Ishay Landa, Historiker an der Israeli Open University, legte mit seiner im Jahr 2010 erschienen Studie The Apprentice’s Sorcerer. Liberal Tradition and Fascim eine ideengeschichtliche Arbeit über die geistigen Wurzeln des Faschismus vor. Elf Jahre später verdanken wir Raul Zelik und dem Karl Dietz Verlag eine, bis auf ein, zwei Tippfehler, rundweg gelungene Übersetzung dieses wichtigen, gut 400 Seiten starken Buches. Lediglich das Fehlen eines Personen‐ und Sachregisters ist anzukreiden. Warum man der Studie eine viel frühere Übersetzung gewünscht hätte, will diese knapp gehaltene Rezension kurz andeuten.
Landa setzt sich mit dem ideengeschichtlichen Ansatz der Faschismusforschung auseinander, vor allem mit Zeev Sternhell und seinen Anhängern. Dieser vertritt die Auffassung, dass man die Faschisten beim Wort nehmen, ihre Ideen ernst nehmen müsse statt hinter ihren Äußerungen bloß demagogisches Blendwerk, Verlockung, Manipulation der Massen und Suggestion zu sehen, wie dies die materialistische, marxistisch beeinflusste Geschichtsforschung tat. Letztere sah in dem oft eklektischen Mix aus Irrationalismus, Mystik, Rassismus und Neopaganismus eine Ideologie als Überbau zum Zwecke der eigentlichen Funktion des Faschismus: den Kapitalismus für die Kapitalisten vor dem Kommunismus und den Massen zu retten.
Dabei lehnt Landa die materialistischen Thesen und Forschungen keineswegs ab – im Gegenteil. Er beschränkt sich auf die Behandlung des ideologischen Überbaus, weil er seinen Gegner auf dessem eigenen Terrain schlagen will und dies dank seiner meisterhaften Beherrschung aller behandelten Autoren und dank klarer, messerscharfer Argumentation eingebettet in profundes historisches Wissen in beeindruckender Weise schafft. In insgesamt sechs Kapiteln werden Denker von Locke über Carlyle, Constant und Donoso Cortes oder Malthus und von Mises zu Proudhon und Pareto über Sorel, Spengler und Schmitt zu Toqueville und einige mehr in Bezug auf die Leitfrage nach dem Verhältnis von Liberalismus und Faschismus abgehandelt.
Doch erst einmal zurück zum »idealistischen« Ansatz (Landa), der versucht den Faschismus über dessen Ideen zu fassen, indem er ihn beim Wort nehmen will. Die faulen Früchte dieser Herangehensweise kennen wir zuhauf aus dem Alltag der ideologischen Auseinandersetzung. Der Faschismus sei antiliberal (sprich: er hat nichts mit dem Kapitalismus zu tun), im Grunde gar eher sozialistischen Ursprungs (sprich: er ist eigentlich mit dem Kommunismus verwandt, will heißen: letzterer ist Schuld) und überhaupt sei er durch eine terroristische Diktatur der Mehrheit, also der Massen gekennzeichnet (sprich: echte Demokratie führt zum Faschismus) und mitnichten, wie in der Linken kolportiert, ein ultimativer Versuch der Oligarchen und Eliten, den Kapitalismus mit allen Mitteln – zumeist als imperialistische Flucht nach vorne und außen – vor einer echten mit den vorhandenen Eigentumsverhältnissen inkompatiblen Massendemokratie zu retten.
Landa zeigt, wie schon der Urvater des Liberalismus Locke das Eigentumsrecht im Naturrecht absicherte und somit stets eine autoritäre Option oder den Ausnahmezustand legitimierte – für den Fall, dass auch über demokratische Wege jemand am Privateigentum rütteln wollen würde. Bereits hieraus ergibt sich die zentrale methodische Achse wie erkenntnisleitende Unterscheidung zwischen politischem und wirtschaftlichem Liberalismus.
Je nach historischer Lage und Kräfteverhältnis im Klassenkampf variiert bei Liberalen das Verhältnis von politischem zu wirtschaftlichem Liberalismus. Stellt die Arbeiterbewegung keine Gefahr dar und kann man sich gewisse politische Freiheiten erlauben, ohne dass Grundlagen des wirtschaftlichen Systems angetastet werden müssen, dann gewährt man diese gönnerhaft, zumindest in der Heimat, seltener in den Kolonien. Sobald aber die qualitative wie quantitative Erweiterung der Demokratie zu einer immer mächtigeren Organisiertheit der Arbeiter führte, wie Landa zur Genüge aufzeigt, wird zunächst zur intellektuellen wie emotionalen Manipulation vermehrt auf Konservatismus und Nationalismus wie andere Formen des Irrationalismus gesetzt. Hilft auch das nicht weiter, muss die Demokratie beseitigt werden, um die Herrschaft der Kapitalisten zu erhalten.
