Die Aufarbeitung der Corona-​Vergangenheit und ihre Tabus

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»Daß die vielzitierte Aufarbeitung der Vergangenheit (…) nicht gelang und zu ihrem Zerrbild (…) ausartete, rührt daher, dass die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten. (…) Die ökonomische Ordnung (…) verhält nach wie vor die Majorität zur Abhängigkeit von Gegebenheiten, über die sie nichts vermag, und zur Unmündigkeit.«

Theodor W. Adorno, Was heißt: Aufarbeitung der Vergangenheit?, 1959

»Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.«

William Faulkner

Die Aufarbeitung der Pandemiemaßnahmen stößt auf wenig Gegenliebe in der Politik, obwohl sie gesetzlich vorgegeben ist. – Es drohen eine anhaltende Traumatisierung der Gesellschaft und ein weiterer Verlust an humaner und demokratischer Substanz.

»Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?»1, fragte der Philosoph Theodor W. Adorno 1959. Als »Schlagwort« gebraucht, bemängelt Adorno, bedeute »Aufarbeitung der Vergangenheit nicht (…), dass man das Vergangene im Ernst verarbeite, um seinen Bann zu brechen durch helles Bewusstsein.« Es gelte: »Im Hause des Henkers soll man nicht vom Strick reden.« Adornos Kommentar zur Haltung der den braunen Muff ja konservierenden Adenauerzeit, es müsse ein Schlußstrich unter die Aufarbeitung der Nazi-​Vergangenheit gesetzt werden:

Der Gestus, es solle alles vergessen und vergeben sein, der demjenigen anstünde, dem Unrecht widerfuhr, wird von den Parteigängern derer praktiziert, die es begingen.

Angesichts des meist namenlos bleibenden Unrechts, der Beschädigungen und des Leids, das vielen Menschen durch sinnlose oder unverhältnismäßige, nicht evidenzbasierte Corona-​Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit als überzogen und übergriffig bezeichnet werden müssen, widerfuhr, klingen Adornos Gedanken in uns Zeitgenossen eines neuen Zeitalters – dem Zeitalter der »pandemischen« Angst – nach und lassen aufhorchen. Während sich nämlich die Behandlungs- und Todeszahlen des Virus im statistisch für Infektionserkrankungen der oberen Atemwege erwartbaren Rahmen hielten, muss inzwischen davon ausgegangen werden, dass die sogenannten politisch zu verantworteten Kollateralschäden die durch das Virus selbst hervorgerufene Anzahl an Opfern bei weitem übersteigen.

Nicht nur bei den gesundheitlichen und sozialen Verwerfungen der Coronapolitik im eigenen Land, sondern global ist die Situation zunehmend kritisch zu nennen: Eine Studie der Nichtregierungs-​Organisation Alliance 2015, die in 25 Ländern des globalen Südens durchgeführt wurde, stellte fest, dass heute neun von zehn Menschen im globalen Süden ärmer als vor der Pandemie sind. Für fast die Hälfte der Befragten haben Qualität und Quantität ihrer Versorgung mit Lebensmitteln seitdem abgenommen.

»Der Verlust von Einkommen hat verheerende Konsequenzen, denn Einkommensausfälle werden in vielen Ländern des Globalen Südens nicht (…) aufgefangen. Für ärmere Menschen bedeutet der Verlust von Arbeit, dass sie sich und ihre Familie nicht mehr ernähren können – und hungern«, erläutert die Welthungerhilfe die Studie in einem Blog-​Beitrag vom Februar 2021.2

Seitdem hat sich die Situation der Armen und Ärmsten weiter verschlechtert. So ging die UN-​Welternährungsorganisation (FAO) im Juli 2021 davon aus, dass zwischen 80 bis 130 Millionen Menschen weltweit durch die Corona-​Pandemie in den Hunger getrieben würden. Die Weltbank rechnet mit einem Plus von 150 Millionen Menschen, die durch die Folgen der Pandemie in extreme Armut geraten.3

Hinzu kommt dramatischerweise jetzt noch die durch die westlichen Sanktionen gegen Russland steigende Nahrungsmittelknappheit in Folge von Exportstopps und Lieferkettenunterbrechungen. Auch die starke Verteuerung von Nahrungsmittelpreisen durch Spekulation, die zynischerweise die angespannte Situation ausnutzt, um hieraus Profit zu schlagen, lässt soziale Unruhen und Hungeraufstände in armen Ländern erwarten.

Auf der anderen Seite hat eine klitzekleine Gruppe der Weltbevölkerung, die Superreichen, von der Corona-​Pandemie in sagenhaftem Umfang profitiert. Die reichsten Männer der Welt verdoppelten im Schnitt im Zeitraum zwischen März 2020 und November 2021 ihren Reichtum.4 Insbesondere die Pharma-​und die Digitalindustrie konnten exorbitante Gewinne einfahren. Die Lockdowns erwiesen sich als bislang effektivste Katalysatoren für die Vermögensumverteilung von unten nach oben. Wenn jetzt schon wieder, zum Beispiel wie jüngst vom Corona-​Expertenrat der Bundesregierung durch seinen Vorsitzenden Heyo Kroemer , abermalig Lockdowns für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, sollte man das cui bono? dieses Mittels und seiner schockstrategischen Bedeutung für den »Klassenkampf von oben« (Warren Buffett) viel offensiver als bislang öffentlich dagegen ins Feld führen.

