Die SPD im Wan­del der Zeit – von einer Arbei­ter­par­tei zu Sozi­al­fa­schis­ten für Krieg und Kapital

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Leip­zi­ger Hoch­ver­rats­pro­zess 1872: Ihre Über­zeu­gung und Ihr Nein zum Krieg brach­ten Lieb­knecht und Bebel auf die Anklagebank

Wil­helm Lieb­knecht war einer der Grün­der­vä­ter der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei Deutsch­lands (SPD). Als radi­kal­de­mo­kra­ti­scher Revo­lu­tio­när betei­lig­te er sich aktiv an den Revo­lu­tio­nen von 1848/49 – nach der fran­zö­si­schen Febru­ar­re­vo­lu­ti­on vor allem in Baden. Bedingt durch deren Nie­der­schla­gung leb­te er von 1849 bis 1862 drei­zehn Jah­re im Exil: zunächst in der Schweiz und ab 1850 in Eng­land, wo er als Mit­glied des Bun­des der Kom­mu­nis­ten in engem Kon­takt zu Karl Marx und Fried­rich Engels stand und sich unter deren Ein­fluss mar­xis­ti­schen Posi­tio­nen zuwand­te. Zurück in Deutsch­land wur­de Lieb­knecht wäh­rend der ers­ten Jahr­zehn­te des Kai­ser­reichs zu einem der bekann­tes­ten Poli­ti­ker im Reichs­tag. Dort war er ein bedeu­ten­der Kon­tra­hent des Reichs­kanz­lers Otto von Bis­marck und des auf die Bis­marck-Ära fol­gen­den impe­ria­lis­ti­schen Welt­macht­stre­bens Deutsch­lands unter Kai­ser Wil­helm II.

Fer­di­nand August Bebel war ein sozia­lis­ti­scher deut­scher Poli­ti­ker und Publi­zist. Auch er war einer der Grün­der­vä­ter der deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie und gilt neben Lieb­knecht bis in die Gegen­wart als eine ihrer her­aus­ra­gen­den his­to­ri­schen Per­sön­lich­kei­ten. Sei­ne poli­ti­schen Anfän­ge wur­zel­ten im libe­ral-demo­kra­ti­schen Ver­eins­we­sen, ehe er sich dem Mar­xis­mus zuwand­te. Über Jahr­zehn­te arbei­te­te August Bebel mit Wil­helm Lieb­knecht zusam­men. Mit ihm grün­de­te er 1869 die Sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Arbei­ter­par­tei. Bebel war von 1867 bis 1881 und 1883 bis zu sei­nem Tod Mit­glied des Reichts­tags und ent­wi­ckel­te sich wäh­rend der Repres­sio­nen gegen die Par­tei durch das Sozia­lis­ten­ge­setz zur zen­tra­len Per­son der deut­schen Sozi­al­de­mo­kra­tie. Ab 1892 war er bis zu sei­nem Tod einer der bei­den Vor­sit­zen­den der SPD, wie sich die SAP 1890 nach Auf­he­bung des Geset­zes nannte.

Die bei­den Arbei­ter­füh­rer Lieb­knecht und Bebel wur­den vor allem aus einem Grund zur Ziel­schei­be kriegs­be­für­wor­tend Ent­flamm­ter: Als ein­zi­ge Abge­ord­ne­te der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­par­tei im Nord­deut­schen Reichs­tag hat­ten sie es gewagt, gegen alle Mehr­hei­ten zu han­deln. Bei der Abstim­mung über die bean­trag­ten Kriegs­kre­di­te in Höhe von 120 Mil­lio­nen Taler ent­hiel­ten sie sich der Stim­me. Die Kern­sät­ze ihrer schrift­li­chen Begrün­dung vom 21. Juli 1870 lauteten:

Als prin­zi­pi­el­le Geg­ner jedes dynas­ti­schen Krie­ges, als Sozi­al-Repu­bli­ka­ner und Mit­glie­der der Inter­na­tio­na­len Arbei­ter-Asso­zia­ti­on, die ohne Unter­schied der Natio­na­li­tät alle Unter­drü­cker bekämpft und alle Unter­drück­ten zu einem gro­ßen Bru­der­bun­de zu ver­ei­ni­gen sucht, kön­nen wir uns weder direkt noch indi­rekt für den gegen­wär­ti­gen Krieg erklä­ren und ent­hal­ten uns daher der Abstimmung.

Am 26. Novem­ber 1870 ver­wei­ger­ten die bei­den erneut die Zustim­mung zu wei­te­ren Kriegskrediten.

