Wohin des Wegs? Zur Perspektive der Freien Linken

Lesezeit8 min

Es sind fast immer äußere Anstöße, welche die Linke und die Arbeiterbewegung durchschütteln und ihre politische Ausrichtung und organisatorischen Strukturen verändern. So entstand etwa die kommunistische Bewegung einerseits als Folge der Ersten Weltkriegs und der reaktionären Politik der Sozialdemokratie und andererseits durch den Impuls der Revolution in Russland.

In jüngerer Zeit erfolgte die massenhafte Abwendung von der SPD infolge deren offen neoliberaler Wende mit der rot/​grünen Schröder-​Regierung und der Einführung der Hartz-​Reformen. Dieser Prozess kulminierte dann 2005 in den Montagsdemos und in der Entstehung der WASG. Letztlich scheiterte die WASG dann aber, weil sie a) zwar in Opposition zur SPD stand, aber trotzdem nicht methodisch mit dem Reformismus gebrochen hatte und b), weil die Reformisten auch die WASG politisch dominierten, sie in die Arme der PDS führten und mit der LINKEN die zweite reformistische Partei in Deutschland stärkten. Der dreibeinige Gaul bekam mehr Futter.

Auch die Corona-​Krise war ein Ereignis, das die Gesellschaft und die Linke vor neue Herausforderungen stellte. Das gesamte politische Spektrum, der Staat und die Großmedien ordneten sich der Lockdown-​Politik mehr oder weniger unter und verleumdeten und verhinderten weitgehend jeden kritischen Diskurs. Das betraf auch den größten Teil der Linken, ja die Linken gerierten sich oft sogar als besonders »maßnahmentreu«. So forderten verschiedene Gruppen generelle Schulschließungen und verleumdeten die von den Lockdowns besonders betroffenen Bereiche (Kleingewerbe, Kultur u. a.), die Kleinunternehmer (und damit auch ihre Angestellten) pauschal als reaktionäre Egoisten und als rechts. Diese Linken unterließen alles, was notwendig gewesen wäre, die übertriebene, wissenschaftlich haltlose, undemokratische Politik und die ihr fast sklavisch folgenden Großmedien und sog. Experten zu kritisieren oder auch nur zu hinterfragen.

Linke Kritiker

Es ist deshalb bemerkenswert, dass es wenigstens einen kleinen Teil der Linken gab, der dazu eine kritische und grundlegende linke Positionen verteidigende Haltung einnahm. Ein Teil davon bildete die »Freie Linke« (FL). Sie verstand sich als linke Corona-​Maßnahmen-​Kritikerin und bildeten in der Corona-​kritischen Bewegung einen linken Pol. Völlig richtig versuchte die FL, in diese Bewegung zu intervenieren, um dort linke Positionen kenntlich zu machen. Das ist umso anerkennenswerter, als die »Staatsmedien«, die Politik und das Gros der Linken die Bewegung insgesamt als rechts, verschwörungstheoretisch und irgendwie gaga darstellten. Die Rechten, die in der Bewegung nur ein kleiner Teil waren, der die Gesamtbewegung – die immerhin Massen mobilisieren konnte und trotz der Hetzkampagne Woche für Woche Zehn- und Hunderttausende auf die Straße brachte – nie dominiert hat, wurde zu deren Wesen stilisiert. Zwar räumte man auch von offizieller Seite bald ein, dass die Bewegung die »Mitte der Gesellschaft« repräsentiere und die Rechten ein Randphänomen wären, doch das ficht die Corona-​affine Linke nicht an. Sie beschimpfte die Demonstranten weiter als Nazis und »rechtsoffen«. Besonders tat sich dabei die Antifa hervor. Sie bringt zwar sonst politisch nie mehr zustande, als einen Kleinkrieg mit den Bullen anzuzetelln, aber als Spalter der Linken, als nützliche Idioten des Staates zu agieren, befriedigt sie offenbar.

Die völlig einseitige Einschätzung der Corona-​Politik und der Corona-​kritischen Bewegung ist nur ein weiterer Ausdruck der weitgehenden Unfähigkeit der Linken, die Realität zu analysieren und in Bewegungen und Konflikte einzugreifen. Während sie abstruse Kräfte wie »Die letzte Generation«, »Ende Gelände« und die hüpfenden Kleinbürgertöchter von Fridays for Future als links und unterstützenswert ansehen, sind ihnen die berechtigten sozialen Sorgen von Millionen »normalen« Leuten offenbar egal. Die grundlegende Aufgabe der Arbeiterbewegung, eine aktive Bündnispolitik zu betreiben, interessiert die heutige Milieu-​Linke nicht. Hätte die Linke selbst die Initiative in Sachen Corona ergriffen, wäre es ihr evtl. möglich gewesen, der Bewegung einen anderen, linkeren Charakter zu geben. Sie war dazu zu sektiererisch – und politisch zu dumm. Selbst heute – über zwei Jahre nach dem Beginn von Corona – sucht man bei linken Organisationen vergeblich nach einer objektiven, die Daten und Fakten berücksichtigende Analyse und Aufarbeitung.