Adornos einprägsame Diagnose fordert – neu gelesen unter dem Eindruck der Folgen der von mächtigen Global Governance-​Akteuren synchronisierten und weltweit durchgesetzten Maßnahmen eines (vermeintlichen) pandemischen Notstandes – geradezu zum Vergleich mit unserer jüngsten Vergangenheit und Gegenwart heraus, in der die Hydra des Totalitarismus wieder ihre Häupter erhebt. Denn nahezu überall in der Welt wurden Grundrechte beschnitten, Meinungsfreiheit und Demokratie geschwächt und neue Überwachungs-​und Kontrollstrukturen etabliert. Adornos damals geäußerte Gedanken und Fragen erweisen sich dieser Tage, wo laut Norbert Härings profunder Analyse das »Endspiel des Kapitalismus« begonnen hat, wieder von großer Brisanz. Die Forderungen nach Aufarbeitung des Faschismus des 20. Jahrhunderts und heute die nach Aufarbeitung der Politik des Ausnahmezustandes – die Pandemiepolitik wurde von den digital-​und finanzkapitalistischen Eliten im Kontext der Pläne für eine »Neue Weltordnung« als ein Mittel zur Durchsetzung ihrer Agenda 2030 ergriffen – stehen klar im Verhältnis einer historGunnar Kaiser, Der Kult. Über die Viralität des Bösen, München 2022. Kaiser zitiert als Motto seines Buches Erich Fromm, ein Zitat, welches ich hier gerne wiedergeben möchte, da es auch den gedanklich-​thetischen Zusammenhang meines Textes reflektiert:

Der Organisationsmensch hat die Fähigkeit zum Ungehorsam verloren, er merkt nicht einmal mehr, dass er gehorcht. An diesem Punkt der Geschichte könnte möglicherweise allein die Fähigkeit zu zweifeln, zu kritisieren und ungehorsam zu sein, über die Zukunft für die Menschheit oder über das Ende der Zivilisation entscheiden.

Das Zitat Fromms zeigt m.E. für unseren Kontext gut, wenngleich vermittelt, wie wichtig eine seriöse Aufarbeitung der Pandemiepolitik für die Wiedererlangung psychischer Gesundheit wäre, weil sie den Menschen die Möglichkeit eröffnen würde, sie in ihren Störgefühlen, die wohl doch viele während des Maßnahmenregimes, vor allem bezogen auf das Social Distancing, die Maskenpflicht und die Lockdowns empfunden haben, nachträglich ernst zu nehmen, und zwar dahingehend, dass ihre durch Störgefühle sich artikulierenden Vorbehalte gegenüber dem Gehorsam, den Fromm hier für den »modernen Organisationsmenschen« problematisiert und seine darin sich ausdrückenden Zweifel durch eine gesellschaftlich nachgeschaltete, die subjektiven Erfahrungen objektivierende Reflexions- und Bewertungsinstanz gewissermaßen ex post als intuitiv richtig, angemessen und vernünftig anerkannt würden.ischen Kontinuität. Der Schriftsteller, Philosoph und Blogger Gunnar Kaiser nennt daher das, was Adorno in Texten wie »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit« umkreist, in seinem Buch »Der Kult« im Untertitel auch: Die Viralität des Bösen.5 Adorno setzt sich mit diesem Phänomen u.a. in dieser zentralen Textaussage auseinander:

Der Nationalsozialismus lebt nach, und bis heute wissen wir nicht, ob bloß als Gespenst dessen, was so monströs war, dass es am eigenen Tod noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst zum Tode kam; ob die Bereitschaft zum Unsäglichen fortwest in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern.

Aus einem Radio-​Gespräch mit Adorno stammen die Worte, an die ich, angesichts der Drift der Demokratien in Richtung diktatorischer Willkür, während der letzten zwei Jahre immer wieder denken musste. Sie lauten: »Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern von der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.«

Adorno äußerte das ebenfalls 1959.

Und heute?

Heute, im hitzig-​hysterischen Cancel-​Culture-​Klima des Jahres 2022, hätte Adorno, großbürgerlich-​jüdischer Sohn eines assimilierten Frankfurter Weinhändlers, der 1934 mit dem Institut für Sozialforschung vor den Nazis in die USA emigrierte, mit solchen Statements selbst beste Chancen, als rechtsextremer und antisemitischer Verschwörungstheoretiker oder »Staatsdelegitimierer« geradewegs ins Twitter-​Fegefeuer-​Fanal geschickt zu werden.

Dabei wendet er sich mit diesem Satz ganz klar gegen die seiner Auffassung nach schlimmste aller Relativierungen der Nazi-​Gräueltaten: ihre Musealisierung. Wenn wir nichts mehr von dem, was in unserer Gegenwart geschieht, mit dem Faschismus unserer Vergangenheit vergleichen dürfen – was nicht »gleichsetzen« heißt! – sind wir genau am Punkt dieser Musealisierung angelangt. Dann ist der Faschismus kein Stachel mehr in unserem Fleisch, sondern zur sakrosankt kitschig-​spießigen »Erinnerungskultur« entschärft worden. Einer Erinnerungskultur, die gerade dazu anhält, uns nicht in Frage zu stellen und ja nicht unsere geistig-​moralischen »Komfortzonen« zu verlassen.

An dieser Stelle sei festgehalten: Das »Wehret den Anfängen!« scheint als Mahnung nicht mehr hineinzupassen in die Postdemokratie unserer Tage. Zu fragen wäre, ob und inwieweit dies als Beleg genommen werden muss, dass wir bereits über dieses Stadium hinaus sind. Dies würde wiederum den Einsatz erhöhen, mit dem für eine Aufarbeitung argumentativ gekämpft werden müsste. Das ließe sich wohl nur unter der Bedingung einer Bündelung der freiheitlichen-​liberalen, freiheitlich-​konservativen und vor allem freiheitlich-​linken Kräfte unserer Gesellschaft (und damit meine ich die wirklich freiheitsliebenden, der Selbstbestimmung durch den demokratischen Souverän verpflichteten »Überzeugungstäter« dieser Couleurs) sowohl inner- als natürlich auch – angesichts der politischen Verhältnisse – vor allem außerparlamentarisch erfolgreich hinbekommen.

Im Übrigen ist es kein editorischer Zufall, sondern zeugt von tiefem und weit verzweigtem Sinn, dass Adornos Vertrag, der auf einer Konferenz von Pädagogen gehalten wurde, der Text ist, der seinen berühmten Suhrkamp-​Aufsatzband »Erziehung zur Mündigkeit« einleiten sollte.

