Klei­ne lin­ke Kli­ma­se­rie (I): Wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen im Unter­schied zu all­ge­mein­ver­ständ­li­chen Aussagen

Lese­zeit11 min
Die­ser Arti­kel stellt den Auf­takt der im Monats­rhyt­mus erschei­nen­den »klei­nen lin­ken Kli­ma­se­rie« in der Mag­Ma dar. Bis­her erschienen:

I. Wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen im Unter­schied zu all­ge­mein­ver­ständ­li­chen Aussagen

II: Tem­pe­ra­tur­ent­wick­lung der letz­ten 1000 – 2000 bzw. 30 Jahre

III: Tem­pe­ra­tur­ent­wick­lung der letz­ten 1000 – 2000 bzw. 3 Jahre

Wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen im Unter­schied zu all­ge­mein­ver­ständ­li­chen Aussagen

Je weni­ger man weiß, desto
über­zeug­ter ist man, viel zu wissen.

Valen­ti­na Zhar­ko­va, Mathe­ma­ti­ke­rin und Astro­phy­si­ke­rin (2022)

Der »Welt­kli­ma­rat« (IPCC) schrieb 2021 in einer »Zusam­men­fas­sung für die poli­ti­sche Ent­schei­dungs­fin­dung«: »Der Ein­fluss des Men­schen hat das Kli­ma in einem Maße erwärmt, wie es seit min­des­tens 2000 Jah­ren nicht mehr der Fall war«.1

Das wirkt zunächst wie eine kla­re, all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­ge, die wir rich­tig oder falsch fin­den kön­nen – oder nach Mei­nung derer, die dem IPCC kei­ne wis­sen­schaft­lich unfun­dier­ten Aus­sa­gen zutrau­en, ver­nünf­ti­ger­wei­se rich­tig fin­den sollten.

Etwas Ver­wir­rung kann ent­ste­hen, wenn man sich fragt, wie denn der Ein­fluss des Men­schen vor zum Bei­spiel 2001 Jah­ren das Kli­ma in einem höhe­ren Maße erwärmt haben kön­nen soll­te als der Ein­fluss des Men­schen heute.

Vom Wort­laut her lässt sich die zitier­te Aus­sa­ge des IPCC so verstehen:

Der das Kli­ma erwär­men­de Ein­fluss des Men­schen hat in den letz­ten 2000 Jah­ren zuge­nom­men, so dass er heu­te am größ­ten ist. Vor mehr als 2000 Jah­ren könn­te der mensch­li­che Ein­fluss auf das Kli­ma even­tu­ell grö­ßer gewe­sen sein als heute.

Wohl alle fin­den, dass so etwas nicht gemeint sein kann. Auf­grund unse­res Vor­wis­sens deu­ten wir die Aus­sa­ge im fol­gen­den Sinn:

Das gegen­wär­ti­ge Kli­ma hat sich im Ver­gleich zum Kli­ma min­des­tens der letz­ten 2000 Jah­re außer­ge­wöhn­lich erwärmt. Die­se außer­ge­wöhn­li­che Erwär­mung wur­de von Men­schen verursacht.

In einem Zwi­schen­be­richt von 2019 behaup­te­te das IPCC etwas, das eben­falls für »die poli­ti­sche Ent­schei­dungs­fin­dung« gedacht und daher als all­ge­mein­ver­ständ­lich gemeint war:

Mensch­li­che Akti­vi­tä­ten haben Schät­zun­gen zufol­ge etwa 1,0 °C glo­ba­le Erwär­mung gegen­über vor­in­dus­tri­el­lem Niveau ver­ur­sacht, mit einer wahr­schein­li­chen Band­brei­te von 0,8 °C bis 1,2 °C. Die glo­ba­le Erwär­mung erreicht 1,5 °C wahr­schein­lich zwi­schen 2030 und 2052, wenn sie mit der aktu­el­len Geschwin­dig­keit wei­ter zunimmt. (Hohes Ver­trau­en).2

Die­se Aus­sa­ge wirkt nicht ganz so klar. Sie lässt sich als Ver­such deu­ten, eine all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­ge zu machen, ohne wis­sen­schaft­lich Unge­si­cher­tes als wis­sen­schaft­lich gesi­chert erschei­nen zu lassen.

