Umkehr der Alli­an­zen und Drei-Wel­ten-Theo­rie: Der Spät­mao­is­mus (1969 – 78) – Arti­kel­se­rie zu Chi­na Teil IX

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Dies ist der neun­te Teil einer umfas­sen­den auf meh­re­re Tei­le ange­leg­ten Arti­kel­se­rie von Jan Mül­ler über Chi­na. Beinhal­ten wird die Serie fol­gen­de Teile:

  1. Das alte Chi­na (plus Einleitung)
  2. Die Ent­ste­hung des Kapi­ta­lis­mus in Chi­na und die Ers­te Chi­ne­si­sche Revolution
  3. Die Zwei­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1925 – 27)
  4. Die KPCh wird Gue­ril­la­be­we­gung (1928 – 1945)
  5. Der Chi­ne­si­sche Bür­ger­krieg und die Drit­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1945 – 49)
  6. Von der »neu­de­mo­kra­ti­schen« zur sozia­lis­ti­schen Revolution
  7. Im Bünd­nis mit der Sowjet­uni­on (1949 – 60)
  8. Gro­ßer Sprung nach vor­ne, Bruch mit der Sowjet­uni­on und Kul­tur­re­vo­lu­ti­on: Der Hoch­mao­is­mus (1958 – 69)
  9. Umkehr der Alli­an­zen und Drei-Wel­ten-Theo­rie: Der Spät­mao­is­mus (1969 – 78)
  10. Ers­te Etap­pe der Wirt­schafts­re­for­men und Putsch­ver­such (1978 – 89)
  11. Chi­na im Zeit­al­ter des Neo­li­be­ra­lis­mus (1989 – 2008)
  12. Klei­ner Wohl­stand und neue Sei­den­stra­ße (ab 2008)
  13. Chi­na und Corona
  14. Chi­na und der Ukrainekrieg
  15. Schluss­fol­ge­run­gen über den Cha­rak­ter Chinas

Die Arti­kel­se­rie als Bro­schü­re mit wei­te­ren Anhän­gen, Lite­ra­tur­ver­zeich­nis und wei­ter­füh­ren­der Lite­ra­tur kann man unter fol­gen­dem Link her­un­ter­la­den: Chi­na: Ein lan­ger Weg – wohin?

Umkehr der Alli­an­zen und Drei-Wel­ten-Theo­rie: Der Spät­mao­is­mus (1969 – 78)

Wie gesagt, änder­te sich an der Wirt­schafts­po­li­tik Chi­nas bis zum Tode Mao Tse-tungs am 9. Sep­tem­ber 1976 und wäh­rend der kur­zen Herr­schaft von Hua Guo-feng bis 1978 nichts Wesent­li­ches. Den­noch scheint es gerecht­fer­tigt den Spät­mao­is­mus als eine eigen­stän­di­ge Peri­ode zu betrach­ten. Hat­te Chi­na nach dem Bruch mit der Sowjet­uni­on 1960 eine Äqui­di­stanz zwi­schen den bei­den Super­mäch­ten ein­ge­hal­ten, so ver­bün­de­te es sich jetzt mit den USA und behan­del­te die Sowjet­uni­on als Hauptfeind.

Dies aus­ge­rech­net zu einer Zeit, in der sich die UdSSR viel auf­ge­schlos­se­ner gegen­über Revo­lu­tio­nen in der Drit­ten Welt zeig­te als in den Jahr­zehn­ten zuvor. Denn ohne die Gene­ral­li­nie der Fried­li­chen Koexis­tenz grund­sätz­lich in Fra­ge zu stel­len, unter­stütz­te sie in den 70er Jah­ren die natio­na­len Befrei­ungs­be­we­gun­gen und pro­gres­si­ve Regie­run­gen stär­ker. Dies wur­de durch die vor­über­ge­hen­de Schwä­che des US-Impe­ria­lis­mus nach sei­ner Nie­der­la­ge in Viet­nam ermög­licht. Nicht nur dort und in Laos, auch in Afri­ka ent­stan­den in den 70er Jah­ren zahl­rei­che Arbei­ter­staa­ten: So zum Bei­spiel in Ango­la, Mosam­bik, Gui­nea-Bis­sau, den Kap­ver­di­schen Inseln, Äthio­pi­en, der Volks­re­pu­blik Kon­go (Kon­go-Braz­z­aville), Mali, Ober­vol­ta (heu­te Bur­ki­na Faso), im Sudan und auf Mada­gas­kar. Hin­zu kamen in der ara­bi­schen Welt Alge­ri­en, Liby­en, Syri­en und der Irak. Im Afgha­ni­stan stürz­te 1973 eine Revo­lu­ti­on den König Zahir Schah, die sich in den Fol­ge­jah­ren wei­ter radi­ka­li­sier­te. Die Sowjet­uni­on wur­de zu die­ser mili­tä­ri­schen und teil­wei­se auch wirt­schaft­li­chen Unter­stüt­zung der Befrei­ungs­be­we­gun­gen und neu­en Natio­nal­staa­ten vor allem durch Kuba unter Fidel Cas­tro gedrängt.