Es geht um Mündigkeit, gleich doppelt. Und zwar als Voraussetzung und als Ziel der gesellschaftlichen Aufarbeitung. In puncto Voraussetzung wäre konkret auf die aktuelle Situation bezogen zu erörtern: Wie kann Mündigkeit angesichts der ihr entgegenarbeitenden parteiischen gesellschaftlichen Kräfte, gegen die partikularen, aber übermächtigen Interessen einer kleinen Führungsschicht, dennoch erworben, durchgesetzt und behauptet werden? Das ist eine entscheidende Frage, die auch und im Besonderen Adornos Denken durchzieht. Nur durch Mündigkeit beziehungsweise einer wirklichen und wahrhaften Erziehung zu dieser, können letztlich die mächtigen, parteiisch-​partikularen Interessen zum Wohle aller eingehegt und vielleicht auch überwunden werden. Die Antwort: Dazu bedarf es gemeinsamer Regeln. Die gemeinsamen Regeln müssen stärker sein als das mächtige Interesse der Wenigen. Sind sie es nicht oder werden sie vorsätzlich geschwächt, hintergangen oder ausgehebelt, dann ist dem Faschismus Tür und Tor geöffnet – sofern es nicht rechtzeitig erkannt, thematisiert und (genug) Gegenmacht mobilisiert wird.

Warum Mündigkeit so wichtig ist? Weil sie das Immunsystem unserer Demokratie ist! Die Aufgabe der Mündigkeit (im doppelten Wortsinn!) wäre daher auch das Thema oder genauer gesagt die offene Wunde, die uns die Corona-​Krise hinterlässt und die zu ihrer Aufarbeitung uns anhalten sollte.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Maßnahmen der Pandemiepolitik, die die Grundrechte, Partizipation, Demokratie, die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens, unser Verständnis von Gesundheit, unsere Haltung zum Tod und allzu oft auch die eigene, fragile Lebenspraxis aus den Angeln gehoben haben, nehmen die Gedanken und Fragen Adornos zur Aufarbeitung einer traumatisch fortlebenden Vergangenheit, aktuelle und beunruhigende Gestalt an. Über die Dauer von fast zweieinhalb Jahren konnte über unsere Köpfe hinweg ein Notstandsregime die Konstanten unseres Menschseins und (Selbst-)Vertrauens mit solcher Vehemenz in Frage stellen, dass alles, was uns Halt und Orientierung gab, durcheinandergewirbelt wurde. Die dadurch ausgelösten Erschütterungen sind tief bis in die Eingeweide und ins Mark unserer persönlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Verfassung eingedrungen. Dort sollen sie nun, folgt der Gang der Dinge abermals den Intentionen und Weisungen der Mächtigen, das Sediment für das bilden, was von den Akteuren der Global Governance zur »neuen Normalität« erklärt wurde und transnational in Gestalt der Neuen Weltordnung (NWO) verbindlich gemacht werden soll.

Zwar ist die von der WHO im März 2020 ausgerufene Pandemie (vorerst) faktisch vorbei, auch wenn die Politik, insbesondere in Deutschland und in Österreich weiter ein starkes Interesse daran zeigt, in der Behauptung des Gegenteils zu verharren. Offenbar will man um jeden Preis vermeiden, den Panik-​Modus und die damit weitverbreitete Unsicherheit in der Bevölkerung für beendet erklären zu müssen. Eigentlich müsste das Pandemieende jetzt zur Verarbeitung der (auf allen und allem lastenden) Krisenerfahrungen und zur Reflexion der Krisenfolgen genutzt werden. Diese haben eine ganze Menge an vermeintlich Selbstverständlichem und wohl naiv für Immer-​und Ewig-​Gültig-​Angenommenes unter sich begraben. Dafür wurden neue Frontlinien geschaffen, die uns einen Vorgeschmack auf den Bürgerkrieg (oder eine bürgerkriegsähnliche Szenerie) liefern, der kommen wird, wenn man nicht bereit sein sollte, am Zurückdrängen und der Überwindung dieser Frontlinien zu arbeiten.

Vor allem aber hat die Corona-​Krise Millionen von Angststörungen erzeugt und auch, wenn es keine neue Erkenntnis darstellt – sollte dennoch in Erinnerung gerufen werden – dass Angst der Humus ist, auf dem nicht Demokratien, sondern nur Diktaturen gut gedeihen können. Das zur Bewältigung der Krisenerfahrungen so notwendige Innehalten rückt jedoch nicht nur durch den Ukraine-​Krieg in weite Ferne. Eine Besinnung auf die Fehler und Versäumnisse im Umgang mit dem Virus und der Viralität ist nicht erwünscht, obgleich die Warnungen vor neuen pandemischen Gefahren für den Herbst es eigentlich noch dringlicher erscheinen lassen, jetzt die richtigen Lehren aus mehr als zwei Jahren verfehlter Pandemiebekämpfungspolitik zu ziehen.

Diese (noch nicht ganz) hinter uns liegende Zeit des kollektiv erlebten, aber höchst unterschiedlich wahrgenommenen Ausnahmezustandes, wird gleich durch drei Zivilisationsbrüche gekennzeichnet, die in der massenmedial vermittelten Öffentlichkeit, jedenfalls in Deutschland, weitgehend unbemerkt und unkommentiert geblieben sind.

Zur Erläuterung: Unter Zivilisationsbruch versteht man die Verletzung oder das Außerkraftsetzen von Regeln und Normen, die für ein gutes, gedeihliches und gesittetes Zusammenleben von Menschen, Personengruppen, Staaten o. Ä. grundlegend sind.

Das Schweigen über diese Zivilisationsbrüche und ihr Nicht-​Wahrhaben-​Wollen lassen tief in die Abgründe dieser Politik und der sie kritiklos abnickenden Leitmedien blicken. Verwundern kann es nicht, da man sich ja, wie gesagt, politisch und gesellschaftlich nicht weniger vorgenommen hat, als auf dem Scherbenhaufen dieser Maßnahmenpolitik eine »neue Normalität« zu schaffen. Die »Zeitenwende«, die Olaf Scholz im Bezug auf die Außenpolitik und neue Weltordnung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine proklamierte – eindrucksvoll unterlegt mit der Ad-​hoc-​Ankündigung eines 100 Milliarden Euro teuren Aufrüstungsprogramms am Parlament vorbei – bezieht sich nicht nur auf diese, allerdings in der Geschichte der Bundesrepublik schon bemerkenswert singulär dastehenden Entscheidung. Denn schon zuvor hatte Scholz – der zuvor nicht gerade als Rhetorik-​Rambo berühmt war, vielmehr wegen seines Hangs zu schmallippig-​einschläferndem Technokraten-​Sprech, Spott (»Scholzomat«) über sich ergehen lassen musste – schon durchaus beängstigende Akzente gesetzt. So als er die Kritiker der Coronapolitik als »kleine extremistische Minderheit«, die unsere Demokratie zerstören wolle, geißelte und der deutschen Öffentlichkeit feldmarschallartig kundtat, dass es für seine Regierung im Kampf gegen das Virus »keine roten Linien mehr gäbe«.

