An den Details wird Unfähigkeit sichtbar: Fehlendes Harnstoff-​Wässerchen bedroht Lieferketten

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In fast allen Regierungen der EU-​Mitgliedsländer wie in der EU-​Kommission sitzen unfähige Ahnungslose, die ferngesteuert werden von Interessengruppen des Kapitals, zuvorderst vom internationalen Finanzkapital, das die totale Herrschaft im real existierenden Kapitalismus an sich gerissen hat. Dem geht es naturgemäß um den kurzfristigen Maximalprofit für sich, was nicht gut sein kann für die Volkswirtschaft.

Denn dabei werden immer wieder Details übersehen, die aber fürs Funktionieren des großen Ganzen wichtig sind. Die Preissprünge bei Strom und Gas haben bereits konkrete Auswirkungen auf die Industrie. In der Slowakei hat schon letzten Monat ein Aluminiumwerk die Produktion eingestellt, jetzt haben das die 1993 in Sachsen-​Anhalt, also im Anschlußgebiet gegründete SKW Stickstoffwerke Piesteritz in Wittenberg getan. Die Firmenleitung hat befunden, ihre Kalkulation gehe angesichts der stark gestiegenen Energiepreise nicht mehr auf, die deswegen nötig gewordenen Preiserhöhungen bei den Produkten würden von der werten Kundschaft nicht akzeptiert. Das war auch schon vom slowakischen Aluminiumwerk so mitgeteilt worden.

Ein Riesenproblem wird gemacht

Das Werk ist in etlichen Hinsichten für viele Branchen wichtig. Es hat Stickstoffdünger für die Landwirtschaft erzeugt, wobei der Stickstoff unter Energieeinsatz aus der Luft gewonnen wurde. Es war aber auch im Bereich der Industriechemikalien tätig und lieferte Ammoniak, Harnstoff und Salpetersäure. Jetzt liefert es nichts mehr. Sollte laut Kinderbuchautor Habeck, der gerade als bundesdeutscher Wirtschaftsminister schauspielert, ja nicht besonders schlimm sein. Das heißt ja nicht, der Betrieb sei insolvent, er produziert nur gerade nichts und kann das ja später irgendwann. Schön, ist ja möglich, wenn der EU-​Rat rasch zur Räson kommt, denn den Beschäftigten wurde erstmal bis Ende Oktober Kurzarbeit genehmigt.

Da aber AdBlue nichts anderes ist wie eine Lösung, die aus 32,5 Prozent höchst sauberem Harnstoff – der wird aus Ammoniak und CO2 erzeugt – in demineralisiertem Wasser besteht, was in allen modernen Diesel-​Motoren vorhanden sein muß, damit sie funktionieren, gibt es mit einem Schlag ein Riesenproblem. Mit AdBlue werden die Stickoxidemissionen um 85 Prozent verringert, indem sie zu Stickstoff und Wasserdampf konvertiert werden. Dieser Stickstoff kann dann wieder in Betrieben wie die SKW Stickstoffwerke Piesteritz aus der Luft entnommen werden um daraus Dünger zu machen, womit sich der Kreis schließt.

Gut, wenn ein Auto nicht mehr läuft, hat halt der Besitzer ein Problem, aber die Wirtschaft bricht nicht zusammen. Wenn aber des Bauern Traktor, sein Futterhäcksler und seine Futtermischmaschine nicht mehr funktioniert, stoppt die Lebensmittelerzeugung. Blöderweise brauchen mittlerweile 90 Prozent der LKW zum Funktionieren AdBlue. Ist nichts mehr da, steht der Motor. Nur ältere Diesel funktionieren noch ohne.

Da immer noch nichts in die Geschäfte gebeamt wird, braucht es LKW, die es hinbringen. Aber auch die gesamte Wirtschaft hat inzwischen die Lagerhaltung abgeschafft – das Lager ist auf der Straße und soll »just in time« anliefern, was gebraucht wird. Ohne AdBlue wird aber nichts mehr angeliefert.

Hohe Tiere, die im Dienstwagen kutschiert werden, haben davon offensichtlich noch nie was gehört. Ihren Beratern, die ihnen vorschreiben, was sie zu sagen haben, wurde wohl von den Lobbyisten, die ihnen die Wünsche der wirklich Mächtigen überbringen, auch nicht der Hinweis geliefert, da sei etwas, auf das zu achten ist. Sonst wäre es ja möglich gewesen, rechtzeitig eine Subvention für die AdBlue-​Erzeugung zu beschließen.