Die USA reagier­ten unter Prä­si­dent Nixon im Jahr 1971, indem sie sich mit der Volks­re­pu­blik Chi­na ver­bün­de­ten. Unter Prä­si­dent Car­ter und sei­nem Sicher­heits­be­ra­ter, dem Rus­sen­has­ser Zbi­gniew Brze­ziń­ski ab 1977 star­te­ten sie eine neue Run­de des Wett­rüs­tens und unter­stütz­ten Söld­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen in aller Welt, um die in den 70er Jah­ren erfolg­ten Fort­schrit­te der Welt­re­vo­lu­ti­on rück­gän­gig zu machen. Die­se Poli­tik wur­de von US-Prä­si­dent Rea­gan ab 1981 naht­los fort­ge­führt und radi­ka­li­siert. Sie erwies sich als erfolg­reich und führ­te zum Sieg des Wes­tens im Kal­ten Krieg im Epo­chen­jahr 1989.

Im Bereich der kon­ven­tio­nel­len Rüs­tung konn­te die NATO in den 70er und 80er Jah­ren lang­sam eine mili­tä­ri­sche Über­le­gen­heit über die sowje­ti­sche Kampf­tech­nik errei­chen. DDR-Mili­tärs schätz­ten den Kampf­wert einer NVA-Divi­si­on mit der Index­zahl 0,85, einer Divi­si­on der Sowjet­ar­mee mit 1, einer Bun­des­wehr­di­vi­si­on mit 1,15 und einer Divi­si­on der US-Army mit 1,25 ein. Die­se tech­ni­sche Unter­le­gen­heit soll­te durch ein beson­ders hohes kör­per­li­ches Leis­tungs­ver­mö­gen der Sol­da­ten kom­pen­siert wer­den. Des­halb wur­de in den 70er Jah­ren in allen Ost­block­län­dern die vor­mi­li­tä­ri­sche Aus­bil­dung ein­ge­führt.[1]

Im Afgha­ni­stan­krieg schos­sen die radi­kal­is­la­mi­schen Mud­ja­hed­din mit US-ame­ri­ka­ni­schen Stin­ger­ra­ke­ten die sowje­ti­schen Kampf­hub­schrau­ber Mi-24 rei­hen­wei­se ab. Es gelang ihnen die sowje­ti­sche Luft­über­le­gen­heit zu bre­chen, wodurch der Aus­gang des Krie­ges zu einem gro­ßen Teil ent­schie­den war.

Neben kon­ven­tio­nel­ler Kampf­tech­nik ent­wi­ckel­ten die USA ab 1976 vor allem zahl­rei­che neue Nukle­ar­waf­fen, die das Gleich­ge­wicht des Schre­ckens wesent­lich zuguns­ten des Impe­ria­lis­mus verschoben.

Denn gera­de in die­sen Jah­ren fand die drit­te waf­fen­tech­ni­sche Revo­lu­ti­on der Nukle­ar­waf­fen statt.

  • Die ers­te Ära der Nukle­ar­waf­fen zwi­schen 1945 und 1960 wur­de defi­niert durch die inter­kon­ti­nen­ta­len Lang­stre­cken­bom­ber. Ihr ent­sprach die Nukle­ar­stra­te­gie der mas­si­ven Vergeltung.
  • Die zwei­te Ära der Nukle­ar­waf­fen zwi­schen 1960 und 1974 war cha­rak­te­ri­siert durch Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten. Ihr ent­sprach die Nukle­ar­stra­te­gie der Fle­xi­ble Response.
  • Die drit­te Ära der Nukle­ar­waf­fen zwi­schen 1974 und 1990 war cha­rak­te­ri­siert durch einen wei­te­ren stür­mi­schen Fort­schritt der Waf­fen­tech­no­lo­gie: Ultra­prä­zi­se Spreng­köp­fe, Mehr­fach­spreng­köp­fe, Kil­ler­sa­tel­li­ten, Las­er­waf­fen, U‑Boot-Jagd­tech­no­lo­gien. Ihr ent­sprach die Stra­te­gie des Ent­haup­tungs­schla­ges.[2]

