Linke Freund:innen, wo bleibt Ihr?

August 2022, nach zweieinhalb Jahren Corona‐Maßnahmen

Wir kennen uns lange und wir haben schon viele Aktionen gemeinsam hinter uns. Auf der Straße, bei der Arbeit, in Gremien, im Freund:innenkreis, bei Gesprächen und bei der politischen Arbeit im weitesten Sinne. Wir stehen für die gleichen Werte ein. Auch heute noch, davon bin ich überzeugt.

Seit nunmehr fast zwei Jahren warte ich darauf, dass Ihr Euch systemkritisch zu Wort meldet und bin mal enttäuscht, mal entsetzt, mal tieftraurig, weil wir unterschiedliche Wege genommen und uns offenbar kaum mehr etwas zu sagen haben – auch wenn wir alle sicher weiterhin die besten Absichten haben und alle mit dem Ziel unterwegs sind, Solidarität als wichtige Grundhaltung zu leben.

Im Frühjahr 2020 schien es mir noch plausibel, dass die Regierung angesichts eines gefährlichen Virus’ und einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems alles herunterfährt. Dann fing ich an, mich über die panikartige Berichterstattung in den Medien und ebensolche Aussagen aus der Politik zu wundern. Ein später dekorierter »Top‐​Wissenschaftler« sagte in seinem Podcast, man wisse zwar nichts, aber es werde auf jeden Fall richtig schlimm. Die präsentierten kumulativen Zahlen waren absolute Zahlen ohne Relation zu irgendeiner Größe. Es waren Bullshitzahlen. In Sachsen wurden die Schulen geschlossen als in Bayern die Zahlen hoch waren. Das Medienstakkato wurde unerträglich und kam mir vor wie Propaganda im Dauerbeschuss.

Mein Onkel, der dement in einem Pflegeheim lebte und bis dato täglich von seinen Kindern und Freunden besucht worden war, durfte nicht mehr besucht werden. Meine Cousine sagte, sie sei sicher, dass er lieber Besuch haben würde, als vereinsamt vielleicht etwas länger zu leben. Als sie nach vielen Wochen wieder zu ihm durften, hatte er massiv abgebaut und erkannte sie nicht mehr. Er starb kurz danach. Er war nie gefragt worden, was er selbst möchte.

Ich fing an zu recherchieren. Alle schienen EINER Meinung zu sein. Die Maßnahmen wurden verlängert, die Panik weitergetrieben, die präsentierten Zahlen waren weiterhin unseriös, da noch immer ohne Bezugsgrößen. Ich war immer weniger überzeugt.

In den sogenannten alternativen Medien, an die ich mich schließlich wagte, denn sie waren bis dahin für mich ein No‐​Go, fand ich tatsächlich alternative Sichtweisen. Verschiedenes: aus wirtschaftsliberaler, aus esoterischer Richtung, aus alternativmedizinischer, aus evidenzbasierter, aus bürgerlicher und rechter, aber schließlich endlich auch aus linker kapitalismuskritischer Sicht (Clemens Heni war da für mich der erste) und immer mehr aus fundierter medizinischer, sozialwissenschaftlicher, statistischer und allgemein investigativer Richtung – ich entdeckte eine ganze Welt voller wirklich interessanter und guter Arbeit, die mir vorher verborgen war. Klar musste ich filtern und sichten, aber das ist bei den »Qualitätsmedien« ja keinesfalls anders. Ich lernte by doing Medienkompetenz wie nie zuvor. Ich puzzelte mir in monatelanger Medien‐ und Quellenarbeit Infos zusammen und stellte diese immer wieder auf den Prüfstand. Immer in derHoffnung, dass es sich bei der Krisenpolitik einfach um schlechte Arbeit und vereinzelte Fehler handelt, denn was läuft schon perfekt und in einer Krise muss eben manchmal schnell gehandelt werden. Irgendwann aber zu dem Schluss kommend, dass hier offenbar systematisch Panik erzeugt, überzogene Maßnahmen gefahren und freiheitlich demokratische Strukturen und Kultur geschliffen werden. Und das auf einer nicht annähernd überzeugenden Datenbasis.