Scholz hat diese überaus problematischen, weil anti-​demokratischen Aussagen nie zurückgenommen, sondern betreibt weiter eine Politik unsensibelster Zuspitzung, Spaltung und Ausgrenzung. Näher kann man das am sturen Festhalten an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht für die Berufe des Gesundheitsbereichs, nach Scheitern einer allgemeinen Impfpflicht und am Gewährenlassen seines irrlichternden, kaum noch tragbar erscheinenden Gesundheitsministers Lauterbach studieren. Lauterbach wird allerdings aus naheliegenden Gründen im Amt belassen, denn wie es Werner Rügemer und Wolfgang Wodarg schon kenntnisreich dargelegt haben, ist ein Gesundheitsminister Lauterbach der beste verlängerte Arm geballter Pharmalobbymacht, die diese sich zum Hineinregieren in Berlin und Brüssel nur wünschen kann. Nicht zuletzt verdient die katastrophale Fehlanzeige in puncto sozialdemokratischen Regierungsstils (war da mal was?! Brandts: »Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein«? O tempi passati!) Erwähnung. Nach Kriegsbeginn räumte die SPD in Nullkommanichts alle ihre bis dato noch verbliebenen entspannungspolitischen Maximen und Meriten ab – ohnehin war das das wenige überhaupt noch Vorhandene, was für eine Weiterexistenz dieser ausgelaugten und von sich selbst entfremdeten Partei hätte sprechen können – und entschuldigte sich in Person ihrer Vorsitzenden auch noch dafür. Scholz lässt stattdessen sich jetzt lieber von den Stahlhelmpolitikern der Grünen und der FDP wie ein unentschlossen – sich windender, in Fettnäpfchen der Kriegsmedien tapsender Bär am Ring durch die Arena des neudeutschen Bellizismus ziehen, ohne beim unverantwortlichen, brandgefährlichen Eskalationskurs, den seine Regierung gegenüber Moskau fährt, wirklich mit Nachdruck auf der Bremse zu stehen. Dadurch erhöht sich die Gefahr, dass ein von zwei Seiten – den US-​Falken in der Biden-​Administration und den olivgrünen und gelben Ampelkoalitionären – in die Zange genommener Kanzler einer unheilvollen, durch irgendwelche »zufälligen« oder unvorhersehbaren Ereignisse losgetretenen, akut den Weltfrieden für Kiew auf Spiel setzenden Konfliktzuspitzung, nichts mehr entgegenzusetzen hätte.

Die Politik der »Zeitenwende«, die Scholz mit seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler und Kabinettschef eingeleitet und zu verantworten hat, ist aufgrund ihrer konzeptionellen Unbedarftheit mehr eine Drohankündigung für (oder eine Wette auf) den dadurch fast unausweichlich werdenden Niedergang Deutschlands, sollte man sich nicht doch noch eines Besseren belehren lassen. (Die Lernfähigkeit von Polit- Hasardeurinnen wie Baerbock und Strack-​Zimmermann schätze ich allerdings gering ein. Und auch der Noske-​Verehrer Robert Habeck6 scheint eher zur Beratungsresistenz zu neigen.) An dieser Stelle lohnt es sich die neue, mit zusätzlichen 100 Milliarden Euro (!) Steuergeldern für Rüstungsausgaben alimentierte Außenpolitik der Ampel-​Regierung kurz mal mit der Kritik der Bonner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot7 zu konfrontieren (»…ein Satz, alles drin…!«). Der Bundesregierung fehle, so Guérot, »eine nüchterne oder besonnene geostrategische Analyse oder überhaupt die Definition von europäischen Interessen, Kriegs- oder Verhandlungszielen.« 7

Nicht zu vergessen: Der voll in Deutschland im Gang befindliche Feinbildaufbau gegen Russland hat außerdem den Vorteil, damit viel besser von den eigenen Fehlern, Irrtümern und Versagen ablenken und alle Energien so möglichst gut von einer gewissenhaften (was hieße: ernst gemeinten) Evaluierung der eigenen – möglicherweise nicht ganz über alle Kritik erhabenen – vielmehr teilweise demokratie- und verfassungswidrigen – Praktiken der Coronapolitik abziehen zu können. Das geschieht am besten, in dem man genau das tut, was gerade in Hülle und Fülle zu besichtigen ist: sich hemmungslos unreflektiert als die Inkarnation des moralisch Guten zu verabsolutieren. Da wird aus jedem Kritiker dann blitzschnell gleich ein nestbeschmutzender »Putin-​Versteher« und Kollaborateur mit einem überlebensgroß aus blinder Selbstgerechtigkeit aufgeblasenen Feind gemacht.

