Stellvertreterkrieg in der Ukraine – Chronologie eines absehbaren Konflikts

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Der 21. Februar 2022 markierte den Beginn einer neuen globalen historischen Epoche – und Deutschland entschied, sich selbst auf der Seite der Verlierer zu positionieren. Doch der Reihe nach: Was war geschehen?

30 Jahre zuvor, am 8. Dezember 1991, wurde – ohne jegliches demokratisches Mandat – die Sowjetunion aufgelöst. Die nun »unabhängig« gewordenen Republiken durchlebten, lediglich abgesehen von Weißrussland, im sich anschließenden Jahrzehnt einen beispiellosen Verfall ihrer Wirtschaft wie ihrer Kultur. Volkseigentum verwandelte sich in Windeseile in Raubeigentum von zu Oligarchen aufgestiegenen ehemaligen Kombinatsdirektoren, wurde nicht selten nach Amerika verschifft; analog zu einer rapide fallenden durchschnittlichen Lebenserwartung explodierte die Säuglingssterblichkeitsrate; viele ehemalige Sowjetbürger versuchten diesem Elend zu entgehen, indem sie ihr zu einer De‐​Facto‐​Kolonie degradiertes Land verließen und in den Westen migrierten.

Dort, im Westen, dominierte zu jener Zeit folgende Erzählung: Die Völker Osteuropas und der Sowjetunion seien befreit worden von sozialistischer Diktatur und Misswirtschaft und würden sich nun auf den tugendhaften und von den westlichen Zivilisationen erfolgreich vorgelebten Pfad von liberaler Demokratie und kapitalistischer Marktwirtschaft begeben – mancherorts wurden gar »blühende Landschaften« prophezeit… Warum dominierte diese Erzählung? Weil ein neues Zeitalter angebrochen war, das dem US‐​Imperialismus glauben machte, auf der ganzen Welt nach Lust und Laune schalten und walten und den Planeten den eigenen Verwertungsinteressen entsprechend formen zu können – notfalls auch mit Waffengewalt, wie etwa 1999, als basierend auf einer Lüge und bar jedes völkerrechtlichen Mandats Uranbomben auf Jugoslawien abgeworfen wurden. Im Windschatten amerikanischer Expansionsbestrebungen segelte damals übrigens Deutschland mit, dessen Konzerne sich an der Einverleibung der DDR und der Eroberung ost‐ und südosteuropäischer Märkte eine goldene Nase verdienten.

Animation mit der Darstellung der schrittweisen Erweiterung der NATO bis 2020

Erste Risse in der neuen Weltordnung taten sich auf, als sich Russland mit Beginn der Präsidentschaft von Wladimir Putin, der dem Ausverkauf des Landes einen Riegel vorschob, auf seine nationalen Interessen zu besinnen begann. Putin hegte damals die illusorische Hoffnung, Russland im Einvernehmen mit dem Westen aus dem Elend und Chaos der 90er Jahre herausführen zu können. Doch der Westen schlug Russlands ausgestreckte Hand wieder und wieder brüsk zurück und setzte die gegen anfängliche Zusicherungen an Gorbatschow verstoßende Osterweiterung des NATO‐​Kriegsbündnisses, das heißt die militärische Einkreisung Russlands, ungeniert fort. 2008 holte sich der Westen in Auseinandersetzung mit Russland erstmals eine blutige Nase, als ein von der NATO angestacheltes Georgien sein Militärabenteuer gegen Russland verlor.

2014 schließlich inszenierten EU und NATO in der Ukraine einen Regimewechsel (»Maidanrevolution«) gegen den demokratisch gewählten und auf Ausgleich zwischen EU und Russland setzenden Präsidenten Wiktor Janukowitsch. An dessen Stelle trat eine mit waschechten Faschisten durchsetzte Junta, die den russischsprachigen Menschen im Land den Krieg erklärte. Gestützt auf ein Referendum schloss sich die russisch geprägte Krim daraufhin der Russischen Föderation an. Ähnliches versuchten Menschen im nicht minder russisch geprägten Donbass, wo sich kurz darauf die beiden Volkrepubliken Donezk und Lugansk konstituierten – ohne allerdings von Russland anerkannt worden zu sein. In der Folge entbrannte im Donbass ein heftiger Krieg zwischen den selbsternannten Volksrepubliken einerseits und andererseits sogenannten »Freiwilligenbataillonen«, nachdem die reguläre ukrainische Armee im Donbass schnell zerfallen war und viele Soldaten sich den Einheiten der Volksrepubliken anschlossen. Bei diesen »Freiwilligenbataillonen« wie etwa dem berühmt‐​berüchtigten »Asow‐​Bataillon« handelt es sich um paramilitärische Verbände von Faschisten, das heißt von Gruppierungen, die sich selbst in der Tradition ukrainischer Nazi‐​Kollaborateure der 40er Jahre verorten, mit entsprechender Symbolik aufwarten und es sich zum Ziel gesetzt haben, die russische Ethnie auszurotten. Diese Bataillone wurden rasch als Einheiten in die reguläre Armee des neuen Maidan‐​Regimes integriert – nur ein Indiz unter vielen, dass sich die Ukraine seit 2014 in einem stetigen Faschisierungsprozess befindet.