Die neu­en MX-Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten der USA mit Mehr­fach­spreng­köp­fen hat­ten dank neu­es­ter Com­pu­ter­tech­no­lo­gie nach Anga­ben aus den 80er Jah­ren eine Ziel­ge­nau­ig­keit von unter 30 Metern. Die in West­eu­ro­pa sta­tio­nier­ten Pers­hing-II-Mit­tel­stre­cken­ra­ke­ten sowie die U‑Boot-gestütz­ten Trident-II-Rake­ten hat­ten sogar eine Ziel­ge­nau­ig­keit von 10 Metern. Damit waren zum Bei­spiel Ent­haup­tungs­schlä­ge gegen das Haupt­quar­tier der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei in Mos­kau sowie dort ange­sie­del­te Kom­man­do­zen­tra­len, Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Auf­klä­rungs­ein­rich­tun­gen mög­lich – bei extrem kur­zer Vor­warn­zeit von 6 Minu­ten oder weni­ger. Dem­ge­gen­über hat­ten die sowje­ti­schen Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten nur eine Ziel­ge­nau­ig­keit von 300 Metern und waren für Prä­zi­si­ons­schlä­ge nicht geeignet.

Selbst im Fall eines Ent­haup­tungs­schla­ges blie­ben der Sowjet­uni­on noch die see­ge­stütz­ten Rake­ten für einen Zweit­schlag. Aller­dings unter­nah­men die USA in den 70er und 80er Jah­ren gro­ße Anstren­gun­gen, die sowje­ti­schen U‑Boote auf­zu­spü­ren. Das geschah nicht nur immer bes­ser durch das SOSUS[3], ein glo­ba­les Hydro­phon-Netz­werk auf dem Mee­res­bo­den, son­dern soll­te in Zukunft vor allem durch die so genann­te Wir­bel­er­ken­nung erfol­gen. Satel­li­ten soll­ten aus dem Orbit durch Beob­ach­tung von Wel­len­hö­he, Wind­ge­schwin­dig­keit und ‑rich­tung sowie der Oze­an­tem­pe­ra­tur die Signa­tu­ren von getauch­ten U‑Booten prä­zi­se erken­nen kön­nen, zum Bei­spiel durch auf­quel­len­des Was­ser. Dies soll­te auch unter Wol­ken funk­tio­nie­ren. Angeb­lich waren die USA in den 80er Jah­ren nur noch weni­ge Jah­re von einem Durch­bruch ent­fernt. Nach 1989 wur­den die­se For­schun­gen aller­dings ein­ge­stellt.[4]

Mit dem SDI-Pro­gramm, der Rake­ten­ab­wehr mit Las­er­waf­fen im Welt­all, woll­ten die USA in der Lage sein anflie­gen­de sowje­ti­sche Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten abzu­schie­ßen. Aller­dings konn­ten US-For­scher bis 1989 die Fra­ge nicht lösen, woher die hier­für benö­tig­ten enor­men Ener­gie­men­gen kom­men sollen.

Die Sowjet­uni­on reagier­te auf die neu­en ziel­ge­nau­en US-ame­ri­ka­ni­schen Nukle­ar­waf­fen, die zu Ent­haup­tungs­schlä­gen genutzt wer­den soll­ten, mit dem Sys­tem »Peri­me­ter«, im Wes­ten bekannt als »Tote Hand«. Mit einem gro­ßen mate­ri­el­len Auf­wand wur­de in der Nähe von Mos­kau und an eini­gen Reser­ve­stand­or­ten unter­ir­di­sche Kom­man­do­zen­tra­len ange­legt, die es ermög­lich­ten, in Fal­le eines Ent­haup­tungs­schla­ges die eige­nen Nukle­ar­ra­ke­ten zu star­ten, not­falls auch völ­lig auto­ma­ti­siert. Als dies im Wes­ten bekannt wur­de, ver­schwan­den Über­le­gun­gen zu einem Ent­haup­tungs­schlag urplötz­lich aus den Spal­ten der außen­po­li­ti­schen Zeit­schrif­ten wie For­eign Affairs.

Um die Wir­bel­er­ken­nung zu kon­tern ent­wi­ckel­ten sowje­ti­sche Kon­struk­ti­ons­bü­ros Plä­ne für eine vier­te U‑Boot-Gene­ra­ti­on. Die Fort­füh­rung von uner­kann­ten Abschre­ckungs­pa­trouil­len in den Welt­mee­ren durch Rake­ten-U-Boo­te soll­te durch eine Tauch­tie­fe die­ser Boo­te von 1.500 bis 2.000 Metern errei­chen wer­den. Ermög­licht wür­de das durch mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Sphä­ren aus Titan. Die Geschwin­dig­keit soll­te bis zu 60 Kno­ten betra­gen, rea­li­siert mit einem Was­ser­strahl­an­trieb ohne Schiff­schrau­ben. Hier­für wären sehr star­ke Kern­re­ak­to­ren not­wen­dig gewe­sen, die im schnel­len Neu­tro­nen­spek­trum arbei­ten, zum Bei­spiel natri­um­ge­kühl­te schnel­le Brü­ter oder Thorium-Hochtemperaturreaktoren.

