die­ser Betrug ver­schlei­ert wird. Es genügt nicht, wenn ein Sozia­list, ganz gleich wel­cher Nati­on, in Wor­ten die Gleich­be­rech­ti­gung der Natio­nen aner­kennt, wenn er schwört und hoch und hei­lig ver­si­chert, gegen Anne­xio­nen zu sein. Jeder Sozia­list ist viel­mehr ver­pflich­tet, sofort und unbe­dingt die Frei­heit der Los­tren­nung der Kolo­nien und Natio­nen zu for­dern, die von sei­nem eige­nen »Vater­land« unter­drückt wer­den. 4

Er führt fort:

Fehlt die­se Bedin­gung, so bleibt auch im Zim­mer­wal­der Mani­fest die Aner­ken­nung des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Natio­nen und der Prin­zi­pi­en des Inter­na­tio­na­lis­mus im bes­ten Fal­le ein toter Buchstabe.

Das Recht auf »Selbst­be­stim­mung« für den Unter­drü­cker zu for­dern, aber das Recht auf Selbst­be­stim­mung für die Unter­drück­ten zu igno­rie­ren, ist nichts ande­res als eine bür­ger­li­che Her­an­ge­hens­wei­se an die Fra­ge von »Anne­xi­on« und »Selbst­be­stim­mung«.

Sie igno­rie­ren hart­nä­ckig Lenins Ein­schät­zung, dass in einem impe­ria­lis­ti­schen Krieg die »Ver­tei­di­gung des Vater­lan­des« nicht auf das klei­ne impe­ria­lis­ti­sche Stell­ver­tre­ter­land ange­wen­det wer­den kann. 5 Doch wäh­rend selbst die Ver­tei­di­gung des Vater­lan­des nicht ange­wen­det wer­den kann, argu­men­tie­ren sie mit dem »Recht auf Selbst­be­stim­mung« für die­ses Land. Das Selbst­be­stim­mungs­recht gilt für Kolo­nien und Min­der­heits­völ­ker, die von ihrem eige­nen Vater­land unter­drückt werden.

Sta­lin sagt:

Wenn die Poli­ti­ker der II. Inter­na­tio­na­le von Selbst­be­stim­mungs­recht spra­chen, pfleg­ten sie kein Ster­bens­wört­chen über das Recht auf staat­li­che Los­tren­nung zu ver­lie­ren; das Recht auf Selbst­be­stim­mung wur­de bes­ten­falls als das Recht auf Auto­no­mie im all­ge­mei­nen aus­ge­legt. […] [D]as Recht der nicht voll­be­rech­tig­ten Natio­nen auf Selbst­be­stim­mung wur­de in das Vor­recht der herr­schen­den Natio­nen auf den Besitz der poli­ti­schen Macht ver­wan­delt, wobei die Fra­ge der staat­li­chen Los­tren­nung aus­ge­schal­tet wur­de. Der ideo­lo­gi­sche Füh­rer der II. Inter­na­tio­na­le, Kaut­sky, schloss sich in der Haupt­sa­che die­ser im Grun­de genom­men impe­ria­lis­ti­schen Aus­le­gung der Selbst­be­stim­mung […] an. 6

Und genau das tun die­se ver­steck­ten »Zwei­ten Inter­na­tio­na­lis­ten«, indem sie die bür­ger­li­che, impe­ria­lis­ti­sche Inter­pre­ta­ti­on des Begriffs verwenden.

Auch ihre Her­an­ge­hens­wei­se an die Fra­ge der »Nati­on« bewegt sich in einem bür­ger­li­chen Zusam­men­hang. Sie behaup­ten, dass die Men­schen im Don­bass und ande­ren Regio­nen nicht rus­sisch, son­dern ukrai­nisch sind, obwohl die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit, wenn nicht sogar alle, Rus­sisch spre­chen. Um das zu unter­mau­ern, schre­cken sie nicht davor zurück, die Geschich­te der Sowjet­uni­on und der Ukrai­ne zu ver­fäl­schen. Sie wie­der­ho­len die bür­ger­li­chen und faschis­ti­schen Fäl­schun­gen und behaup­ten, dass es wäh­rend der Sowjet­ära eine Rus­si­fi­zie­rung gege­ben habe und dass des­halb »die Men­schen in die­sen Regio­nen Rus­sisch sprechen«.

Jeder, der die sowje­ti­sche Geschich­te stu­diert, wird leicht erken­nen, dass es außer in der Zaren­zeit nie eine Rus­si­fi­zie­rung, son­dern eine »Ukrainisierungs«-Politik in der Ukrai­ne gab.