Der politische Liberalismus, schon früh von der Bourgeoisie als Gefahr für ihre Klassenherrschaft erkannt, emigrierte so schon früh ins Lager der Arbeiterklasse, während immer mehr wirtschaftsliberale Denker sich den Kopf darüber zerbrachen, wie man die parlamentarische Machtübernahme der Arbeiter verhindern könne.
Anhand zahlreicher faschistischer Vordenker und Politiker zeigt Landa auf, dass der Faschismus mitnichten antikapitalistisch, antiliberal (im antiindividualistischen Sinne) und antielitär war, woraus übrigens die seit Jahrzehnten zu beobachtbare Korruption des heutigen Antifaschismus rührt, sondern den Kapitalismus nie in Frage stellte, überhaupt dessen Profitprinzip metaphysisch und sozialdarwinistisch zum »Rassenkampf« zuspitzte, hinter dem manchmal mehr, manchmal weniger versteckt die Klassenfrage hervorlugte. Faschisten ekelten sich vor der Massengesellschaft. Das Durchschnittsindividuum, das eigentlich keine Person sei, sondern Abklatsch des unpersönlichen »Man«, wie der Nazi Heidegger sagen würde, ist ihnen ein Graus, eine Chiffre für die oftmals den Juden zugeschriebene »berechnende Vernunft« der Krämerseele, bare Münze: austauschbar. Dagegen wird die heroische Persönlichkeit gestellt, stark und skrupellos, um ihre Überlegenheit wissend, geboren zum Befehlen, Ausdruck echten Individualismus’ und eines höheren irrationalen dem Sklavenmenschen unzugänglichen kräftigen und lebendigen gegen die kalte langweilige Abstraktheit des Verstandes gesetzten Prinzips der überlegenen und mitleidlosen Herrenrasse. Da mächtige und elitäre liberale Zirkel in Geschichte und Gegenwart – trotz teils anderslautender Lippenbekenntnisse – politische Freiheiten nur ihresgleichen zugestehen, ist der exaltierte Elitismus vieler Faschisten nur expliziter und im Angesicht der »Gefahr« der Massendemokratie als legitimatorische Strategie offensiver, aber im wesentlichen nicht arg verschieden.
Warum aber, wird der gebildete Leser einwenden, dann die beißende Kritik faschistischer und protofaschistischer Texte (Landa zählt übrigens Proudhon dazu) am Liberalismus?
Hier kommt die Unterscheidung zwischen politischem und wirtschaftlichem Liberalismus ins Spiel. Der wirtschaftliche Liberalismus, also der Kapitalismus, wurde, so die These Landas, von Faschisten zu keiner Zeit in Frage gestellt. Höchstens in täuschenden Worten, weil man nur verkleidet in sozialistischer Terminologie überhaupt noch die Massen erreichen konnte: Stichwort »preußischer« oder »gallischer Sozialismus«. Täuschung ist das notwendige Programm des Faschismus. Aus diesem Grund ist die von Landa kritisierte Herangehensweise Sternhells, der die Faschisten »beim Wort nehmen« will, so naiv wie in ihren politischen Konsequenzen fatal. Der politische Liberalismus, charakterisiert durch Wahlrecht, Parlamentarismus, Meinungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und so weiter, wurde nur deshalb angegriffen, legt der Israeli überzeugend dar, weil er den wirtschaftlichem Liberalismus nicht verteidigen konnte. Er ganz im Gegenteil dem Feind die Mittel zur Überwindung desselben in die Hand gab. Weil der politische Liberalismus zur Gefahr für den ökonomischen Liberalismus wurde, wurde er bekämpft und als schädliche auch die Vertreter der herrschenden Klasse verweichlichende Ideologie angesehen, die einzig und allein dem Gegner zugute käme.
Um es etwas prägnanter zu fassen: Im Grunde weist Landa auf multiplen Ebenen nach, dass die Ideologie des Faschismus auf ideeller Ebene genau die Funktion zum Ausdruck bringt, die ihm Marxisten in materieller Hinsicht zuschreiben, nämlich den Kapitalismus zu erhalten, indem man den Kommunismus bekämpft. Landa besiegt damit die »idealistische« Auslegung des Faschismus von Sternhell, Michael Mann und Gefolgschaft zugleich auf dem Gebiet des Überbaus und rehabilitiert damit indirekt den marxistischen Materialismus.
Natürlich ist der Liberalismus was anderes als der Faschismus, aber beide haben viel mehr gemeinsame Gene als es den Verfechtern des gegenwärtigen Neoliberalismus lieb sein kann, übrigens auch was Rassismus und Eugenik betrifft. Der seit Jahrzehnten praktisch mit dem Anstieg des Neoliberalismus zunehmende Grad an Autoritarismus in westlichen Gesellschaften ist eine empirische Bestätigung für das von Landa so famos auseinandergenommene Beziehungsgeflecht zwischen Liberalismus und Faschismus. Die seit gut zwei Jahren unter dem Vorwand einer harmlosen Krankheit ausgerufenen weltweiten Ausnahmezustände sind zusätzlich ein schlagender Beweis.