Wil­helm Liebknecht:

Wenn wir im Reichs­tag das Wort ergrif­fen – wel­che Sze­nen der Wut! Wie oft wur­den wir von ›dro­hen­den‹ Kol­le­gen umringt; wie oft ball­ten sich die Fäus­te. Ein Wun­der, dass es nicht zur Schlä­ge­rei kam.

Den bei­den Arbei­ter­füh­rern wur­de unter­stellt, sie hät­ten mit ihrer Stimm­ent­hal­tung Lan­des­ver­rat began­gen. Am Mor­gen des 17. Dezem­ber 1870 erfolg­te ihre Ver­haf­tung, zusam­men mit Adolf Hep­ner, einem Redak­teur der SDAP-Zei­tung Der Volks­staat.

Am Mon­tag, 11. März 1872, muss­ten sich die Arbei­ter­füh­rer Wil­helm Lieb­knecht und August Bebelverantworten.

Der Pro­zess begann vor dem Leip­zi­ger Schwur­ge­richt unter gro­ßer öffent­li­cher Betei­li­gung. Für den Straf­tat­be­stand der »Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­rat«, gar für die Vor­be­rei­tung eines inne­ren Umstur­zes, konn­ten kei­ne über­zeu­gen­den Bele­ge gefun­den werden.

Am 26. März 1872 sprach das Schwur­ge­richt sein Urteil. Der Redak­teur Hep­ner frei­ge­spro­chen, Lieb­knecht und Bebel erhiel­ten je zwei Jah­re Festungshaft.

Streng iso­liert blie­ben sie bis zum 28. März 1871 in Unter­su­chungs­haft. Als Bebel am 8. Juli sei­ne Haft im nord­säch­sisch gele­ge­nen Schloss Huber­tus­burg in Werms­dorf antrat, in dem Lieb­knecht schon ein­saß, hat­te er 31 Mona­te Haft vor sich. Er war mitt­ler­wei­le zusätz­lich wegen Majes­täts­be­lei­di­gung ver­ur­teilt worden.

Burg­frie­dens­po­li­tik 1914 – Wer hat uns verraten?

Am 4. August 1914 ver­sam­mel­te Kai­ser Wil­helm II. in Ber­lin die Abge­ord­ne­ten aller im Reichs­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en und hielt sei­ne Rede zum Kriegs­aus­bruch. In Bezug auf die Rede erklär­te er:

Ich ken­ne kei­ne Par­tei­en mehr, ich ken­ne nur noch Deut­sche! Zum Zei­chen des­sen, dass Sie fest ent­schlos­sen sind, ohne Par­tei­un­ter­schied, ohne Stam­mes­un­ter­schied, ohne Kon­fes­si­ons­un­ter­schied durch­zu­hal­ten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, for­de­re ich die Vor­stän­de der Par­tei­en auf, vor­zu­tre­ten und mir das in die Hand zu geloben.

Die­se Sät­ze tra­fen bei den Par­la­men­ta­ri­ern, auch bei der SPD – der stärks­ten Frak­ti­on im Reichs­tag – auf fast unge­teil­te Zustim­mung. Ein Grund dafür war, dass es der Regie­rung gelun­gen war, die Öffent­lich­keit zu über­zeu­gen, dass das Deut­sche Kai­ser­reich sich in einem »Ver­tei­di­gungs­krieg gegen Russ­land« befän­de. Der Reichs­tag stimm­te – mit zwei Ent­hal­tun­gen – geschlos­sen für die zur Kriegs­füh­rung benö­tig­ten Kriegskredite.

Die Begrün­dung für die Zustim­mung gab der SPD-Vor­sit­zen­de Hugo Haa­se. Er knüpf­te an die Posi­tio­nen der SPD zum »Ver­tei­di­gungs­krieg gegen Russ­land« an, indem er die frei­heit­li­che Zukunft des Vol­kes bei einem Sieg des »blut­rüns­ti­gen rus­si­schen Des­po­tis­mus« gefähr­det sah. Den Krieg bezeich­ne­te er als einen »auf­ge­zwun­ge­nen Erobe­rungs­krieg« und beton­te das »Recht eines Vol­kes auf natio­na­le Selbst­stän­dig­keit und Selbstverteidigung«.

Auch die Pres­se stell­te für die Zeit des Krie­ges die öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der Regie­rung ein und übte Selbstzensur.

