»Die Wahrheit ist selten pur und niemals simpel.«
Dieser Artikel ist Teil II der Kleinen linken Klimaserie in der MagMa.
An das Klima‐Thema unvoreingenommenen heranzugehen, ist nicht einfach. Um aus den eigenen Verbretterungen heraus zu kommen, hilft es, die Axt zu schwingen und das Thema kleinzuhauen. Einem kleinen Klima‐Teilchen können wir uns mutig ergebnisoffen nähern: stimmt es nicht mit unseren Vorstellungen überein, brauchen wir nicht gleich durchzudrehen; der wesentliche Rest kann ja trotzdem stimmen.
In der ersten Folge ging es um den Unterschied von wissenschaftlichen und allgemeinverständlichen Aussagen. In dieser Folge wird es um Darstellungen der Temperaturentwicklung der letzten 1000 bis 2000 Jahre gehen – und bei der Gelegenheit auch um den »Weltklimarat« (IPCC – Intergovernmental Panel on Climate Change /Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen).
Proxies
Temperaturentwicklungen vor der »Thermometerzeit« (globalklimatisch frühestens 1850 angebrochen) werden anhand von Ersatzmitteln, Proxies, geschätzt. Als Proxies dienen zum Beispiel Eisbohrkerne, Baumringe, Pollen, Korallen, Sedimentablagerungen … Um über längere Zeiträume und größere Gebiete etwas zur Temperaturentwicklung aussagen zu können, werden in Multiproxy‐Studien mehrere, manchmal hunderte Proxy‐Datensätze zusammengebaut. Der dabei aktive Wissenschaftszweig nennt sich Paläoklimatologie, von altgriechisch palaiós/alt.
Wissenschaftliche Studien zu Proxy‐Schätzungen lesen sich so, dass Laien meistens nur »Bahnhof« verstehen – an ziemlich frischen Stellen aus dem Jahr 2020 aber vielleicht auch nicht:
Es gibt keinen derzeit akzeptierten besten Ansatz zur Rekonstruktion der GMST [globale mittlere Oberflächentemperatur] auf der Grundlage von Multiproxy‐Daten. Es wurden mehrere statistische Verfahren entwickelt, um Zeitreihen von Paläoklima‐Variablen über große Regionen zu erstellen und ihre Unsicherheiten zu quantifizieren. Da jedes Verfahren auf unterschiedlichen Annahmen und Prozeduren basiert, können sie zu unterschiedlichen Rekonstruktionen führen. 1
Hier eine – wegen Urheberrechtskram beziehungsweise fehlendem Anwaltsbefragungsgeld gemachte – grobe Nachzeichnung aus der zitierten Studie (»Heute« ist 1973 rechts bei Null):
Für beide Temperaturkurven wurden dieselben Proxy‐Daten verwendet. Nach der einen Methode, CPS (rote Kurve), waren vergangene Temperaturschwankungen größer. Nach der anderen Methode, PAI (blaue Kurve) waren vergangene Temperaturschwankungen kleiner. Abweichungen, die allein durch die Wahl der statistischen Methode entstehen, können je nach den verwendeten Proxy‐Daten und betrachteten Zeiträumen kleiner oder größer ausfallen als in der Grafik zu sehen.
»Weltklimarat« (IPCC)
Eine gute Hilfe zum Verständnis klimawissenschaftlicher Aussagen bieten die wissenschaftlichen Teile der Berichte des IPCC. Das IPCC hat mehrere Arbeitsgruppen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der Klimafrage befassen. Arbeitsgruppe I ist für die naturwissenschaftlichen Grundlagen und damit auch für Temperaturdarstellungen zuständig.
Expertinnen verfassen den wissenschaftlichen Teil der IPCC‐Berichte mit dem Anliegen, Forschungsergebnisse zum Klima in einer Weise zusammenzufassen, die für Fachgebietsfremde verständlich und zugleich gegenüber wissenschaftlicher Kritik standfest ist – soweit politisch nötig.