2015 wurde im Rahmen von »Minsk II« ein Friedensabkommen ausgehandelt, dessen Ziel es war, die von den Separatisten gehaltenen Gebiete in die Ukraine wiedereinzugliedern bei gleichzeitiger Zusicherung weitgehender Autonomierechte. Auf ukrainischer Seite bürgte der Westen, auf separatistischer Seite Russland als Garantiemacht. Doch in Kiew, das es nicht einmal für nötig befand, mit den Separatisten zu reden, dachte man keine Sekunde daran, sich an dieses Abkommen zu halten, der Krieg wurde einfach fortgesetzt und niemand im Westen hinderte Kiew daran. Im Gegenteil – obwohl die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wurde, wurden vor der Front im Osten und unter reger Beteiligung der »Freiwilligenbataillone« NATO‐​Trainingslager errichtet, die dafür sorgten, dass die militärische Infrastruktur der Ukraine Stück um Stück in die der NATO einverleibt wurde. Zudem: Anfang 2022 setzte Kiew unter wohlwollender Billigung der USA eine Eskalationsspirale in Gang, die sich im Beginn einer militärischen Großoffensive im Donbass und in der Ankündigung des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenksiys, die Ukraine atomar aufzurüsten, ausdrückte.

Die Resultate sind bekannt: Nach unendlich langen acht Jahren erkannte Russland am 21. Februar die Volksrepubliken an und begann drei Tage später seine Militäroperation in der Ukraine mit dem Ziel, dieses Land zu entnazifizieren und entmilitarisieren, das heißt es nicht länger als Aufmarschgebiet der NATO, als lebensbedrohlichen Stachel im eigenen Fleisch zu dulden. Russland tut damit zweierlei: Zum einen verteidigt es sich gegen ein die eigene Existenz gefährdendes Kriegsbündnis und ihren De‐​Facto‐​Vorposten im Osten. Indem es sich verteidigt, wirkt es gleichzeitig und zum Zweiten aber auch als Geburtshelfer einer neuen, einer multipolaren Weltordnung, die sich bereits seit zwanzig, beschleunigt aber seit zehn Jahren angekündigt hat. Als Protagonist dieser neuen Weltordnung agiert neben und in Zusammenarbeit mit Russland China. China hat in den letzten Jahrzehnten einen historisch beispiellosen Aufstieg hingelegt und mit der »One Belt, One Road Initiative« (Neue Seidenstraße) einen alternativen Pfad der Globalisierung eröffnet, der koloniale und imperiale Abhängigkeitsverhältnisse nicht verstetigt, sondern auflöst und dem 500 Jahre währenden »kolumbianischen Zeitalter«, das auf der brutalen Dominanz des Westens (oder, je nach Perspektive, des Nordens) beruht, ein Ende setzen könnte.

Deutschland scheint sich entschieden zu haben, mit den Verlierern der Geschichte dem eigenen Untergang entgegen zu segeln. Die Gewinner von damals sind die Verlierer von heute. Der US‐​Imperialismus weiß, dass er auf lange Sicht mit China nicht wird mithalten können. Genau das entzöge ihm aber seine eigene Existenzgrundlage, da seine Macht mit der Unipolarität, also mit der Niederhaltung aller anderen Nationen (und des eigenen Volkes) steht und fällt. Deshalb sehen nicht unmaßgebliche Kräfte in einer Art finalen Schlacht gegen Russland (und wahrscheinlich auch China) ihren letzten Rettungsanker. Und aus diesem Grund wird den eigenen Verbündeten eine selbstzerstörerische Vasallentreue abverlangt, was sich an Deutschland besonders gut ablesen lässt. Ein Deutschland, das sich seinen östlichen Nachbarn Russland zum Feind macht, wird in seiner momentanen Form nicht lange Bestand haben. Das ist heute nicht anders als vor 80 Jahren. Deutschland ist auf russische Rohstoffe wie kaum ein anderes Land angewiesen – zu besseren Konditionen, finanziell wie ökologisch, wird es sie nicht bekommen. Statt das nüchtern zur Kenntnis zu nehmen, beteiligt sich Deutschland nicht »nur« an der Sanktionseskalationsspirale, macht es nicht »nur« Jagd auf russische und sowjetische Kultur, auf Stätten der Erinnerung – es schickt sich, angeheizt durch die grünen Kriegstreiber Habeck, Baerbock und Hofreiter, sogar an, schwere Waffen an das ukrainische Regime zu liefern und so Russland mittelbar den Krieg zu erklären.

Zu 1945 konnte es nur kommen, weil wir Knechte es damals versäumten, die Herren rechtzeitig zum Teufel zu jagen. Wiederholen wir denselben Fehler nicht ein zweites Mal.

Bild: Kurt Volker (rechts), von 2017 bis 2019 Sondergesandter der USA für die Beziehungen zur Ukraine, mit Energieminister Rick Perry bei der Amtseinführung des neugewählten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj (links) und dessen Frau Olena Selenska (Foto: Präsidialamt der Ukraine)

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