Pünkt­lich zur Wiesn: Bier­preis­er­hö­hun­gen, ein Spiel mit der Revolution

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Zum Beginn des Münch­ner Okto­ber­fests könn­te ein Trop­fen das Bier­fass des Volks­zorns zum Über­lau­fen brin­gen. Im Sep­tem­ber 2022 geht zahl­rei­chen Braue­rei­en in Deutsch­land die Koh­len­säu­re aus. Vom Boden­see bis Thü­rin­gen, selbst in Bay­ern droht aku­ter Bier­man­gel. Das Koh­len­di­oxid (CO2), das zur Her­stel­lung von Koh­len­säu­re benö­tigt wird, ent­steht zwar auch bei der alko­ho­li­schen Gärung im Brau­pro­zess. Weil das aber nicht für die gesam­te Geträn­ke­pro­duk­ti­on aus­reicht, sind Braue­rei­en auf zusätz­li­ches CO2 ange­wie­sen. Die­ses aber ist ein Neben­pro­dukt der Dün­ge­mit­tel­in­dus­trie, die wie­der­um unter dem hohen Gas­preis wegen der Russ­land-Sank­tio­nen am meis­ten lei­det. Ergeb­nis: Die Pro­duk­ti­on wird gedros­selt. Nun geht es ans Ein­ge­mach­te, oder bes­ser: ans Vergorene.

Das Bür­ger­li­che Brau­haus im thü­rin­gi­schen Saal­feld schafft es dank einer Koope­ra­ti­on mit dem frän­ki­schen Kulm­bach, sei­ne Pro­duk­ti­on am Lau­fen zu hal­ten. Aber die Wor­te in Rich­tung der Poli­tik könn­ten nicht deut­li­cher sein. In einem Video, das der­zeit viral geht, zwei­felt der Braue­rei­chef öffent­lich am Ver­stand von Wirt­schafts­mi­nis­ter Habeck.

Poli­ti­ker bei ihren Gehäl­tern haben gut lachen. Die Braue­rei­ar­bei­ter, die die­se Gehäl­ter bezah­len, nicht.

Zu Recht. Am Bier­preis zu nagen ist kein Zucker­schle­cken, das könn­te der Kin­der­buch­au­tor schnell ler­nen. Denn hier ver­ste­hen ins­be­son­de­re die Bay­ern kei­nen Spaß. Deutsch­land ist nicht gera­de berühmt für erfolg­rei­che Revo­lu­tio­nen. Aber wenn es hier­zu­lan­de jemals Auf­stän­de gab, die tat­säch­lich Erfolg hat­ten, dann ging es ums Bier. Wie anno 1844 in Mün­chen, als erbos­te Zecher König Lud­wig I. in die Knie zwan­gen. Am 25. Mai 1844 erscheint im bri­ti­schen Nor­t­hern Star der Bericht eines gewis­sen Fried­rich Engels über das, was sich da in Mün­chen abspielte:

[…] Die Arbei­ter ver­sam­mel­ten sich in Mas­sen, mar­schier­ten durch die Stra­ßen und grif­fen die Gast­stät­ten an, wobei sie die Möbel zer­schlu­gen und alles, des­sen sie hab­haft wer­den konn­ten, zer­stör­ten: Rache für die Preis­er­hö­hung bei ihrem Lieb­lings­ge­tränk. Man rief das Mili­tär, doch als die Kaval­le­rie auf­sit­zen soll­te, ver­wei­ger­ten die Sol­da­ten den Gehor­sam. […] Fran­zö­si­sche Zei­tun­gen mel­den, der König habe das Mili­tär vor dem Thea­ter auf­mar­schie­ren las­sen und Schieß­be­fehl erteilt, die Sol­da­ten hät­ten sich jedoch gewei­gert. Die deut­schen Zei­tun­gen erwäh­nen das nicht, was ange­sichts der dor­ti­gen Zen­sur aller­dings nicht wei­ter überrascht.

Anders als die Poli­zei hat­te das Mili­tär offen­bar durch­aus Sym­pa­thie für die Auf­rüh­rer. Auch Sol­da­ten trin­ken eben gern mal einen, und nicht zuletzt soll es ein Sol­dat nach Fei­er­abend gewe­sen sein, wel­cher den gan­zen Auf­stand mit ange­zet­telt hat­te: Kor­bi­ni­an Sti­gl­mayr wur­den für vier Maß im Mader­bräu statt 24 plötz­lich 26 Kreu­zer berech­net. Schlech­te Ern­ten und Tier­seu­chen hat­ten den Getrei­de­preis erhöht, und so hat­te Sei­ne Majes­tät geruht, durch Ein­füh­rung einer neu­en Bier­steu­er die Prei­se für das edle Nass anzu­he­ben. Und das, nach­dem schon das Brot teu­rer gewor­den war. Der wacke­re Artil­le­rist ließ sich die­se Frech­heit nicht bie­ten und explo­dier­te. Ande­re Gäs­te soli­da­ri­sier­ten sich mit ihm, und schon war eine zünf­ti­ge Wirts­haus­schlä­ge­rei im Gan­ge. Der Rest ist Geschichte:

Tage­lang maro­dier­ten Tau­sen­de durch die Stra­ßen, ver­wüs­te­ten, was nicht niet- und nagel­fest war und rüt­tel­ten an den The­ken eben­so wie an den Grund­fes­ten der baye­ri­schen Mon­ar­chie. Der König, als­bald spü­rend, dass sein Thron auf Gers­ten­saft gebaut war, muss­te nach­ge­ben: die Preis­er­hö­hun­gen wur­den zurück­ge­nom­men. Ein vol­ler Erfolg für die (bier­trin­ken­de) Arbeiterklasse!