Aller­dings brach­ten bereits die Rake­ten-U-Boo­te des Pro­jekts 941 (im Wes­ten bekannt als Typho­on) die Sowjet­uni­on an die Gren­ze des öko­no­misch mach­ba­ren. Die ange­dach­ten U‑Boote der vier­ten Gene­ra­ti­on wären noch ein­mal um Grö­ßen­ord­nun­gen teu­rer gewor­den. Die kri­sen­ge­schüt­tel­te sowje­ti­sche Wirt­schaft wäre in den 80er Jah­ren nicht in der Lage gewe­sen sie zu bauen.

Um das US-Ame­ri­ka­ni­sche Rake­ten­ab­wehr­pro­gramm SDI zu kon­tern, ent­wi­ckel­te die Sowjet­uni­on eine eige­ne Rake­ten­ab­wehr, das Pro­jekt Pol­jus (»Pol«). Satel­li­ten mit Hoch­en­er­gie­la­sern soll­ten anflie­gen­de US-Inter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten abschie­ßen. Den sowje­ti­schen Inge­nieu­ren gelang es sogar, das Ener­gie­pro­blem zu lösen. Die Laser soll­ten durch Kern­re­ak­to­ren mit einer Leis­tung von 200 bis 300 MW ange­trie­ben wer­den, die in den Pol­jus-Satel­li­ten inte­griert wären. Die Ein­zel­tei­le der Reak­to­ren und Laser wären dann mit der sowje­ti­schen Raum­fäh­re Buran in eine Raum­sta­ti­on trans­por­tiert und dort zusam­men­ge­baut wor­den. Auf die­se Wei­se woll­te die Sowjet­uni­on das stra­te­gi­sche Gleich­ge­wicht wie­der­her­stel­len. Denn wenn nur eine der Super­mäch­te eine Rake­ten­ab­wehr hät­te, wäre sie eine offen­si­ve Waf­fe, da sie es die­ser Macht ermög­lich­te, einen Nukle­ar­waf­fen­an­griff zu füh­ren, ohne selbst ver­nich­tet zu wer­den. Wenn aber bei­de Sei­ten über eine effek­ti­ve Rake­ten­ab­wehr ver­füg­ten, wäre dies nicht mehr mög­lich. Ende der 80er Jah­re exis­tier­ten Pro­to­ty­pen von Pol­jus[5] und der Raum­fäh­re Buran. Nach dem Zer­fall der Sowjet­uni­on wur­den die Pro­gram­me ein­ge­stellt. Genau­so wenig wie zum Bau einer vier­ten U‑Bootgeneration wäre die Sowjet­uni­on in den 80er Jah­ren in der Lage gewe­sen die rie­si­gen Aus­ga­ben für eine Rake­ten­ab­wehr zu stemmen.

Des­halb sah die sowje­ti­sche Füh­rung kei­nen ande­ren Aus­weg mehr als zu kapi­tu­lie­ren. Ins­be­son­de­re durch das SDI-Pro­gramm war sie tot­ge­rüs­tet wor­den. Umso bit­te­rer ist, dass die­se neu­en Tech­no­lo­gien zu einem Teil Bluff waren. Die Ziel­ge­nau­ig­keit der US-Rake­ten wird heu­te wesent­lich gerin­ger ange­ge­ben als in den 80er Jah­ren, eine Wir­bel­er­ken­nung von U‑Booten exis­tiert – zumin­dest offi­zi­ell – bis heu­te genau­so wenig wie eine welt­raum­ge­stütz­te Rake­ten­ab­wehr. Die Sowjet­uni­on lag auch im Bereich der Prä­zi­si­on von Nukle­ar­waf­fen längst nicht so weit zurück, wie dies in den 80er Jah­ren behaup­tet und auch von sowje­ti­schen Wis­sen­schaft­lern geglaubt wurde.

Der Wes­ten hat die Sowjet­uni­on in den 70er und 80er Jah­ren gezielt unter öko­no­mi­schen Stress gesetzt und zu rie­si­gen Aus­ga­ben ver­an­lasst. Zugleich bra­chen nach 1985 ihre Ein­nah­men weg, da die USA Sau­di-Ara­bi­en ver­an­lass­ten, den Ölpreis für eine gewis­se Zeit stark abzu­sen­ken. Haupt­ex­port­ar­ti­kel der Sowjet­uni­on waren seit den 70er Jah­ren Öl und Gas.