Die im Zitat unter­stri­che­nen Aus­drü­cke »wahr­schein­lich« und »hohes Ver­trau­en« sind auch im Ori­gi­nal­text her­vor­ge­ho­ben, um ihre spe­zi­el­le Bedeu­tung zu markieren.

Nach IPCC-Regeln3 bedeu­tet »wahr­schein­lich«: es wur­de eine Wahr­schein­lich­keit des Zutref­fens der Aus­sa­ge höher als 66 % ermit­telt. Das »Ver­trau­en« ist laut IPCC-Regeln eine Kom­bi­na­ti­on aus der Ein­mü­tig­keit des zustän­di­gen Wis­sen­schafts­teams hin­sicht­lich des Zutref­fens einer Aus­sa­ge (agree­ment) und sei­ner Ein­schät­zung der Nach­weis­bar­keit der betref­fen­den Aus­sa­ge (evidence). Das Ver­trau­ens­kri­te­ri­um wird benutzt, wenn zu wenig Daten vor­lie­gen, um Zutref­fens­wahr­schein­lich­kei­ten für Aus­sa­gen aus­zu­rech­nen.

Der im Zitat unter­stri­che­ne Aus­druck »hohes Ver­trau­en« besagt: das zustän­di­ge Wis­sen­schafts­team kam auf einer Ver­trau­ens­be­wer­tungs­ska­la, die von 1 bis 5 reicht, auf eine 4. Dies könn­te bedeuten:

  • Mitt­le­re Ein­mü­tig­keit des Teams – hohe Nachweisbarkeit
  • Hohe Ein­mü­tig­keit des Teams – beschränk­te Nachweisbarkeit
  • Hohe Ein­mü­tig­keit des Teams – mitt­le­re Nachweisbarkeit.

Die Ver­trau­ens­be­wer­tungs­ska­la hat das IPCC in Form eines Farb­ver­laufs fest­ge­legt, wodurch die Bedeu­tung von »hohes Ver­trau­en« etwas ver­schwom­men ist4:

Die genann­ten Ver­trau­ens- und Wahr­schein­lich­keits­wer­te bezie­hen sich im Zitat auf eine Schät­zung, nach der Men­schen die glo­ba­le Mit­tel­tem­pe­ra­tur um etwa 1,0 °C erhöht haben. Über die Genau­ig­keit der Schät­zung wird gesagt, sie betra­ge eher wahr­schein­li­cher­wei­se als unwahr­schein­li­cher­wei­se ± 0,2 °C. Die Aus­sa­ge über die zukünf­tig zu erwar­ten­de Erwär­mung beruht laut Zitat auf der Vor­aus­set­zung, dass die »glo­ba­le Erwär­mung … mit der aktu­el­len Geschwin­dig­keit wei­ter zunimmt«. Dar­über, mit wel­cher Wahr­schein­lich­keit die­se Vor­aus­set­zung zutrifft, wird nichts gesagt.

In der offi­zi­el­len deut­schen Über­set­zung des Zitats wur­de der Hin­weis weg­ge­las­sen, dass der mensch­lich erzeug­te Tem­pe­ra­tur­an­stieg eine Schät­zung ist und nicht etwa eine auf wahr­schein­lich ± 0,2 °C genaue Messung:

Mensch­li­che Akti­vi­tä­ten haben etwa 1,0 °C glo­ba­le Erwär­mung gegen­über vor­in­dus­tri­el­lem Niveau ver­ur­sacht, mit einer wahr­schein­li­chen Band­brei­te von 0,8 °C bis 1,2 °C. Die glo­ba­le Erwär­mung erreicht 1,5 °C wahr­schein­lich zwi­schen 2030 und 2052, wenn sie mit der aktu­el­len Geschwin­dig­keit wei­ter zunimmt. (Hohes Ver­trau­en).5

Den letz­ten Satz im Zitat ver­wan­del­te die ARD-Tages­schau in fol­gen­de Worte:

Die Erde wer­de sich bei der der­zei­ti­gen Ent­wick­lung bereits gegen 2030 um 1,5 Grad im Ver­gleich zum vor­in­dus­tri­el­len Zeit­al­ter erwär­men […], heißt es in dem in Genf ver­öf­fent­lich­ten Bericht.6

Wie die zu Anfang zitier­te Aus­sa­ge von 2021 ent­hält die­se Behaup­tung kei­ne Wenn’s und Aber’s.

