Von der »neu­de­mo­kra­ti­schen« zur sozia­lis­ti­schen Revo­lu­ti­on – Arti­kel­se­rie zu Chi­na Teil VI

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Dies ist der sechs­te Teil einer umfas­sen­den auf meh­re­re Tei­le ange­leg­ten Arti­kel­se­rie von Jan Mül­ler über Chi­na. Beinhal­ten wird die Serie fol­gen­de Teile:

  1. Das alte Chi­na (plus Einleitung)
  2. Die Ent­ste­hung des Kapi­ta­lis­mus in Chi­na und die Ers­te Chi­ne­si­sche Revolution
  3. Die Zwei­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1925 – 27)
  4. Die KPCh wird Gue­ril­la­be­we­gung (1928 – 1945)
  5. Der Chi­ne­si­sche Bür­ger­krieg und die Drit­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1945 – 49)
  6. Von der »neu­de­mo­kra­ti­schen« zur sozia­lis­ti­schen Revolution
  7. Im Bünd­nis mit der Sowjet­uni­on (1949 – 60)
  8. Gro­ßer Sprung nach vor­ne, Bruch mit der Sowjet­uni­on und Kul­tur­re­vo­lu­ti­on: Der Hoch­mao­is­mus (1958 – 69)
  9. Umkehr der Alli­an­zen und Drei-Wel­ten-Theo­rie: Der Spät­mao­is­mus (1969 – 78)
  10. Ers­te Etap­pe der Wirt­schafts­re­for­men und Putsch­ver­such (1978 – 89)
  11. Chi­na im Zeit­al­ter des Neo­li­be­ra­lis­mus (1989 – 2008)
  12. Klei­ner Wohl­stand und neue Sei­den­stra­ße (ab 2008)
  13. Chi­na und Corona
  14. Chi­na und der Ukrainekrieg
  15. Schluss­fol­ge­run­gen über den Cha­rak­ter Chinas

Die Arti­kel­se­rie als Bro­schü­re mit wei­te­ren Anhän­gen, Lite­ra­tur­ver­zeich­nis und wei­ter­füh­ren­der Lite­ra­tur kann man unter fol­gen­dem Link her­un­ter­la­den: Chi­na: Ein lan­ger Weg – wohin?

Von der »neu­de­mo­kra­ti­schen« zur sozia­lis­ti­schen Revolution

Auf dem VII. Par­tei­tag der KPCh, der vom 23. April bis zum 11. Juni 1945 statt­fand, cha­rak­te­ri­sier­te Mao Tse-tung das Sys­tem, das die Herr­schaft der Kuom­in­tang ablö­sen soll­te, als bür­ger­lich-demo­kra­ti­schen Staat und bür­ger­lich-demo­kra­ti­sche Gesell­schaft neu­en Typs, als Staat der »Neu­en Demo­kra­tie«, der in Chi­na in einer lan­gen – Jahr­zehn­te dau­ern­den – Peri­ode exis­tie­ren wür­de. Die sozia­le Basis die­ses Sys­tems reicht von der Arbei­ter­klas­se und der Bau­ern­schaft bis hin zur Bour­geoi­sie und bestimm­ten Grup­pen von Groß­grund­be­sit­zern. Haupt­stüt­ze der neu­en Demo­kra­tie ist die Bau­ern­schaft. Zwar soll aus­län­di­sches Kapi­tal ver­staat­licht wer­den, eben­so die Ban­ken und bestimm­te Schlüs­sel­be­trie­be. Aber die Maß­nah­men die­ser Revo­lu­ti­on sind – so Mao – nicht auf die Liqui­die­rung des Pri­vat­ei­gen­tums an den Pro­duk­ti­ons­mit­teln gerich­tet, son­dern auf des­sen Erhal­tung und maxi­ma­le Sti­mu­lie­rung.[1]

Die KPCh ver­such­te, die­ses Pro­gramm nach ihrem Sieg im Jahr 1949 umzu­set­zen. So hat­te der kapi­ta­lis­ti­sche Wirt­schafts­sek­tor noch in die­sem Jahr einen Anteil von weit mehr als 50% am indus­tri­el­len Ausstoß.

Es zeig­te sich aber sehr schnell, dass das Pro­gramm der Neu­en Demo­kra­tie nicht durch­führ­bar war. Denn die Kapi­ta­lis­ten ver­such­ten nach Kräf­ten, die staat­li­chen Regu­lie­run­gen zu umge­hen, so dass schließ­lich die Macht­fra­ge gestellt wur­de. Des­halb wur­den sie nach und nach ent­eig­net.[2]

Die Mit­tel, mit denen die Kapi­ta­lis­ten ver­such­ten, staat­li­che Vor­ga­ben zu umge­hen, waren:

  • Steu­er­hin­ter­zie­hung
  • Bestechung von Staatsbeamten
  • Ver­un­treu­ung von staat­li­chen Mitteln
  • Unzu­ver­läs­sig­keit bei der Erfül­lung von Regierungsaufträgen
  • Dieb­stahl gehei­mer staat­li­cher Wirt­schafts­in­for­ma­tio­nen, um die­se für die Spe­ku­la­ti­on zu nutzen.

Die­se oben genann­ten Geset­zes­um­ge­hun­gen wur­den als die Fünf Übel bezeich­net. Außer­dem began­nen die Kapi­ta­lis­ten, sich heim­lich zu orga­ni­sie­ren.[3]

Bei der Über­prü­fung von 450.000 indus­tri­el­len und kom­mer­zi­el­len Unter­neh­mun­gen in 9 Städ­ten wur­den laut Finanz­mi­nis­ter Po I‑po bei 76% die­ser Fir­men fest­ge­stellt, dass sie ille­ga­le Prak­ti­ken in irgend­ei­ner Art anwen­de­ten.[4]

Der Korea­krieg von 1950 bis 53 beschleu­nig­te die Ent­wick­lung in Rich­tung Ver­staat­li­chung. Einer­seits bewirk­te er die Ver­stär­kung von reak­tio­nä­ren Akti­vi­tä­ten in Chi­na, ande­rer­seits die Not­wen­dig­keit der Orga­ni­sie­rung der Produktion.