Wenn es hart auf hart kommt, dann hat die Bourgeoisie nicht die geringsten Skrupel den Schafspelz des politischen Liberalismus abzustreifen und sich als faschistischer Wolf zu offenbaren. Wie heißt es so treffend: »Kratz’ ’nen Liberalen und es blutet ein Faschist.«
Diesem Buch wünscht man eine weite Zirkulation in der im Widerstand gegen die Corona‐Diktatur entstandenen »Demokratiebewegung«, damit es dieser doch vielleicht einmal dämmert, dass die politischen Freiheiten nur gegen den Kapitalismus gesichert und garantiert werden können. Die Demokratie, da hatte Hitler ausnahmsweise Recht, ist mit dem Kapitalismus unvereinbar, ihre wirtschaftliche Voraussetzung ist die rationale und demokratische sozialistische Planwirtschaft.
Man kann diese Wissenslücke den kleinbürgerlichen Schichten kaum vorwerfen, denn die Arbeiterbewegung wurde in den letzten Jahrzehnten sowohl effektiv vom Kapital zerschlagen als auch durch eigene Unfähigkeit und Opportunismus ruiniert, ihre historische Kontinuität ist in aktuter Gefahr. Der traurige Anblick der Überbleibsel dieser einst stolzen und mächtigen welthistorischen Bewegung und vor allem das Eintreten jener für das autoritäre Corona‐Regime und sonstige Schandtaten der Herrschenden von der Klimahysterie bis zu imperialistischen Abenteuern oder reaktionärem sexistischen Gegendere hat das Ansehen der Arbeiterbewegung fast vollends zerstört. Leider zurecht. Die heutige Linke liefert dabei zu allem Überfluss indirekt noch eine Bestätigung der dämlichen und überall anzutreffenden antikommunistischen Stereotype, wonach zwangsläufig Linke antiliberal und diktatorisch seien.
Der sogenannten Antifa und dem Großteil der Linken, die wie das verängstige Kindlein unter das Kleid der heiligen Corona geschlupft ist, sei dieses Buch genauso dringend anempfohlen. Wer politische Freiheiten opfert, der opfert die Anliegen der Arbeiterklasse und unterstützt genau das, was die Faschisten wollen, wenn die Liberalen nicht mehr können: die nackte Macht der kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutung und Unterdrückung frei von jeder Illusion. Indem die Mainstreamlinke der von Landa vernichtend kritisierten »idealistischen« Interpretation des Faschismus folgt, die übrigens auch der Vater Marine Le Pens aus hier angedeuteten Gründen goutierte, hat sie sich in die Sackgasse manövriert, in der sie gelandet ist. Sie bekämpft den Antiimperialismus, den Antikapitalismus und den Kampf gegen die Klassenherrschaft der Eliten als vermeintlich »antisemitisch« und potentiell »faschistisch«. Sie bekämpft damit all das, was der historische Faschismus auch bekämpft hat und sie schützt all das, was der historische wie der gegenwärtige erhalten wollen. Diese heutige Pseudolinke agiert also objektiv im Geiste und Dienste des tatsächlichen Faschismus, während sie sich subjektiv wahnhaft im apokalyptischen antifaschistischen Endkampf wähnt, der dann ausgerechnet auf die Verteidiger der politischen Rechte und Freiheiten zielt, die jeder Faschismus als erstes auszuschalten bestrebt ist.
Ishay Landas Buch hat das Zeug dazu, die Illusionen aufseiten der »Demokratiebewegung« wie aufseiten der regierungskonformen Gegenprotestbewegung auf heilsame und fruchtbare Weise zum Platzen bringen zu lassen.
Wenn beide Seiten sich in aller Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit, die aufgrund der heutigen Weltlage mehr als gefordert sind, auf dieses Buch und vor allem auf die Losung »Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus!« einlassen, dann wäre ein Schritt dahin getan, dass wir alle als Lohnabhängige endlich zum Bewusstsein gelangen, dass der Kapitalismus überwunden werden, seinen Vertretern und Handlangern das Handwerk gelegt werden muss, um den Faschismus ein für allemal zu verhindern und den äußeren wie inneren Frieden dauerhaft zu sichern als Garant für ein Leben in wahrer Freiheit und echter Solidarität.
Fazit: Lest Landa und wendet den politischen gegen den wirtschaftlichen Liberalismus.
Ishay Landa: Der Lehrling und sein Meister. Liberale Tradition und Faschismus. Karl Dietz Verlag, Berlin 2021.