Wur­de mit der Aus­sa­ge von 2021 genau­so ver­fah­ren wie mit der von 2019?

Laut Ste­phen Schnei­der, einem um die Jahr­tau­send­wen­de inter­na­tio­nal ein­fluss­rei­chen Kli­ma­wis­sen­schaft­ler mit lei­ten­der Posi­ti­on im IPCC, ist es nötig, so zu verfahren:

[W]ie die meis­ten Men­schen wün­schen wir uns eine bes­se­re Welt, was sich in die­sem Zusam­men­hang in unse­ren Bemü­hun­gen um eine Ver­rin­ge­rung des Risi­kos eines poten­zi­ell kata­stro­pha­len Kli­ma­wan­dels wider­spie­gelt. Dazu brau­chen wir eine brei­te Unter­stüt­zung, um die Phan­ta­sie der Öffent­lich­keit anre­gen zu kön­nen. Das bedeu­tet natür­lich eine Men­ge Medien­bericht­erstattung. Wir müs­sen also beängs­ti­gen­de Sze­na­ri­en anbie­ten, ver­ein­fach­te, dra­ma­ti­sche Aus­sa­gen machen und Zwei­fel, die wir haben könn­ten, kaum erwäh­nen. Die­se »ethi­sche Dou­ble-Bind-Situa­ti­on«, in der wir uns häu­fig befin­den, lässt sich durch kei­ne For­mel lösen. Jede:r von uns muss ent­schei­den, wel­ches das rich­ti­ge Gleich­ge­wicht ist zwi­schen effek­tiv sein und ehr­lich sein. Ich hof­fe, das bedeu­tet, bei­des zu sein.7

Unter Erwach­se­nen, also sich, ver­hal­ten sich Wis­sen­schaft­le­rin­nen8 anders. Wenn sie ihre For­schungs­er­geb­nis­se einem wis­sen­schaft­li­chen Publi­kum unter­brei­ten, sind sie im All­ge­mei­nen mit der Auf­stel­lung von Behaup­tun­gen sehr vor­sich­tig. Sie erläu­tern lang und breit, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen und mit wel­chen Wahr­schein­lich­kei­ten ihre Aus­sa­gen zutref­fen. Für Fach­ge­biets­frem­de – Nicht­wis­sen­schaft­le­rin­nen oder auch Wis­sen­schaft­le­rin­nen ande­rer Fach­ge­bie­te – sind die­se Erläu­te­run­gen und die Aus­sa­gen selbst oft schlecht bis nicht zu verstehen.

Zur Erzeu­gung von Aus­sa­gen, die Men­schen ohne Fach­wis­sen als zutref­fend oder unzu­tref­fend beur­tei­len zu kön­nen mei­nen, müs­sen wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen trans­for­miert wer­den. Die Trans­for­ma­ti­on in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen füh­ren Wis­sen­schaft­le­rin­nen, Jour­na­lis­tin­nen, Schul­buch­au­torin­nen, Fern­seh­pro­fes­so­rin­nen und ande­re Leu­te mehr durch. Außer an der Sache sel­ber ori­en­tie­ren sie sich dabei an allem Mög­li­chen: an ihrer Moral; an ihrer eige­nen Mei­nung; am Vor­ver­ständ­nis, das sie beim Publi­kum ver­mu­ten; an dem, was all­ge­mein gesagt und nicht gesagt wer­den darf; an poli­ti­schen Zie­len; an Geld und Kar­rie­re­aus­sich­ten; an Unter­richts­plä­nen; an der Funk­ti­ons­wei­se von Massenmedien …

Was Men­schen ohne Fach­wis­sen als zutref­fend oder unzu­tref­fend beur­tei­len, sind kei­ne wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen, son­dern Trans­for­ma­tio­nen wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen. Vie­len von uns ist das nicht bewusst. Vie­le machen erst gar kei­nen Unter­schied zwi­schen wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen und all­ge­mein­ver­ständ­li­chen Aus­sa­gen. Ande­re glau­ben, die Trans­for­ma­ti­on wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen in eine für sie beur­teil­ba­re Aus­sa­ge sei ein ein­fa­cher Vor­gang – ledig­lich eine Art Über­set­zung, wie etwa von Eng­lisch nach Deutsch.

