Die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der belehr­ten Unwis­sen­heit? Zur intel­lek­tu­el­len Bank­rott­erklä­rung der Spaß­vö­gel von der APO Düsseldorf

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Zunächst ist zu begrü­ßen, dass so etwas wie Stra­te­gie über­haupt noch the­ma­ti­siert wird. In der Hin­sicht hebt sich die APO Düs­sel­dorf nicht erst mit ihrer Ana­ly­se »Wir sind nicht zum Spaß hier. Ein Auf­ruf zu demons­tra­ti­ver Pro­fes­sio­na­li­tät« schon län­ger durch reflek­tier­te­re Posi­tio­nen ab. Die ers­ten fünf die sozia­le, finan­zi­el­le und psy­cho­lo­gi­sche Lage vie­ler Akteu­re aus dem Wider­stand beschrei­ben­den Absät­ze sind zutref­fend. Die Beob­ach­tung über das Aus­ein­an­der­bre­chen der »nar­ziss­ti­schen Kol­lu­si­on zwi­schen Volk und Regie­rung« ist eben­so intel­li­gent wie auf psy­cho­so­zia­ler Ebe­ne treff­lich. Glei­ches gilt für die Kon­sta­tie­rung der Pro­blem­la­gen wie Infla­ti­on, Deindus­tria­li­sie­rung und die gene­rel­le Ver­ar­mungs­po­li­tik der Herr­schen­den. Die Ein­schät­zung der Erfol­ge der Oppo­si­ti­on ist rea­lis­tisch. Aus dem trü­ben Teich der quer­den­ke­ri­schen Quack­sal­be­rei her­aus­ra­gend ist in der Tat der durch das Schilf der »la manif pour la manif«* hin­durch­schnei­den­de Ver­such, die Macht­fra­ge auf­grund einer Ana­ly­se des Mas­sen­be­wusst­seins zu stel­len. Geschenkt, den­noch wich­tig zu erwäh­nen, ist die Kri­tik an pro­mi­nen­ten Akteu­ren von Quer­den­ken und ande­ren Initia­ti­ven. Ange­bracht ist sicher­lich auch in gro­ßen Tei­len der aus­ge­drück­te Dank an kri­ti­sier­te Widerstandsprominenz.

Wel­che Stra­te­gie wird nun eigent­lich vorgeschlagen?

Vor­ge­schla­gen wird vor allem die Pro­fes­sio­na­li­sie­rung des Wider­stands, also vor allem eine Metho­de. Das Ziel scheint ein par­la­men­ta­ri­scher Macht­wech­sel zu sein. Dazu soll ein die Mehr­heit über­zeu­gen­des »Gegen­pro­gramm« for­mu­liert wer­den. Die­ses scheint sich auf die drei Kon­trast­paa­re »Frei­heit statt Angst«, »Frie­den statt Krieg«, und »Demo­kra­tie statt Tyran­nei« zu beschrän­ken. Um die­se Ent­ge­gen­set­zun­gen her­um soll sich eine brei­te gesell­schaft­li­che Mehr­heit for­mie­ren, die in der Lage sein soll die Ver­ant­wor­tung zu übernehmen:

Unser Gegen­pro­gramm ist der Mut­win­ter: Bür­ger­initia­ti­ven der Demo­kra­tie­be­we­gung ver­bün­den sich mit Frie­dens­in­itia­ti­ven, Hand­werks­ver­tre­tun­gen, Bau­ern­ver­bän­den und Berufs­ver­bän­den. Aus der Asche der zer­fal­len­den deut­schen Ver­bän­de­de­mo­kra­tie steigt eine mäch­ti­ge oppo­si­tio­nel­le Zivil­ge­sell­schaft empor, die vor Ort in jedem Ort bereit sein muss, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Die meis­ten Par­tei­po­li­ti­ker sind Mario­net­ten – sie hän­gen an Fäden, und fal­len daher leicht um. Wir müs­sen nur pus­ten. (APO Ana­ly­se Sep­tem­ber 2022)

War­um denn dann Bank­rott­erklä­rung? Ist das nicht alles schön und gut?