Mit der Aus­sa­ge, man füh­re einen Ver­tei­di­gungs­krieg gegen die Aggres­si­on Russ­lands, hieß es am 31. Juli im Vor­wärts: »Wenn die ver­häng­nis­vol­le Stun­de schlägt, wer­den die vater­lands­lo­sen Gesel­len ihre Pflicht erfül­len und sich dar­in von den Patrio­ten in kei­ner Wei­se über­tref­fen lassen.«

Geg­ner des Krie­ges wie die Ver­tre­ter des lin­ken Par­tei­flü­gels Rosa Luxem­burg und Karl Lieb­knecht gerie­ten in der SPD in die Iso­la­ti­on. Ver­tre­ter des rech­ten Flü­gels setz­ten in der kur­zen Zeit zwi­schen Kriegs­be­ginn am 1. August bis zur Reichs­tags­ent­schei­dung am 4. August 1914 die Zustim­mung der Reichs­tags­frak­ti­on zu den Kriegs­an­lei­hen durch. Auch ehe­ma­li­ge Ange­hö­ri­ge des lin­ken SPD-Flü­gels wur­den zu Anhän­gern der Kriegs­po­li­tik, deren Ver­tre­ter sich schnell zu über­zeug­ten Kriegs­be­für­wor­tern mit teils offen natio­na­lis­ti­schen Posi­tio­nen wandelten.

Der Wider­stand der Burg­frie­dens­geg­ner gegen den Krieg, unter ihnen bei­spiels­wei­se Rosa Luxem­burg und Cla­ra Zet­kin, führ­te zum Par­tei­aus­schluss Lieb­knechts und ande­rer aus der SPD. Vie­le Burg­frie­dens­geg­ner, auch Lieb­knecht und Luxem­burg, wur­den 1916 zu lan­gen Haft­stra­fen ver­ur­teilt, aus denen sie erst zum Ende des Krie­ges wie­der ent­las­sen wur­den. Die revo­lu­tio­nä­ren Burg­frie­dens­geg­ner bil­de­ten 1914 die »Grup­pe Inter­na­tio­na­le«, aus der 1916 die Spar­ta­kus­grup­pe und im Novem­ber 1918 der Spar­ta­kus­bund her­vor­gin­gen. Der Spar­ta­kus­bund bil­de­te bis zum Kriegs­en­de den links­re­vo­lu­tio­nä­ren Flü­gel der USPD.

SPD = Sozialfaschismus?

Der Begriff Sozi­al­fa­schis­mus wur­de erst­mals im Zuge eines Links­schwenks der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le 1924 vom mar­xis­ti­schen Poli­ti­ker Gri­go­ri Sino­wjew kre­iert. Der Sozi­al­fa­schis­mus­the­se zufol­ge stell­te die Sozi­al­de­mo­kra­tie einen Flü­gel des Faschis­mus dar und war daher vor­ran­gig zu bekämpfen:

Der Faschis­mus ist eine Kampf­or­ga­ni­sa­ti­on der Bour­geoi­sie, die sich auf die akti­ve Unter­stüt­zung der Sozi­al­de­mo­kra­tie stützt. Die Sozi­al­de­mo­kra­tie ist objek­tiv der gemä­ßig­te Flü­gel des Faschis­mus. […] Die­se Orga­ni­sa­tio­nen schlie­ßen ein­an­der nicht aus, son­dern ergän­zen ein­an­der. Das sind kei­ne Anti­po­den, son­dern Zwillingsbrüder.

Otto Wil­le Kuusi­nen kenn­zeich­net den Sozi­al­fa­schis­mus wie folgt:

Die Faschis­ten sind Natio­na­lis­ten, Impe­ria­lis­ten, Kriegs­het­zer, Fein­de des Sozia­lis­mus, Fein­de der Demo­kra­tie, Wür­ger der selb­stän­di­gen Arbei­ter­be­we­gung, Arbei­ter­mör­der usw. […] Die Sozi­al­fa­schis­ten han­deln in der Regel wie die Faschis­ten, aber sie tun ihr faschis­ti­sches Werk nicht mit offe­nem Visier, son­dern arbei­ten hin­ter einem Nebel­rideau, wie man es im Krieg anwen­det. Das gehört zum Wesen des Sozi­al­fa­schis­mus: Impe­ria­lis­ti­sche Poli­tik im Namen des Inter­na­tio­na­lis­mus, kapi­ta­lis­ti­sche Poli­tik im Namen des Sozia­lis­mus, Abbau der demo­kra­ti­schen Rech­te der Werk­tä­ti­gen im Namen der Demo­kra­tie, Abbau der Refor­men im Namen des Refor­mis­mus, Arbei­ter­mör­der­par­tei im Namen der Arbei­ter­po­li­tik usw. […] Die Zie­le der Faschis­ten und Sozi­al­fa­schis­ten sind die­sel­ben, der Unter­schied besteht in den Losun­gen und teil­wei­se auch in den Methoden.