Der Glau­be an die Ein­fach­heit des Trans­for­ma­ti­ons­vor­gangs beruht in der Regel dar­auf, dass die­je­ni­gen, die die­sen Glau­ben hegen, die wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen, aus denen all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen erzeugt wur­den, nicht kennen.

Bei vie­len The­men ist eine Unter­schei­dung zwi­schen wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen und deren Trans­for­ma­tio­nen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen ziem­lich unwich­tig. Für die wenigs­ten von uns hat es bei­spiels­wei­se prak­ti­sche Kon­se­quen­zen, wenn wir an eine Anzie­hungs­kraft glau­ben, die bewirkt, dass Din­ge zu Boden fal­len. Um nicht ohne Not aus dem fünf­ten Stock eines Wohn­hau­ses zu sprin­gen, brau­chen wir nichts über Raum­zeit­krüm­mun­gen oder Gra­vi­to­ne zu wis­sen. Bei The­men wie Coro­na oder Kli­ma kann die Unter­schei­dung zwi­schen wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen und deren Trans­for­ma­tio­nen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen lebens­wich­tig sein. Dazu ein Beispiel:

Pro Jahr ster­ben schät­zungs­wei­se 600.000 Men­schen ver­früht an der Luft­ver­schmut­zung in Innen­räu­men, weil ihnen Gas- oder Strom­ver­sor­gung zum Kochen feh­len.9 Zur Finan­zie­rung der Ein­rich­tung von Gas- und Strom­ver­sor­gun­gen sind Regie­run­gen ärme­rer Län­der bis­lang noch weit­ge­hend auf Kre­di­te der Welt­bank ange­wie­sen. Hier erhal­ten sie, grob zusam­men­ge­fasst, abzahl­ba­re lang­fris­ti­ge Kre­di­te im Aus­tausch dafür, dass sie die Wirtschafts‑, Sozi­al- und Umwelt­schutz­po­li­ti­ken ihrer Län­der an den Vor­ga­ben der Regie­run­gen der G7-Staa­ten aus­rich­ten. Bei der Kre­dit­ver­ga­be kommt es zu einer Abwä­gung zwi­schen Kli­ma­schutz und Gas- bzw. Strom­ver­sor­gung. Eine Zei­tung berich­te­te über die Weltbank:

In einer Erklä­rung […] kün­dig­te die Bank […] an, dass sie »ab 2019 kei­ne Neu­ge­win­nung von Öl und Gas mehr finan­zie­ren wird«. […] Unter außer­ge­wöhn­li­chen Umstän­den, sag­te die Bank, wer­de sie eine Kre­dit­ver­ga­be für Öl- und Gas­pro­jek­te in den ärms­ten Län­dern in Betracht zie­hen, aber nur dort, wo sie den Armen den Zugang zu Ener­gie ermög­licht und das Pro­jekt nicht im Wider­spruch zu den Ver­pflich­tun­gen zur Redu­zie­rung der Treib­haus­ga­se steht, die im Pari­ser Kli­ma­schutz­ab­kom­men von 2015 ein­ge­gan­gen wur­den.10

Nach den vor­an­ge­gan­ge­nen Bemer­kun­gen zu urtei­len, scheint die Recht­fer­ti­gung dafür, die Lebens­zeit von Men­schen für Kli­ma­schutz­ver­pflich­tun­gen oder auch für bis­her noch nicht­mal in rei­chen Län­dern rea­li­sier­te Vor­stel­lun­gen über nicht-fos­si­le Ver­sor­gungs­mög­lich­kei­ten zu opfern, auf einer Ver­knüp­fung hoher Team-Ein­mü­tig­keit mit mitt­le­ren oder beschränk­ten Nach­weis­bar­kei­ten oder auf einer mitt­le­ren Team-Ein­mü­tig­keit mit hoher Nach­weis­bar­keit zu beruhen.