Nun, die­se liegt, wie beim Bank­rott üblich, nicht in dem, was da ist, son­dern in dem, was nicht da ist. Was ist nun nicht da?

Nicht da ist eine Ana­ly­se des­sen, was eigent­lich in den letz­ten zwei Jah­ren pas­siert ist mit­samt einer Ein­ord­nung in vor­aus­ge­hen­de his­to­ri­sche Zusam­men­hän­ge. Nicht da ist, was bei einem von einem Sozio­lo­gen ver­fass­ten Text etwas ver­wun­dert, eine sozio­lo­gi­sche Ana­ly­se. Nicht da ist eine öko­no­mi­sche Ana­ly­se und genau sowe­nig ist da eine des Impe­ria­lis­mus. Kurz­um: es ist gene­rell kei­ne Ana­ly­se da. Der Text ist voll­kom­men ahis­to­risch, rein idea­lis­tisch und ver­bleibt nur auf den Rän­dern der polit­phä­no­me­na­len Ebe­ne, abge­se­hen von den nicht schlech­ten psy­cho­lo­gi­schen Parenthesen.

Was folgt hieraus?

Aus der Abwe­sen­heit tie­fer­ge­hen­der Ana­ly­se folgt der völ­lig ober­fläch­li­che stra­te­gi­sche Ansatz. Die­ser ver­bleibt in den schon ante Caro­la domi­nie­ren­den Denk­mus­tern des polit-wis­sen­schafts-media­len Deu­tungs­kom­ple­xes. Die Herr­schen­den wur­den bei­na­he welt­weit von der Toll­wut gebis­sen und sind ein­fach durch­ge­dreht und zu Tyran­nen mutiert – welt­weit! Die nicht vom Wahn befal­le­nen müss­ten jetzt eben ans Ruder und dazu eben auf genau die Tech­ni­ken zurück­grei­fen, mit denen die herr­schen­de Klas­se das Volk schon ante Caro­la mani­pu­liert und kon­trol­liert hat. Sagen­haft, aber wahr: sogar die Kau­tschuk­wör­ter sind die sel­ben: »Frei­heit, Demo­kra­tie, Frie­den, Zivilgesellschaft«!

Was aber bedeu­tet der Slo­gan Frei­heit heu­te poli­tisch kon­kret? Was bedeu­tet heu­te Demo­kra­tie kon­kret? Was bedeu­tet Frie­den? Die­se Slo­gans kön­nen von bei­den sich her­aus­bil­den­den gesell­schaft­li­chen Lagern für sich ver­wen­det wer­den. Der Leser weiß gar nicht, wel­che Posi­ti­on zur Kriegs­po­li­tik gegen Russ­land, zur Ver­ar­mungs­po­li­tik der trans­at­lan­ti­schen Eli­ten damit nun gemeint ist und schon gar nicht, wie die Demo­kra­tie dann nach dem Eli­ten­wech­sel für ihn kon­kret aus­se­hen soll. Das sind so nur lee­re Phra­sen. Da sie so nicht­sa­gend sind, sind sie frei­lich »mehr­heits­fä­hig«. Wie man den Bruch in der Gesell­schaft gera­de in die­sen Fra­gen als Sozio­lo­ge über­ge­hen kann, ist hier zu fra­gen. Als ob der gesell­schaft­li­che Bruch sich durch inhalts­lee­re Wor­te hei­len ließe!

Ganz pau­schal ist zu ins Spiel gebrach­ten Begrif­fen noch fol­gen­des kurz anzumerken.

Was ist Frei­heit? Die Erlaub­nis der bru­ta­len Aus­beu­tung der Lohn­ab­hän­gi­gen durch die Kapi­tal­be­sit­zer und deren Hand­lan­ger. Was ist Demo­kra­tie? Die poli­ti­sche Garan­tie, dass der Staat die Aus­beu­tung erlaubt und för­dert. Was ist Frie­den? Das Auf­recht­erhal­ten des Impe­ria­lis­mus der Kapi­ta­lis­ten, also die Aus­beu­tung gleich im natio­na­len oder kon­ti­nen­ta­len Maß­stab. Was ist schließ­lich Zivil­ge­sell­schaft? Das ist der Filz an Ver­bän­den, Stif­tun­gen, Medi­en, Kul­tur­in­dus­trie, die uns ein­bläu­en, dass es genau nur die­se Welt der Aus­beu­tung, der Dik­ta­tur des Kapi­tals und Impe­ria­lis­mus geben kann und – hier kommt die Krux – alle, die etwas ande­res behaup­ten, ent­we­der »lächer­lich«, »toben­der Mob«, Teil einer »extre­me Rand­the­men« anspre­chen­den »radi­ka­len Min­der­heit« von »Extre­mis­ten« seien.

