G7‐​Gipfel: Globalisierungskritische Bewegung am Boden

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In den letzten 20 Jahren waren globale Gipfeltreffen der G7 oder der G20 immer auch Großereignisse der globalisierungskritischen Bewegung, wo an den Gegenprotesten bis zu einer Million Menschen teilnahmen. Zudem gab es immer Gegengipfel und zahlreiche weitere Veranstaltungen.

An der aktuellen Demonstration gegen den G7‐​Gipfel auf Schloss Elmau in Krün (Landkreis Garmisch‐​Partenkirchen, Bayern) vom 26. bis 28. Juni 2022 nahmen aber nur 7.000 statt der angemeldeten 20.000 Menschen teil. Dies ist ein Symptom für eine tiefgreifende Krise der globalisierungskritischen Bewegung und der deutschen radikalen Linken überhaupt.

Der Niedergang der globalisierungskritischen Bewegung ist ein Paradebeispiel dafür, wie es gelingen kann, durch Zersetzung, medialem Druck, Moralkampagnen und auch direkte Bestechung eine starke soziale Bewegung innerhalb einer kurzen Frist von vielleicht einem Jahrzehnt zu zerstören. Das alles sind Methoden, die in den letzten Jahren in noch viel stärkerer Dosis zur Anwendung kamen. Natürlich bedeutet das nicht, dass dieser Niedergang ausschließlich auf externe Faktoren zurückzuführen ist. Die Eliten suchen aber gezielt nach Schwachpunkten, die jede soziale Bewegung auch hat, und beuten sie aus.

Wie konnte es dazu kommen? In den 90er Jahren machten immer mehr Menschen die Erfahrung, dass die vom Westen nach seinem Sieg im Kalten Krieg von 1989 durchgedrücke Globalisierung negative Auswirkungen auch in den Industrieländern hat. Zum Beispiel wurden in den 90er Jahren zahlreiche Industriebetriebe nach Osteuropa oder China verlegt, Arbeitsplätze massiv abgebaut, zahlreiche Betriebe und Einrichtungen privatisiert, der Sozialstaat zurückgefahren und dafür die geistigen Eigentumsrechte massiv verschärft.

Dagegen wehrte sich die neu entstandene globalisierungskritische Bewegung. Sie konnte sich auf eine starke und in Teilen tatsächlich radikale Linke stützen. Diese Bewegung war keinesfalls auf ATTAC beschränkt, sondern sie bestand ursprünglich aus einer großen Vielzahl von Gruppen und Grüppchen. Viele von ihnen lehnten den Kapitalismus ab.

In Genua fand im Sommer 2001 ein G8‐​Gipfel statt, gegen den zahlreiche Menschen protestierten. Offizielle Angaben gehen von 300.000 Protestierenden aus, in Teilnehmerkreisen war von weit über einer Million Menschen die Rede. In Genua entwickelten sich bürgerkriegsähnliche Zustände. Ein Demonstrant wurde getötet, zahlreiche weitere von der Polizei verletzt. Autonome bewirkten einen großen Sachschaden, indem sie zahlreiche Geschäfte »entglasten«.

Die Ereignisse von Genua zeigten, dass der neoliberale Kapitalismus keinesfalls fest im Sattel saß, sondern zunehmend Gegenkräfte mobilisierte, die – wenn die Entwicklung so weiter geht – erneut die Machtfrage stellen könnten.

Das konnten die globalen Eliten freilich nicht zulassen. Gegenreaktionen gingen in zwei Richtungen: Offene Repression und Einhegung.

Man kann vermuten, dass die offensichtliche1 False‐​Flag‐​Aktion des 11. September 2001 auch eine Reaktion auf die zunehmenden Unruhen im Westen war, die sich bereits im Jahr 1999 in Seattle manifestierten. Auf jeden Fall kam sie wie gerufen. Die Polizei wurde aufgestockt, besser bewaffnet und eine Massenüberwachung der Bevölkerung durchgedrückt. Von den negativen Folgen der Globalisierung war in den Medien nicht mehr die Rede. Stattdessen wurde ein Kulturkampf gegen den radikalen Islam und gegen Araber im Allgemeinen inszeniert. Bei weiteren Gipfeln fuhr die Polizei eine Null‐​Toleranz‐​Taktik. Die Menschen ließen sich einschüchtern und stellten den Kapitalismus weit überwiegend nicht mehr in Frage.