Abge­se­hen von der »Ver­fäl­schung« ist ihr Ansatz, eine »Nati­on« zu defi­nie­ren, in einem Maße bür­ger­lich, dass sie die DNA der Men­schen zur Bestim­mung her­an­zie­hen wer­den. Ist die DNA, die ursprüng­li­che eth­ni­sche Zuge­hö­rig­keit in irgend­ei­ner Wei­se ent­schei­dend für mar­xis­ti­sche Leni­nis­ten, um eine Nati­on zu defi­nie­ren? Nicht ein­mal annähernd.

Sta­lin fasst das Kon­zept der »Nati­on« wie folgt zusammen:

Die rus­si­schen Mar­xis­ten haben schon längst ihre Theo­rie der Nati­on. Nach die­ser Theo­rie ist die Nati­on eine his­to­risch ent­stan­de­ne sta­bi­le Gemein­schaft von Men­schen, ent­stan­den auf der Grund­la­ge der Gemein­schaft von vier grund­le­gen­den Merk­ma­len, und zwar: auf der Grund­la­ge der Gemein­schaft der Spra­che, der Gemein­schaft des Ter­ri­to­ri­ums, der Gemein­schaft des Wirt­schafts­le­bens und der Gemein­schaft der psy­chi­schen Wesens­art, die sich in der Gemein­schaft der spe­zi­fi­schen Beson­der­hei­ten der natio­na­len Kul­tur offen­bart. Bekannt­lich hat die­se Theo­rie in unse­rer Par­tei all­ge­mei­ne Aner­ken­nung gefun­den. 7

Nach der mar­xis­tisch-leni­nis­ti­schen Defi­ni­ti­on bil­den die Men­schen im Don­bass, in Meli­to­pol, am Dnjepr, in Char­kow usw. unab­hän­gig davon, ob sie Ukrai­ner, Rus­sen oder Polen sind, auf­grund ihrer gemein­sa­men Spra­che, ihres gemein­sa­men Ter­ri­to­ri­ums, ihres gemein­sa­men Wirt­schafts­le­bens und ihrer gemein­sa­men psy­cho­lo­gi­schen Ver­fas­sung eine Nati­on oder getrenn­te Natio­nen – wobei letz­te­re ideo­lo­gisch gese­hen anti­fa­schis­tisch oder kom­mu­nis­tisch sein könnte.

Auf wes­sen Sei­te ste­hen sie also? Offen­sicht­lich eher auf der Sei­te des impe­ria­lis­ti­schen Stell­ver­tre­ters, des Unter­drü­ckers Ukrai­ne, als auf der Sei­te der unter­drück­ten Nation.

Wir kön­nen leicht erken­nen, dass sie in jeder ent­schei­den­den Fra­ge für eine kor­rek­te Ana­ly­se des Krie­ges in der Ukrai­ne auf der Sei­te der Bour­geoi­sie und des bür­ger­li­chen Hin­ter­grunds stehen.

Ihre Her­an­ge­hens­wei­se und Ana­ly­se der Anti­fa­schis­ten und Kom­mu­nis­ten der Ost- und Süd­ukrai­ne unter­schei­det sich nicht so sehr von der der Bour­geoi­sie und Faschis­ten. Sie bezeich­nen sie als »Sepa­ra­tis­ten« in dem­sel­ben Zusam­men­hang, wie es Bour­geoi­sie und Faschis­ten tun. Ihrer Mei­nung nach ist der Kampf der unter­drück­ten Men­schen, der Bür­ger­krieg, den sie füh­ren und ihre For­de­rung nach dem Selbst­be­stim­mungs­recht in die­sem Zusam­men­hang »reak­tio­när sepa­ra­tis­tisch«. Hat die­ses Argu­ment irgend­et­was mit dem Mar­xis­mus-Leni­nis­mus zu tun? Nein. Es ist völ­lig bürgerlich.