Ein­rich­tun­gen wie die Welt­bank wer­den ihre Ent­schei­dun­gen kaum nach sol­chen Recht­fer­ti­gun­gen aus­ri­chen. Eher könn­te es ihnen um eine wei­te­re Ver­zö­ge­rung der Indus­tria­li­sie­rung spe­zi­ell in Afri­ka gehen, damit das pro­duk­ti­ve Kapi­tal der G7-Staa­ten nicht noch mehr Kon­kur­renz bekommt und wei­ter­hin Roh­stof­fe bil­lig ein­kau­fen kann.

Wenn Medi­en, Regie­run­gen oder Orga­ni­sa­tio­nen, auch oppo­si­tio­nel­le, all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen als wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen aus­ge­ben, ist Vor­sicht gebo­ten. Die Dar­stel­lung all­ge­mein­ver­ständ­li­cher Aus­sa­gen als wis­sen­schaft­lich zeugt ent­we­der von miss­bräuch­li­cher Dumm­heit oder von einer Absicht, Vor­ha­ben zu recht­fer­ti­gen, die ohne pseu­do-wis­sen­schaft­li­che Begrün­dung nicht durch­setz­bar oder mora­lisch ver­werf­lich wären. Pseu­do-wis­sen­schaft­li­che Begrün­dun­gen die­nen dem Ersatz demo­kra­ti­scher Abstim­mun­gen. Sie stel­len die gegen­wär­tig ein­zi­ge und mensch­heits­ge­schicht­lich hof­fent­lich letz­te Mög­lich­keit dar, die Besei­ti­gung und das Nicht­ent­ste­hen­las­sen nicht-auto­ri­tä­rer gesell­schaft­li­cher Ent­schei­dungs­pro­zes­se zu rechtfertigen.

Der Glau­be an die Ein­fach­heit des Trans­for­ma­ti­ons­vor­gangs wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen ist eine ideo­lo­gi­sche Fal­le. Er bringt Fach­ge­biets­frem­de dazu, den Trans­for­ma­ti­ons­vor­gang nicht zu über­prü­fen, weil es dies­be­züg­lich ihrer Mei­nung nach nichts zu über­prü­fen gibt. Er ermög­licht es, Wis­sen­schaft­le­rin­nen, die Trans­for­ma­tio­nen wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen anzwei­feln, als Leug­ne­rin­nen wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen zu dif­fa­mie­ren. Er för­dert auto­ri­tä­re poli­ti­sche Verhältnisse.

Die bestehen­den gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se mit ihrem von Macht- und Pro­fit­in­ter­es­sen durch­setz­ten Medien‑, Wissenschafts‑, Polit- und Wirt­schafts­be­trieb sind nicht dazu geeig­net, einen sach­lich ange­mes­se­nen Trans­for­ma­ti­ons­vor­gang wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen her­vor­zu­brin­gen. Mit den wach­sen­den tech­no­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten der Mensch­heit wird die­se Nicht­eig­nung zuneh­mend gefährlicher.

Ohne Prü­fung zumin­des­tens des Trans­for­ma­ti­ons­vor­gangs kli­ma­wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen sind unse­re Posi­tio­nen zum Kli­ma unver­meid­li­cher­wei­se unwis­sen­schaft­lich. Wir hal­ten sie auf­grund eines unwis­sen­schaft­li­chen Glau­bens für wis­sen­schaft­lich – entweder

  • eines Glau­bens an die Ein­fach­heit des Trans­for­ma­ti­ons­vor­gangs oder
  • eines Glau­bens, kli­ma­wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen sei­en das­sel­be wie all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen zum Kli­ma, oder
  • eines Glau­bens an Behaup­tun­gen von Men­schen bzw. Orga­ni­sa­tio­nen, denen wir eine sach­lich ange­mes­se­ne Trans­for­ma­ti­on kli­ma­wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen zutrau­en, oder auch
  • eines Glau­bens, durch Pro­pa­gan­da nicht mani­pu­liert wer­den zu können.