Es kann daher nicht verwundern, dass – mit den Worten Adornos gesagt – bislang nicht einmal die »Aufarbeitung der Vergangenheit als Schlagwort« im gesellschaftlichen und medialen Fokus – von wenigen Ausnahmen abgesehen – angelangt ist. Noch viel weniger als die Chance auf einen Bewusstwerdungsprozess, der Projektionen wie unsere Parteinahme mit dem »armen Opfer Ukraine« durchschaut, lässt sich der herrschenden Politik in ihrer übergroßen Mehrheit unterstellen, überhaupt ein Interesse daran zu haben, dass bis vor kurzem herrschende Corona-​Ausnahmeregime seriös und konsequent aufzuarbeiten. Ungeniert kann sich der Bundesgesundheitsminister weiter über die Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes hinwegsetzen und eine Evaluation der Coronapolitik mit Verweis auf »zu wenig Daten« als »verfrüht« ablehnen. Hätte die Regierung ihren Job in den letzten zwei Jahren ordentlich gemacht, so wären inzwischen längst hinreichend Daten erhoben worden, die zu dieser Evaluation herangezogen werden könnten. Ausgerechnet Deutschland, dem Land mit den strengsten Maßnahmen in der EU, gebührt in der wissenschaftlichen Pandemie-​Aufarbeitung trotz oder gerade wegen seiner regierungsnahen Institute (RKI und PEI) die rote Laterne. Das ist nur ein weiterer Beleg in einer Kette von im Grunde genommen unglaublichen, die politischen Sitten und Gebräuche verrohenden Vorgängen in unserem Land, die das Vertrauen in die Institutionen dieser Republik arg untergraben haben. Sie dürften weiter untergraben werden, sofern durch eine Aufarbeitung der Vorgänge nicht endlich die Reißleine gezogen wird.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang hier nochmal an die beispiellose Häme und den Hass, welche sich in faschistoider Manier als Shitstorm auf die Künstler der klugen satirischen Aktion »Allesdichtmachen« ergoss, an den Rauswurf des maßnahmenkritisch berichtenden Journalisten Boris Reitschuster aus der Bundespressekonferenz, um sich unbequemen Fragen nicht mehr stellen zu müssen, dem kaum Widerstand entgegengebrachten Angriff auf das freie Abgeordnetenmandat qua Anordnung der Bundestagspräsidentin, nicht geimpfte Bundestagsabgeordneten auf die Plätze der Gäste-​Tribüne des Parlaments zur Durchsetzung der 2‑G+ – Regel für das Bundestagsplenum zu verbannen sowie die fristlose Kündigung des BKK – Provita-​Krankenkassen-​Vorstandes Andreas Schöfbeck nach dessen Veröffentlichung alarmierender Zahlen zum möglichen, tatsächlichen Ausmaß an Impfschäden – die bis heute weder durch das Paul-​Ehrlich noch das Robert Koch-​Institut auch nur ansatzweise entkräftet wurden. Zuletzt hinzugekommen sind die Fälle der Kriminalisierung und »Behandlung« des Arztes, Aktivisten und Publizisten Paul Brandenburg durch ein seine Wohnungstür aufbrechendes Überfallkommando des ansonsten sich ihm – Brandenburg – nicht näher vorstellenden Staatsschutzes und die infame und menschlich widerwärtige Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Kiel gegen Prof. Dr. Sucharit Bhakdi wegen Volksverhetzung aufgrund einiger zu Missverständnissen – bei gezielt nicht wohlmeinender Auslegung – möglicherweise Anlass gebender und aus dem Zusammenhang gerissener Äußerungen. Bhakdi hatte in einem Video Stellung zu Israel und dem jüdischen Volk im Hinblick auf die dortige, besonders paradox anmutende Impf- und Infektionsdynamik genommen. (In Israel, das oft als »Impfweltmeister« bezeichnet wird, gibt es aktuell besonders viele Covid-​19 Hospitalisierungen und eine signifikant hohe Übersterblichkeit seit 2021. Bhakdi setzte das mit Pfizers Aussage in Beziehung, Israel sei »das Labor« für seinen Impfstoff.)

Der Aufschrei der Empörung über die Dimensionen, die das Politikversagen erreicht hat, die offenkundigen Fälle von Machtmissbrauch, Korruption (Maskenskandale) und Inkompetenz in Bezug auf Entscheidungen des Corona-​Krisenmanagements, bleibt jedenfalls auf der politisch-​medialen Großbühne immer noch aus. Dabei sind diese vier Faktoren – Politikversagen, Machtmissbrauch, Korruption und fachliche Inkompetenz – ursächlich dafür, dass ein Zivilisationsbruch unser Gemeinwesen so stark beschädigen konnte, dass die Grundfesten unserer gesellschaftlichen Ordnung dadurch angegriffen und sturmreif geschossen wurden.

Genau betrachtet sind es drei Aspekte, die den Zivilisationsbruch ausmachen und sichere Kandidaten dafür darstellen dürften, später einmal (wenn es ein solches »Später« noch geben wird) in einer Art Bilanzierung der Covid-​19-​Pandemie in die Geschichte einzugehen. Es handelt sich bei ihnen in der Regel um schockartige Aspekte, die untrennbar und unauflöslich mit der Pandemieherrschaft verbunden bleiben und noch lange und tief – vor allem im gesellschaftlichen Unbewussten –nachwirken werden:

  1. Der Zivilisationsbruch gegenüber den alten, kranken und pflegebedürftigen Menschen. 
  2. Der Zivilisationsbruch gegenüber Kindern und Jugendlichen.
    und
  3. Der Zivilisationsbruch gegenüber den Nicht-Geimpften. 

1. Der Zivilisationsbruch gegenüber den alten, kranken und pflegebedürftigen Menschen, deren Menschenwürde und Recht auf Selbstbestimmung auf eine vorher noch nie dagewesene Weise missachtet und mit Füßen getreten worden ist. Damit haben wir uns als Gesellschaft an den alten Menschen, denen wir einen Großteil unserer Identität, unserer Kultur und unseres Wohlstandes zu verdanken haben, in krasser Weise versündigt (eine Versündigung, die im Grunde schon viel länger andauert, und zwar bereits solange, wie wir unsere Alten in Heime abschieben und »entsorgen«, wo sie möglichst niemanden stören oder zur Last fallen sollen und bar jeder Hoffnung und Lebensfreude nur noch auf den Tod warten). Sie hat während der Corona-​Pandemie aber einen traurigen, alptraumhaften Gipfel der Unmenschlichkeit erreicht, da wir zuließen, das alte, schwer‑, und oft sterbenskranken Menschen von ihren Familien, ihren Enkelkindern, Freunden, Partnern brutal getrennt, isoliert und monatelang eingesperrt wurden oder darüber ganz jeden Lebensmut verloren und einfach vor Kummer und Gram wegstarben. Dieses große menschliche Leid wurde erzeugt und hingenommen, weil die Politik nicht willens und in der Lage war, die wirklich vulnerablen Gruppen zu identifizieren und diese gezielt zu schützen. Auch die Rolle der natürlichen Immunität wurde von vorneherein von den Gesundheitspolitikern bei Seite gewischt, die es hätten besser wissen können – und müssen. Man ließ zu, dass Demenzkranke durch das Fehlen der Bezugspersonen in größte Verwirrung und Verzweiflung gestürzt wurden. Krankenhauspatienten starben einsam, ohne sich von ihren Liebsten verabschieden zu können, weil niemand, nicht einmal die nächsten Angehörigen, an ihr Bett gelassen wurden: Unmenschlichkeiten, die einen den Verstand rauben können, je länger man darüber nachdenkt. Was heißt es, dass Sterbende keine Hand berühren, keinen Blick tauschen, kein Wort des Trostes, der Beruhigung oder der Hoffnung hören konnten und die Angehörigen dazu verurteilt wurden, mit dem schrecklichen Gefühl weiterleben zu müssen, dass sie in den Stunden des Sterbens nichts mehr für sie tun konnten, weil sie nicht zu ihnen gelassen wurden?