Es ist mitunter schwierig, den Charakter und die Ausrichtung klassenübergreifender Bewegungen, wie es die Corona-​Bewegung oder die Gelbwesten sind, genau zu bestimmen. Das liegt in der Natur der Sache. Es ist daher für Linke auch nicht immer möglich, Fehler zu vermeiden (das ist in der Politik ohnedies unmöglich). Sicherlich agierte die FL nicht immer optimal und umgab sich mitunter mit etwas »dubiosen Leuten«, daraus jedoch einen Generalvorwurf an die FL zu konstruieren, wie Teile der Linken es machen, ist absurd. Zudem die FL bisher weder ein Programm, noch klare Strukturen hatte und haben konnte. Die Angebote der FL, das Problem der »Rechtsoffenheit« mit anderen Linken zu diskutieren, wurde von diesen meist abgelehnt. Umso mehr befasste sich die FL intern sehr ernsthaft damit. Auch dieses Verhalten des Gros der linken Szene zeigt die Ignoranz, Diskussionsunfähigkeit und die von ihr verinnerlichte Cancel culture.

Wie weiter?

Bisher agierte die FL v. a als Teil der Corona-​kritischen Bewegung (und wird dies vielleicht auch weiter tun müssen). Neuerdings ist sie auch ein Teil der Opposition gegen den Krieg in der Ukraine. Hier vertritt sie insgesamt eine richtige Stoßrichtung, indem sie sich weder mit Kiew noch mit Putin gemein macht und v. a die aggressive Strategie der Nato und der BRD kritisiert und für eine möglichst schnelle Beendigung des Konflikts durch Verhandlungen eintritt. Es ist bezeichnend, dass andere linke Strukturen, die in der Ukrainefrage eine ähnliche Ausrichtung haben, die FL (bisher) nicht in einer anti-​imperialistischen Antikriegsbewegung dabeihaben möchten, weil die FL »rechtsoffen« wäre oder eine falsche Position zu Corona einnehmen würde. Diese völlig absurden Vorwürfe zeugen jedoch nur von der analytischen Schwäche der Linken und ihrem Unverständnis der Einheitsfrontmethode.

Will die FL überhaupt eine Perspektive haben, müsste sie eine aktivere Rolle dabei spielen, die gegenwärtige – gleichwohl aber schon sehr lange bestehende – Kalamität der Linken und der Arbeiterbewegung zu überwinden. Das bedeutet konkret: Aufbau einer neuen antikapitalistischen Arbeiterpartei. Nur diese kann einen relevanten Einfluss in der Gesellschaft erlangen und eine Alternative zu SPD, Linkspartei und der DGB-​Bürokratie u. a bürgerlichen Kräften sein. Eine Partei ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts! Sicher brauchen wir daneben auch eine Gewerkschaftsopposition sowie eine Genossenschafts- und Selbstverwaltungsbewegung, doch diese können eine Partei nicht ersetzen (was natürlich auch umgekehrt gilt). Aufgabe der FL wäre es also, für diese Ziele zu werben, konkrete Vorschläge zu machen und Initiativen zu starten. Sie müsste dafür Mitstreiter suchen und eine Art Aktiven-​Struktur bilden, wie etwa 2006 mit der NAO im Zuge der WASG. Natürlich kann die FL diese Aufgabe nur meistern, wenn sie selbst Klarheit dazu hat, das heißt über eine Programmatik verfügt. Vor allem muss die FL definieren, auf welches historische Subjekt sie sich bezieht: auf die Arbeiterklasse oder …?

Diese Programmatik zu entwickeln ist gegenwärtig das A und O. Das bedeutet u. a auch, diese Aufgabe nicht auf die lange Bank zu schieben.

Keine der gegenwärtigen Teile der FL verfügt selbst in Ansätzen über eine solche programmatische Grundlage. Die bisherigen Entwürfe (zum Beispiel der FL) sind dafür weitgehend unbrauchbar. Warum? Erstens sind sie reine Wunschkataloge und enthalten fast keine organisierenden Losungen und Taktiken. Zweitens umgehen sie die Frage der Gesellschaftsordnung, das heißt der historisch-​strategischen Ausrichtung. Drittens fehlt ein klare Aussage dazu, auf welches soziale Subjekt (Klasse) man sich bezieht.

