Sowjetischer Umweltschutz in der Stalin-Ära

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MagMa veröffentlicht hier ein übersetztes Skript. Der Umstand, dass darin viele vorherrschende Vorstellungen in Frage gestellt werden, schien der Redaktion den Nachteil zu überwiegen, dass das Skript nicht gänzlich zu einem Artikel ausgearbeitet ist.

Einleitung

Es hält sich hartnäckig der Mythos, dass die UdSSR in der Stalin-​Ära besonders umweltfeindlich war. Die Forschungen des Historikers Stephen Brain entkräften diesen Mythos auf überzeugende Weise. Brain ist ein bürgerlicher Anti-​Stalin-​Historiker (der aufgrund seiner pro-​kapitalistischen Voreingenommenheit gewisse Fehler macht). Dennoch ist seine Hauptschlussfolgerung richtig und definitiv bewiesen: Stalins Regierung unterstützte eine stark umweltorientierte Politik.

Allerdings war der sowjetische Umweltschutz nicht die gleiche Art von liberal-​idealistischem Umweltschutz, wie er in kapitalistischen Ländern existierte. Er maß der Natur keinen inhärenten spirituellen oder übernatürlichen Wert bei. Auch ging es dem sowjetischen Umweltschutz nicht nur darum, natürliche Ressourcen zu bewahren, wie bei vielen westlichen Theoretikern der Fall. Stattdessen sah die UdSSR die natürliche Umwelt als etwas an, das für den Menschen einen wirtschaftlichen, psychologischen und ästhetischen Wert hat. Der sowjetische Umweltgedanke war mit dem tiefen Humanismus des sowjetischen Sozialismus verbunden. Die Sowjets verstanden, dass der Mensch nicht von der Natur getrennt, sondern ein Produkt der Natur und zutiefst mit ihr verbunden ist.

Stephen Brain schreibt dazu: »Der Umweltschutz überlebte und gedieh sogar in Stalins Sowjetunion, wobei er ein Schutzniveau erreichte, das weltweit seinesgleichen sucht.«(1)

Weiter legt er dar:

Die Sowjetunion hat in den 1940er Jahren mehr bewaldetes Land vor der Ausbeutung geschützt als jedes andere Land in der Geschichte. Dementsprechend kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Sowjetunion ein echtes und wirksames Umweltprogramm entwickelt hat. […] Stalin entpuppt sich als eine besondere Art von Umweltschützer […]. Seine Politik entzog Millionen von Hektar [Wald] der wirtschaftlichen Nutzung mit der Begründung, dies würde die Wasserverhältnisse in der Sowjetunion verbessern. Diese Millionen Hektar wurden mehr oder weniger unangetastet belassen. Das entsprach der Annahme, dass komplexe, wilde Wälder die Wasserströme am besten regulierten. Das lässt den Schluss zu, dass Stalins Politik konsequent auf den Umweltschutz ausgerichtet war – und aufgrund der Art und Weise, wie sie durchgeführt wurde, auch auf den Naturschutz.(2)

Stalin förderte auch aktiv den Umweltschutz in den Wäldern zum Nutzen des Staates und führte ein weltweit einmaliges Schutzniveau ein […]. Stalins Umweltpolitik verankerte in den Gesetzen die Annahme, dass gesundes Land bewaldetes Land sei und dass die Abholzung von Wäldern ernsthafte Umweltgefahren für das Modernisierungsprojekt des Staates darstellte, und zwar in Form von Dürren, Überschwemmungen, hydrologischen Störungen und Ernteausfällen […] In den letzten sechs Jahren von Stalins Regierungszeit erlangte der Waldschutz schließlich eine solche Bedeutung, dass das Politbüro dem Ministerium für Schwerindustrie die Kontrolle über die sowjetischen Wälder entzog und das nationale Büro für Waldschutz in die dominierende Position bei der Umsetzung der Politik erhob.(3)