Während der Entstehung der Berichte dürfen außenstehende Expertinnen in zwei Phasen (FOR – First order draft /SOR – Second order draft) Kommentare zu ihnen abgeben, nachdem sie einen Geheimhaltungsvertrag unterschrieben haben. Die Kommentare werden von den IPCC‐Autorinnen beachtet oder auch nicht. Kommunikationen der IPCC‐Autorinnen mit den außenstehenden Expertinnen und zwischen den außenstehenden Expertinnen sind nicht vorgesehen. Reaktionen der IPCC‐Autorinnen auf ihre Kommentare erfahren die außenstehenden Expertinnen erst nach Veröffentlichung der Schlussversion. Dann werden die Kommentare und Reaktionen der IPCC‐Autorinnen veröffentlicht, so dass eine gewisse Kontrollmöglichkeit entsteht.
Der Anspruch auf zumindestens oberflächliche wissenschaftliche Standfestigkeit verhindert, dass Forschungsergebnisse zum Klima so sehr vereinfacht werden wie es die ARD‐Tagesschau macht (siehe 1. Folge). Leider sind die wissenschaftlichen Teile der IPCC‐Berichte nicht gefragt genug, um Leute dazu zu motivieren, von ihren jeweiligen Regierungen Übersetzungen in die Landessprachen zu verlangen. Alles ist Englisch.
Journalistinnen, Politikerinnen und klimapolitisch Aktive schauen sich meistens lediglich die allgemeinverständlichen Darstellungen zu Beginn der Berichte an, die »Zusammenfassungen für die politische Entscheidungsfindung« (SPM – Summary for Policy Makers). Diese übersetzen manche nationalen offizielle Stellen in die jeweiligen Landessprachen.
Über die Inhalte der SPMs, die für Klimaverträge und Rechtfertigungen von Regierungspolitiken wichtig sind, entscheiden politische Vertreterinnen der Nationalstaaten, fast der ganzen Welt. In langwierigen Sitzungen mit nächtlichen Nebenabsprachen, bei denen Machtgefälle zwischen den Nationen sicherlich keine Rolle spielen, diskutieren sie Satz für Satz und Grafik für Grafik einen Entwurf der jeweiligen SPM durch, formulieren um, werfen weg oder ergänzen.
Für die wissenschaftlichen Teile der IPCC‐Berichte sind ebenfalls nach politischen Kriterien zusammengesetzte Teams verantwortlich, doch bestehen diese Teams aus Wissenschaftlerinnen – wahrscheinlich meistens.
Das IPCC dokumentiert die formalen Qualifikationen der IPCC‐Autorinnen und deren eventuelle Interessenskonflikte nicht. Die vielleicht einzige Journalistin der Welt, die in dieser Frage herumbohrte, Donna Laframboise, hatte herausgefunden, dass Leute mit sehr wenig Erfahrungen im Fachgebiet und Angestellte von Organisationen wie dem World Wildlife Fund (WWF) darunter waren.2
Einer offiziellen, vom IPCC beauftragten Untersuchung von 2010 zufolge könnte es bei der Auswahl der IPCC‐Autorinnen teilweise eher um politische als um fachliche Qualifikationen gehen. Im Rahmen der Untersuchung meinte eine der anonym befragten IPCC‐Autorinnen zum Beispiel:
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass während des Prozesses Hauptautoren oder Beitragsautoren hinzukommen, die oft mit einem politischen Mandat zu kommen scheinen – in der Regel aus entwickelten Ländern und als solche können sie sehr störend sein – ganz zu schweigen von der fragwürdigen Natur der Wissenschaft, die sie beisteuern! 3
Ob seit 2010 etwas besser wurde, wäre zu erforschen.