Für die notwendige politische Klärung ist es auch kontraproduktiv und unseriös, »Fraktionen« zu etablieren, die keine inhaltliche Basis haben. Anstatt sich zu separieren und in Grabenkämpfen zu blockieren, sollten alle Teile der FL sich in einen gemeinsamen (!) Klärungsprozess einbringen!

Die FL wird vom Gros der Linken ausgegrenzt. Die Antwort darauf kann nur sein, mit der linken Szene (ausgenommen die besonders »blöden« Teile wie die »Atlantifa«, mit denen jede Kooperation unmöglich und unproduktiv ist) Kontakt aufzunehmen und eine praktische Kooperation zu entwickeln. Derzeit ist das v. a in der Kriegsfrage sowie beim Kampf gegen die Inflation nötig und auch möglich.

Welche Fragen müssten in erster Linie in der FL geklärt werden? Dazu zählt v. a eine klare Aussage zum strategisch-​historischen Ziel. Reformierter Kapitalismus oder Kommunismus? Damit verbunden: Was verstehen wir unter Kommunismus/​Sozialismus? In diesem Zusammenhang muss eine klar anti-​stalinistische Ausrichtung erkennbar sein. Weiter muss das Verhältnis zwischen Revolution und Reform geklärt werden. Weder ein voluntaristischer »Revolutionismus« à la Lenin (der nur in einer historischen Ausnahmesituation funktionieren konnte) ist die Lösung, noch ein Reformismus, der den qualitativen, revolutionären Umschlag ausklammert. Was sind die wichtigsten methodisch-​taktischen Fragen (Einheitsfrontpolitik, proletarische Selbstverwaltung usw.), wo wir klare Aussagen brauchen? Das sind sicher nur einige Aspekte der Agenda.

Wir konnten immer wieder beobachten, dass politische Bewegungen schon nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwanden, ohne einen bleibenden Effekt gehabt zu haben. Das liegt v. a daran, dass sie keine Programmatik hatten (beziehungsweise als Bewegung haben konnten), sie verfügten nicht über eine allgemeine historisch-​gesellschaftliche Perspektive. Dadurch waren sie nicht in der Lage, auch in anderen Konflikten attraktiv zu erscheinen und für breitere Massen relevant zu sein. Die letzten beiden Erfahrungen damit hierzulande waren die WASG 2005 und jüngst Aufstehen. Beide waren von Beginn von Reformisten dominiert und hatten eine rein reformistische Grundlage. Diese richtete sich zwar gegen einzelne Ausprägungen des Reformismus (v. a die SPD-​Politik), aber nicht gegen den Reformismus allgemein. Was war das Ergebnis dieser Bewegungen? Beide zerfielen beziehungsweise wurden wieder in den reformistischen Mainstream eingebunden (Fusion von PDS und WASG zur LINKEN).

Auch die FL muss sich dieser Frage stellen. Entweder sie versteht sich (immer noch) nur als linker Flügel der Anti-​Corona-​Bewegung – dann wird sie scheitern und zersplittern (ganz unabhängig davon, wie es mit Corona weitergeht). Oder aber sie versteht sich als Teil einer noch aufzubauenden Kraft zur Erneuerung der Linken und der Arbeiterbewegung – das wäre ihre einzige Erfolgschance und ihr einziger historischer Zweck. Noch ist alles im Fließen – wer nicht untergehen will, muss das Schwimmen lernen!

Zuerst erschienen bei aufruhrgebiet​.de

Bild: Flagge der Freien Linken Österreich

11 thoughts on “Wohin des Wegs? Zur Perspektive der Freien Linken

  1. Kurze Anmerkung: FLZ steht nicht auf dem Standpunkt der Äquisdanz in puncto USA-​Russland-​Konflikt. Die FL-​Berlin soweit in Erninnerung, auch nicht wirklich. Ob andere Teile der FL dazu überhaupt einen dezidierten Standpunkt ausgearbeitet haben, eher nicht, aber Positionierung scheint implizit, wie in großen Teilen des C‑Widerstands, tendenziell pro-russisch.

  2. Zum Thema Antistalinismus eine Frage: Ist es ein Zufall, dass die vom Autor konstatierte »Degeneration« der Linken seit Jahrzehnten mit einem völlig bornierten und unwisschenschaftlichem Antistalinismus einherging, der geradezu zu einem Bekenntniszwang wurde, aufoktroyiert von gerade den Teilen der Linken, die ihren Frieden mit der Bourgoisie bereits geschlossen hatten und mithilfe des bürgerlichen Antikommunismus den Kommunismus von innen heraus auszuhöhlen begannen? Gibt es da wirklich keinen Zusammenhang?