Allerdings »wurden die Forstschutzbüros nach Stalins Tod zurückgefahren oder ganz abgeschafft.«(4) Dazu Brain: »Eine solche Behauptung stellt natürlich eine bedeutende Revision des bestehenden Konsenses über die sowjetische Umweltpolitik dar. Dieser besagt, dass Stalins Regierung Umweltinitiativen gegenüber unerbittlich feindlich eingestellt war.«(5)

»Der Konsens«

»Die Unzulänglichkeiten der sowjetischen Umweltpolitik [die tatsächlich in der revisionistischen Periode stattfanden, nicht in der Stalin-Ära/F.B.]«, so Brain weiter, « […] wurden zu der pauschalen Schlussfolgerung extrapoliert, die besagt, dass es in der Stalin-​Ära keinerlei Bewusstsein für den Naturschutz oder die Erhaltung der Natur gab«.(6)

Die Revisionisten haben in den 1960er, 70er und 80er Jahren tatsächlich Projekte durchgeführt, die sehr schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt hatten. Die sibirische Ölindustrie, die Gasindustrie und die Austrocknung des Aralsees durch die Revisionisten werden gewöhnlich als Beispiele genannt. In der Stalin-​Ära verfolgte die UdSSR jedoch eine völlig entgegengesetzte Politik. Es gibt keine Verbindung zwischen der umweltzerstörerischen Politik der Revisionisten und der marxistisch-​leninistischen Politik von Lenin und Stalin.

Unmittelbar nach der Oktoberrevolution hatte Lenin zur Verstaatlichung und Erhaltung der Wälder aufgerufen:

Wir müssen die Nationalisierung des gesamten Grund und Bodens fordern, das heißt den Übergang des gesamten Grund und Bodens im Staate in das Eigentum der zentralen Staatsmacht. Diese Staatsmacht muß den Umfang usw. des Umsiedlungsfonds festsetzen, sie muß die Gesetze über Forstschutz, Meliorationen usw. erlassen […].(7)

Lenin und Stalin setzten sich bereits in den 1920er Jahren für den Schutz der Umwelt ein: »Lenin und Stalin forderten auf Parteikonferenzen in den 1920er Jahren eine aggressive Aufforstung.«(8)

In der Zeit von Lenin und Stalin betonte die UdSSR jedoch, dass die Menschheit die Wissenschaft nutzen müsse, um die Produktion zu verbessern, Industrie, Elektrizität usw. aufzubauen. Es wurden Erklärungen abgegeben, in denen betont wurde, dass die Menschheit die Welt verändere. Diese Aussagen wurden dann zu angeblichen »Beweisen« für die sowjetische Feindseligkeit gegenüber der Natur verdreht:

In den späten 1980er Jahren hatten Forscher der sowjetischen Umweltgeschichte eine Reihe schwerwiegender Umweltprobleme in Russland dokumentiert, von denen viele ihre Wurzeln in der Stalin-​Ära hatten beziehungsweise zu haben schienen. Sowjetische prometheische Proklamationen aus den 1930er Jahren, wie Gorkis berühmtes Diktum ›Wenn der Mensch die Natur verändert, verändert er sich selbst‹ und Iwan Michurins Motto ›Wir können nicht auf Wohltaten der Natur warten; unsere Aufgabe ist es, sie ihr abzuringen‹, haben diese Sichtweise stark beeinflusst, ebenso wie Berichte über die gigantischen technischen Projekte des ersten Fünfjahresplans. Das Versäumnis, sinnvolle Emissionskontrollen zu verabschieden, wie sie im Westen in den 1960er Jahren eingeführt wurden, verstärkte den Eindruck der stalinistischen Naturfeindlichkeit.(9)

Ronald Sunys Diskussion über den ersten Fünfjahresplan ist ein repräsentativer Ausdruck für diese Interpretation: ›[…] Unempfindlichkeit gegenüber den Grenzen der Natur war auch für die kapitalistische Industrialisierung charakteristisch, aber in der Sowjetunion wurde die allgemeine ökologische Ignoranz durch die Angeberei der Kommunisten noch verstärkt […].« Diese Interpretation ist so dominant, dass Gegenbeweise sie nicht erschüttern konnten.(10)

