Am 19. Mai 2022 forderte das EU‐Parlament die EU‐Kommission auf, unter anderem Sanktionen gegen Gerhard Schröder zu verhängen. Dieser Vorgang ist ein Zivilisationsbruch. Denn das EU‐Parlament hat mit dieser Forderung die Axt an die Gewaltenteilung gelegt. Aber gerade die Gewaltenteilung, die strikte Trennung zwischen gesetzgebender, vollziehender und rechtsprechender Gewalt galt bisher als zentrales Merkmal der bürgerlichen Demokratie und als wichtigste Sicherung gegen ihr Abgleiten hin zu einer Diktatur.
Die Forderung nach Sanktionen für Gerhard Schröder und die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissel ist in einer schwer zu findenden Entschließung versteckt, die den sperrigen Titel trägt: »Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Mai 2022 zu den Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine auf die Gesellschaft und die Wirtschaft in der EU – Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU (2022/2653(RSP)«.1
Begründet wird die Sanktionsforderung mit der Tatsache, dass Schröder und Kneissel im Aufsichtsrat der Russischen Erdölfirma Rosneft sitzen. Das EU‐Parlament kann selbst keine Sanktionen verhängen, aber durch den Entschließungsantrag wächst der Druck auf die EU‐Kommission, dies zu tun.2 Möglichweise werden Schröder und Kneissel schon in die Liste des sechsten Sanktionspaketes aufgenommen, über das gerade beraten wird. Wenn Personen mit Sanktionen belegt werden, bedeutet das, dass ihr Vermögen eingefroren wird und jedermann verboten wird, mit dieser Person Geschäfte zu machen.
Es macht einen riesigen Unterschied, ob Aus‐ oder Inländer sanktioniert werden. Die reichen russischen Oligarchen, deren Vermögen die EU beschlagnahmt hat, werden sicherlich auch in Russland selbst noch Vermögen besitzen und trotzt der Sanktionen nicht am Hungertuch nagen. Bei Personen, die ihren Lebensmittelpunkt in der EU haben, stellt sich die Sache völlig anders dar. De facto bedeutet das den sozialen Tod durch Hunger, den das EU‐Parlament für Schröder und Kneissel fordert. Denn das Verbot, Geschäfte zu machen, gilt für alle ohne jede Ausnahme. Auch für den Bäcker, der den beiden dann keine Brötchen mehr verkaufen darf.
Sanktionen für Inländer kommen einer Strafe gleich, einer Strafe für ein Verhalten, das zum »Tatzeitpunkt« in keinster Weise strafbar war. Wie ungeheuerlich dieser Vorgang ist, beschreibt Thomas Röper am Beispiel eines Falls in der Ukraine von 2021: »In der Innenpolitik gelten die Gesetze eines Landes. Sanktionen sind aber etwas, was in nationalen Gesetzen gar nicht vorgesehen ist. Wenn im Inneren eines Landes jemand etwas tut, was gegen geltende Gesetze verstößt, dann wird er im Rahmen der Gesetze bestraft. Natürlich gibt es Länder, in denen die Gerichte dann härter bestrafen, als es angemessen wäre oder in denen die Gerichtsverfahren unfair sind. Aber es wird zumindest formal auf Gerichtsverfahren gesetzt, um Unterdrückungsmaßnahmen formal zu rechtfertigen.
Aber im Falle von Sanktionen gibt es weder ein Gerichtsverfahren (nicht einmal einen unfairen Schauprozess), noch geht es um Verstöße gegen irgendwelche Gesetze. Sanktionen sind ein politisches Instrument. Aber selbst die härtesten Diktaturen haben bisher ihre Gesetze vorgeschoben, wenn sie Oppositionelle aus dem Verkehr ziehen wollten. Auf die Idee, Sanktionen gegen innenpolitische Gegner anzuwenden, ist bisher noch kein Diktator gekommen.
Das ist nun anders. Die Ukraine geht nun im Kampf gegen Regierungskritiker im Inland den Weg der Sanktionen. Dass betraf sowohl das Verbot von Fernsehsendern Anfang Februar und es betrifft nun auch den Oppositionsführer im ukrainischen Parlament: Wiktor Medwedtschuk. Der Chef der Partei »Oppositionsplattform für das Leben« wurde nun von der ukrainischen Regierung sanktioniert, sein Vermögen und das Vermögen seiner Frau wurde auf Anweisung des Sicherheitsrates der Ukraine eingefroren.»3
Dagmar Henn stellt zu Recht fest, dass der Westen dem faschistischen Ungeheuer, dem er sich in der Ukraine zugewandt hatte, selbst immer ähnlicher wird.
Die rechtsstaatlich korrekte Vorgehensweise wäre es eine EU‐Verordnung zu fordern, die EU‐Bürgern die Einnahme von Verwaltungsratssitzen russischer Unternehmen verbietet. Aber daran denkt bezeichnenderweise niemand.
Sicherlich ist Gerhard Schröder ein Unsympath und wegen seiner Agenda 2010 einer der meistgehasstem Männer Deutschlands. Das von ihm durch die Hartz‐Gesetze verursache Elend werden wir so schnell nicht vergessen. Aber wenn das durchgeht, werden immer mehr Menschen durch die Parlamente und Regierungen sanktioniert werden.
Anzeichen dafür gibt es genug: Die Kontenkündigungen von Ken Jebsen und RT Deutsch, die Kontensperrungen von tausenden Truckern in Kanada, mit denen die Maßnahmenproteste niedergeschlagen werden sowie die EU‐Terrorliste, die in sehr seltenen Fällen zu dem oben beschriebenen sozialen Tod von einzelnen in der EU lebenden Personen geführt hat.
Offenbar streben die Regierungen nach einer einfachen Möglichkeit, Dissidenten mit Kontensperrungen oder Nutzungseinschränkungen unterschiedlichen Ausmaßes zu sanktionieren. Mit dem geplanten rein digitales Zentralbankgeld als Teil des Great Reset ginge das noch viel einfacher.
Die Beobachtung von Linken durch die bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörden wird sehr gerne damit begründet, dass die von ihnen befürwortete Rätedemokratie keine Gewaltenteilung vorsehe. Nach diesen Kriterien ist das EU‐Parlament mit dem von ihm veranstalteten Ostrazismus ein eindeutiger Fall für den Verfassungsschutz geworden. Herr Haldewang, übernehmen Sie!
Verweise
1 https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA‑9 – 2022-0219_DE.html
2 Tagesschau: EU‐Parlament für Sanktionen gegen Schröder , 19.05.2022, im Internet: https://www.tagesschau.de/ausland/eu-parlament-schroeder-sanktionsforderungen-101.html, abgerufen am 23.05.2022
3 Anti‐Spiegel: Ukraine: Oppositionsführer kalt gestellt, Errichtung der Diktatur praktisch abgeschlossen, 20.02.2021, im Internet: https://www.anti-spiegel.ru/2021/ukraine-oppositionsfuehrer-kalt-gestellt-errichtung-der-diktatur-praktisch-abgeschlossen/, abgerufen am 23.05.2022.