2. Der Zivilisationsbruch gegenüber den Kindern und Jugendlichen, deren Menschenwürde und deren Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und das Recht auf Bildung und eine Kind- und altersgemäße Entwicklung, vor allem aber auch ihr Recht auf den besonderen Schutz durch die Erwachsenen, in einer skandalösen Weise fast gar keine Rolle während der Pandemie bei Lehrern, Lehrerverbänden, dem Staat und in der medialen Öffentlichkeit spielten. Bis heute wird in einer heuchlerischen und beschämenden Weise abgestritten, geleugnet oder kleingeredet, was den jungen Menschen angetan wurde, die selbst zu keinem Zeitpunkt besonders gefährdet waren und andere besonders durch Ansteckung hätten gefährden können. Dabei droht uns, wie neueste Studien warnen, eine ganze Generation von jungen Menschen durch monatelange Schulschließungen und ausschließliches digitales Homeschooling verloren zu gehen. Was das für die Zukunft unserer Gesellschaft bedeutet, kann zum jetzigen Zeitpunkt in seiner Tragweite noch gar nicht abgeschätzt werden. Sicher aber ist, dass die gesundheitlichen Verwerfungen durch die Maßnahmen sowohl physisch, psychisch als auch sozial (Triagen in der Pandemiezeit gab es nur in den völlig überforderten Jugendpsychiatrien) verheerend sind. Inzwischen leben circa 40.000 obdachlos gewordene Jugendliche in Deutschland auf der Straße. Vor Corona waren es nach Erhebungen aus dem Jahr 2015 auch schon circa 20.000. Dies bedeutet, dass sich die Zahl nach der Corona-​Zeit in etwa verdoppelt hat.8 Jetzt noch, nachdem die schlimmen Folgen langsam an die Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmungen kommen, fühlt sich keiner verantwortlich für sie. Im Gegenteil sollen nutzlose, dafür aber gefährliche Kinderimpfungen weiter und sogar verstärkt erfolgen und werden jetzt – bar aller medizinischen Evidenz – schon für Fünfjährige empfohlen!

Alte Menschen, Kranke, Kinder und Arme sind die größten Opfer der Pandemiepolitik. Ihnen gemein ist, dass sie von allen am wenigsten gut die Möglichkeiten hatten und haben, darüber zu sprechen und Zeugnis davon abzugeben, was – von der Politik angeordnet und von ihren Mitmenschen gehorsam ausgeführt – ihnen zugefügt wurde. Und genauso wenig konnten und können sie damit rechnen, überhaupt angehört zu werden, sollten sie ihre Stimme doch einmal erheben.

3. Der Zivilisationsbruch gegenüber den Nicht-​Geimpften, gegen die Minderheit der Bürger, die ausgegrenzt und von Staatswegen zu Menschen zweiter Klasse gemacht worden sind. Im Laufe der Impfkampagne erfuhren sie in dem Maße, je deutlicher sich die Mängel bei der Wirksamkeit der neuartigen gentherapeutischen Injektionssubstanzen abzeichneten, desto stärker Diffamierung und Stigmatisierung. Die Nicht-​Geimpften wurden unisono von Politik- und Medien zu Sündenböcken der Pandemie erklärt, keiner Hetze und keinem Hetzer wurde dabei Einhalt geboten. Wo blieben die sonst oft unerbittlich geforderten »Distanzierungen« von diesen verbalen Entgleisungen aus dem Wörterbuch des Unmenschen? Die Nicht-​Geimpften bezahlen ihre berechtigten Zweifel an der Notwendigkeit und Wirksamkeit einer solchen Gentherapie, vor allem aber auch ihre begründete Sorge vor den Nebenwirkungen der nur bedingt zugelassenen, experimentellen Präparate, mit Ausgrenzung, gesellschaftlicher Ächtung, den Verlust familiärer und freundschaftlicher Bindungen, Berufsverboten, Existenzzerstörung.9 Noch stärker als dieser Skandal, der die Bevölkerung bewusst auseinanderdividiert und die gesellschaftliche Atmosphäre auf lange Zeit zu vergiften droht, wiegt der Skandal im Umgang mit den Nebenwirkungen der mRNA und Vektor-»Impfstoffe«, denn hierbei geht es um Menschenleben. Immer mehr Untersuchungen und Studien gehen von einer strukturellen und alarmierend hohen Untererfassung der Anzahl von Impfschäden durch die Präparate gegen Covid-​19 aus. Zuletzt fand die Studie von Prof. Dr. Harald Matthes vom Institut für Arbeitsmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité größere Beachtung, sogar einige Mainstreammedien berichteten darüber. Die Studie ist inzwischen wegen Kritik an ihrem Design von der Charité-​Leitung auf Eis gelegt worden.10 Die Zwischenergebnisse der Studie waren u.a., dass in Deutschland bislang circa 500.000 Menschen von schweren Nebenwirkungen der Covid-​Impfungen betroffen seien. Es müsse von einer 16,5 mal höheren Anzahl der Impfschäden ausgegangen werden als sie im Sicherheitsbericht des Paul-​Ehrlich-​Instituts (PEI) angegeben seien. Träfen die Befunde zu, so »könnten bisher mithin über 46.000 Menschen in Deutschland infolge der Impfung verstorben sein. Das PEI listet dagegen »nur« 2810 Fälle (…) auf.»11