Noch im Mai 1933 erklär­te die KPD:

Die völ­li­ge Aus­schal­tung der Sozi­al­fa­schis­ten aus dem Staats­ap­pa­rat, die bru­ta­le Unter­drü­ckung auch der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on und ihrer Pres­se ändern nichts an der Tat­sa­che, dass sie nach wie vor die sozia­le Haupt­stüt­ze der Kapi­tals­dik­ta­tur darstellen.

Die SPD und der Koso­vo-Krieg: Mas­sen­mord durch SPD, Grü­ne und NATO

Im Jahr 1999, nur sechs Mona­te nach der Bun­des­tags­wahl 1998, hat­ten SPD und Grü­ne unter dem ehe­ma­li­ge Bun­des­kanz­ler Ger­hard Schrö­der Jugo­sla­wi­en den Krieg erklärt. Es war der ers­te Angriffs­krieg mit deut­scher Betei­li­gung seit dem Zwei­ten Welt­krieg. Man sprach in sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Medi­en von einer »Zei­ten­wen­de«. Die SPD hat­te sich bereits 1914 von Frie­dens­po­li­tik ver­ab­schie­det und auch die Grü­nen schrie­ben in ihrem Wahl­pro­gramm 1998: »Ein ein­sei­ti­ger Aus­tritt Deutsch­lands aus der NATO ist abzu­leh­nen«. Am 24. März 1999 began­nen Nato-Streit­kräf­te, die Bun­des­re­pu­blik Jugo­sla­wi­en zu bombardieren.

Ukrai­ne-Kon­flikt 2022: Sozi­al­de­mo­kra­ten stim­men geschlos­sen für Bun­des­tag für Lie­fe­rung schwe­rer Waf­fen an die Ukraine

Am 24.02.2022 ver­kün­de­te die SPD-Frak­ti­on im Bun­des­tag, dass der Angriff Russ­lands auf die Ukrai­ne eine tie­fe Zäsur mar­kie­ren wür­de«, bei der es sich um einen völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriffs­krieg han­de­le. Der rus­si­sche Prä­si­dent sei ein Kriegs­ver­bre­cher und er und die rus­si­sche Füh­rung wür­den dafür einen hohen Preis bezahlen.

Auf gemein­sa­men Antrag der Frak­tio­nen SPD, CDU/CSU, BÜND­NIS 90/DIE GRÜ­NEN und FDP unter Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz stimm­te der deut­sche Bun­des­tag am 28. April 2022 in nament­li­cher Abstim­mung für die Lie­fe­rung schwe­rer Waf­fen an die Ukrai­ne. 586 Abge­ord­ne­te stimm­ten dafür, 100 stimm­ten mit Nein, sie­ben ent­hiel­ten sich. Inner­halb der SPD stimm­ten 193 Abge­ord­ne­te dafür, es erfolg­te kei­ne Nein-Stim­me und kei­ne Enthaltung.

Der SPD-Vor­sit­zen­de Lars Kling­beil erklär­te hier­zu, dass er »dank­bar« dafür sei, dass die Ampel-Frak­ti­on, also SPD, Bündnis90/​Die Grü­nen und die FDP gemein­sam mit der Uni­on den Antrag auf den Weg gebracht hät­ten. Der Antrag rich­te das kla­re Signal an Russ­land »dass wir auf der rich­ti­gen Sei­te der Geschich­te als Deut­scher Bun­des­tag stehen«.

»Eure »Ord­nung” ist auf Sand gebaut. Die Revo­lu­ti­on wird sich mor­gen schon »ras­selnd wie­der in die Höh‹ rich­ten” und zu eurem Schre­cken mit Posau­nen­klang ver­kün­den: ich war, ich bin, ich wer­de sein!« (Rosa Luxem­burg, ermor­det am 15. Janu­ar 1919 in Ber­lin im Auf­trag und mit Rücken­de­ckung des SPD-Poli­ti­kers Gus­tav Noske, der für die blu­ti­ge Nie­der­schla­gung kom­mu­nis­ti­scher Auf­stän­de – u. a. Spar­ta­kus­auf­stand – ver­ant­wort­lich war.

Bild: Pho­to des Gemäl­des »Der Pro­zess gegen Bebel und Lieb­knecht« von Micha­el Gaw­lik, Leip­zig 1975, Hubertusburg

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