Das 1971/72 geschlos­se­ne Bünd­nis zwi­schen den USA und der Volks­re­pu­blik Chi­na hat die­se Ent­wick­lung noch ver­stärkt. Eine Annä­he­rung zwi­schen den bei­den Mäch­ten begann im April 1971 mit der so genann­ten Ping-Pong-Diplo­ma­tie. Dar­un­ter ver­steht man die Ein­la­dung eines US-ame­ri­ka­ni­schen Tisch­ten­nis­teams nach Chi­na. Dies soll­ten die ers­ten US-Ame­ri­ka­ner sein, die seit 1949 Chi­na legal besuchten.

Am 14. April 1971 ver­kün­de­te US-Prä­si­dent Richard Nixon das Ende des tota­len Han­dels­em­bar­gos gegen Chi­na, das die USA seit 20 Jah­ren auf­recht erhal­ten hat­ten.[6]

Nur vier Mona­te spä­ter, am 9. Juli 1971, weil­te US-Sicher­heits­be­ra­ter Hen­ry Kis­sin­ger zu Geheim­ge­sprä­chen in Chi­na. Aus den inzwi­schen ver­öf­fent­lich­ten Pro­to­kol­len geht her­vor, dass sich Kis­sin­ger einer schmei­cheln­den Spra­che bedien­te, die heu­te ange­sichts der her­risch auf­tre­ten­den US-Poli­ti­ker wie der stell­ver­tre­ten­den Außen­mi­nis­te­rin Vic­to­ria Nuland völ­lig unglaub­lich wirkt. Kon­kre­te For­de­run­gen wur­den nicht gestellt, statt­des­sen ging Kis­sin­ger auf die chi­ne­si­schen Beden­ken zu Tai­wan aus­führ­lich ein und ver­such­te sie zu zerstreuen.

Es ver­steht sich von selbst, dass in die­ser Zeit die Bericht­erstat­tung über Chi­na in den west­li­chen Medi­en aus­ge­spro­chen wohl­wol­lend war.

Im August 1971 gaben die USA ihren Wider­stand gegen die Auf­nah­me der Volks­re­pu­blik Chi­na in die UNO auf. Am 25. Okto­ber 1971 wur­de Chi­na in die UNO auf­ge­nom­men, Tai­wan aus­ge­schlos­sen. Die Volks­re­pu­blik Chi­na nahm dem­nach auch ihren Platz als stän­di­ges Mit­glied im UN-Sicher­heits­rat ein.

Gekrönt wur­de die Bünd­nis­po­li­tik durch den Staats­be­such von US-Prä­si­dent Nixon in Chi­na vom 21. bis 28. Febru­ar 1972. Er traf unter ande­rem mit Mao Tse-tung zusam­men. Zunächst wur­den noch kei­ne Bot­schaf­ten eröff­net, son­dern nur Ver­bin­dungs­bü­ros. Ein von Chi­na gefor­der­ter Abbruch der diplo­ma­ti­schen Bezie­hun­gen zu Tai­wan war 1972 im US-Kon­gress noch nicht mehr­heits­fä­hig.[7]

Vol­le diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen zur Volks­re­pu­blik Chi­na stell­ten die USA am 1. Janu­ar 1979 her und bra­chen damit ihre Bezie­hun­gen zu Tai­wan ab.[8]

Aus den kon­kre­ten Hand­lun­gen wur­de aber sehr schnell klar, was die USA von Chi­na als Gegen­leis­tung für ihr Ent­ge­gen­kom­men erwar­te­ten und auch beka­men: Und zwar Unter­stüt­zung bei der »Zurück­drän­gung des sowje­ti­schen Expan­sio­nis­mus«, also der Aus­brei­tung der Welt­re­vo­lu­ti­on, um derent­wil­len Mao Tse-tung noch in den 50er Jah­ren einen Bruch mit der Sowjet­uni­on ris­kiert hatte.

Bereits im März 1969 star­te­ten die Chi­ne­sen eine Pro­vo­ka­ti­on an der chi­ne­sisch-sowje­ti­schen Gren­ze, in dem Sol­da­ten der Volks­be­frei­ungs­ar­mee einer sowje­ti­schen Grenz­pa­trouil­le auf der Insel Daman­ski (chi­ne­sisch Zhen­bao Dao) auf­lau­er­ten und die Sol­da­ten der Sowjet­ar­mee erschos­sen. Die Insel liegt mit­ten im Amur und war zwi­schen bei­den Län­dern umstrit­ten. Damit stan­den die bei­den sozia­lis­ti­schen Mäch­te kurz vor einem Krieg.[9]

Die west­li­chen Medi­en mach­ten damals uni­so­no die Sowjet­uni­on für den Zwi­schen­fall ver­ant­wort­lich. Inzwi­schen hat sich aber her­aus­ge­stellt, dass die­se Pro­vo­ka­ti­on von der Volks­re­pu­blik Chi­na aus­ging, was sogar die eng­lisch­spra­chi­ge Wiki­pe­dia ein­räu­men musste.