Wer jetzt meint, Sachsen-​Anhalt sie weit von Luxemburg entfernt, das treffe wohl zwar die Landwirtschaft und die Frächter im Anschlußgebiet des deutschen Ostens, aber nicht uns, vergißt die gegenseitige Abhängigkeit im Rahmen der EU-​Freihandelszone, wo wie in kommunizierenden Röhren Produkte hin und her gehen. Zwar hat hier im Lande noch niemand aufgeschrieen, denn Luxemburg wird von der Firma Yara im belgischen Tertre beliefert, die in etwa dieselbe Palette anbietet wie die SKW Stickstoffwerke Piesteritz.

Wir sind natürlich nicht im Geheimnis der Vorstandsgötter von Yara, aber wir entnehmen dem Internet, daß der 5‑Liter-​Kanister AdBlue in Belgien bereits jetzt um 10 – 12 € im Handel ist, während wir dafür vorgestern noch 6,99 € gezahlt haben. Wobei wir wohl Glück hatten, da uns gestern mitgeteilt wurde aus einem Ort im Ösling mit 5 Tankstellen, daß dort keine einzige noch AdBlue hat. Wir können auch berichten, daß AdBlue an der Tankstelle in Prag am Montag umgerechnet 2 € pro Liter kostete, was dem belgischen Literpreis entspricht, obwohl der Spritpreis dort doch niedriger ist. Höhere Preise sind natürlich auch ein Problem da inflationstreibend, aber gar kein AdBlue ist schlicht eine Katastrophe!

Bild: Wenn da links nichts mehr drin ist hinter dem blauen Verschluß, nützt es nichts mehr, wenn der Diesel-​Tank voll ist. Da läuft ein moderner Diesel einfach nicht mehr (Foto: Charel Jacoby)

3 thoughts on “An den Details wird Unfähigkeit sichtbar: Fehlendes Harnstoff-​Wässerchen bedroht Lieferketten

  1. War es nicht so, dass Teil des Schummelsoftware-​Skandals war, dass Daimler-​Benz, BMW u.a. die AdBlue-​Zuführung (ich glaube) auf der Autobahn abstellten, um Harnstoff zu sparen weil 1. teuer und 2. die Tanks zu klein? Vielleicht waren auch die AdBlue-​Tanks zu klein, weil man wegen der Schummelsoftware nicht so viel Harnstoff brauchte. Jedenfalls: die AdBlue-​Zuführung könnte man auch bei Lkw abstellen.
    Dass Traktoren oder Mähdrescher mit AdBlue fahren, wäre mir neu. Das absehbare Fehlen von Dünger sehe ich als sehr viel bedrohlicher an.
    Nicht, dass sich bei den Grünen-​Fürsten noch jemand für ihre eigene »Klimakatastrophen«-Erzählung und ‑Propaganda interessieren würde, aber wenn: AdBlue produziert das »extrem klimaschädliche« Lachgas.

    1. Das waren meines Wissens noch Motoren ohne AdBlue – bis vor kurzem fuhr ich auch noch einen Diesel ohne. Das Abschalten ist nicht mehr möglich bei den aktuellen Motoren, die setzen AdBlue voraus. Schwere landwirtschaftliche Maschinen, die nicht mindestens 5 Jahre alt sind, fahren alle mit AdBlue, kannst Dir aber gerne hier die Klagen der Thüringer Landwirte anlesen als Beispiel: https://​www​.landeswelle​.de/​a​k​t​u​e​l​l​/​a​u​s​-​d​e​r​-​r​e​d​a​k​t​i​o​n​/​a​d​b​l​u​e​-​k​n​a​p​p​h​e​i​t​-​t​r​i​f​f​t​-​t​h​u​e​r​i​n​g​e​r​-​l​a​n​d​w​i​r​t​e​-​w​e​n​n​-​n​i​c​h​t​s​-​p​a​s​s​i​e​r​t​-​s​t​e​h​e​n​-​u​n​s​e​r​e​-​m​a​s​c​h​i​n​e​n​-​s​t​ill

  2. So ist das mit hochkomplexen Systemen, da tritt schnell mal der »Schmetterlingseffekt« ein. Unsere gesamte Infrastruktur, Logistik etc sind immer mehr hart auf Kante genäht, keine Redundanz, nichts, was den freien Fall aufhält. Das weiß ich schon seit vielen Jahren, über Just in Time habe ich schon den Kopf geschüttelt als es modern wurde. Nur wenn man was sagt wird man behandelt als sei man ein Mondkalb. 

    Diese und einige davor liegende Entscheidungen der Entscheider haben mich dazu gebracht, mich wieder mit Marx und seinen Ausführungen zur Krisenhaftigkeit des Kapitalismus, Fall der Profitrate etc. zu beschäftigen. 

    Für mich steht fest, innerhalb dieses Systems gibt es bestenfalls Flickwerk, aber keine Problemlösung, und zwar zu allen anstehen Problemen der Menschheit. 

    ?✊??

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