Damit die wissenschaftlichen Teile der IPCC‐Berichte den SPMs nicht widersprechen, ist eine nachrägliche Anpassung der wissenschaftlichen Teile an die SPMs vogesehen.4 Möglicherweise enthalten die wissenschaftlichen Teile daher Aussagen, die nicht den Ansichten ihrer Autorinnen entsprechen, oder es fehlen Aussagen, die Autorinnen wichtig fanden. Ein öffentliches Aufmucken von IPCC‐Autorinnen gegen Änderungen an ihren Texten würde nicht gerade die Karriere fördern. Beim neuesten, sechsten IPCC‐Bericht der Arbeitsgruppe I von 2021, kam das, soweit ich sehe, nicht vor.
Eine der weitergehenden nachträglichen Änderungen im wissenschaftlichen Teil des sechsten IPCC‐Berichts war zum Beispiel:
Ersetze ›Beobachtete Veränderungen in der Atmosphäre, den Ozeanen, der Kryosphäre und der Biosphäre liefern eindeutige Beweise für eine erwärmte Welt. {2.3}‹ durch ›Es ist eindeutig, dass der menschliche Einfluss die Atmosphäre, die Ozeane und das Land erwärmt hat. Weitreichende und schnelle Veränderungen in der Atmosphäre, im Ozean, in der Kryosphäre und in der Biosphäre sind eingetreten. {SPM.A.1}‹ 5
1. IPCC‐Bericht 1990
In seinem ersten Bericht 6 von 1990 hatte das IPCC die Temperaturentwicklung der vorangegangenen 1000 Jahre in der Art einer Skizze dargestellt:
Der Berg links um 1000 bis 1300 herum wird als Mittelalterliche Warmperiode (MWP) bezeichnet. Wegen ihrer günstigen Wirkungen auf die Menschen nennt der IPCC‐Bericht diese Periode auch »Mittelalterliches Klimaoptimum«.
Verglichen mit der MWP erscheint der Temperaturanstieg ab etwa 1920, rechts in der Grafik, mickrig. Man könnte ihn als natürliche Gegenbewegung zur Kleinen Eiszeit (Little ice age) verstehen, die auf die MWP folgte. Sollte der mickrige Wärmeberg weiter anwachsen, wäre das zunächst nicht besonders erstaunlich. Etwas Außergewöhnliches würde erst auffallen, wenn der Wärmeberg deutlich über den mittelalterlichen hinauswüchse und keine Kältekuhle auf ihn folgte. Wohl damit nicht allzu viele Leute auf eine Kältekuhle warten, bis es zu spät ist, wird die MWP mehr und mehr »Mittelalterliche Klimaanomalie« genannt: nach dem Auftreten von etwas Anomalem erwartet kaum jemand das Auftreten eines nächsten gleichartigen Anomalen.
An der Temperaturskala der 1990er Skizze, links, sind keine Zahlen zu sehen. Dies deutet darauf hin, dass die Temperaturentwicklung nur sehr grob geschätzt ist.
Möglicherweise war die MWP kein globales Phänomen, heißt es im IPCC‐Bericht von 1990. Sie sei »darin bemerkenswert, dass es keine Nachweise für einen Antrieb durch Treibhausgase gibt.»7
Damit wurde die MWP zum Klimakampfgebiet, das eine separate Folge in dieser Serie verdient hätte. Ohne Streit vom Zaun zu brechen, lässt sich zur Bedeutung der MWP wohl sagen:
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Je höher die natürliche Klimavariabilität ist, desto schlechter lassen sich Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf das Klima einschätzen – sowohl Auswirkungen von Senkungen der Treibhausgas‐Emissionen als auch von steigenden Emissionen.
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Je geringer die natürliche Klimavariabilität eingeschätzt wird, desto größer wird die Temperaturwirkung, die Klimamodelle menschengemachten Treibhausgas‐Emissionen zuschreiben müssen. (Nicht unbedingt umgekehrt: bei einer als hoch eingeschätzten Klimavariabilität könnten Klimamodelle natürliche Einflüsse als den menschlichen Einflüssen engegengesetzt verrechnen, so dass die menschlichen Einflüsse groß bleiben. Auch spricht eine hohe natürliche Klimavariabilität dafür, dass bereits kleine Einflüsse große Folgen haben können.)
