Nord­stream 2: Die über­flüs­sigs­te Pipe­line der Welt?

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Der Wider­spruch zwi­schen dem Gas­man­gel in Deutsch­land und dem Gas­über­fluss in der Ost­see­pipe­line Nord­stream 2 wird immer schwe­rer über­brück­bar. Gleich­zei­tig neh­men die Ver­su­che von Mei­nungs­ma­chern zu, die­sen Wider­spruch durch Ver­wir­rung zu überdecken.

Nord­stream 2 wird nicht gebraucht

Um die wach­sen­den For­de­run­gen nach der Öff­nung von Nord­stream 2 zu ent­kräf­ten, wer­den von­sei­ten der Geg­ner vor allem zwei Behaup­tun­gen in der Dis­kus­si­on vor­ge­bracht. Es mache kei­nen Sinn die Pipe­line in Betrieb zu neh­men, da nicht ein­mal alle ande­ren rich­tig aus­ge­las­tet sei­en. Das behaup­te­te unter ande­ren auch der Ost­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung, Cars­ten Schnei­der, am 2.9. im Mor­gen­ma­ga­zin.

Die­se Behaup­tung wird jedoch nur weni­ge Tage spä­ter von Schnei­ders Par­tei­ge­nos­sen und Bun­des­kanz­ler, Olaf Scholz, selbst wider­legt. Im Som­mer­in­ter­view mit dem ZDF vom 5.9 bezeich­net die­ser es als das Haupt­pro­blem, »dass wir nicht genü­gend Ener­gie nach Deutsch­land bekom­men.« Da sagen zwei Ver­tre­ter der­sel­ben Regie­rung das genaue Gegen­teil. Was stimmt denn nun?

Um Russ­land den schwar­zen Peter für das aus­blei­ben­de Gas zuzu­schie­ben, wird behaup­tet, dass Gas nicht sank­tio­niert sei. Das mag stim­men, aber das gilt nicht für die Ban­ken, über die die Lie­fe­run­gen abge­wi­ckelt wer­den sol­len. Die rus­si­schen Kon­ten im Wes­ten sind blo­ckiert, in Rubel will der Wes­ten das Gas nicht bezah­len Dol­lar und Euro dür­fen nicht mehr an die rus­si­sche Zen­tral­bank aus­ge­ge­ben werden.

Wie stel­len sich das die Mei­nungs­ma­cher hier­zu­lan­de vor: Soll Russ­land Gas lie­fern, für das es nicht bezahlt wird bzw des­sen Zah­lung dann bei den west­li­chen Ban­ken sofort ein­ge­fro­ren wird? Wür­de der Wes­ten sich das gefal­len las­sen, wenn gelie­fer­te Waren nicht bezahlt werden?

Die Behaup­tung, dass ande­re Pipe­lines nicht voll aus­ge­las­tet sei­en, soll den Ein­druck erwe­cken, dass Nord­stream 2 nicht gebraucht wird. Nur stellt sich dann die Fra­ge, war­um hat man die Lei­tung über­haupt erst gebaut? Das hat immer­hin Jah­re gedau­ert und Mil­li­ar­den ver­schlun­gen und erst jetzt fällt es den Poli­ti­kern auf, dass Nord­stream 2 über­flüs­sig ist? Stellt sich die Fra­ge, waren die Pla­ner und Inves­to­ren auf Dro­ge, dass sie das vor­her nicht gemerkt hatten?

Wenn das rus­si­sche Gas nicht gebraucht wird, war­um ren­nen dann west­li­che Ver­tre­ter selbst den übels­ten Schur­ken­staa­ten die Türen ein, um Gas zu bekom­men? Wenn Nord­stream 2 nicht gebraucht wird, war­um explo­die­ren dann die Gas­prei­se? Nor­ma­ler­wei­se fal­len Prei­se, wenn ein Pro­dukt über­flüs­sig ist. Und wenn Nord­stream 2 nicht gebraucht wird, war­um ver­langt man von uns, in kal­ten Woh­nun­gen zu sit­zen, uns mit dem Wasch­lap­pen zu waschen, Strom zu spa­ren wo immer es mög­lich ist?