Da die Men­schen im Don­bass seit acht Jah­ren einen Bür­ger­krieg füh­ren, ist es von Vor­teil noch ein­mal Lenin zu Wort kom­men zu las­sen: »Der Bür­ger­krieg gegen die Bour­geoi­sie ist auch eine der Arten des Klas­sen­kamp­fes […].« 8 Woan­ders führt er aus:

Bür­ger­krie­ge sind auch Krie­ge. Wer den Klas­sen­kampf aner­kennt, der kann nicht umhin, auch Bür­ger­krie­ge anzu­er­ken­nen, die in jeder Klas­sen­ge­sell­schaft eine natür­li­che, unter gewis­sen Umstän­den unver­meid­li­che Wei­ter­füh­rung, Ent­wick­lung und Ver­schär­fung des Klas­sen­kamp­fes dar­stel­len. Alle gro­ßen Revo­lu­tio­nen bestä­ti­gen das. Bür­ger­krie­ge zu ver­nei­nen oder zu ver­ges­sen, hie­ße in den äußers­ten Oppor­tu­nis­mus ver­fal­len und auf die sozia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on ver­zich­ten. 9

Die­se kla­re Ein­schät­zung Lenins soll­te aus­rei­chen, um zu erken­nen, dass der Kampf der Kom­mu­nis­ten und Anti­fa­schis­ten der Ukrai­ne, ins­be­son­de­re im Don­bass, gegen das Neo­na­zi-Regime fort­schritt­lich ist.

Die Sophis­ten zie­hen es jedoch vor, Lenins Ein­schät­zung zu igno­rie­ren und ver­su­chen mit aller Macht, die Tat­sa­che des in der Ukrai­ne geführ­ten Bür­ger­kriegs gegen den Neo­na­zi­staat zu ver­schlei­ern, und schlim­mer noch, sie erwäh­nen nie, dass die­je­ni­gen, die die­sen Bür­ger­krieg füh­ren, Kom­mu­nis­ten und Anti­fa­schis­ten sind. Sie klam­mern sich jedoch an die Begrif­fe »Sepa­ra­tis­mus«, »Respekt vor den Gren­zen der Ukrai­ne« in ihrem bür­ger­li­chen Bezug.

Was sagt Lenin zu die­sem The­ma? Genau das Gegenteil:

Das Pro­le­ta­ri­at kann nicht an der für die impe­ria­lis­ti­sche Bour­geoi­sie beson­ders unan­ge­neh­men Fra­ge der Gren­zen des Staa­tes, die auf natio­na­ler Unter­jo­chung beru­hen, still­schwei­gend vor­bei­ge­hen. Es kann sich des Kamp­fes gegen die gewalt­sa­me Zurück­hal­tung der unter­joch­ten Natio­nen in den Gren­zen des vor­han­de­nen Staa­tes nicht ent­hal­ten, und eben dies heißt für das Selbst­be­stim­mungs­recht der Natio­nen kämp­fen. 10

Wen­den wir uns dem The­ma der libe­ra­len »huma­ni­tä­ren, bedin­gungs­lo­sen Frie­dens­auf­ru­fe« zu und lesen wir, was Lenin sagt, und stel­len wir einen dia­lek­ti­schen Zusam­men­hang mit dem Dop­pel­cha­rak­ter, dem Bür­ger­krieg und dem Krieg in der Ukrai­ne her:

Solan­ge die Grund­pfei­ler der heu­ti­gen, der bür­ger­li­chen gesell­schaft­li­chen Bezie­hun­gen fort­be­stehen, kann ein impe­ria­lis­ti­scher Krieg nur zu einem impe­ria­lis­ti­schen Frie­den füh­ren, d.h. zur Fes­ti­gung, Erwei­te­rung und Ver­stär­kung der Unter­drü­ckung der schwa­chen Natio­nen und Län­der durch das Finanz­ka­pi­tal, das nicht nur vor dem Krieg, son­dern auch im Ver­lauf des Krie­ges einen rie­sen­haf­ten Auf­schwung nahm. Der objek­ti­ve Inhalt der­je­ni­gen Poli­tik, wel­che von der Bour­geoi­sie und den Regie­run­gen bei­der krieg­füh­ren­den Grup­pen der Groß­mäch­te vor dem Krieg und wäh­rend des­sel­ben betrie­ben wur­de, führt zur Stei­ge­rung des |175| öko­no­mi­schen Drucks, der natio­na­len Knech­tung, der poli­ti­schen Reak­ti­on. Infol­ge­des­sen kann der Frie­dens­schluß bei belie­bi­gem Aus­gang des Krie­ges nur die Ver­schlim­me­rung der poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Lage der Mas­sen fest­le­gen – wenn die bür­ger­li­che Gesell­schaft bestehenbleibt.

Objek­tiv betrach­tet, führt die­ses gang­bars­te »Pro­gramm des Frie­dens« zur ver­stärk­ten Unter­ord­nung der Arbei­ter­klas­se unter die Bour­geoi­sie […]. Dem »Frie­dens­pro­gramm« der Sozia­lis­ten wie auch ihrem Pro­gramm des »Kamp­fes für die Been­di­gung des Krie­ges« muß eine Ent­hül­lung der Lüge vom »demo­kra­ti­schen Frie­den«, von den fried­li­chen Absich­ten der krieg­füh­ren­den Mäch­te usw. zugrun­de liegen.