Am Ende des ers­ten Fünf­jahr­pla­nes 1957 war die Wirt­schaft sozia­lis­tisch. Die Ent­wick­lung der ver­schie­de­nen Eigen­tums­for­men am indus­tri­el­len Aus­stoß von 1949 bis 1954 gibt fol­gen­de Tabel­le wieder:

Jahr Sozia­li­sier­te Industrie Gemisch­te staatl. priv. Industrie Im Auf­tra­ge des Staa­tes prod. Industrie kapi­ta­lis­ti­sche Industrie
1949 34,7 2,0 7,5 55,8
1950 45,3 2,9 14,9 36,9
1951 45,9 4,0 21,4 28,7
1952 56,0 5,0 21,9 17,1
1953 57,5 5,7 22,8 14,0
1954 62,8 12,3 19,6 5,3

Eigen­tums­for­men am indus­tri­el­len Aus­stoß, Anga­ben in Pro­zent[5]

Ab 1951 wur­den nach und nach Instru­men­te der Plan­wirt­schaft implementiert.

Auf dem Lan­de wur­de der Groß­grund­be­sitz voll­stän­dig ent­eig­net. Die rei­chen Bau­ern dage­gen konn­ten vor­erst ihr Eigen­tum behal­ten. Das indus­tri­el­le Eigen­tum der Grund­her­ren wur­de erst in den fol­gen­den Jah­ren enteignet.

Die Zeit zwi­schen 1949 und 1953 stellt eine Über­gangs­pha­se dar. In ihr lag die poli­ti­sche Macht voll­stän­dig und die öko­no­mi­sche Macht teil­wei­se bei der KPCh. Die kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se bestan­den aber in einem erheb­li­chen Sek­tor wei­ter. Die Par­tei­füh­rung woll­te die Bour­geoi­sie lang­sam assi­mi­lie­ren. Dies hat sich aber als unmög­lich her­aus­ge­stellt und die Füh­rung um Mao muss­te sehr schnell über rein bür­ger­li­che Maß­nah­men wie eine all­ge­mei­ne Land­re­form, die Errei­chung einer tat­säch­li­chen Unab­hän­gig­keit, Gleich­heit aller Staats­bür­ger und ähn­li­cher Maß­nah­men hin­aus­ge­hen und das Pri­vat­ei­gen­tum an den Pro­duk­ti­ons­mit­teln in Fra­ge stel­len. Die bür­ger­li­che »neu­de­mo­kra­ti­sche« Revo­lu­ti­on ging also sehr schnell in eine sozia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on über. Die chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on wur­de damit »per­ma­nent«. Genau eine sol­che Ent­wick­lung hat­te Trotz­ki mit sei­ner Theo­rie der Per­ma­nen­ten Revo­lu­ti­on vor­her­ge­sagt, die somit auch in Chi­na bestä­tigt wurde.

Die Sowjet­uni­on war ins­be­son­de­re nach dem deut­schen Angriff 1941 an einer gemein­sa­men Front gegen Japan inter­es­siert, um des­sen Kräf­te von der sowje­ti­schen Gren­ze abzu­len­ken. Sie unter­stütz­te unter ande­rem die KMT-Regie­rung durch Waf­fen­lie­fe­run­gen, von denen die KPCh nichts abbe­kam. Chiang Kai-schek wur­de in der sowje­ti­schen Pres­se kaum kritisiert.

Ent­spre­chend den Abspra­chen auf der Pots­da­mer Kon­fe­renz trat die Sowjet­uni­on im August 1945 in den Krieg gegen Japan ein und befrei­te den Nor­den Chi­nas, die Man­dschu­rei. Hier­von pro­fi­tier­te auch die KPCh. Waf­fen­lie­fe­run­gen gab es nach wie vor nicht, aber die Sowjet­ar­mee über­ließ der Volks­be­frei­ungs­ar­mee eini­ge von den Japa­nern erbeu­te­te Waf­fen.[6]

Sta­lin setz­te noch wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges aus­schließ­lich auf die chi­ne­si­sche Bour­geoi­sie. Als aber die KPCh ent­ge­gen sei­nen Wün­schen 1949 gesiegt hat­te, unter­stützt die Sowjet­uni­on die VR Chi­na sehr stark öko­no­misch und mili­tä­risch. Sta­lins Vor­stel­lun­gen, die Anti-Hit­ler-Koali­ti­on auch in die Nach­kriegs­zeit hin­über­zu­ret­ten, hat­ten sich bereits 1949 ange­sichts des von den USA und Groß­bri­tan­ni­en ent­fach­ten Kal­ten Krie­ges als illu­so­risch erwie­sen. Chi­na war auf jeden Fall ein star­ker Ver­bün­de­ter bei der Abwehr des US-Imperialismus.

Ver­wei­se

[1] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv 1979 a.a.O., S. 180

[2] Vgl. Car­dorff a.a.O., S. 155ff

[3] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv 1979 a.a.O., S. 218

[4] Vgl. Car­dorff a.a.O., S. 163

[5] Vgl. Car­dorff a.a.O., S. 161

[6] Vgl. Car­dorff a.a.O., S. 168ff

Bild: Eine Sze­ne aus der Mili­tär­pa­ra­de auf der Brief­mar­ke zum Geden­ken an die Grün­dung der Volks­re­pu­blik China

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