Ronald Sunys Diskussion über den ersten Fünfjahresplan ist ein repräsentativer Ausdruck für diese Interpretation: ›[…] Unempfindlichkeit gegenüber den Grenzen der Natur war auch für die kapitalistische Industrialisierung charakteristisch, aber in der Sowjetunion wurde die allgemeine ökologische Ignoranz durch die Angeberei der Kommunisten noch verstärkt […].‹ Diese Interpretation ist so dominant, dass Gegenbeweise sie nicht erschüttern konnten.(11)

Stephen Brain zeigt in seinem Aufsatz, dass die so genannte »Konsensansicht« falsch ist. Folgende Grafik zeigt, dass die geschützten Wälder (Gruppe I+II) im Laufe der Zeit immer weniger abgeholzt wurden, obwohl die Gesamtholzernte ständig zunahm. Die Wälder der Gruppe I durften überhaupt nicht abgeholzt werden, und die Wälder der Gruppe II durften nur in nachhaltigem Umfang abgeholzt werden, was von der Sovnarkom [Rat der Volkskommissare der Sowjetunion/​Red.] genehmigt werden musste. Dies zeigt, dass die Sowjets dem Schutz dieser ökologisch wichtigen Wälder eindeutig Vorrang einräumten:

In Wirklichkeit war die UdSSR unter der Führung von Lenin und Stalin nicht unempfindlich gegenüber den Grenzen der Natur oder sogar naturfeindlich. Im Gegenteil: »Das stalinistische politische und wirtschaftliche System brachte bedeutende wirtschaftliche und politische Opfer im Interesse des Umweltschutzes.«(12)

Brain führt zahlreiche Beispiele von Forschern an, die darauf hinwiesen, dass die UdSSR in den 1970er Jahren verschmutzt war und dafür die Schuld auf Stalin schoben. Brain sagt, dass die anspruchsvollste Version der Konsensmeinung – vertreten von Douglas Weiner – besagt, dass es in der Lenin-​Ära einen gewissen Naturschutz in Form von nichtstaatlichen wissenschaftlichen Naturschutzstationen gab, was die Behauptung widerlegt, dass es überhaupt keinen Umweltschutz gab. Da diese nichtstaatlichen Schutzgebiete jedoch in der Stalin-​Ära abgeschafft wurden, als der Sozialismus aufgebaut wurde, behauptete Weiner, dies beweise, dass der »Stalinismus« dem Umweltschutz völlig feindlich gegenüberstehe. Diese Behauptung ist unzutreffend. Die Naturschutzgebiete der Lenin-​Ära beweisen, dass Lenin dem Umweltschutz nicht feindlich gesinnt war. In der Stalin-​Ära wurden die nichtstaatlichen Naturschutzgebiete nur deshalb abgeschafft, weil sie durch noch mächtigere staatliche Umweltschutzmaßnahmen und staatlich kontrollierte Naturschutzgebiete ersetzt wurden.

Es stimmt, dass es in der UdSSR keine Emissionskontrollen gab, wie sie die Länder heute haben. Das wird manchmal als Kritik an der UdSSR verwendet, aber dieses Argument ist unlogisch. In jenen Jahren gab es in keinem Land Emissionskontrollen, und es gab praktisch in keinem kapitalistischen Land überhaupt nennenswerte Umweltschutzmaßnahmen oder Gesetze: »Vor den 1960er Jahren existierte das Umweltrecht nicht als eigenständige nationale und internationale Rechtskategorie.«(13)

Außer vielleicht in der UdSSR, wie wir in diesem Artikel noch sehen werden.

»Das Umweltrecht ist“ nach Tarlock „ein Nebenprodukt des Aufstiegs des Umweltschutzes als politische Kraft in der Welt [erst] seit den 1960er Jahren«.