Meine Versuche, darüber mit euch, meine linken Freund:innen, ins Gespräch zu kommen, scheiterten. Ich kann nur mutmaßen, woran das liegt. Ich denke, jede:r von uns hat eine Sehnsucht nach einer solidarischen Gesellschaft. Und zum ersten Mal hat dieser Staat gesagt, wir müssen jetzt radikal solidarisch sein. Hat die Wirtschaft hinten angestellt. Hat endlich auf die Wissenschaft gehört. Hat die Vulnerablen in der Gesellschaft für wichtig erachtet. Außerdem hat nicht jede:r die Zeit zur Recherche neben einem anstrengenden Alltag und fühlt sich durch die vertrauten Medien doch einigermaßen gut informiert.

Aber sollte sich der Staat tatsächlich auf einmal neu ausgerichtet haben und das Wohl der Menschen über andere Interessen stellen? Dieser Staat, der akzeptiert, dass Flüchtende im Mittelmeer durch Pushbacks begrüßt werden und ertrinken? Dieser Staat, der die NSU Akten für 120 Jahre unter Verschluss halten wollte (was auf »nur« 30 Jahre abgesenkt wurde)? Dieser Staat, der alte Menschen Flaschen sammeln und in Heimen schlecht ernährt wund liegen lässt? Dieser Staat fährt auf einmal alles herunter, um »Vulnerable« zu schützen?

Ich sehe Schäden, die die Maßnahmen anrichten, gerade bei Vulnerablen. Bei Kindern, Jugendlichen und Alten, bei ökonomisch Benachteiligten, bei Müttern, bei denen, die nicht der »Laptopklasse« angehören, bei Migrant:innen, bei psychisch Erkrankten und im globalen Süden bei Menschen mit informellen Einkommen. Schon wer nur über solche Effekte sprechen will, wird abgewehrt und diffamiert. Keine Möglichkeit, darüber ins Gespräch zu kommen. Muss jetzt halt so sein. Ist nicht so schlimm, Resilienz und so. Von euch hörte ich kaum etwas dazu. Ihr scheint völlig beschäftigt damit, die Maßnahmen korrekt umzusetzen und gegen Kritiker:innen zu demonstrieren.

Der Newsletter vom Antidiskriminierungsbüro erklärt mir, dass 2G, und damit der Ausschluss von Menschen ohne Corona‐​Impfung (»Ungeimpfte«) keine Diskrimierung sei. Auf einer eurer Gegendemos sehe ich ein rosa‐​hellblaues Banner »Impfen ist Liebe«, das aussieht, als käme es aus der PR‐​Abteilung eines Pharmakonzerns. Dahinter Ihr mit hasserfüllten Blicken und Parolen. Ich sehe euch mit FFP2 Maske, draußen alleine auf der Straße oder im Wald spazieren und würde gerne wissen, ist es Selbst‐ oder Fremdschutz oder die Möglichkeit für ein politisches Statement?

In der maßnahmenkritischen Bewegung, mit der ich auch Kontakt hatte, kam ich mir manchmal fremd vor. Ich konnte mit meiner Sicht auf die Dinge oft nur in Teilen mit den anderen Menschen Austausch finden. Gleichzeitig hat mich die Vielfältigkeit dieser Szene fasziniert, die kaum auf einen Nenner zu bringen ist. Und ich habe gemerkt, dass auch die anderen suchen, sich informieren, ein ausgeprägtes Gespür für Ungerechtigkeiten und Doppelmoral haben und sich (manchmal unbeholfen, oft treffend und witzig) kritisch äußern. Und ich muss erkennen, was wirklich mutiges Handeln bedeutet. Was es heißt, sich gegen einen gesellschaftlichen Konsens aufzulehnen und dafür mit Gülle von Medien, Politik und Gesellschaft beworfen und von links als Nazis bekämpft zu werden. Was für eine Verharmlosung von Nationalsozialismus und von heutigen rechten Akteuren es ist, die Protestierenden pauschal als Nazis zu beschimpfen, wobei wir uns gegen die echten weiter alle entschieden wehren müssen. Wisst ihr noch, was die wollen und tun? Ist es schön einfach, sich an den neuartigen »Nazis« abzuarbeiten und sich heroisch zu fühlen? Dass auch echte Rechte dabei stehen, gefällt auch mir nicht. Aber haben wir Linke nicht diese Lücke gelassen, die dort gefüllt wurde? Wenn WIR mit den Menschen gestanden hätten, wäre dieser Raum nicht gewesen.