Andererseits zog man auch die Option Einhegung. Die globalisierungskritische Bewegung bestand, wie gesagt, aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Gruppen. Die Medien konzentrierten sich aber ausschließlich auf die Organisation ATTAC und lobten sie in den höchsten Tönen, während sie die zahlreichen anderen Gruppen komplett ignorierten. Das hatte zur Folge, dass nach einigen Jahren die Globalisierungskritik mit ATTAC assoziiert wurde.

Der Name ATTAC steht für Association pour une taxation des transactions financières pour l’aide aux citoyens, also Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger. Wie der Name schon sagt, entstand die Organisation 1997 in Frankreich, breitete sich dann aber über ganz Europa aus. Attac Deutschland wurde im Jahr 2000 gegründet. Ursprünglich war Attac eine Einpunkt‐​Bewegung zur Einführung einer Börsentransaktionssteuer, der sogenannten Tobin‐​Tax. Damit sollte einerseits die Börsenspekulation zurückgedrängt, andererseits aber auch Einnahmen für den Staat generiert werden.

Die Tobin‐​Tax gibt es bis heute nicht. Aber Attac Deutschland entwickelte sich schnell zu Organisation, die das volle Spektrum der Globalisierungskritik bearbeitete. Nach Genua strömten viele Menschen Attac zu. Manche suchten hier Deckung von den massiven Repressionswellen, die nun auf kleinere globalisierungskritische Organisationen zurollten. Anderen wollten sich zwar gegen den Turbokapitalismus engagieren, kannten aber aufgrund der Medienberichterstattung nur Attac.

Nachdem um 2002/​03 radikalere Gruppen und Organisationen der Globalisierungskritik zerschlagen wurden, ging es nun darum, das kritische Potential von Attac zu neutralisieren. Dies schien umso wichtiger, als Attac zwar keinerlei praktische Erfolge erzielen konnte, aber doch dazu beitrug, dass die Globalisierung und der Neoliberalismus in der Bevölkerung immer kritischer gesehen wurden. Höhepunkt in dieser Beziehung war die GATS‐​Kampagne im Jahr 2003.

Ansatzpunkte für Zersetzungsaktionen gab es einige. So verstand sich ATTAC Deutschland als Bündnis zahlreicher Organisationen und Einzelpersonen. Wobei das Spektrum der Organisationen von den Jusos bis zu trotzkistischen Sekten reichte. Diese Konstruktion bewirkte, dass man sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnte. Ein Vetorecht verhinderte jede programmatische Weiterentwicklung.

Ein weiterer Schwachpunkt war die Frage nach den Alternativen zu der neoliberalen Globalisierung. Der Sozialismus war nach 1989 vollständig diskreditiert und demnach keine Option. Die Mehrheit der Attac‐​Mitglieder stellte sich wohl eine mehr binnenmarktzentrierte, keneysianische Politik auf kapitalistischer Grundlage vor. Es gab aber von Anfang an eine vernehmliche Minderheit, die Degrowth, Minuswachstum und ähnliche Vorschläge propagierte. Das war wohl ursprünglich als ein kapitalismuskritisches Konzept gedacht, aber unseren Oligarchen ist es gelungen, diese Vorstellungen in eine Waffe gegen die Bevölkerung zu verwandeln. Dass wir angeblich auf Kosten des Klimas zu gut gelebt hätten und jetzt den Gürtel wesentlich enger schnallen müssten, ist inzwischen Allgemeingut.

Auch direkte Bestechung kam vor. Nach 2001 kamen auch zahlreiche Karrieristinnen und Karrieristen zu Attac, die dort mitarbeiteten und dann nach sehr kurzer Zeit von vielleicht zwei bis drei Jahre zu extrem gut bezahlten Posten in prowestlichen NGOs wechselten, die von den allseits bekannten Milliardären finanziert wurden. Es lag also im persönlichen Interesse dieser Leute, einen »mäßigenden« Einfluss auszuüben und allzu »radikale«, kapitalismuskritische Positionen niederzumachen.

Des Weiteren wurde Attac mit der ganzen üblichen Palette der Antisemitismus‐ und Gewaltvorwürfen traktiert und zum Kotau gezwungen. Attac wurde in der zweiten Hälfte der 00er Jahre in den Medien systematisch heruntergeschrieben. Spätestens in den 10er Jahren hatte sich die Organisation an den Mainstream weitgehend angepasst.

Diese Anpassung führte auch zu einer personellen Auszehrung. Ehrenamtliche Tätigkeit für Attac ging zurück, die Hauptamtlichen erlangten immer mehr Gewicht.