Zum Vergleich: Die US-​Umweltschutzbehörde wurde erst 1970 gegründet. In der kapitalistischen Welt gab es kein Konzept oder Verständnis für die Biosphäre als etwas, das geschützt werden musste: »Die wissenschaftlich begründete Vorstellung, dass die Biosphäre ein fragiles System ist, das anfällig für vom Menschen verursachte Beeinträchtigungen ist, setzte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch.«(14)

Die Idee der Biosphäre wurde allerdings in der UdSSR von dem Wissenschaftler W. I. Wernadski, einem Schüler von W. W. Dokuchajew, entwickelt. Die Idee, dass die Natur zerbrechlich ist und durch menschliches Handeln geschädigt werden kann, wurde bereits von Dokuchaev und in der Sowjetzeit von vielen seiner Schüler, wie zum Beispiel V. R. Williams, erforscht und vorangetrieben. Wernadski arbeitete seine Ansicht in seinem Buch Die Biosphäre aus, das 1943 mit dem Stalinpreis ausgezeichnet wurde.

Antikommunisten haben diese Wissenschaftler jedoch stets abgetan oder kennen sie schlichtweg nicht. Infolgedessen verbreiten sie die Auffassung, dass die Sowjetunion unter Stalin dem Umweltschutz und nachhaltigen Praktiken feindlich gegenüberstand:

Diese Interpretation ist so beherrschend, dass sie auch durch Gegenbeweise nicht erschüttert werden konnte: William Husbands jüngste Untersuchung der sowjetischen Kinderliteratur aus der Stalin-​Ära zeigte beispielsweise eine Vielzahl kodierter Einstellungen zur Natur, wobei eine ›kleine, aber signifikante Anzahl‹ von Büchern die Natur auf eine nicht konträre Weise darstellte. Für Husband deuten solche sympathischen Darstellungen der Natur jedoch nicht auf eine komplexere Haltung gegenüber der Umwelt hin, sondern stellen lediglich ein Versagen des Totalitarismus dar: ›Die Literatur der stalinistischen Ära‹, schreibt er, ›entzog sich der von der Diktatur angestrebten Hegemonie und zeigte damit eine wichtige Grenze der politischen Kontrolle in der UdSSR auf‹. Obwohl der englische Gelehrte Jonathan Oldfield vor kurzem auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, dass Wissenschaftler sich ›zielstrebig über ein breites Verständnis des sowjetischen Umwelterbes hinausbewegen‹, um eine ›Tendenz zu allzu groben Interpretationen der sowjetischen Umweltzerstörung‹ einzudämmen, bleibt der Konsens im Grunde unangefochten.(15)

Es gibt auch Beispiele, in denen die ästhetischen und psychologischen Vorteile der Wälder erörtert werden:

So heißt es in einem Leitartikel der Zeitschrift Lesnaia zhizn i khoziaistvo (Leben und Bewirtschaftung der Wälder) vom Dezember 1917, dass ›der Wald seit jeher einen enormen positiven Einfluss auf die Psyche und das geistige Vermögen der Menschen hat‹, und in der Rede eines Delegierten auf einer Waldkonferenz im Januar 1949 wird behauptet, dass ›der Wald eine enorme moralische Kraft für unser Land darstellt‹.(16)

Geschichte der Umweltgesetze in der UdSSR

Der katastrophale Kahlschlag der russischen Wälder begann während des Ersten Weltkriegs. Aufgrund der schrecklichen Armut und der Erfordernisse der Kriegsanstrengungen wurde er während des Kriegskommunismus (1918 – 1921) fortgesetzt. Während des Kriegskommunismus entwarfen die Bolschewiki einen Plan, um die Schäden an den Wäldern zu beheben, sobald der Frieden erreicht war. Hier ist ein Plakat der Forstverwaltung, das diesen Plan darstellt:

In den 1920er Jahren kam es zu einer Debatte zwischen zwei rivalisierenden Denkschulen: Den »Bewahrern«, Anhängern von G. F. Morozov, und den »Industriellen«, Anhängern von S. A. Bogoslavsky. Morozovs Ideen hatten ihre Wurzeln in den Theorien von W. W. Dokuchajew, während Bogoslavsky sich auf zeitgenössische deutsche Theorien stützte.