Es war für mich in der Vergangenheit immer leicht, politisch Gesicht zu zeigen. Ich war auf der Seite der »Guten«. Verachtung ist mir dafür kaum begegnet. Wenn sich sogar Leute aus der Bundespolitikebene und der SPD (!) als Antifa bezeichnen, wie Saskia Esken, fand ich das zwar etwas merkwürdig, aber jedenfalls musste ich nicht mutig sein, um meine Meinung auf die Straße zu tragen in diesen Zeiten hier bei uns. Nicht bei Antiatomkraftdemos, Friedensmärschen, Antikriegsdemos beim Irakkrieg und schon gar nicht bei FFF, bei den Demos gegen Pegida oder Critical Mass Fahrradkorsos. Die Regierung war d’accord und die Presse schrieb wohlwollend.

Ich lerne: gegen die Mehrheit zu sein, Shitstorm auszuhalten, sich diffamieren zu lassen – DAS erfordert Mut. Es ist ja nicht so, dass die Mehrheit immer richtig liegt, das haben wir ja nun schon schmerzhaft gelernt als Gesellschaft in der Vergangenheit. Mehrheit heißt erstmal gar nichts. Und Mehrheit kann auch den Trugschluss verstärken, richtig zu sein obwohl die Masse irrt. In der Masse marschiert sich’s gut. Obwohl ich das weiß, fällt es mir schwer, das Alleinestehen auszuhalten. There is no glory in resistance.

Ich denke, es ist gerade eine unserer dringenden Aufgaben als Linke in dieser Krise, die regierungs‐ oder maßnahmenkritischen Menschen von links abzuholen und sie nicht den Rechten zu überlassen. Denn von links kommen die richtigen und wichtigen Antworten auf einen autoritären kapitalistischen Staat, der von Konzernen in seinen Strukturen unterwandert ist und mit Stiftungen und NGOs gegen die eigentlichen Interessen der Menschen arbeitet, begleitet von einer riesigen PR‐​Maschine, die uns das Lied von der Solidarität spielt. Wir Linken sollten misstrauisch und kritisch bleiben und gegen die Mächtigen zusammenstehen und uns nicht ablenken, einlullen und verleiten lassen, gegen die arbeitende Bevölkerung außerhalb der Laptopklasse und gegen Kleingewerbetreibende vorzugehen, die unbedingt unsere Unterstützung – und ja, unsere Solidarität – brauchen.

Nach Monaten der politischen Einsamkeit mit meinen Zweifeln, Irritationen, Fragen war ich froh, mit den Freien Linken endlich klar links denkende Menschen zu finden, die ebenfalls, wie ich, früher oder später Zweifel an der autoritären politischen Linie bekommen hatten und bereit waren, alles zu überprüfen und zu hinterfragen. Die den autoritären Kurs beklagen. Die sehen können, wie hier um uns ein schlüsselfertiges Überwachungs‐ und Kontrollsystem aufgebaut wird, welches nur noch scharf gestellt werden muss. Was uns als notwendig und alternativlos – und solidarisch – verkauft wird. Und Ihr, meine Freund:innen, hegt Ihr da auch manchmal Argwohn? Fühlt ihr euch jemals unbehaglich? Oder geht Ihr in die Bar, ins Café, in die Schwimmhalle ohne dass es euch wehtut, wenn Ihr überall euren QR‐​Code vorzeigt? Weil das jetzt nun mal so sein muss? Weil es alternativlos ist? Aus Solidarität?