Statt alles dafür zu tun, um Aufklärung über die tatsächlichen Ausmaße der negativen Impffolgen zu erlangen, wird weiterhin versucht, die Menschen, die an dieser wichtigen Aufgabe mitwirken, öffentlich abzuqualifizieren und zu diskreditieren. Leider lässt sich dieses Phänomen heute verallgemeinern und stellt inzwischen – neben dem fehlenden politischen Willen – die größte Barriere für eine Aufarbeitung der Corona-​Vergangenheit (im Sinne Adornos) dar. Heute glaubt man nicht nur in der politisch-​medialen Öffentlichkeit – dort aber besonders ausgeprägt – sondern landläufig ganz allgemein und wie selbstverständlich, ohne Umschweife und nähere Berücksichtigung der Faktenlage, es sich erlauben zu können, zu entscheiden, wer das Böse und vor allem wer der Böse ist. So auch im Ukraine-​Krieg, der nicht mit Russlands Angriff am 24. Februar begonnen hat. Trotzdem folgert man mit schlafwandlerischer Sicherheit, dass der Angriff Putins auf die zivilisatorischen Errungenschaften des Völkerrechts und des zwischenstaatlichen Gewaltverbotes den Westen moralisch ins Recht setzt, sich mit rigorosen und vor allem moralisch haushoch überlegenen Mitteln wie Waffenlieferungen zur Wehr zu setzen. Man selbst steht schließlich auf der Seite des und der Guten. Unsere Moral und unsere Mittel sind moralisch so überlegen, dass sie auf gar keinen Fall in Frage gestellt werden dürfen. Und wer es dennoch tut – siehe der Umgang mit Ulrike Guérot als Talkshowgast von Markus Lanz – der, ja der paktiert selbst mit dem Teufel!

Die Berliner Zeitung titelte dann prägnant auch dazu: »Wer für den Frieden ist, ist jetzt auch Feind.« 12

In dieser Hinsicht besonders bemerkenswert erscheint mir, dass die unbekümmerte Bereitschaft, über an sich fremde politisch-​historische Räume, deren Kontinuitäten und Diskontinuitäten, laut, reflex- und bekenntnishaft und vor allem frei von allen aus Nachdenklichkeit geborenen Zweifeln, »drauflos« zu urteilen – schnell in ihr Gegenteil verkehrt wird. Und zwar immer dann, wenn es stattdessen um die eigenen Angelegenheiten und Verhältnisse geht. Elementare Verstöße gegen unsere Rechtskultur und unser Demokratieverständnis (auf beides waren wir doch immer so stolz!) sowie Angriffe auf das Gerechtigkeitsempfinden bleiben dann unthematisiert. Auch bleiben Einsprüche gegen illegitime Gewalt aus (zum Beispiel die vom UN-​Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, der Bundesregierung gegenüber beanstandete Polizeigewalt13 gegen friedliche Corona-​maßnahmenkritische Demonstranten oder die Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen durch Polizei-​Einsatzsonderkommandos gegen Mediziner, wegen des Verdachts unrechtmäßig ausgestellter Masken-​Atteste14), sofern sie das eigene Gemeinwesen betreffen. Oder sie werden ex officio negiert. Oder es findet sogar die Travestie in ihr Gegenteil statt. Im weniger schlimmen Fall werden sie »nur« marginalisiert oder verharmlost.

Für die Freiheit der Ukraine, einem wahrscheinlich schon seit längerem gescheiterten Staat (failed state)15, stehen wir auf. Was aber tun wir für unsere eigene Freiheit? Ab Herbst wieder den digitalen Impfpass zücken, unseren QR-​Code scannen und froh sein, dass man uns immer noch reinlässt?

Bislang konnte die Corona-​Krise, wenn nicht alles, so doch ganz viel mit uns sowohl als Individuen wie Gesellschaften »machen«. Sie hat uns aber nicht unbedingt souveräner, gelassener, mutiger, gesünder, (selbst-)bewusster, zuversichtlicher und auch nicht, um noch ein beliebtes Modewort hinterherzuschieben: resilienter gemacht. Vor allem aber hat sie eines nicht gemacht: uns menschlicher. Könnten wir eine Lockerung in der Gesellschaft dahingehend wahrnehmen – und ich meine nicht Lockerung im Sinne einer »Lockerung der Maßnahmen« damit (die nur an die Lockerung des Strafvollzuges denken lässt) – wäre berechtigte Hoffnung für die Zuversicht am Platz: Wir bestehen die Krise. Dann würde von all den jetzt schmerzlich vermissten Merkmalen und Eigenschaften einer lebendigen, freien und humanen Seinsweise doch erneut etwas auf unser Zusammenleben abfärben. Noch ist wenig davon zu bemerken16, sicher sind noch lange nicht alle aus der pandemischen Angststarre und dem Corona-​Alptraum wieder erwacht.

Zwischenfazit:

Die Aufklärung der Corona-​Krise verzögert sich (weiter), obwohl wir eine Menge aus ihr lernen könnten. Einstweilen aber wirken die Tabus noch stärker als der Wille zur Aufarbeitung dieser Vergangenheit.

Ob es dabei bleiben wird?

Anmerkungen

1 Theodor W. Adorno, Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt/​M. 1971.

5 Gunnar Kaiser, Der Kult. Über die Viralität des Bösen, München 2022. Kaiser zitiert als Motto seines Buches Erich Fromm, ein Zitat, welches ich hier gerne wiedergeben möchte, da es auch den gedanklich-​thetischen Zusammenhang meines Textes reflektiert.

»Der Organisationsmensch hat die Fähigkeit zum Ungehorsam verloren, er merkt nicht einmal mehr, dass er gehorcht. An diesem Punkt der Geschichte könnte möglicherweise allein die Fähigkeit zu zweifeln, zu kritisieren und ungehorsam zu sein, über die Zukunft für die Menschheit oder über das Ende der Zivilisation entscheiden.«

Das Zitat Fromms zeigt m.E. für unseren Kontext gut, wenngleich vermittelt, wie wichtig eine seriöse Aufarbeitung der Pandemiepolitik für die Wiedererlangung psychischer Gesundheit wäre, weil sie den Menschen die Möglichkeit eröffnen würde, sie in ihren Störgefühlen, die wohl doch viele während des Maßnahmenregimes, vor allem bezogen auf das Social Distancing, die Maskenpflicht und die Lockdowns empfunden haben, nachträglich ernst zu nehmen, und zwar dahingehend, dass ihre durch Störgefühle sich artikulierenden Vorbehalte gegenüber dem Gehorsam, den Fromm hier für den »modernen Organisationsmenschen« problematisiert und seine darin sich ausdrückenden Zweifel durch eine gesellschaftlich nachgeschaltete, die subjektiven Erfahrungen objektivierende Reflexions- und Bewertungsinstanz gewissermaßen ex post als intuitiv richtig, angemessen und vernünftig anerkannt würden.