    Scheint mir ein blinder Fleck zu sein.

  3. Erstens ist und war das Gros der deutschen Linken mehr oder weniger stalinistisch orientiert (KPD, DKP, die Maoisten u.v.a.). Die Krise der Linken ist zum großen Teil deren Krise. Zweitens geht es bei der Position zum Stalinismus weniger um irgendwelche tatsächlichen oder vermeintlichen bürgerlichen Ansichten. Es geht darum, dass der Stalinismus (unter Stalin selbst und unter seinen Nachfahren) in allen (!) Klassenkämpfen nur Niederlagen erzeugt hat – das sind objektive Fakten, die für jeden Materialisten maßgebend sein sollten. Die Reihe der durch stalinistische Politik erzeugten Katastrophen ist unendlich lang: in der SU die katastrophale Zwangskollektivierung, der millionenfache Terror und die massive Bürokratisierung usw., Spanien ab 1936, China in den 1920ern, 1933, 1944/​45 usw. usw. Ich komme zudem aus der DDR und habe selbst erlebt, was »Sozialismus« a la Stalin bedeutet.

  4. Bevor man solch einen Artikel schreibt sollte man sich schon mal Bücher von Marx, Engels, Lenin und Stalin vornehmen. Antikommunistische Hetze hier im Artikel wie zB »antistalinistische Ausrichtung« macht doch nur offensichtlich daß ihr NICHTS kapiert habt. Ihr seid Opfer von kapitalistischer Propaganda die hier in der BRD bekanntlich schon mit Schule und Eltern beginnt. Arbeitet an euch! Bis dahin braucht ihr euch nicht als Linke bezeichnen.

  5. Warum wohl ist das Stalin-​System überall gescheitert – weil es so gut war?! Und keine Angst: Marx und Co. lese ich schon seit 50 Jahren. Wer wie Du, Stalin und Marx auf einer Seite der Barrikade sieht, hat zumindest Marx nicht verstanden.

    1. Was ist das »Stalin-​System«?

      Nach welchen Kriterien kann man von einem Scheitern sprechen. Sieg über Hitler, Aufbau der Industrie, des Sozialismus, der Sowjetunion, Entwicklung von Wissenschaft und Technik usw. 

      Klar ist Stalin in vielem gescheitert, die Erfolge konnten nach seiner Zeit nicht vorgesetzt werden, die Konterrevolution nahm langsam aber sicher Oberhand.

      Seine Vorstellungen zu Demokratisierung und Kamp gegen Bürokratismus kamen nicht zur Blüte. 

      Alles in allem kann man sich nur wünschen, man hätte wieder solcher Kaliber und würde auf so einem Niveau scheitern!!

      Den Zerfall dann Stalin anzurechnen, das geht sicher auch in Teilen, aber das muss dan spezifiziert werden.

      So, das ist doch einfach keine Analyse, eine historische schon gar nicht. Es ist die Ersetzung einer Analyse durch die Verratsmystik eines Trotzki, eines eitlen, von Eifersucht zu Hass getriebenen Mannes. 

      Das sind keine Kategorien einer Analyse. Das ist das Mystifizieren der Geschichte.

      Man sollte da ersrmal die Faktenbasis sauber erarbeiten bevor man zum Bsp. zu so. Aussagen wie »Zwangskollektivierung« gelangt. Das ist Einwortpropaganda. 

      Es fällt entsprechend schwer das ganz Ernst zu nehmen. Es fällt einfach hinter den aktuellen Erkenntnisstand zurück. Es ist auch keine Analyse. Oh die bösen Verbrechen, die man blind glaubt. Das ist nicht wissenschaftlich, das unterscheidet sich wenig von der kapitalistischen moralisierenden Kritik.

      Nun ja, man sollte einfach mal die Fakten herausarbeiten bevor man sowas behauptet.

      So ist das nur die alte Nummer, das ist so unergiebig. Werde zu diesem Thema auch nix mehr kommentieren. Es gibt auch wichtigere Fragen. Trotzdem gehört ein anderer bodenständigerer Tonfall in die Debatte, wenn man an einer Erneuerung der Linken interessiert ist. Dazu gehört auch die Bringschuld sich allseitig zu informieren. Mit einem anderen Geist macht dienDebatte Sinn, aber auf dem Level konzentrieren wir und lieber auf aktuelle Themen.