Die Anhänger Morozovs befürworteten nachhaltige Praktiken. Ihre Position wurde von der sowjetischen Regierung befürwortet. In den ersten Jahren des ersten Fünfjahresplans gelang es den ultralinken Anhängern Bogoslawskis jedoch, die Naturschützer als bourgeois und als Bremser der Industrialisierung abzustempeln. Die Bogoslawski-​Anhänger griffen die Nachhaltigkeit ausdrücklich als überholtes bürgerliches Konzept an und erklärten, die Natur müsse uneingeschränkt den Interessen der Industrie dienen. Andernfalls sei der Mensch der Natur ausgeliefert, anstatt dass die Natur einem rationalen Plan unterworfen sei.

Die Ultralinken bedienten sich jedoch eines fehlerhaften undialektischen Denkens. Sie sahen Mensch und Natur in ihrer Wechselbeziehung nicht richtig. Der Wirtschaftsplan sollte nachhaltig sein und die Grenzen der Natur berücksichtigen, andernfalls würde die Natur zerstört werden. Dies bedeutete keineswegs, den Wirtschaftsplan blinden Naturkräften unterzuordnen. Vielmehr vertraten die ultralinken »Industrialisierer« eine idealistische, voluntaristische Position, die die materiellen Bedingungen und Grenzen völlig ignorierte. Die marxistisch-​leninistische Position erkennt, dass der Mensch durch die materiellen Bedingungen begrenzt ist, aber die materiellen Bedingungen mehr und mehr beherrschen und rational planen kann, wodurch er sich mehr und mehr von ihnen befreit, aber niemals absolut von ihnen frei sein wird.

Ähnliche ultralinke Tendenzen traten in den ersten Jahren des ersten Fünfjahresplans auch in anderen Bereichen zutage. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich die Partei und die Arbeiterklasse in diesen entscheidenden Jahren auf die Bekämpfung rechter Ansichten konzentrieren mussten. Die Situation wurde jedoch bald korrigiert. Eine nachhaltige Umweltpolitik gewann die Oberhand.

Hierzu führt Brain aus:

In den 1920er Jahren, als Vertreter der Industriebüros Visionen einer neuen, sozialisierten Landschaft mit stark abstrahierten, regulierten Wäldern und Abholzungsquoten auf der Grundlage der industriellen Nachfrage entwickelten, stellte sich die Parteiführung auf die Seite der Naturschützer, die traditionelle Ideen wie den nachhaltigen Ertrag vertraten. Doch später, in den 1930er Jahren, nachdem es Industriellen und studentischen Aktivisten gelungen war, solche Konzepte als bürgerlich abzustempeln, gewannen die Befürworter des Naturschutzes wieder die Oberhand, indem sie sich auf die Theorien des vorrevolutionären Bodenkundlers W. W. Dokuchajew beriefen, der die hydrologische Stabilität Russlands mit der Aufrechterhaltung einer dauerhaften Waldbedeckung in Verbindung brachte […]. Nach 1931 wurden wasserwirtschaftliche Bedenken zur Rechtfertigung für die Schaffung eines riesigen Waldschutzgebietes im Zentrum des europäischen Russlands herangezogen, das zu jener Zeit das größte der Welt war.(17)

Umweltvorschriften von 1931

Dazu berichtet Brain:

Stalin […] initiierte persönlich eine Gesetzgebung, die auf der Überzeugung beruhte, dass die Wasserversorgung Russlands den Schutz der Wälder erforderte. Aus den Parteiarchiven geht hervor, dass Stalin am 30. Mai 1931 das Thema ›Über die Ordnung des Holzeinschlags‹ zur Diskussion stellte und die Sovnarkom aufforderte ›innerhalb eines Monats einen Gesetzesentwurf über das absolute Verbot des Holzeinschlags in bestimmten Regionen auszuarbeiten, um das Wasser in anderen Regionen zu erhalten‹. Am 15. Juli schickte die Sownarkom ihren Gesetzentwurf an das Politbüro zurück, und Ende Juli 1931 wurde der Erlass Nr. 519 Gesetz. Er teilte alle Wälder des Landes in zwei Zonen ein: die forstwirtschaftliche Zone und die Waldanbauzone.(18)

Unabhängig davon, welches Büro sie kontrollierte, wurden die Wälder in einem Ein-​Kilometer-​Gürtel entlang beider Ufer der Flüsse Wolga, Dnjepr, Don und Ural für jede Art von Abholzung gesperrt.(19)

Umweltvorschriften von 1936

Hier hat Brain folgendes zusammengetragen:

Die Parteiführung beschloss […] 1936, den Waldschutz weiter zu verstärken, indem sie die Schutzzone stark ausweitete und unter direkter Beteiligung Stalins eine mächtige neue Verwaltung zur Durchsetzung der neuen Vorschriften schuf… im Juli 1936 wurde eine neue Behörde gegründet, die Hauptverwaltung für Waldschutz und Aufforstung (GLO), deren einzige Aufgabe es sein sollte, sich um die Gebiete zu kümmern, die fortan ›Wasserschutzwälder‹ genannt wurden.

Unter Androhung strafrechtlicher Konsequenzen wurde jegliches Abholzen des Waldes (abgesehen von Sanitärholz) in weiten Gebieten verboten, die

a) in einem zwanzig Kilometer langen Gürtel entlang des Dnjepr und zwei seiner Nebenflüsse, des Don und drei seiner Nebenflüsse, der Wolga und zehn ihrer Nebenflüsse, des Ural und der westlichen Dvina;

b) in einem sechs Kilometer langen Gürtel entlang zweier Nebenflüsse des Dnjepr, vier Nebenflüsse des Don, fünf Nebenflüsse der Wolga, zwei Nebenflüsse des Ural und zwei Nebenflüsse der Oka; und

c) in einem Vier-​Kilometer-​Gürtel entlang von fünf Nebenflüssen des Don, elf Nebenflüssen der Wolga, einem Nebenfluss des Bel‹ und einem Nebenfluss der Oka.

In den Gebieten, die außerhalb dieser Gürtel, aber noch innerhalb der Einzugsgebiete der oben genannten Flüsse lagen, war der Holzeinschlag erlaubt, aber er sollte von der GLO durchgeführt werden, und die Ernte durfte den jährlichen Zuwachs der betreffenden Wälder nicht übersteigen.(20)

Das Gesetz von 1936 ging weit über den Geltungsbereich seines Vorgängers hinaus. […] Diese Schutzzonen waren so umfangreich, dass sie in den meisten Oblasten Zentralrusslands die Mehrheit oder fast die Mehrheit der Waldfläche und darüber hinaus in vielen Oblasten einen erheblichen Prozentsatz der Gesamtfläche ausmachten. […] Die Initiative ging von der Spitze des Parteiapparats aus. Wie der stellvertretende Leiter der Narkomzem-​Abteilung [Volkskomissariat für Landwirtschaft] für den Schutz der Wälder, V. M. Solov’ev, auf einer Förstertagung berichtete, ›wurde dieses ungewöhnliche Gesetz, Genossen, ein Wendepunkt in der Waldbewirtschaftung, unter direkter Leitung und mit direkter Beteiligung von Stalin selbst entwickelt‹.(21)

Umweltvorschriften von 1943

Brain fasst wie folgt zusammen:

Am 23. April 1943 wurde der sowjetische Waldschutz noch weiter verschärft. […] Die Wälder des Landes wurden in drei Gruppen eingeteilt, von denen zwei Schutzmaßnahmen unterworfen wurden. In Gruppe I fielen ›die Wälder der staatlichen zapovedniki, Bodenschutz‑, Feldschutz- und Erholungswälder, [und] Wälder der Grünzonen um Industriebetriebe und Städte‹; in diesen Wäldern waren nur ›Sanitätshiebe und selektive Hiebe von überreifem Holz‹ erlaubt, Kahlschläge aller Art waren verboten. In Gruppe II fielen alle Wälder Zentralasiens und entlang des linken Wolga-​Ufers; hier war nur ein Einschlag bis zur Höhe des jährlichen Zuwachses erlaubt, der ›von der Sowjarkom ratifiziert‹ wurde. Die Wälder der Gruppen I und II blieben unter der Kontrolle der GLO. In Gruppe III wurden alle anderen Wälder zusammengefasst, für die keinerlei Beschränkungen galten.

Mit der Klassifizierung von 1943 wurde der durch das Gesetz von 1936 gewährte Schutz erheblich ausgeweitet; die Wälder ganzer Oblaste, darunter Moskau, Woronesch, Kursk, Smolensk, Wladimir, Tambow, Pensa, Riazan‹, Saratow, Rostow und Stalingrad, wurden in die Gruppen I und II eingeordnet und damit zumindest im Idealfall vor jeglicher Ausbeutung geschützt. Im Laufe der Zeit wuchs die Größe der Wälder der Gruppe I enorm an, bis sie die bei weitem größte so geschützte Fläche der Welt darstellten.(22)

Verordnungen von 1947 – 1953 und der Höhepunkt des Waldschutzes

Brain resümiert mehrfach und eindeutig: »Der Umweltschutz der Stalin-​Ära erreichte 1947 mit der Schaffung des Ministeriums für Forstwirtschaft (Minleskhoz) seinen Höhepunkt.«(23) Oder: »Die Zeit von 1947 bis 1953 stellte in der Tat einen Höhepunkt der sowjetischen Forstwirtschaft dar.«(24) Ferner: »Der Waldschutz im Allgemeinen erhielt in den Jahren von 1947 bis 1953 mehr institutionelle Unterstützung als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in der russischen Geschichte.«(25)

Professor Viktor Nesterov von der Timiriazev-​Agrarakademie schrieb am 19. Januar 1966 in der Pravda, dass:

[…] ein dringender Bedarf an einer gesamtuniversitären Forstverwaltung mit einem eigenen System von untergeordneten Organisationen besteht. […] Fachleute sind der Meinung, dass ein UdSSR-​Ministerium für Forstwirtschaft eine solche zuständige Behörde werden könnte. Übrigens gab es ein solches Ministerium von 1947 bis 1953. In dieser Zeit haben die Waldarbeiter viel erreicht: Die Aussaat und Anpflanzung neuer Wälder wurde stark ausgeweitet, und die Beschneidung der Hiebsflächen wurde überall erreicht. Das Ministerium richtete zweihundert mit Maschinen ausgerüstete Forstschutzstationen ein. Das jährliche Volumen der forstlichen Aussaat und Pflanzung hat sich versiebenfacht. Wir wollen die Tätigkeit dieses Ministeriums keineswegs idealisieren, aber die Ergebnisse seiner Arbeit waren für jeden sichtbar, der mit den Wäldern zu tun hatte.(26)

Jack Weiner schreibt hierzu:

1890 experimentierte der Bodenwissenschaftler Dokuchaev mit Schutzgürteln [Wald]. Während der Sowjetzeit pflanzten Wissenschaftler weiterhin Bäume – Millionen von ihnen -, um die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern, insbesondere in den Kolchosen und in den bewaldeten Steppen des europäischen Russlands. Der größte Anstoß und Plan zur Aufforstung und Wiederaufforstung ging offenbar von Stalin aus; 1948 legte er angeblich den Grundstein für ein fünfzehnjähriges Projekt zur Anpflanzung von Bäumen auf mehr als zehn Millionen Hektar … offensichtlich kam der Plan der Sowjetunion zugute.(27)

