Katyn: Der Westen glaubt den Nazis

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Die deutschen Besatzer präsentierten 1943 bei Katyn in der heutigen Ukraine tausende von Leichen von polnischen Kriegsgefangenen als Ergebnis eines sowjetischen Massakers. Nikita Chruschtschow klagte seinen Vorgänger Josef Stalin an, 61 schwere Verbrechen begangen zu haben. Der nordamerikanische Historiker Grover Furr beleuchtet beides sehr kritisch.

Grover Furr, Geschichts-​Professor an der Montclair State University New Jersey, studierte regelmässig russische Originalwerke und ‑dokumente. Er stellte fest, dass im englischsprachigen Standardwerk des Princeton-​Geschichtsprofessors Stephen Kotkin Stalin. In Erwartung Hitlers, 1929 bis 1941 über die schröcklichen Stalinschen Verbrechen und Massaker die Fussnoten die antikommunistischen Aussagen nicht stützten, sondern ihnen widersprachen.

Chruschtschow und Trotzki spalteten die Linke

Sein weiteres ausgiebiges Studium der russischen Quellen bestätigte seine Erkenntnis. 60 der 61 Verbrechen und Massaker, mit denen Nikita Chruschtschow den antirevisionistischen Stalin in seiner »Geheimrede« nach dessen Tod im Februar 1956 angeklagt hatte, erwiesen sich laut seinen Nachforschungen als Lügen: Die Verbrechen und Massaker hätten nicht stattgefunden oder seien von den Nazis begangen worden, bei einem sei die Faktenlage zu dünn, um zu einer Entscheidung zu kommen. »Chruschtschows Rede war ein extrem harter Schlag, von dem sich die weltweite kommunistische Bewegung nie erholte«, so Furr. Und:

Indem sie ihre Arbeiten auf Chruschtschows (und Trotzkis) Lügen gründeten, fälschten sowjetische und westliche anti-​stalinistische Historiker in Wirklichkeit die sowjetische Geschichte. Alles, was wir über die Stalinjahre zu wissen glaubten, hat sich als falsch erwiesen. Die Geschichte der UdSSR und der kommunistischen Bewegung des Zwanzigsten Jahrhunderts muss komplett neu geschrieben werden.

Westallierte und UdSSR spalten, Polen gegen die Sowjetunion aufhetzen Grover Furr beschäftigte sich intensiv mit dem angeblich sowjetischen Massaker in Katyn in der Nähe von Smolensk in der westlichen Sowjetunion (heute ukrainisches Gebiet). Im April 1943 erklärten die deutschen Behörden, sie hätten auf ihrem Ostfeldzug die Leichen von 4.400 von Sowjetrussland ermordeten polnischen Kriegsgefangenen in einem Wald bei Katyn ausgegraben und präsentierten sie der internationalen Öffentlichkeit – offenbar in der Absicht, die Westallierten und die Sowjetunion zu spalten und Polen gegen die Sowjetunion aufzuhetzen. Die polnische Exilregierung war spontan mit der Erklärung der Deutschen einig und verbreitete sie in der westlichen Welt.

Später behauptete der Westen, in Polen seien 22.000 bis 25.000 ausgegrabene Leichen von Offizieren, Polizisten und Angehörigen von Vorkriegseliten der Zweiten Polnischen Republik auf Anordnung von »Diktator Josef Stalin« umgebracht worden. Die offizielle antistalinistische, westliche Version ist auf der Wikipedia-​Webseite nachzulesen.

Untersuchung der Burdenko-Kommission

Im Januar 1944, die Rote Armee hatte die deutsche Wehrmacht soeben nach Westen verjagt, untersuchten die sowjetischen Behörden den Fall. Der Bericht der Burdenko-​Kommission gab eine ganz andere Beschreibung der Ereignisse und erklärte, die Morde seien nach 1941, also zur Zeit der deutschen Besatzung, begangen worden. Und natürlich glaubte und glaubt der Westen den Nazis, die dafür bestimmt waren, die Sowjets und den Kommunismus zu diffamieren, zu zerstören und den Kapitalismus zu retten. Die Administrationen Gorbatschow und Jelzin erklärten dann Anfang der Neunziger Jahre zur Freude des Westens die antikommunistische Version der Nazis und Westalliierten als der Wahrheit entsprechend und präsentierten gefälschte Beweise.

Großer politischer Historikerstreit

1992, unter Boris Jelzin, wurden streng geheime russische Dokumente, die Furr »Smoking Gun Documents« nennt, die die sowjetische Schuld beweisen sollten, der polnischen Regierung übergeben. In seinem 1995 erschienen Buch über die Katyn-​Morde zeigte Juri Mukhin auf, dass die »Smoking Gun Documents« Fälschungen waren und die Geschichte des Katyn Massakers eine Fiktion, die bezweckte, die Zerstörung der Sowjetunion zu erleichtern. Das Buch stützte die Position der russischen Kommunisten und der linken Nationalisten. Ein grosser politischer Historikerstreit war die Folge. »2010 wurden dann ernsthafte Beweise entdeckt, die gegen die sowjetische Schuld sprechen«, hält Grover Furr in seinem Buch Das Geheimnis des Massakers von Katyn fest. Er identifizierte und prüfte alle Beweise und studierte auch die offizielle westliche Version. Siehe auch seine Webseite »Katyn Forest Whodunnit«.

»Sardinenpackungen« nach SS-Art

Prosowjetische Forscher kamen zum Ergebnis, die Sowjets hätten eine kleine Anzahl polnischer Kriegsgefangener, Offiziere und andere, erschossen. Den Rest hätten die Nazis nach ihrer Inva-​sion von Polen umgebracht. Grover Furr hält diese Version für die wahrscheinlichste. Dies unter anderem weil die 2010 bis 2012 aus Massengräbern ausgegrabenen Leichen zeigten, dass die Menschen nicht standrechtlich füsiliert, sondern nach Nazi-​Art von hinten erschossen worden waren. Die Anordnung der Leichen in den Massengräbern war auch nach der Gewohnheit der routinierten und spezialisierten SS wohl geordnet, zum Beispiel in ihrer Form der «Sardinenpackung». Die Tatsache, dass auch Kinderleichen ausgegraben wurden, weist ebenfalls auf die Nazis: »Die Sowjets exekutierten keine Kinder«, schreibt Grover Furr.

Bild: Das antikommunistische Mahnmal in Katyn für die angeblich von den Sowjets 1940 in Katyn und anderswo in der Ukraine begangenen Massaker an polnischen Kriegsgefangenen (Wikipedia). 

Dieser Artikel erschien zuerst auf damianbugmann​.ch

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