Jetzt hat die nächste Runde im Krisenkapitalismus begonnen: wieder wird alarmierend gesprochen und wieder werden eindeutige Feindbilder erzeugt, undifferenzierte »Wahrheiten« eingehämmert und zur unbedingten Solidarität aufgerufen und (zunächst sprachlich) eskaliert. »Frieren für den Frieden«, jetzt gibt es Putin‐​Maßnahmen, die wieder gerade den Vulnerablen lokal wie global schaden. Natürlich gilt unsere Solidarität den Menschen, die als Opfer geopolitischer Machtinteressen von Nato und Russland zu uns fliehen, das ist wichtig und richtig. Aber wir sollten das nicht alles kaufen und diese Massen»friedens»demos hinterfragen, auf denen zum Eingreifen der Nato, zum Töten von Putin, zu Waffenlieferungen in ein Krisengebiet aufgerufen wird. Wir linke Menschen sollten uns wieder leisten, uns aus dem Tabu einerseits und dem gesellschaftlichen Konsens andererseits zu befreien und uns erlauben, in den Blick zu nehmen, wessen Interessen hier bedient und vor welchen Karren wir gespannt werden.

Auch ich denke, dass wir nicht so weitermachen können und dürfen, wie wir bisher gewirtschaftet, gehandelt und gelebt haben. Auf Kosten des globalen Südens, der Ausbeutung von Umwelt und Menschen und einer zunehmend ungleicheren Gesellschaft. Aber ich weigere mich, zuzulassen, dass dieses Problem jetzt von den Konzernen mit einer »Agenda 2030« und Überwachungssystemen »gelöst« wird, die ganz sicher nicht die Interessen von uns Menschen auf diesem Planeten im Sinn, wohl aber hervorragende PR Abteilungen haben, die uns glauben machen, hier ginge es um Solidarität. Eine Impfpflicht, die einen europäischen digitalen Impfnachweis nach sich ziehen wird, bedeutet die Einführung eines Kontroll‐ und Überwachungssystems und damit das Ende des »freien Westens«. Es wäre naiv zu glauben, so etwas würde, einmal hochgezogen und etabliert, wieder abgebaut. Wir dürfen uns nichts vormachen lassen und müssen aktiv werden. QR‐​Codes und Impfpflicht sind Teil des Problems und nicht der Lösung, auch wenn es so schön und einfach wäre, mit Maskentragen, Impfen, Abstand und QR‐​Code vorzeigen die Welt zu verbessern. Wir dürfen nicht das Ende der Geschichte zulassen oder als Linke gar ermöglichen! Der Sack wird zugemacht, wenn wir uns nicht wehren!

Liebe linke Freund:innen, wenn auch Ihr vielleicht doch manchmal zweifelt, Ihr auch die politische und mediale Einheitlichkeit, spalterische Rhetorik oder die Kollateralentwicklungen hinterfragt, dann freue ich mich, wenn wir im Dialog und im Diskurs weiter unsere politische Erkenntnis voranbringen und wieder mehr Korrektiv sein können. Überhaupt Dialog: lasst ihn uns wieder führen. Einander zuhören, nachfragen, kritisieren, uns austauschen.

Oder fangt an, eure Kritik von linker Seite wieder auf Strukturveränderungen zu richten und arbeitet euch nicht an den Menschen ab, die die Maßnahmen und damit die Strukturen kritisieren, weil sie darunter leiden oder weil sie merken, dass diese Krise, wie jede andere in unserem System, dazu genutzt wird, Interessen voranzubringen, die nicht in unser aller Sinne sein können.So oder so, IHR FEHLT!

Bild: Korshew‐​Tschuwelew Geli Michailowitsch »Im Wartezimmer« 1957