Der Trans­for­ma­ti­ons­vor­gang wis­sen­schaft­li­cher Aus­sa­gen in all­ge­mein­ver­ständ­li­che Aus­sa­gen lässt sich meis­tens nur durch Lesen wis­sen­schaft­li­cher – und damit eng­li­scher – Tex­te prüfen.

Ledig­lich popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Sach­bü­cher oder ‑tex­te zu lesen genügt sel­ten. In der Regel ist in popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Dar­stel­lun­gen der Trans­for­ma­ti­ons­vor­gang bereits durch­ge­führt. Dadurch ent­steht der Ein­druck, über das Wesent­li­che Bescheid zu bekom­men, ohne in wis­sen­schaft­li­chen Details her­um­wüh­len zu müs­sen. Manch­mal bekom­men wir durch gute Sach­bü­cher tat­säch­lich über das Wesent­li­che Bescheid. Aber wie könn­ten wir beur­tei­len, ob das der Fall ist? Die wenigs­ten popu­lär­wis­sen­schaft­li­chen Dar­stel­lun­gen beschrei­ben die Trans­for­ma­ti­ons­vor­gän­ge sel­ber, so dass sie den Lesen­den einen kri­ti­schen Zugang zu den trans­for­mier­ten wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen ermög­li­chen würden.

Natür­lich kön­nen wir uns den Prü­fungs­auf­wand spa­ren, wenn wir ein The­ma nicht so wich­tig fin­den, oder müs­sen das sogar, wenn die Zeit nicht reicht oder uns etwas dar­an hin­dert, feh­len­de Fähig- und Fer­tig­kei­ten mit Zusam­men­ar­beit und Werk­zeu­gen wie DeepL aus­zu­glei­chen. In bei­den Fäl­len ist es – solan­ge kei­ne grund­le­gen­den Ände­run­gen der gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se statt­ge­fun­den haben – ange­bracht, sich ent­we­der kei­ne Mei­nung zu einem The­ma zu bil­den, das wis­sen­schaft­li­che Kennt­nis­se erfor­dert, oder die eige­ne Mei­nung zu die­sem The­ma als wis­sen­schaft­lich unfun­diert zu betrachten.

Die­se Serie ist als Anre­gung gemeint, sich trotz der wid­ri­gen Umstän­de auf der Basis von All­ge­mein­wis­sen einen kri­ti­schen Zugang zu den trans­for­mier­ten kli­ma­wis­sen­schaft­li­chen Aus­sa­gen zu erar­bei­ten, mit denen wir seit Jah­ren im All­tag bom­bar­diert werden.

In der nächs­ten Fol­ge wird es um die Aus­sa­ge gehen: Heu­ti­ge Tem­pe­ra­tu­ren sind im Ver­gleich zu den letz­ten 2000 Jah­ren außergewöhnlich.

Ver­wei­se

1 IPCC (offi­zi­el­le Über­set­zung): Kli­ma­wan­del 2021 – Natur­wis­sen­schaft­li­che Grund­la­gen – Zusam­men­fas­sung für die poli­ti­sche Ent­schei­dungs­fin­dung, S. SPM‑7; Quel­len­an­ga­be nach »Zitier­vor­schrift«: IPCC, 2021: Zusam­men­fas­sung für die poli­ti­sche Ent­schei­dungs­fin­dung. In: Natur­wis­sen­schaft­li­che Grund­la­gen. Bei­trag von Arbeits­grup­pe I zum Sechs­ten Sach­stands­be­richt des Zwi­schen­staat­li­chen Aus­schus­ses für Kli­ma­än­de­run­gen [Masson-Del­mot­te, V., P. Zhai, A. Pira­ni, S.L. Con­nors, C. Péan, S. Ber­ger, N. Caud, Y. Chen, L. Gold­farb, M.I. Gomis, M. Huang, K. Leit­zell, E. Lon­noy, J.B.R. Matthews, T.K. May­cock, T. Water­field, O. Yelek­çi, R. Yu, and B. Zhou (eds.)]. In Druck. Deut­sche Über­set­zung auf Basis der Druck­vor­la­ge, Okto­ber 2021. Deut­sche IPCC-Koor­di­nie­rungs­stel­le, Bonn; Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Kli­ma­schutz, Umwelt, Ener­gie, Mobi­li­tät, Inno­va­ti­on und Tech­no­lo­gie, Wien; Aka­de­mie der Natur­wis­sen­schaf­ten Schweiz SCNAT, Pro­Clim, Bern, Febru­ar 2022