Gas als Waffe

Mit einer wei­te­ren Behaup­tung will man den Men­schen Sand in die Augen streu­en: Russ­land set­ze das Gas als Waf­fe ein. Putin wol­le die deut­sche Gesell­schaft spal­ten und die Soli­da­ri­tät des Wes­tens bre­chen. Die Tat­sa­chen jedoch bele­gen die­sen Vor­wurf nicht. Wer in Rubel zahlt, bekommt wei­ter rus­si­sches Gas, auch Impor­teu­re in Deutsch­land. Über die Tür­kei, die sich den west­li­chen Sank­tio­nen nicht ange­schlos­sen hat, fließt es an EU-Staa­ten in Süd- und Südost-Europa.

So wird inzwi­schen Bul­ga­ri­en wie­der belie­fert, das noch vor eini­ger Zeit Zah­lun­gen in Rubel abge­lehnt hat­te. Selbst der EU-Staat Ungarn hat neue güns­ti­ge Ver­trä­ge mit Gaz­prom abschlie­ßen kön­nen, obwohl es die west­li­chen Sank­tio­nen mit­trägt. All das wider­spricht den Aus­sa­gen der Mei­nungs­ma­cher. Nicht Russ­land spal­tet die Gemein­schaft, Spalt­pilz sind die unter­schied­li­chen Inter­es­sen inner­halb der EU.

Russ­land lie­fert wei­ter­hin durch alle zur Ver­fü­gung ste­hen­den Pipe­lines. Der Durch­fluss wird jedoch von Polen, den bal­ti­schen Staa­ten oder der Ukrai­ne behin­dert. Teil­wei­se wird auch Gas von Deutsch­land aus an die­se Staa­ten zurück­ge­pumpt, wenn ihnen das Gas aus­geht. Das blo­ckiert jedoch den Gas­fluss von Russ­land in die EU, also in die ande­re Rich­tung. All das müss­ten jene wis­sen, die behaup­ten, Russ­land wol­le den Wes­ten mit der Redu­zie­rung der Gas­lie­fe­run­gen erpressen.

Als Beweis für die­sen Vor­wurf hält Nord­stream 1 her, wo der Durch­fluss tat­säch­lich in den letz­ten Wochen immer wie­der durch Russ­land ein­ge­schränkt wur­de. Aber auch die Urhe­ber der Vor­wür­fe bestrei­ten nicht, dass ver­trags­ge­mä­ße War­tungs­ar­bei­ten durch­ge­führt wer­den. Sie wis­sen auch, dass die benö­tig­ten Kom­pres­so­ren sich zur Über­ho­lung in einem kana­di­schen Sie­mens-Werk befin­den. Es ist das ein­zi­ge Werk, das die­se Arbei­ten aus­füh­ren kann. Sie müss­ten auch wis­sen, dass die­se Tur­bi­nen den west­li­chen Sank­tio­nen gegen­über Russ­land unter­lie­gen, denn all das ist bekannt und überprüfbar.

Ver­mu­tun­gen statt Beweisen

Seit Ende August liegt Nord­stream 1 nun voll­kom­men still. An der letz­ten ver­blie­be­nen Tur­bi­ne waren Män­gel fest­ge­stellt wor­den. Nach den rus­si­schen Geset­zen ist der wei­te­re Betrieb unter die­sen Umstän­den wegen der Gefah­ren für Mensch und Umwelt nicht erlaubt. Das wäre in Deutsch­land auch nicht anders. All die­se Dar­stel­lun­gen der rus­si­schen Sei­te sind auf ihre Rich­tig­keit hin über­prüf­bar. Man kann die rus­si­schen Geset­ze ein­se­hen, und es wur­de kein Gesetz eigens geschaf­fen, um über Nacht Nord­stream 1 still­le­gen zu können.