Dementsprechend wurden die Mobilisierungen der globalisierungskritischen Bewegung immer kleiner. Der letzte erfolgreiche Gipfelprotest war Heiligendamm im Jahr 2007 gegen den damaligen G8‐​Gipfel. Das war meiner Einschätzung nach die letzte Großdemonstration, die von tatsächlichen Linken – auch radikalen Linken – geprägt wurde. Allerdings war der Erfolg, die Polizei ausmanövriert zu haben, rein symbolisch.

Bereits in den Folgejahren wurden etwa in der jungen Welt das geringe theoretische Niveau und die immer stärkere Anpassung der Protestierenden an den neoliberalen Mainstream beklagt. Aber es hätte wohl niemand ahnen können, wie weit diese Anpassung nach 2019 tatsächlich gehen würde.

Hauptforderung des u.a. von Attac getragenen Demoaufrufs von 2022 ist:

Die Staats‐ und Regierungschefs der G7‐​Staaten müssen dafür sorgen, dass wir in den nächsten 20 Jahren komplett aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas aussteigen und klimaschädliche Subventionen abbauen. Stattdessen müssen wir auf eine vollständige erneuerbare Energieversorgung, Dekarbonisierung der Wirtschaft sowie auf Energieeffizienz und ‑einsparung setzen.2

Damit machen sich die Demonstranten die Forderungen der offen neoliberalen Jugendklimabewegung vollständig zu Eigen. Sie rennen freilich offene Türen ein. Die G7 und in Deutschland Robert Habeck sorgen schon für die Dekarbonisierung der Wirtschaft unter dem Vorwand der Russland‐​Sanktionen, was unsere Verarmung zur Folge hat. Warum also noch dafür demonstrieren?

Die Veranstalter zeigen auch, dass sie das Corona‐​Narrativ vollständig geschluckt haben:

Die Corona‐​Pandemie stellt uns noch immer vor Herausforderungen. Aktuell steigen die Infektionszahlen wieder deutlich an. Bitte schütze dich und alle anderen vor Infektionen. Wir bitten dich: eine Mund‐​Nasen‐​Bedeckung zu tragen – ausreichend Abstand zu halten.3

Wir erleben also einen lammfrommen »Gipfelprotest«, der »Widerstand« nur simuliert. Das ist die Folge davon, dass man fanatisch an alle Narrative der Mainstreammedien glaubt und in den beteiligten Organisationen tatsächlich widerständige Stimmen nahezu vollständig eliminiert hat. Auch in Attac gab es zum Beispiel große Kritik am Corona‐​Narrativ. Die Kritiker wurden aber allesamt ausgegrenzt, ausgeschlossen und mundtot gemacht. Zurück blieben nur die Angepassten.

Eine Demo mit einem tatsächlich kritischen Aufruf etwa gegen die Corona‐​Diktatur, die Verarmung unter dem Vorwand von Sanktionen und Klimaschutz, gegen den Great Reset und den Nato‐​Krieg gegen Russland wäre bei dem heutige miserablen Zustand der Grundrechte unter irgend einem Vorwand wahrscheinlich verboten worden.

Die Großdemonstrationen gegen die G7 und andere Gipfeltreffen sorgten zwar für eine zeitweilige Revitalisierung auch der radikalen Linken. Kritischen Beobachtern wie Karl‐​Heinz Roth war aber schon damals klar, dass sie höchstens der Auftakt für mühsame Organisationsanstrengungen in Betrieben und Wohngebieten sein können. Solche aber blieben aufgrund des »autonomen« Habitus der radikalen Linken nahezu vollständig aus.

Auch die zahlreichen Gegengipfel wie das Weltsozialforum erstarrten bald in Routine und gingen ein. Versuche, sie zu einer neuen Internationalen weiterzuentwickeln, wurden gerade von einflussreichen europäischen Organisationen abgeblockt.

Demonstrationen gegen Gipfeltreffen der Mächtigen haben nach wie vor eine gewisse propagandistische Bedeutung. Aber die Geschichte der globalisierungskritischen Bewegung zeigt, dass auch eine große Unzufriedenheit verpuffen muss, wenn es nicht gelingt, die Arbeiter und Arbeitslosen direkt in ihrer Lebensrealität anzusprechen. Hierfür ist eine linkspopulistische Partei notwendig.

Verweise

1 Ein Indiz hierfür ist unter anderem der Zusammenbruch von WTC 7. Siehe dazu ausführlich: Mathias Bröckers, Christian C. Walters: 11.9. – Zehn Jahre danach, Frankfurt am Main 2011.

3 https://​g7​-demo​.de/​d​e​m​o​/​c​o​r​ona

Bild: G8‐​Gipfel Genua 2001 (Indymedia)

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