Ori­gi­nal-Satz: »Human influence has war­med the cli­ma­te at a rate that is unpre­ce­den­ted in at least the last 2000 years« (IPCC: Cli­ma­te Chan­ge 2021 – The Phy­si­cal Sci­ence Basis | Sum­ma­ry for Poli­cy­ma­kers, S. 6) – Mit »rate« kann auch die Anstiegs­steil­heit der Tem­pe­ra­tu­ren gemeint sein, nicht unbe­dingt die Höhe der Temperaturen.

2 IPCC: Glo­bal warm­ing of 1.5 °C, S. 4. Alle eng­lisch­spra­chi­gen Quel­len in die­sem Text wur­den unau­to­ri­siert über­setzt.

5 Deut­sche IPCC-Koor­di­nie­rungs­stel­le: IPCC-Son­der­be­richt über 1,5°C glo­ba­le Erwär­mung, S. 2

7 Ste­phen H. Schnei­der: Detroit News Edi­to­ri­al Respon­se, 5 Decem­ber, 1989, P. 10A.Rebuttal: News Plays Fast and Loo­se With the Facts – Selbst­zi­tat im Rah­men einer Gegen­dar­stel­lung zu einem Zitat aus einem Inter­view im Dis­co­ver Maga­zi­ne, Octo­ber 1989

8 Um nicht das anti­pa­tri­ar­cha­le Kind mit dem pseu­do-anti­pa­tri­ar­cha­li­schen Bade der Regie­rung aus­zu­schüt­ten, ver­wen­de ich das gene­ri­sche Femi­ni­num. Män­ner sind natür­lich meis­tens inbe­grif­fen: Wis­sen­schaft­lerinnen.

10 Lar­ry Elli­ot: World Bank to end finan­cial sup­port for oil and gas extra­c­tion. Guar­di­an 12.12.2017

Bild: Mikhail Kana­yan »Theo­re­ti­ker« 1965 (https://t.me/SocialRealm)

3 thoughts on “Klei­ne lin­ke Kli­ma­se­rie (I): Wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­gen im Unter­schied zu all­ge­mein­ver­ständ­li­chen Aussagen

  1. Was soll der Arti­kel aus­sa­gen? Kei­ne Fak­ten, kei­ne Unter­su­chung der Metho­de usw. Schwa­cher Beitrag.

    Der herr­schen­de Kli­ma­alar­mis­mus ist unwis­sen­schaft­li­cher Unsinn. Er ist eine bür­ger­li­che Ideo­lo­gie, die den Ver­wer­tungs­in­ter­es­sen bestimm­ter Kapi­tal­frak­tio­nen, den Herr­schafts­in­ter­es­sen und den Steu­er­ein­nah­men des Staa­tes die­nen. Es gibt zu die­sem The­ma auf http://​www​.auf​ruhr​ge​biet​.de sehr vie­le Bei­trä­ge zum The­ma, u.a. die­sen: https://​auf​ruhr​ge​biet​.de/​?​s​=​m​e​t​h​o​d​o​l​o​g​i​e​+​d​e​r​+​k​l​i​m​a​w​i​s​s​e​n​s​c​h​a​f​t​+​&​a​p​b​c​t​_​_​e​m​a​i​l​_​i​d​_​_​s​e​a​r​c​h​_​f​o​r​m​_​9​310=

    1. Es ist eine Serie. Die Fak­ten wer­den in wei­te­ren Fol­gen nach und nach durch­ge­rüt­telt. Der Glau­be an wis­sen­schaft­li­che Fak­ten ist Teil des Pro­blems. Pre­di­gen eines rech­ten Glau­bens an wah­re Fak­ten führt nicht aus einem unkri­ti­schen Zugang zur Wis­sen­schaft heraus.

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