Tat­säch­lich kam es nur weni­ge Jah­re spä­ter, 1848, in Mün­chen erneut zu Kra­wal­len wegen des Bier­prei­ses. Und auch 1888 gerie­ten Gäs­te und Mili­tär in der soge­nann­ten Sal­va­tor-Schlacht auf dem Nock­her­berg der­art anein­an­der, dass das Schwe­re-Rei­ter-Regi­ment mit 50 Mann zu Pfer­de und mit blan­ken Säbeln anrü­cken muss­te. Auch hier soll eine Teue­rung die Gemü­ter erhitzt haben. 1910 brann­ten erbos­te Bür­ger von Dor­fen bei Erding gar die Braue­rei wegen einer Preis­er­hö­hung nie­der. Auch sie hat­ten Erfolg. Zwar hagel­te es Haft­stra­fen, aber der Bier­preis wur­de wie­der gesenkt.

Vor die­sem his­to­ri­schen Hin­ter­grund braut sich auch die­sen Herbst wie­der etwas zusam­men. Deutsch­land­weit ist die Lie­fe­rung von CO2 der­zeit pro­ble­ma­tisch. 30 bis 40 Pro­zent der euro­pa­weit benö­tig­ten CO2-Men­ge fehl­ten, berich­tet der Baye­ri­sche Rund­funk. In Thü­rin­gen kam es bereits zu Pro­duk­ti­ons­stopps: zwar konn­te das Bür­ger­li­che Brau­haus in Saal­feld die Arbeit fort­set­zen, doch bei der Ver­eins­braue­rei Apol­da und bei der Eichsfel­der Braue­rei Neun­sprin­ge muss­ten die Kes­sel ruhen. Um die Arbei­ter nicht in Kurz­ar­beit schi­cken zu müs­sen ver­su­che man, die Zeit mit Maschi­nen­war­tung und Über­stun­den­ab­bau zu über­brü­cken, so die Thü­rin­ger. Groß­braue­rei­en wie Oet­tin­ger kön­nen zumin­dest einen Teil des benö­tig­ten CO2 über Rück­ge­win­nungs­an­la­gen aus dem Brau­pro­zess selbst her­stel­len. Für klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men lohnt sich das aber meist nicht. (Ein Schelm, wer denkt, dass auch hier auf wun­der­sa­me Wei­se wie­der die klei­nen Unter­neh­men zum Vor­teil von Groß­kon­zer­nen ver­nich­tet wer­den und die Pro­duk­ti­on von Grund­nah­rungs­mit­teln – wozu zumin­dest in Bay­ern bekannt­lich nicht nur Was­ser, son­dern auch Bier zählt – mono­po­li­siert wird). Die Akti­en­braue­rei Kauf­beu­ren muss­te eben­falls schon die Pro­duk­ti­on von Was­ser und Limo­na­de ein­stel­len, die kom­plett auf die Zufuhr von Koh­len­säu­re ange­wie­sen ist. Auch die Prei­se von Malz und Leer­gut explo­die­ren, sodass die Braue­rei­en von spür­ba­ren Teue­run­gen im Herbst ausgehen.

Das geht dann selbst an den Nürn­ber­ger Auto­no­men nicht vor­bei, die sich sonst brav tes­ten und maskieren!

Auf der Wiesn ist das schon zu beob­ach­ten. Zwi­schen 12,60 und 13,80 Euro kos­tet die Maß dort die­ses Jahr. Im Wein­zelt kann man für eine Maß Weiß­bier sogar 16,80 Euro aus­ge­ben. Im Schnitt 15,6 Pro­zent mehr als beim letz­ten Okto­ber­fest 2019 müs­sen Durs­ti­ge hin­le­gen. Von den 22 Pro­zent, wel­che Kor­bi­ni­an Sti­gl­mayr zum Bier-Rebel­len mach­ten, ist das nicht mehr so weit ent­fernt. Und so könn­te das dies­jäh­ri­ge O‘zapfen der ohne­hin schon arg gebeu­tel­ten Geld­beu­tel mög­li­cher­wei­se noch Fol­gen haben.

Kor­re­spon­dent Fried­rich Engels schließt sei­nen Bericht aus dem Jahr 1844 jeden­falls mit fol­gen­den Worten:

Wenn das Volk erst ein­mal begreift, dass es die Regie­rung wegen der Bier­steu­er das Fürch­ten leh­ren kann, wird es auch bald ler­nen, dass es eben­so leicht ist, sie wegen weit erns­te­rer Ange­le­gen­hei­ten in Angst und Schre­cken zu versetzen.

Bild: Muse­um Hum­pis­quar­tier, Ravens­burg, Schand­man­tel, Ravens­burg, 18. Jahr­hun­dert, Detail: Sauf­fer und Rauffer 

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