Ist es hier noch nötig zu erwäh­nen, dass dies seit Jahr­zehn­ten Quint­essenz der herr­schen­den Ideo­lo­gie ist? Die soge­nann­te Extre­mis­mus­theo­rie ist übri­gens Ver­wand­ter der unwis­sen­schaft­li­chen anti­kom­mu­nis­ti­schen Tota­li­ta­ris­mus­theo­rie. Die­je­ni­gen, die von links ein Sys­tem über­win­den wol­len, das seit Jahr­hun­der­ten für Krieg, Unter­drü­ckung und Elend zustän­dig ist sowie den obs­zö­nen Reich­tum und die Macht­kon­zen­tra­ti­on der Olig­ar­chen erst ermög­licht hat, und zwar not­wen­di­ger­wei­se, aus­ge­rech­net die sei­en die »Extre­mis­ten«, nicht aber die Pro­fi­teu­re und Apo­lo­ge­ten des Molochs. Deren jüngs­ter Ein­fall mit Caro­la nicht der ers­te und nicht der letz­te gewe­sen sein wird. Wer sol­che »extre­men Rand­the­men« anspre­che, der soll von nun ab im Wider­stand also schwei­gen? Das ist also die Poli­tik gegen Ent­mün­di­gung der APO Düsseldorf?

Mona Ara­nea schließt: man müs­se nur pus­ten damit die »Mario­net­ten« Par­tei­po­li­ti­ker umfie­len! Die Mario­net­ten­spie­ler hat sie schlicht­weg ver­ges­sen! Oder etwa doch nicht? War­um sie die­se und das sie ermög­li­chen­de und ermäch­ti­gen­de kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem dann nicht gleich mit weg­pus­ten will, stellt sich die Fra­ge. Sel­ten so ein ver­klau­su­lier­tes Bewer­bungs­schrei­ben gele­sen! Die alten Macht­tech­ni­ker waren schlicht­weg zu unfä­hig das herr­schen­de Sys­tem zu sta­bi­li­sie­ren. Aber hört, hört – die Ret­tung naht! Die APO Düs­sel­dorf über­nimmt die Kom­man­do­hö­hen des töner­nen und fal­len­den Kolos­ses des Welt­ka­pi­ta­lis­mus und alles wird wie­der so wie früher!

Die Stra­te­gie­de­bat­te ist woan­ders ein­deu­tig wei­ter. Ver­wie­sen sei hier nur auf die bei­den jüngst erschie­nen Bei­trä­ge »Der Feind heißt Kapi­ta­lis­mus« und »Das Gespenst des Sozia­lis­mus« von Uli Gel­ler­mann und einen etwas älte­ren der Frei­en Lin­ken West Akti­on: »Nur gegen den Kapi­ta­lis­mus kann der Pro­test Erfolg haben«.

Glück­li­cher­wei­se muss das die Intel­li­genz­ler bei der APO Düs­sel­dorf nicht wei­ter beun­ru­hi­gen, sind sie doch zu pro­fes­sio­nell für die Wahr­heit, zu mün­dig für den toben­den Mob der lächer­li­chen Extre­mis­ten. Wir gra­tu­lie­ren den­noch zu die­sem Kunst­stück der Wider­stands­pro­sa, das es schafft – frei nach Cusa­nus – die Ein­heit des Wider­sprüch­li­chen zu pos­tu­lie­ren: der Wider­stand gegen den Geg­ner wird zum Geg­ner des Widerstands.

* manif, kurz für mani­fes­ta­ti­on, frz. für Demonstration

Bild: Stra­ßen­pro­test aus der Schweiz (Foto: John)

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