Die­se sach­li­che Auf­klä­rung der deut­schen Öffent­lich­keit fin­det jedoch nicht statt. Statt­des­sen wur­de eine Kam­pa­gne in Gang gesetzt, die Zwei­fel wecken soll am ernst­haf­ten Inter­es­se Russ­lands, Nord­stream 1 über­haupt wie­der in Betrieb zu neh­men. Dabei tun Medi­en, Poli­ti­ker und soge­nann­te Exper­ten so, als wür­den sie Putins Plä­ne genau ken­nen. Sie behaup­ten zu wis­sen, wie er »tickt“, oder was sei­ne geheims­ten Geheim­nis­se sind. Aber dazu müss­ten Putin oder ande­re rus­si­sche Poli­ti­ker sie in ihre Vor­ha­ben ein­ge­weiht haben. Das ist unwahrscheinlich.

Was die­se west­li­chen Mei­nungs­ma­cher vor­brin­gen, sind ihre eige­nen Ver­mu­tun­gen und Spe­ku­la­tio­nen. Die­se stüt­zen sich nicht auf über­prüf­ba­re Tat­sa­chen son­dern auf frag­li­che Rück­schlüs­se und ver­wor­re­ne Phan­ta­sien ihrer eige­nen Hir­ne. Denn sie haben weder mit Putin noch ande­ren rus­si­schen Ver­ant­wort­li­chen gespro­chen, und authen­ti­sche Quel­len für ihre Aus­sa­gen kön­nen sie auch nicht nachweisen.

Zwi­schen der Mühlsteinen

Ande­rer­seits wäre es naiv zu glau­ben, dass nicht auch Russ­land sei­ne Mög­lich­kei­ten aus­nutzt, um Druck auf den Wes­ten aus­zu­üben. Dazu gehört, dass es sich sicher­lich kein Bein aus­reißt, um Nord­stream 1 mög­lichst schnell wie­der ans Lau­fen zu brin­gen. Immer­hin war es der Wes­ten, der zu Beginn des Kon­flik­tes ein Embar­go gegen rus­si­sches Gas ins Spiel gebracht hat­te. Nun haben sie, was sie woll­ten. Nur dass es Russ­land selbst ist, das die west­li­chen Über­le­gun­gen zu sei­nem eige­nen Vor­teil nutzt.

Jetzt erhebt man Vor­wür­fe gegen Russ­land, dass es in die­sem Kon­flikt die Druck­mit­tel ein­setzt, die ihm zur Ver­fü­gung ste­hen. Macht der Wes­ten das nicht auch? Mit dem Aus­schluss aus dem SWIFT-Sys­tem hat­te man Russ­land von west­li­chen Kapi­tal­strom abschnei­den wol­len. Nun schnei­det Russ­land den Wes­ten, ins­be­son­de­re die EU, von sei­nem Gas­strom ab. Jede Sei­te setzt in die­sem Kampf die Waf­fen ein, die Erfolg ver­spre­chen: der Wes­ten sein Kapi­tal, Russ­land sein Gas.

Hat­te der Wes­ten geglaubt, dass Russ­land unter den Sank­tio­nen zer­bricht, so muss er jetzt fest­stel­len, dass es eher umge­kehrt ist. Der Wes­ten ist vom rus­si­schen Gas viel abhän­gi­ger als Russ­land vom west­li­chen Kapi­tal. Das ist die bit­te­re Lek­ti­on, die man aber in Ber­lin und Brüs­sel ein­fach nicht wahr haben will.

In die­sem undurch­sich­ti­gen Geran­gel der Inter­es­sen sind wir, die ein­fa­chen Men­schen, die Leid­tra­gen­den. Des­halb soll­ten wir uns hüten, für eine der Sei­ten Par­tei zu ergrei­fen. Wir wol­len nicht frie­ren im Win­ter und nicht ver­ar­men unter den stei­gen­den Prei­sen. Das sind unse­re Inter­es­sen! Des­halb muss unse­re For­de­rung lau­ten: Nord­stream 2 statt Gasumlage!

Ange­sichts der Gefah­ren für unse­re Lebens­grund­la­gen kön­nen wir kei­ne Rück­sicht dar­auf neh­men, ob die­se For­de­rung den Eife­rern in Ber­lin und Brüs­sel gefällt, ob sie Putin nutzt oder nicht. Die­se For­de­rung nutzt uns, den ein­fa­chen Leuten.

Quel­len

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Bild: Pix­a­bay

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