      Grüße vom zwangslohnabhängigen Zwangsmieter und Zwangsindividualisiertem

      1. Ich möchte hier noch einmal darauf verweisen, dass sich mein Artikel sich nicht mit dem Stalinismus befasst. Insofern stellt er auch keine Analyse dessen dar. Ich habe das Fass nicht aufgemacht. Wer allerdings wie Du bestreitet, dass es so etwas wie Stalinismus als Ideologie und Gesellschaftssystem überhaupt geben würde, wer so eine dumme und verbrecherische Maßnahme wie die Zwangskollektivierung verteidigt und jede grundlegende Kritik an Stalins Politik nur für antikommunistische Propaganda hält, dem ist schwerlich zu helfen.

        Du schreibst u.a.: »Seine Vorstellungen zu Demokratisierung und Kampf gegen Bürokratismus kamen nicht zur Blüte.« Es gab neben den faschistischen Ländern wohl kaum ein System, in dem jede (!) Form von Demokratie so unterdrückt war wie in der SU Stalins. Und da maßt Du Dir an, anderen Leuten Mangel an Analyse vorzuwerfen? Es ist einfach nur grotesk!

        1. Empfehle Michael Kubi zur Sowjetdemokratie und Grover Furr zur Stalins Kampf für demokrstische Reformen, natürlich hab ich dem Arrikeln nicht das vorgeworfen, was er nicht macht. 

          Bezieht sich auf Kommentare. Empfehle wirklich mal die Literatur zum Thema zu lesen bevor man einfach unnötig und v.a. I’m Kontext einer Neuformierung einfach mit billigen Invektiven gegen die SU schießt, wozu denn?

          1. Anstatt Literaturempfehlungen zu geben – so als ob andere Leute nichts lesen würden -, solltest Du verstehen, dass es ein Unmenge von linken, links-​bürgerlichen und auch marxistischen Autoren gibt, die die UdSSR vor, während und nach der Stalin-​Zeit analysiert haben, tw. aus eigenem Erleben und nicht nur aus dem Studium von Literatur von Leuten, die immer nur im Nachhinein und ohne Kenntnis der Realität urteilen. V.a. kann man sich überhaupt nicht auf Stalins Schriften ab den 1920ern beziehen, weil er dort nur noch schön »fabuliert«, während seine Praxis oft eine ganz andere war – davon abgesehen, dass die theoretische Qualität gen Null geht.

            Zudem geht es darum, gerade bei einer Neuformierung, grundlegende Fragen zur Programmatik und zur Gesellschaftsvorstellung aufzuwerfen. Und – sorry – wer da nicht zwischen Stalins Politik und Gesellschaftsmodell und den Auffassungen von Marx einen grundlegenden Unterschied sieht, sollte sich nicht Marxist nennen. Hierbei spielt auch überhaupt keine Rolle, welche Absicht die (mitunter bürgerlichen) Kritiker Stalins verfolgen, relevant ist ausschließlich, ob ihre Kritik mit den historischen Fakten überein stimmt. So handelt auch jede Naturwissenshaft, nur in den Sozialwissenschaften ist es oft üblich, rein ideologisch vorzugehen. Ein Beispiel: Stalins Zwangskollektivierung hat enorme wirtschaftliche Schäden angerichtet, die etwa so groß waren wie der Zuwachs des BIP durch die parallele Industrialisierung. Das alles ist empirisch belegt. Wie kann man dann trotzdem behaupten, dass Stalins Agrar-​Politik erfolgreich war?! Es ist außerdem klar, dass die Zwangskollektivierung methodisch gegen Lenins korrektes Prinzip der Freiwilligkeit bei der Genossenschaftlichkeit verstieß. Russland war um 1900 der weltgrößte Agrarexporteur, durch Stalins strunzdumme Hasardpolitik wurde die russische Landwirtschaft für Jahrzehnte ruiniert. Dasselbe Bild zeigt sich z.B. bei der Wohnungspolitik, wobei der Verstaatlichungswahn schon 1917 unter Lenin begann.

            Ein Grundproblem Deiner Anschauung ist offenbar, dass Du glaubst, dass Verstaatlichung gleich Vergesellschaftung wäre. Lies, was Marx zu den Genossenschaften geschrieben hat, ist nicht viel, aber lehrreich – und eindeutig. Ich habe das in etlichen Artikeln (www​.aufruhrgebiet​.de) und in meinen Broschüren ausgeführt.

  6. Nun, das weiß ich, bringt mich aber nicht dazu die SU in Bausch und Bogen zu verwerfen eben ganz wie die Einheitsfront von Faschisten über Bürgerliche hin zu manch westlichem Marxisten.