Jedes »Frie­dens­pro­gramm« ist Volks­be­trug und Heu­che­lei, wenn es nicht in ers­ter Linie auf der Auf­klä­rung der Mas­sen über die Not­wen­dig­keit der Revo­lu­ti­on und auf der Unter­stüt­zung, För­de­rung und Ent­fal­tung des über­all begin­nen­den revo­lu­tio­nä­ren Kamp­fes der Mas­sen fußt […].

Die Unter­stüt­zung, Aus­wei­tung und Ver­tie­fung jeder Volks­be­we­gung für die Been­di­gung des Krie­ges ist Pflicht der Sozia­lis­ten. […] Daß revo­lu­tio­nä­re Mas­sen­ak­tio­nen wäh­rend des Krie­ges, wenn sie sich erfolg­reich ent­fal­ten, nur zur Umwand­lung des impe­ria­lis­ti­schen Krie­ges in einen Bür­ger­krieg für den Sozia­lis­mus füh­ren kön­nen, ist augen­schein­lich, und es wäre schäd­lich, das den Mas­sen zu ver­heh­len. Im Gegen­teil, man muß die­ses Ziel klar auf­zei­gen, so schwie­rig auch sei­ne Errei­chung schei­nen mag, da wir ja erst am Anfang des Weges ste­hen. 11

Man kann in gegen­wär­ti­ger Zeit die Auf­ga­ben des Sozia­lis­mus nicht erfül­len, den wirk­li­chen inter­na­tio­na­len Zusam­men­schluss der Arbei­ter nicht ver­wirk­li­chen, ohne den ent­schie­de­nen Bruch mit dem Oppor­tu­nis­mus zu voll­zie­hen und ohne die Mas­sen über die Unver­meid­lich­keit sei­nes Fias­kos auf­zu­klä­ren. 12

Genau das ist jetzt der Fall. Und wie Lenin sagte:

Den Sozia­lis­ten aber obliegt die Auf­ga­be die Mas­sen auf­zu­klä­ren über die Unver­meid­lich­keit des Bru­ches mit den­je­ni­gen, die eine Poli­tik der Bour­geoi­sie unter der Fah­ne des Sozia­lis­mus trei­ben. 13

Eng­li­sches Orgi­nal zuerst erschie­nen am 6. August auf neo​de​mo​cra​cy​.blog​spot​.com

Bild: Juri Petro­witsch Kugach »Auf der Bar­ri­ka­de« 1954

Ver­wei­se

1 https://​neo​de​mo​cra​cy​.blog​spot​.com/​2​0​2​2​/​0​5​/​s​o​p​h​i​s​t​r​y​-​o​f​-​u​k​r​a​i​n​e​s​-​r​i​g​h​t​-​t​o​-​s​e​l​f​.​h​tml

2 Wla­di­mir Iljitsch Lenin, »Vor­schlä­ge des Zen­tral­ko­mi­tees der SDA­PR an die zwei­te sozia­lis­ti­sche Kon­fe­renz«, in: Wer­ke. Her­aus­ge­ge­ben vom Insti­tut für Mar­xis­mus-Leni­nis­mus beim ZK der SED. Band 22, 3. Auflage,unveränderter Nach­druck der 1. Auf­la­ge 1960, Berlin/​DDR. S. 172 – 183 (online hier).

3 Wla­di­mir I. Lenin: Über eine Kari­ka­tur auf den Mar­xis­mus und über den »impe­ria­lis­ti­schen Öko­no­mis­mus« [Ver­fasst Anfang Okto­ber 1916. Erst­ma­lig ver­öf­fent­licht 1924 in der Zeit­schrift »Swjes­da« Nr. 1 und 2. Nach Sämt­li­che Wer­ke, Band 19, 1930, S. 229 – 288]

4 Wla­di­mir Iljitsch Lenin – Wer­ke. Her­aus­ge­ge­ben vom Insti­tut für Mar­xis­mus-Leni­nis­mus beim ZK der SED. Band 22, 3. Auflage,unveränderter Nach­druck der 1. Auf­la­ge 1960, Berlin/​DDR. S. 172 – 183 (online hier).