Die­se Pro­vo­ka­ti­on war ein unver­hoh­le­nes Bünd­nis­an­ge­bot an den Wes­ten und wur­de dort auch so ver­stan­den, wie die nach­fol­gen­den Ereig­nis­se zeig­ten.[10]

Aller­dings war die Umkehr der Alli­an­zen in Chi­na nicht unum­strit­ten. Im Sep­tem­ber 1971 – nach den Geheim­ge­sprä­chen Kis­sin­gers in Chi­na – starb der chi­ne­si­sche Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Lin Biao bei einem Flug­zeug­ab­sturz auf der Flucht in die Sowjet­uni­on. Er wur­de spä­ter beschul­digt einen Putsch gegen Mao Tse-tung geplant zu haben. Offen­bar war er mit dem sich abzeich­nen­den Bünd­nis mit den USA nicht ein­ver­stan­den.[11]

In den fol­gen­den Jah­ren betei­lig­te sich Chi­na inten­siv an der »Zurück­drän­gung des sowje­ti­schen Expan­sio­nis­mus« in zahl­rei­chen Ländern.

Viet­nam

Am gra­vie­rends­ten in die­ser Bezie­hung war der Chi­ne­sisch-Viet­na­me­si­sche Krieg von 1979. Ein Jahr zuvor stürz­ten viet­na­me­si­sche Trup­pen nach Angrif­fen auf Viet­nam das völ­ker­mör­de­ri­sche Pol-Pot-Regime in Kam­bo­dscha und ver­hin­der­ten so wei­te­res Morden.

Sofort wur­de im Wes­ten eine offen­bar koor­di­nier­te Dif­fa­mie­rungs­kam­pa­gne gegen Viet­nam gefah­ren und das hohe Anse­hen des viet­na­me­si­schen Befrei­ungs­kamp­fes nach­hal­tig zer­stört, auch und gera­de bei der Lin­ken. Die Befrei­ung Kam­bo­dschas wur­de als viet­na­me­si­sche Aggres­si­ons­lust, Mili­ta­ris­mus und Expan­si­ons­stre­ben dif­fa­miert. Die mas­sen­mör­de­ri­schen Roten Khmer wur­den im Wes­ten und in Chi­na wei­ter­hin als offi­zi­el­le Regie­rung Kam­bo­dschas aner­kannt und unter­stützt. Para­do­xer­wei­se wur­den sie gleich­zei­tig neben den sta­lin­schen Gro­ßen Säu­be­run­gen und dem Gro­ßen Sprung nach Vor­ne als Beleg für den mas­sen­mör­de­ri­schen Cha­rak­ter des »Kom­mu­nis­mus« bezeich­net, obwohl die Roten Khmer kei­ne Sozia­lis­ten waren, son­dern radi­ka­le Nationalisten.

Im Febru­ar 1979 kün­dig­te Deng Xiao-ping, der damals zum obers­ten Reprä­sen­tan­ten Chi­nas gewor­den war, in den USA an, man wer­de Viet­nam eine Lek­ti­on ertei­len. Kurz dar­auf grif­fen chi­ne­si­sche Trup­pen auf brei­ter Front an und mar­schier­ten in die Nord­pro­vin­zen des Lan­des ein.

600.000 chi­ne­si­sche Sol­da­ten waren not­wen­dig, um auch nur den Wider­stand der Mili­zen und Grenz­trup­pen auf viet­na­me­si­scher Sei­te zu bre­chen. Trotz­dem kam die Offen­si­ve der chi­ne­si­schen Trup­pen bald zum Stehen.

In den vor­über­ge­hend besetz­ten Gebie­ten rich­te­ten die chi­ne­si­schen Trup­pen mög­lichst gro­ßen Scha­den an. Der Wie­der­auf­bau und die wirt­schaft­li­che, sozia­le und kul­tu­rel­le Ent­wick­lung in meh­re­ren Pro­vin­zen wur­den nach­hal­tig zurück­ge­wor­fen. Es kam zu Plün­de­run­gen und Massakern.

Alle indus­tri­el­len, tech­ni­schen und sozia­len Ein­rich­tun­gen wur­den zer­stört, dar­un­ter auch Kran­ken­häu­ser. Maschi­nen und Aus­rüs­tun­gen wur­den nach Chi­na geschafft. Sämt­li­che Bahn­hö­fe wur­den zer­stört, Brü­cken gesprengt, Eisen­bahn­schie­nen her­aus­ge­ris­sen und Tele­fon­lei­tun­gen Mas­ten für Mas­ten nie­der­ge­legt.[12]

»Mann kann sich der tra­gi­schen Evi­denz nicht ent­zie­hen: Die Chi­ne­sen haben – lei­der – die ter­ro­ris­ti­schen Prak­ti­ken der Ame­ri­ka­ner über­nom­men, die dar­in bestan­den, alles zu zer­stö­ren, um den Geg­ner auf die Knie zu zwin­gen,« so Alain Ruscio in der Zei­tung L’Humanité.[13]