    Wer behauptet Sowjetunion sei (fast) so schlimm gewesen wie Faschismus, darf sich über gut gemeinte Literaturempfehlungen nicht beklagen. 

    Vor allem, da viele der vermeintlichen Verbrechen längst widerlegt oder kontextualisiert wurden. Man kann das nicht ignorieren, man kann sich die Arbeit nicht nicht machen aber dennoch belehren wollen. Man muss das dann zur Kenntis nehmen und sich drauf einlassen und damit arbeiten.

    Kubi zeigt übrigens wie es einen so großen Andrang gab bei der Kollektivierung (freiwillig!), dass man ihn bremsen musste.

    Aber was sind schon Millionen Sowjets gegen ein paar enntäuschte Schriftsteller?

    1. Hier einige Anmerkungen zu Deinem letzten Kommentar.
      1. ich verwerfe die UdSSR nicht „in Bausch und Bogen“, sondern bemühe mich um eine Einordnung und Bewertung. Ich habe ich keineswegs behauptet, die UdSSR „sei (fast) so schlimm gewesen wie Faschismus“. Ich bezog mich ausschließlich auf die Frage der Demokratie – und da trifft meine Kritik voll zu. Ein Beispiel: Die Nazis verfolgten politische Gegner (von den rassisch Verfolgten abgesehen). Die Verhöre und Folterungen dienten ihnen dazu, wirklich etwas über ihre Gegner zu erfahren. Nicht so bei Stalins KGB-​Chergen, die meist genau wussten, dass die Anschuldigungen absurd und konstruiert waren. Es ist doch wohl ein Unding, dass fast alle führenden Bolschewiken umgebracht worden sind, weil sie angeblich Feinde, Agenten, Nazis usw. waren. Wenn das auch nur in Ansätzen stimmt, würde das bedeuten, dass die gesamte Partei immer schon begeistert diesen Verbrechern gefolgt wäre. Und Lenin und Stalin, die Partei-​Chefs, wären ausgemachte Idioten oder selbst Verbrecher gewesen, weil sie sich mit solchen Subjekten umgaben. Es gibt genügend Analysen der Moskauer Prozesse, die deren aberwitzige Lügen entlarvt haben.
      Du schreibst: „da viele der vermeintlichen Verbrechen längst widerlegt oder kontextualisiert wurden“. Ja eben. Deshalb ist es ja auch korrekt, den undemokratischen, lügnerischen und terroristischen Charakter der Stalin-​UdSSR anzuprangern.
      2. Der Maßstab für die Einschätzung einer „sozialistischen“ Gesellschaft kann natürlich auch nicht der Vergleich mit dem Faschismus sein, sondern mit dessen historischen Zielen, um deretwegen die Revolution überhaupt durchgeführt wurde. Eines dieser Ziele war fraglich die Etablierung von möglichst viel Demokratie – wohlgemerkt Rätedemokratie. Das wurde in bescheidenen Ansätzen 1917 begonnen. Unter sehr schwierigen Bedingungen (Bürgerkrieg, Hunger, Krise) kollabierte das Rätesystem. Die Partei war gezwungen, ein durchaus sehr zentralisiertes, bürokratisches Notsystem zu etablieren, um die Revolution zu retten. Doch nach dem Sieg 1921 ‑Stichwort X. Parteitag – galten objektiv andere Bedingungen. Das hätte bedeuten müssen, das Notregime zugunsten der Arbeiter-​Räte-​Demokratie zu minimieren, die Bürokratie und deren Geltungsbereich zu beschneiden. Das Gegenteil ist passiert: Fraktionsverbot, Einschränkung der Strukturen