Mit diesen beiden Punkten hängt die politische Durchsetzbarkeit von Entscheidungen darüber zusammen, ob zum Beispiel die Weltbank bis zur praktischen Verfügbarkeit preisgünstiger, ausreichend zuverlässiger Alternativen Kredite zur Errichtung von Gas‐ und Kohlekraftwerken in der Nähe afrikanischer Gas‐ beziehungsweise Kohlevorkommen vergibt oder nicht.
2. IPCC‐Bericht 1995
Im zweiten Bericht des IPCC von 1995 wurde mit der Begründung »Datenmangel« auf eine jahreszeitlich übergreifende Darstellung der Temperaturentwicklung der vergangenen Jahrhunderte verzichtet. Im Bericht heißt es:
Aus den wenigen verfügbaren Daten geht hervor, dass die letzten Jahrzehnte im Durchschnitt der nördlichen Hemisphäre im Sommer die wärmsten seit mindestens 1400 waren (Abbildung 10). […] Eiskerndaten von mehreren Orten deuten darauf hin, dass das 20. Jahrhundert mindestens so warm ist wie jedes andere Jahrhundert der letzten 600 Jahre, obwohl die jüngste Erwärmung nicht überall außergewöhnlich ist. 8
Nach dem letzten Satz zu urteilen, war es um 1990 offen, ob das 20. Jahrhundert insgesamt gesehen ungewöhnlich warm war. Zugleich werden die Sommer der letzten Jahrzente auf der Nordhalbkugel als ungewöhnlich warm eingeschätzt.
Auf der Nordhalbkugel befindet sich der größere Teil der globalen Landfläche mit rund 90 Prozent der Menschheit. Die Südhalbkugel mit 81 Prozent Wasserbedeckung leidet unter noch größerem Datenmangel als die Nordhalbkugel.
Die Abbildung 10 9, auf die das Zitat verweist, zeigt für die Nordhalbkugel einen sommerlichen Hitzeberg um 1925, der die Sommertemperaturen vorangegangener Jahrhunderte deutlich überragt:
3. IPCC‐Bericht 2001
Im dritten Bericht des IPCC von 2001 hat sich die Forschungslage anscheinend deutlich verbessert.10 Man traut sich eine jahreszeitlich übergreifende Temperaturschätzung für die Nordhalbkugel mit Zahlen zu:
Einer Legende nach taufte ein klimapolitisch unverdächtiger Klimatologe diese Grafik »Hockeyschläger«. Der Ergebnisoffenheit wird es wohl nicht schaden, wenn ich diese anschauliche Bezeichnung verwende. Zur Skizze von 1990 passt vielleicht der Ausdruck »Achterbahn«.
In der Hockeyschläger‐Grafik gibt die horizontale Linie bei 0.0 das Durchschnittstemperaturniveau zwischen 1961 bis 1990 an. Eine MWP ist nicht erkennbar und die Kleine Eiszeit ist keine auffällige Kuhle mehr wie noch in der Darstellung des ersten IPCC‐Berichts.
Um 1900 setzt ein massiver Temperaturanstieg ein, der sich zum Ende des 20. Jahrhunderts deutlich verschärft. Um 1925 herum ist der Hitzeberg zu sehen, der in der Sommergrafik von 1995 auftauchte. Rechts rot stechen Thermometerdaten heraus. Man sieht: Die gegenwärtige Temperaturentwicklung ist außer Rand und Band geraten!
Der graue Bereich in der Grafik zeigt das 95 Prozent‐Vertrauensintervall der Temperaturdarstellung. Ein 95 Prozent‐Vertrauensintervall, auch »Konfidenzintervall« (CI) genannt, gibt – sehr doll vereinfacht – den Wertebereich an, in den mit 95 Prozent‐iger Wahrscheinlichkeit ein als wahr betrachteter Wert fällt.11 Naturwissenschaftlich gilt in der Regel ein Vertrauensniveau von 95 Prozent als Mindestbedingung dafür, eine Aussage als zutreffend voraussetzen zu dürfen. Danach könnte man gemäß der Grafik zum Beispiel sagen: Als die Wikingerinnen in Amerika strandeten, war die Nordhalbkugel zwischen etwa 0,8 °C kälter oder 0,3 °C wärmer als im Durchschnitt zwischen 1961 bis 1990.