Nach inof­fi­zi­el­len Aus­sa­gen chi­ne­si­scher Diplo­ma­ten, die in der west­li­chen Pres­se zitiert wur­den, soll­te der Krieg die Aus­rich­tung Viet­nams an Mos­kau been­den. Sie rech­ne­ten der viet­na­me­si­schen Regie­rung öffent­lich vor, zu wie viel Pro­zent sie sich nach Peking und zu wie viel Pro­zent sie sich nach Mos­kau aus­zu­rich­ten habe. Die Anwen­dung von Waf­fen­ge­walt soll­te also die Ände­rung der Außen­po­li­tik eines sou­ve­rä­nen Staa­tes erzwingen.

Ende März 1979 zogen sich die chi­ne­si­schen Trup­pen aus Viet­nam zurück – unbe­hin­dert. Wei­te­re Grenz­pro­vo­ka­tio­nen Chi­nas dau­er­ten jedoch die gan­zen 80er Jah­re an.

Ango­la

In der por­tu­gie­si­schen Kolo­nie Ango­la ope­rier­ten bis zur Unab­hän­gig­keit 1975 drei Befrei­ungs­be­we­gun­gen: Die mar­xis­ti­sche MPLA sowie die bür­ger­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen FNLA und UNITA[14]. Die MPLA erziel­te grö­ße­re Erfol­ge in der Mit­te des Lan­des und konn­te eini­ge Gebie­te befrei­en. Sie war auch in den Slums der Haupt­stadt Luan­da vertreten.

Die bür­ger­li­che FNLA – damals noch unter dem Namen UPA[15] – wur­de nach einem dilet­tan­ti­schen vor­be­rei­te­ten Auf­stands­ver­such im Nor­den des Lan­des 1961 von den por­tu­gie­si­schen Kolo­ni­al­trup­pen mili­tä­risch auf­ge­rie­ben und spiel­te danach bis 1975 kei­ne Rol­le mehr. Im Jahr 1964 grün­de­te der ehe­ma­li­ge FNLA-Mili­tär­kom­man­dant Jonas Savim­bi die UNITA. Bereits wäh­rend des Befrei­ungs­krie­ges kol­la­bo­rier­te die UNITA mit der por­tu­gie­si­schen Besat­zung. Sie beschäf­tig­te sich haupt­säch­lich mit Angrif­fen auf die MPLA.[16]

Das hin­der­te die Volks­re­pu­blik Chi­na jedoch nicht dar­an, sie zu unter­stüt­zen, nach­dem Jonas Savim­bi im Jahr 1970 Peking besucht hat­te und sich als Mao­is­ten bezeich­ne­te. Der MPLA dage­gen wur­de zur glei­chen Zeit jede chi­ne­si­sche Unter­stüt­zung gestri­chen, weil sie sich nach dem Geschmack Chi­nas zu stark an Kuba und die Sowjet­uni­on ange­nä­hert hat­te.[17]

Am 15. Janu­ar 1975 wur­de nach der por­tu­gie­si­schen Nel­ken­re­vo­lu­ti­on ein Abkom­men zwi­schen Por­tu­gal und den drei Befrei­ungs­be­we­gun­gen unter­zeich­net, das den 11. Novem­ber 1975 als Ter­min der Unab­hän­gig­keit Ango­las festlegte.

In der Haupt­stadt Luan­da bra­chen kurz dar­auf Kämp­fe aus. Die FNLA ver­such­te, ihre schwa­che Prä­senz in Luan­da aus­zu­wei­ten, indem sie gegen Büros und Akti­vis­ten der MPLA Anschlä­ge ver­üb­te und die Bevöl­ke­rung ein­schüch­ter­te. Die MPLA konn­te sich mit Unter­stüt­zung gro­ßer Tei­le der Bevöl­ke­rung behaup­ten und ver­trieb die FNLA aus Luanda.

Nun begann der zwei­te Befrei­ungs­krieg, der bis 1977 dau­er­te. Trup­pen der FNLA über­quer­ten im Nor­den des Lan­des von Zai­re aus die Gren­ze nach Ango­la und rück­ten auf Luan­da vor. Sie beka­men dabei Mili­tär­hil­fe von den USA, Chi­na und der US-Mario­net­te Zaire.

Von Nami­bia aus mar­schier­ten süd­afri­ka­ni­sche Trup­pen und die UNITA am 14. Okto­ber 1975 in Ango­la ein und stie­ßen nach Nor­den vor. Sowohl Süd­afri­ka wie die UNITA erhiel­ten mas­si­ve Mili­tär­hil­fe aus den USA. Die UNITA bekam auch – wie oben dar­ge­stellt – Mili­tär­hil­fe aus China.