und Rechte der Gewerkschaften und Betriebskomitees. Letztere sind die proletarische Basis des Rätesystems und v.a. die einzige konkrete Möglichkeit für die Arbeiter, die Produktionsmittel zu verwalten und direkt (!) zu kontrollieren. Eine „Klasse an sich“ kann nämlich die „PM an sich“ gar nicht verwalten. In den 1920ern wurden die Möglichkeiten der direkten Verwaltung auf Null reduziert – das war die Kehrseite des Fünf-​Jahr-​Plans. Zwar bewirkte dieser durchaus viel Positives, aber eben auf Kosten der Entmachtung und Enteignung des Proletariats als des Subjekts des sozialistischen Aufbaus. Kurzfristig ist das als „Notvariante“ vielleicht machbar, langfristig ist es katastrophal. Das ist der tiefere Grund des kompletten Scheiterns des Moskauer Modells. Ein wesentliches Element des Stalin-​Systems – das Kommissarwesen, d.h. Ernennung von oben – wurde nie in Frage gestellt, obwohl jeder darum wusste. Allein das bedeutete Aushebelung jeder Rätedemokratie.
      3. Zur Kollektivierung. Meine These: es gab (abgesehen von Maos Großem Sprung) noch nie in der Weltgeschichte eine solche katastrophale und komplett dumme Wirtschaftsmaßnahme wie Stalins Zwangskollektivierung.
      Zunächst zu Deinem (Kubis) Argument „es (gab) einen so großen Andrang … bei der Kollektivierung (freiwillig!), dass man ihn bremsen musste“. Seltsamerweise gab es bis 1929 keine Dynamik für die Bildung von Genossenschaften, obwohl das zum Programm der Bolschewiki gehörte. Warum nicht? 1. hatten die Bolschewiki auf dem Land strukturell (!) keinen Einfluss, 2. waren daher die Dorfsowjets nie wirklich revolutionäre Organe, sondern widerspiegelten v.a. Augenblicks- und Partialinteressen der Bauern (Land, Frieden). 3. existierten überhaupt keine materiellen Bedingungen für ein Genossenschaftswesen. Es wären zunächst Mustergüter erforderlich gewesen, eine leistungsfähige Industrie und agrarisches Know how. Das fehlte – weitgehend auch 1929. Das wäre kein großes Problem gewesen, wenn man die Agrarstrukturen nach und nach geändert hätte. Statt einer vernünftigen Wirtschaftspolitik wurde jedoch – entgegen der durchaus erfolgreichen Politik in der Periode der NÖP – ein Hasardkurs eingeschlagen. Dieser vergeudete enorme Ressourcen, erzeugte riesige Disproportionen und verstärkte noch bestimmte Probleme (mangelhafte Qualität, viel Ausschuss, Mangel an Fachleuten).
      Genauso aberwitzig war die Begründung der Hyperindustrialisierung. Es gäbe eine akute militärische Bedrohung. Woher sollte diese in den 1920ern kommen? Vom demilitarisierten Deutschland? Von den kriegsmüden Ländern Britannien und Frankreich? Vom kleinen Polen? Von den USA, die damals einem Isolationskurs folgten? Zudem waren die westlichen Imperialismen von Inflation oder Stagnation gebeutelt und stürzten 1929 in eine verheerende Krise. Diese Bedrohung – und die allgegenwärtige Spionagemanie – hatten nichts mit der Realität zu tun, waren aber gut geeignet als Vorwand für Terror, Einschränkung der Demokratie und allerlei Zickzacks in der Politik.