Die blaue Linie (Jahresdaten) und die schwarze Linie (50‐Jahres‐Mittel der Jahresdaten) könnten bei Wissenschaftslaien den Eindruck einer nicht vorhandenen Exaktheit der Schätzung erwecken. Mit diesen Linien wurden die Mittelwerte der Vertrauensintervalle hervorgehoben, ohne dass bekannt wäre, ob die wahrscheinlichsten Werte tatsächlich jeweils in der Mitte der Intervalle liegen. War die Achterbahn von 1990 nicht total daneben, liegen die Werte vielleicht eher an den Rändern der Vertrauensintervalle.
4. IPCC‐Bericht 2007
Die Darstellung im vierten Bericht des IPCC von 200712 sieht wie ein Kompromiss zwischen Achterbahn und Hockeyschläger aus:
MWP und Kleine Eiszeit sind im Ansatz zu erkennen.
Gezeigt werden verschiedene Schätzungen der Temperaturentwicklung, nicht nur eine einzige wie in den IPCC‐Berichten zuvor. Wissenschaftslaien bekommen den Eindruck einer nicht allzu großen Präzision. Das Ausmaß der Ungenauigkeit lässt sich ohne Vertrauensintervalle um die Temperaturkurven herum nicht einschätzen.
Wie beim Hockeyschläger liegen die Schätzungen der historischen Temperaturniveaus im Wesentlichen unterhalb des Durchschnittsniveaus der Jahre 1961 bis 1990 (horizontale Linie bei 0.0). Anders als beim Hockeyschläger, aber besser passend zur Sommergrafik von 1995, beginnt der Temperaturanstieg nach der Kleinen Eiszeit bereits in CO2-emmissionsschwachen Zeiten um 1800. Er setzt sich bis in den heutigen Temperaturanstieg fort, der im Vergleich zu vorangegangen Jahrhunderten als außergewöhnlich erscheint.
5. IPCC‐Bericht 2013
Im fünften Bericht des IPCC von 2013 13 sind manche Temperaturen der Vergangenheit im Vergleich zu den aktuellen deutlich gestiegen – als wurden 2007 diesbezüglich Fehler gemacht:
MWP und Kleine Eiszeit sind zu sehen. Die horizontale 0.0‑Linie zeigt das durchschnittliche Temperaturniveau zwischen 1881 und 1980.
Eine der in der IPCC‐Grafik 14 enthaltenen Temperaturkurven, die von Loehle und McCulloch 2008, sieht der Achterbahn von 1990 ziemlich ähnlich, hört aber leider schon 1935 auf:
Ob der gegenwärtige Temperaturanstieg außergewöhnlich ist oder nicht, lässt sich an der IPCC‐Grafik von 2013 nicht so einfach erkennen. Die Thermometerdaten (schwarz eingezeichnet) enden 1980 mit unterschiedlichen Werten:
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HadCRUT4 NH bezieht sich auf Land‐ und Wassergebiete der Nordhalbkugel und reicht bis etwa 0,6 °C über den Durchschnitt
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CRUTEM4 NH bezieht sich nur auf Landgebiete der Nordhalbkugel und reicht bis etwa 0,8 °C über den Durchschnitt
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CRUTEM4 30 – 90N bezieht sich nur auf Landgebiete des nicht‐tropischen Teils der Nordhalbkugel und reicht bis etwa 1 °C über den Durchschnitt.15
Nur CRUTEM4 30 – 90N schafft es, über die frechen hellblauen Berge um die Jahre 1000 und 1930 hinauszukommen. Diese stammen von Christiansen und Ljungqvist und beziehen sich auf das nicht‐tropische Land‐ und Wassergebiet der Nordhalbkugel.