In der sechsten Nummer des Kommunist von 1950 ist dazu zu lesen:

Auf mehr als 800.000 Hektar wurden bereits Schutzwaldgürtel gepflanzt, 306.800 Hektar allein in diesem Frühjahr. Ein Bewässerungssystem für 122.000 Hektar wurde fertiggestellt, wofür der Bau von 8.000 Bewässerungsbecken und ‑tanks erforderlich war. Zu den Aufgaben für dieses Jahr gehören die Anpflanzung von 700.000 Hektar Wald und der Bau von 7.587 Bewässerungsbecken.

Die Zerstörung des Umweltschutzes durch die Opportunisten und Revisionisten der Chruschtschow-Zeit

»Nach Stalins Tod verloren die Naturschutzbüros ihre herausragende Stellung«, so Stephen Brain, fortführend:

Die Zeit, in der die Minleskhoz die sowjetische Forstverwaltung dominierte, war jedoch nur kurz. Am 15. März 1953, sechs Tage nach Stalins Beerdigung, wurde die Minleskhoz aufgelöst. Mit der Übertragung der Aufgaben der Minleskhoz auf das Landwirtschaftsministerium ging der Waldschutz stark zurück. Die Zahl der in Moskau mit Forstangelegenheiten betrauten Mitarbeiter sank innerhalb von sechs Monaten von 927 auf 342, was einem Rückgang von 62 Prozent entspricht, und nach einem Jahr auf 120 Mitarbeiter.(28)

Verweise

1 Stephen Brain, »Stalin’s Environmentalism«, in: The Russian Review Vol. 69, No. 1 (Jan., 2010), pp. 93 – 118, hier S. 93.

2 Stephen Brain, Song of the Forest: Russian Forestry and Stalinist Environmentalism, 1905 – 1953 (Russian and East European Studies), University of Pittsburgh Press 2011, S. 2.

3 Ebd. S. 116.

4 Stalin’s Environmentalism, S. 97 – 98.

5 Ebd.

6 Song of the forest, S. 4

7 W. I. Lenin, »Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution« (April 1917), in: W. I. Lenin, Werke (Berlin 1959), Bd. 24, S. 39 – 77.

8 Song of the forest, S. 143 – 44.

9 Ebd. S. 3.

10 Ebd. S. 4.

11 Ebd.

12 Ebd. S. 10.

13 A. Dan Tarlock, History of environmental law.

14 Ebd.

15 Stalin’s Environmentalism, S. 95.

16 Song of the forest, S. 10.

17 Stalin’s Environmentalism, S. 96.

18 Ebd. S. 109

19 Ebd.

20 Ebd. S. 110 – 111.

21 Ebd. S. 111.

22 Ebd. S. 114.

23 Ebd. S. 115.

24 Ebd. S. 117.

25 Song of the Forest, S. 10.

26 Zitiert nach Brain, Stalin’s Environmentalism, S. 117.

27 Jack Weiner, The Destalinization of Dmitrii Shostakovich’s ›Song of the Forests‹, Op. 81 (1949), S. 214

28 Stalin’s Environmentalism, S. 117 – 18.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung des bei ML-​Theory: A Marxist-​Leninist Blog erschienen englischen Originals.

Bild: Plakat von Viktor Govorkov (1949) mit Stalin vor einer Karte zum Umweltschutz mit Spruch: »Und die Trockenheit werden wir auch besiegen«.

2 thoughts on “Sowjetischer Umweltschutz in der Stalin-Ära

  1. Es mag sein, dass Stalin wenigstens in diesem Fall Lenins Erbe tatsächlich weitergeführt hat. Aber diese eigentlich selbstverständliche Tatsache zu einer Apologie des Stalinismus zu nutzen, ist richtiggehend peinlich. Sie ändert nichts an den schweren politischen Fehlern und Verbrechen, die Stalin begangen hat.

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