5 Lenin, Ant­wort an P. Kijew­ski, Geschrie­ben im August-Sep­tem­ber 1916. Zuerst ver­öf­fent­licht 1929 in der Zeit­schrift »Pro­le­tars­ka­ja Revo­lu­zi­ja« (Die pro­le­ta­ri­sche Revo­lu­ti­on) Nr. 7. Gedruckt nach­zu­le­sen in: Lenin, Wer­ke, Band 23, Sei­te 11 – 17, Dietz Ver­lag Ber­lin, 1972, http://​www​.mlwer​ke​.de/​l​e​/​l​e​2​3​/​l​e​2​3​_​0​1​1​.​htm

6 Sta­lin, »Zur Behand­lung der natio­na­len Fra­ge«, Wer­ke, Band 5.

7 Sta­lin, »Die natio­na­le Fra­ge und der Leni­nis­mus«, Wer­ke, Band 11.

8 Wla­di­mir Iljitsch Lenin, »Über die »Junius«-Broschüre«. Geschrie­ben im Juli 1916. Ver­öf­fent­licht im Okto­ber 1916 im Sbor­nik Sozi­al-Demo­kra­ta Nr. 1, https://​www​.mar​xists​.org/​d​e​u​t​s​c​h​/​a​r​c​h​i​v​/​l​e​n​i​n​/​1​9​1​6​/​1​0​/​1​6​-​j​u​n​i​u​.​htm

10 W.I. Lenin, »Die sozia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on und das Selbst­be­stim­mungs­recht der Natio­nen« (Janu­ar-Febru­ar 1916), in: Lenin, Wer­ke, Bd. 22, Ber­lin 1960, S.144 – 159.

11 Sie­he Fuß­no­te 2.

12 Wla­di­mir I. Lenin: »Der Krieg und die rus­si­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie« [Geschrie­ben im Okto­ber 1914. Zum ers­ten Mal ver­öf­fent­licht am 1. Novem­ber 1914 in der Zei­tung »Sozi­al­de­mo­krat« Nr. 33. Nach Sämt­li­che Wer­ke, Band 18, Wien-Ber­lin 1929, S. 76 – 84]

13 Gedruckt nach­zu­le­sen in: Wla­di­mir Iljitsch Lenin – Wer­ke. Her­aus­ge­ge­ben vom Insti­tut für Mar­xis­mus-Leni­nis­mus beim ZK der SED. Band 22, 3. Auf­la­ge, unver­än­der­ter Nach­druck der 1. Auf­la­ge 1960, Berlin/​DDR. S. 172 – 183.

2 thoughts on “Der Ukrai­ne-Krieg und zwei unver­söhn­ba­re poli­ti­sche Stel­lung­nah­men der Arbei­ter­klas­se: bür­ger­lich und marxistisch-leninistisch

  1. Wie­der eine Elfen­bein Dis­kus­si­on. An die­sem Krieg sind kei­ne Kom­mu­nis­ten oder Sozia­lis­ten betei­lig, es sei denn als Pri­vat­leu­te, Sol­da­ten oder Söldner.
    Da ist es doch wohl inter­es­san­ter zu fra­gen: « Ist Dugin einer von uns?« und »Wol­len wir zu Eura­si­en gehö­ren und was ist unse­re Auf­ga­be dort?«

    Ano­ther ivo­ry dis­cus­sion. The­re are no com­mu­nists or socia­lists invol­ved in this war, except as pri­va­te citi­zens, sol­diers or mercenaries.
    It is more inte­res­t­ing to ask: »Is Dugin one of us?« and »Do we want to belong to Eura­sia and what is our task there?

    Un’al­tra dis­cus­sio­ne d’a­vo­r­io. Non ci sono comu­nis­ti o socia­lis­ti coin­vol­ti in ques­ta guer­ra, se non come pri­va­ti cit­ta­di­ni, sol­da­ti o mercenari.
    È più inter­es­san­te chie­der­si: »Dugin è uno di noi?« e »Voglia­mo appar­tene­re all’Eu­ra­sia e qual è il nos­tro com­pi­to lì?

    Еще одна дискуссия из слоновой кости. В этой войне не участвуют коммунисты или социалисты, разве что в качестве частных граждан, солдат или наемников.
    Интереснее спросить: »Является ли Дугин одним из нас?« и »Хотим ли мы принадлежать к Евразии и какова наша задача там?

  2. Das ist kei­nes­falls eine Elfen­bein­dis­kus­si­on. Wer sich auf die Sei­te des faschis­ti­schen Putsch-Regimes in Kiew stellt, das alle Oppo­si­ti­ons­par­tei­en und ‑medi­en ver­bo­ten hat, dar­un­ter selbst­ver­ständ­lich auch die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei, kann alles Mög­li­che sein, auf kei­nen Fall aber ein Anti­fa­schist oder Kommunist.

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