      Die Industrialisierung kam v.a. der Schwerindustrie zugute (Stahl für den Bau von Stahlwerken) und entsprach nicht den Bedürfnissen der Gesellschaft, die v.a. Agrartechnik brauchte und Güter der Leichtindustrie. Vor allem erfolgte eine aberwitzige Aufrüstung. Die Rote Armee war 1941 der Wehrmacht bei der technischen Ausrüstung um ein Mehrfaches überlegen. Das nützte ihr aber wenig, da Stalins verbrecherische und dumme Militärpolitik die UdSSR fast in die Niederlage geführt hat (wie übrigens Stalin schon für die Niederlage 1920 vor Warschau hauptverantwortlich war).
      3. 1929 also eine massenhafte Kampagne für Genossenschaften vom Zaun zu brechen, ist dumm – und angesichts der Folgen (Hunger,Vernichtung enormer agrarischer Produktionsmittel) verbrecherisch. Wie zu erwarten war (und dafür brauchte man kein Ökonomiestudium) funktionierten die Genossenschaften nicht. Nur die armen Bauern wollten bzw. mussten in die Genossenschaft. Das waren aber gerade die ungebildetsten und am schlechtesten wirtschaftenden Bauern. Alle, die etwas besaßen (und wenn es auch nur eine Kuh und ein Pferd war) wurden als Kulaken beschimpft. Diese Bezeichnung ist keine soziologische Kategorie und für jeden Marxisten eine Lachnummer. Sie war aber gut geeignet, jeden zu enteignen, zu vertreiben, zu verhaften oder zu töten, der dem jeweiligen Funktionär nicht passt. Die obere Schicht der Bauernschaft machte nur ca. 10 – 20% der Höfe aus. Sie hatten sich während der NÖP bereichert. Wer hat sie dazu ermuntert? Der mit Stalin damals verbündete Bucharin (Bereichert Euch!). Diese Bereicherung erfolgte aber kaum durch Mehrproduktion, denn die Beschäftigung von mehr Lohnarbeitern und der Ankauf von mehr Land waren ihnen untersagt. Was taten sie also? Sie verpachteten Ihr Land, verliehen Technik, Zugvieh usw. zu Wucherpreisen. Anstatt nun aber dieses Treiben einzudämmen und wenigstens eine Progressivsteuer einzuführen, versäumte man das. Randbemerkung: ein paar Jahre lang kam man auf die Schnapsidee, die Steuer nach der Zahl der Getreidekörner pro Quadratmeter festzulegen. Das passiert, wenn Bürokratenhirne sich etwas ausdenken. Man schaue sich die Mitglieder des damaligen Politbüros an: fast nur welt- und fachfremde Politikaster. Wie heute die Grünen und die anderen Politiker und Parlamentarier.
      Das war die Politik der Stalin-​Administration. Es war Trotzki, der genau diese Entwicklung vorausgesagt und kritisiert hatte. Man muss eben nur die richtigen Bücher lesen.
      4. Weiter durch den Sumpf der Politik des großen Führers. Bei der Bekämpfung der Kulaken machte man den Riesenfehler, auch die Mittelbauern zu bekämpfen. Damit ruinierte man den größten und produktivsten Teil der Landwirtschaft. Der Kampf gegen die Mittelbauernschaft war indes keine Idee Stalins, sondern im Bolschewismus immer schon angelegt. Er war ein, allerdings nicht der wichtigste Grund, für die enormen Probleme in der Landwirtschaft ab 1917. Mit der NÖP kam es zu einer schnellen Verbesserung der Versorgungslage, auch die Bauernrevolten hörten fast ganz auf. Es wäre also ökonomisch angezeigt gewesen, die NÖP noch weiter zu führen, allerdings nicht so wie Stalin und Bucharin.
      5. Als sich das Chaos durch die Kollektivierung zeigte, schon Stalin alle Schuld auf die unteren Funktionäre, die übertrieben hätten. Anstatt Fehler einzugestehen und zu überwinden, wurden Sündenböcke gesucht (und nicht selten umgebracht). Dieses Verhalten Stalins zeigt auch, welches Charakterschwein er war.
      6. Man vergleiche das Vorgehen der Bolschewiki und Stalins mit dem der Anarchisten, der POUM u.a. in den republikanischen Gebieten in Spanien ab 1936. Sie hatten dort eine Massenverankerung, es entstand binnen kurzer Zeit ein großes Genossenschaftswesen, das Millionen umfasste. Es hat nicht nur funktioniert, es hat sogar deutlich produktiver gearbeitet als die Strukturen vorher. Die Mittelbauern wurden nie bekämpft, sondern eingebunden. Alles erfolgte ohne Zwang. Eine Erfolgsgeschichte!
      Warum war das so, obwohl die Bedingungen in Spanien ab 1936 denen in Russland ab 1917 sehr ähnlich waren – außer dass die CNT nicht die Macht auf Landesebene hatte. a) die Anarchisten sahen zwar auch die Arbeiterklasse als „einzig konsequent revolutionäre Klasse“ (Marx) an, verstanden aber auch die Dorfarmut als revolutionär und nicht nur als Bündnispartner wie Bolschewiki. Deshalb bauten sie auch auf dem Land Strukturen auf und nicht nur beim Industrieproletariat. Das gelang den Bolschewiki nicht – weil sie es auch nicht vorhatten. Die Folge war, dass die Bolschewiki auf dem Land nicht vertreten waren und für ihre Land-​Politik nicht auf brauchbare Strukturen zurückgreifen konnten. Ein Beispiel war der komplette Flop der „Komitees der Dorfarmut“. Die Anarchisten vermieden es, etablierte ökonomische und Sozialstrukturen einfach zu zerschlagen, wie es tw. die Bolschewiki machten (Verbot des freien Handels tw. schon 1917). Sie verfolgten richtigerweise einen Kurs der Reform der Verhältnisse. Natürlich „verzichteten“ sie auf die Staatsmacht und (unter)stützten die Volksfront (genau wie die KP auf Anordnung Stalin), so konnte das Genossenschaftssystem natürlich letztlich nur scheitern, aber das ist eine andere Frage.
      6. Ich weiß nicht, was Dein letzter Satz heißen soll? „Aber was sind schon Millionen Sowjets gegen ein paar enttäuschte Schriftsteller?“
      1928 gab es zwar der Form nach noch Sowjets, jedoch hatten die mit wirklichen Sowjets nichts mehr gemein. Eine Sowjetdemokratie ohne Presse‑, Versammlungs- und Organisationsfreiheit unter der Knute des Geheimdienstes, nachdem die Geschichte umgeschrieben wurde? Unmöglich!

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