Die Schätzung von Christiansen und Ljungqvist 16 umfasst den Zeitraum von 1 bis 1973. In der Studie, aus der sie stammt, sieht sie verwirrend aus:
Die enormen Zacken sind Jahreswerte. Die dicke schwarze Linie unter der dicken roten zeigt Mittelungen der Jahreswerte über 50 Jahre. Weil die Jahreszacken mal nach unten und mal nach oben gehen, heben sie einander bei der Mittelwertbildung auf. Die roten Linien betreffen Aussagen zur Genauigkeit der Schätzung. Die gelbe und grüne Linie rechts zeigen Thermometerdaten. Sie scheinen gut zur Proxy‐Schätzung zu passen. Der Wert 0 der Temperaturachse liegt auf dem durchschnittlichen Temperaturniveau von 1880 bis 1960.
An der Grafik ist keine Klimakatastrophe zu sehen, doch reicht sie nur bis 1973. Hier endet die dicke schwarze Linie nahe 0 °C relativ zum durchschnittlichen Temperaturniveau. Zwischen 1973 und heute sind die Temperaturen auf der Nordhalbkugel offiziellen Angaben zufolge um rund 1 °C gestiegen, deutlich mehr als auf der Südhalbkugel.
6. IPCC‐Bericht 2021
Der neueste, sechste IPCC‐Bericht17 von 2021/22 enthält in der SPM einen Hockeyschläger wie 2001:
Gibt der neue Hockeyschläger den aktuellen Forschungsstand wieder? Waren die Temperaturrekonstruktionen von 2013 falsch? Diesen Fragen wird in der nächsten Folge nachgegangen.
Verweise
1 D Kaufman, N McKay, C Routson et al.: Holocene global mean surface temperature, a multi‐method reconstruction approach. Sci Data 7, 201 (2020). DOI 10.1038/s41597-020‑0530‑7
In eckigen Klammern stehen – wenn nicht Zahlen – nachträglich hinzugefügte Zusätze, die als Verständnishilfen gemeint sind. Alle Zitate aus englischsprachigen Quellen wurden unautorisiert übersetzt.
2 Vortrag von Laframboise bei EIKE 2011 (englisch) – Webseit von Laframboise
3 Responses to the IAC Questionnaire, S. 277
4 IPCC Principles Appendix A, Punkt 4.5: »Der Inhalt der verfassten Kapitel liegt in der Verantwortung der federführenden Autor:innen, vorbehaltlich der Zustimmung der Arbeitsgruppe oder des Panels. Änderungen (außer grammatikalische oder geringfügige redaktionelle Änderungen), die nach der Annahme durch die Arbeitsgruppe oder das Panel vorgenommen werden, sollen solche sein, die notwendig sind, um die Kohärenz mit der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung oder dem Übersichtskapitel sicherzustellen.« (S. 9)
5 Liste der nachträglichen Änderungen im wissenschaftlichen Teil des 6. IPCC‐Sachstandberichts (WG1)
6 IPCC: First Assessment Report (FAR), S. 202
7 IPCC: First Assessment Report (FAR), S. 199 und 202
8 IPCC: Climate Change 1995 – The Science of Climate Change, S. 28
Letzter Satz im Original: »Ice core data from several sites suggest that the 20th century is at least as warm as any century in the past 600 years, although the recent warming is not exceptional everywhere.«
9 IPCC: Climate Change 1995 – The Science of Climate Change, S. 28
Dekadischer Sommertemperaturindex (Juni bis August) für die nördliche Hemisphäre (bis 1970 – 1979) auf der Grundlage von 16 Proxy‐Daten (Baumringe, Eisbohrkerne, dokumentarische Aufzeichnungen) aus Nordamerika, Europa und Ostasien. Die dünne Linie ist eine Glättung derselben Daten. Die Anomalien beziehen sich auf den Zeitraum 1961 bis 1990.