6 Habeck hat zu Ehren Noskes ein Theaterstück mit dem Titel »Neunzehnachtzehn« geschrieben, in dem er dem Konterrevolutionär und Präfaschisten Gustav Noske eine Art Denkmal gesetzt hat. https://jacobin.de<artikel>noske‑2 – 0‑robert-​habeck-​gustav-​noske-​1918-​revolution-​in-​kiel-​matrosenaufstand-​novemberrevolution. Siehe auch: https://www.deutschlandfunkkultur.de.robert-habeck-ueber-sein-stueck-neunzehnachtzehn-das-herz-1oo.html

Zur unseligen Rolle, die der SPD-​Politiker und erste Reichswehrminister der Weimarer Republik, Gustav Noske, für ihre Entwicklung hatte: Sebastian Haffner, Die Deutsche Revolution 1918/​19, Hamburg 1969.

9 Da der Autor selbst zu dem Personenkreis gehört, der nach reiflicher Überlegung und Abwägung – nachdem er sich über ihren Entwicklungs- und Herstellungsprozess, ihren Aufbau und ihre Wirkungsweisen informiert hatte – nicht bereit war und ist, sich diese Stoffe injizieren zu lassen, weiß er nur zu gut, wovon er spricht.

10 Die Kritik an der Studie scheint insofern nicht berechtigt zu sein, als dass ihre methodischen Schwächen in der Mehrzahl nicht dem Team von Herrn Dr. Matthes zur Last gelegt werden können. Sie sind vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die staatlich vorgesehenen und bereit gehaltenen Meldesysteme für die Erfassung von Impfschäden im Bezug auf die mRNA-​Präparate aus verschiedenen Gründen nicht richtig und hinreichend funktionieren. Verantwortlich dafür sind Fehlanreize im Monitoring für die Ärzte. U.a. ist diese Dokumentationstätigkeit sehr zeitaufwändig und wird nicht vergütet. Zudem unterliegt die Ärzteschaft in der aufgeheizten Stimmungslage einem politisch auf sie ausgeübten Konformitätsdruck, da die Impfungen offiziell immer noch als sicher und wirksam bezeichnet und empfohlen werden. Zudem dürften viele Ärzte, die die Präparate verabreicht haben, befürchten, dass sie durch die Meldung von Impfschäden selbst juristisch – mit unabsehbaren und womöglich weitreichenden – Konsequenzen in die Haftung genommen werden könnten.

11 Ralf Wurzbacher, Schwurbel-​Charité: Studie lässt auf massive Untererfassung von Impfschäden durch Corona-​Vakzine schließen. https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​8​3​705

13 https://​www​.nau​.ch/​n​e​w​s​/​e​u​r​o​p​a​/​p​o​l​i​z​e​i​g​e​w​a​l​t​-​u​n​-​e​x​p​e​r​t​e​n​-​k​r​i​t​i​s​i​e​r​e​n​-​s​y​s​t​e​m​v​e​r​s​a​g​e​n​-​i​n​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​6​6​1​6​0​689. Siehe auch Interview mit Melzer zu den Vorgängen illegitimer Polizeigewalt gegen Corona-​Maßnahmenproteste in Deutschland und anderen europäischen Ländern: https://​www​.youtube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​X​S​-​t​9​2​i​r​1AE

15 Wenn der ukrainische Staat nicht schon durch die Spannungen, Reibungen, Antinomien und Paradoxien seiner Entstehungsgeschichte, die nie gelöst werden konnten – ein Punkt, auf den Peter Scholl-​Latour kurz vor seinem Tod im Zusammenhang mit den Maidan-​Ereignissen hinwies – zum Scheitern verurteilt gewesen ist. https://​www​.heise​.de/​t​p​/​f​e​a​t​u​r​e​s​/​D​e​r​-​g​e​s​c​h​e​i​t​e​r​t​e​-​S​t​a​a​t​-​v​o​n​-​n​e​b​e​n​a​n​-​3​3​6​5​6​3​7​.​h​tml

16 Das Potenzial dazu besitzt Deutschland durch einen starken und eigenwilligen bürgerlichen Mittelstand mit viel Rückgrat immer noch, der sich allerdings in den letzten Jahren von der Politik (in allen ihren drei Dimensionen aus Policy und Polity und Politics), und insbesondere vom ausführenden Personal, zunehmend frustriert und entfremdet abgewandt hat. Es gibt auch genügend Querdenker in des Wortes bester Bedeutung (als freie und unabhängig denkende Menschen) aus den Bereichen der Gesellschaft, die wir bis vor kurzem als »bürgerliche Mitte« kannten und so zu bezeichnen pflegten. Schon vor Jahren fing man damit an, diese Menschen – statt sich mit den systemkritischen Gehalten ihrer Meinungsäußerungen auseinanderzusetzen und das den Absetzbewegungen und Protesten inhärente Repräsentationsproblem aufzugreifen und ernsthaft zu thematisieren – zu gefährlichen »Wutbürgern« und »rechten Populisten« zu erklären und abzukanzeln. Seit den ersten größeren Protestbewegungen gegen die Pandemiepolitik der Regierung müssen sie staunend mit ansehen, dass sie von dieser und in den Leitmedien zu Extremisten und Staatsfeinden erklärt werden.

Der Text erschien zuerst auf der Seite der GEW Ansbach.

Bild: Das Café Légère in Freiburg hat einen Hundenapf auf die Straße gestellt, zusammen mit einem Schild, auf dem »wir müssen draußen bleiben« steht. Gemeint sind jedoch keine Hunde, sondern Ungeimpfte (Hunde dürfen rein).


Über den Autor: 

Bernd Schoepe (geb.1965), freier Autor, ist langjähriges aktives GEW-​Betriebsgruppen-​Mitglied, ehem. Vertrauensmann und Mitglied der Hamburger Lehrerkammer. Hauptberuflich arbeitet er als Deutsch, Politik- und Philosophielehrer an einer Stadtteilschule und ist seit 2003 im Hamburger Schuldienst.

Kontakt: berndschoepe@​gmx.​de

Weitere Texte: Alle bisherigen Text von Bernd Schoepe im GEWerkschaftsMAGAZIN

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