10 IPCC: Climate Change 2001 – The Physical Science Basis, S. 3, 29 und 134
11 Genauere Erklärung bei Mathias Bärtl: Kurzes Tutorium Statistik – vorher eventuell Streumaße ansehen.
12 IPCC: Climate Change 2007 – The Physical Science Basis, S. 55
MBH1999 = Mann et al., 1999 – Land und Wasser 0 – 90°N /1000 – 1980; MJ2003 = Mann and Jones, 2003 – Land und Wasser 0 – 90°N /200‑1980; BOS..2001 = Briffa et al., 2001 – Land, 20°N – 90°N /1402 – 1960 (nur Sommer); B2000 = Briffa, 2000/2004 – Land, 20°N – 90°N /1 – 1993 (nur Sommer); JBB..1998 = Jones et al., 1998/2001 – Land, 20°N – 90°N /1000 – 1991 (nur Sommer); ECS2002 = Esper et al., 2002; recalibrated by Cook at al., 2004 – Land, 20°N – 90°N /831‑1992; RMO..2005 = Rutherford et al., 2005 – Land und Wasser 0 – 90°N /1400 – 1960; MSH..2005 = Moberg et al., 2005 – Land und Wasser 0 – 90°N /1 – 1979; DWJ2006 = D’Arrigo et al., 2006 – Land 20°N – 90°N /713‑1995; HCA..2006 = Hegerl et al., 2006 – Land, 20°N – 90°N /558‑1960; O2005 = Oerlemans, 2005 – Land global /1600 – 1990 (nur Sommer); PS2004 = Pollack and Smerdon, 2004; reference level adjusted following Moberg et al., 2005 – Land, 0 – 90°N /1500 – 2000; HADCRUTv2 = Jones and Moberg, 2003; errors from Jones et al., 1997 – Land und Wasser NH /1856 – 2005
13 IPCC: Climate Change 2013 – The Physical Science Basis | Technical Summary, S. 409
Rot: Land – alle Breitengrade, Orange: Land – nicht‐tropische Breitengrade, Hellblau: Land und Ozean – nicht‐tropische Breitengrade, Dunkelblau: Land und Ozean – alle Breitengrade; Schwarz: Land und Ozean – HadCRUT4.
PS04bore = Pollack and Smerdon (2004); Fr07treecps = Frank et al. (2007); CL12loc = Christiansen and Ljungqvist (2012); Ma08cpsl, Ma08eivl, Ma08eivf, Ma08min7eivf = Mann et al. (2008); He07tls = Hegerl et al. (2007); Lj10cps = Ljungqvist (2010); Da06treecps = D’Arrigo et al. (2006); LO12glac = Leclercq and Oerlemans (2012); Sh13pcar = Shi et al. (2013); LM08ave = Loehle and McCulloch (2008); Mo05wave = Moberg et al. (2005); Ju07cvm = Juckes et al. (2007); Ma09regm = Mann et al. (2009)
14 Grafik nach Daten von der Webseite von McCulloch bei der Ohio State University. Originalgrafik in Loehle, C. and J.H. McCulloch. 2008. Correction to: A 2000‐year global temperature reconstruction based on non‐tree ring proxies. Energy and Environment, 19, 93 – 100, S. 97. Die horizontale 0.0‑Linie bedeutet hier etwas anderes als in der IPCC‐Grafik. Die grauen Linien kennzeichnen das 95 Prozent‐Vertrauensintervall der Schätzung.
15 Demnach sind die nicht‐tropischen Landgebiete der Nordhalbkugel wärmer als die tropischen Landgebiete der Nordhalbkugel. – Die seltsamen Bezeichnungen »HadCRUT« usw. werden in Folge 4 erklärt.
16 Christiansen, B. and Ljungqvist, F. C.: The extra‐tropical Northern Hemisphere temperature in the last two millennia: reconstructions of low‐frequency variability, Clim. Past, 8, 765 – 786, DOI 10.5194/cp‑8 – 765‐2012, 2012; S. 775 (CC Attribution 3.0 License)
17 IPCC: Climate Change 2021 – The Physical Science Basis, PDF‐Seite 8
Bild: Sergej Wadimowitsch Odaynik »Kazantip Reserve«, 1982