In die­ser ver­zwei­fel­ten Lage ent­sand­te Kuba im Rah­men der Ope­ra­ti­on Car­lot­ta sei­ner­seits Trup­pen nach Ango­la. Die Kuba­ner und die neu gebil­de­ten Streit­kräf­te Ango­las, die FAP­LA[18], konn­ten die FNLA am 10. Novem­ber 1975 in der Schlacht von Kifan­gon­do schlagen.

Am 23. Novem­ber 1975 schlu­gen kuba­ni­sche und ango­la­ni­sche Trup­pen die Süd­afri­ka­ner und die UNITA in der Schlacht von Ebo. Die­se Schlacht wur­de zu einem Wen­de­punkt des zwei­ten Befreiungskrieges.

Die Süd­afri­ka­ner zogen sich anschlie­ßend nach Nami­bia zurück. Auch die bei­den bür­ger­li­chen »Befrei­ungs­be­we­gun­gen« waren geschla­gen und spiel­ten zunächst kei­ne Rol­le mehr.[19]

So konn­te Ango­la zunächst mit Unter­stüt­zung von Kuba und der Sowjet­uni­on den Auf­bau des Sozia­lis­mus in Angriff neh­men. Die Vor­aus­set­zun­gen waren nicht schlecht, hat­te das Land doch eini­ge Industriebetriebe.

In den 80er Jah­ren wur­de die UNITA von den USA, Chi­na und Süd­afri­ka so stark unter­stützt, dass sie zu einer ernst­haf­ten Gefahr wur­de. Sie zog eine Schnei­se der Ver­wüs­tung durch alle Süd­pro­vin­zen des Lan­des. Die Indus­tria­li­sie­rung und der Auf­bau einer grund­le­gen­den Infra­struk­tur kamen zum Erliegen.

Die­se Unter­stüt­zung der UNITA durch Chi­na dau­er­te bis 1982. Erst in die­sem Jahr erkann­te die Chi­na die VR Ango­la offi­zi­ell an und kam damit einer Auf­for­de­rung der OAU[20] nach.[21]

In der Schlacht von Cui­to Cuana­va­le im Jahr 1988 wur­den die Trup­pen Süd­afri­kas und der UNITA von den Ver­bün­de­ten Kuba, Ango­la, Sowjet­uni­on und der SWAPO[22] geschla­gen. Es ent­brann­te die größ­te Pan­zer­schlacht in Afri­ka seit der Schlacht von El Alam­ein 1942. Wie bei der Pan­zer­schlacht von Kursk konn­ten die Koali­ti­ons­streit­kräf­te ihren Erfolg aus der Defen­si­ve her­aus erzie­len. Ent­schei­dend erwies sich die Luft­über­le­gen­heit der Ango­la­ner, deren MiGs in vie­len Fäl­len von sowje­ti­schen Pilo­ten geflo­gen wurden.

Nach der Schlacht von Cui­to Cuana­va­le konn­ten die Koali­ti­ons­streit­kräf­te das gesam­te süd­li­che Ango­la befrei­en. Sogar Nami­bia stand ihnen offen, da das Apart­heids­re­gime wegen der Auf­stän­de der Schwar­zen es nicht wag­te wei­te­re Trup­pen aus dem Inland abzu­zie­hen. Auf­grund der zuneh­men­den Schwä­che der Sowjet­uni­on konn­te Nami­bia jedoch vor­erst noch nicht befreit wer­den. Es wur­den Ver­hand­lun­gen auf­ge­nom­men, die sich über Jah­re hin­zo­gen. Auf jeden Fall hat die Nie­der­la­ge von Cui­to Cuana­va­le das Apart­heids­re­gime wesent­lich erschüt­tert und zu sei­nem Ende 1994 bei­getra­gen.[23]

Afgha­ni­stan

Die afgha­ni­schen Muja­hed­din wur­den unge­ach­tet ihrer radi­kal­is­la­mis­ti­schen, reak­tio­nä­ren Ideo­lo­gie auch von der Volks­re­pu­blik Chi­na unter­stützt, da »alles der Auf­ga­be unter­ge­ord­net wer­den muss, den Sowje­ti­schen Expan­sio­nis­mus zu Gra­be zu tra­gen«. So der chi­ne­si­sche Außen­mi­nis­ter Hung Hua bei einem Besuch des afgha­nisch-paki­sta­ni­schen Grenz­ge­bie­tes im Janu­ar 1980.

Bereits seit 1979 waren in Afgha­ni­stan von Chi­na unter­stütz­te bewaff­ne­te Grup­pen aktiv, deren Spe­zia­li­tät das Abschlach­ten sowje­ti­scher Ent­wick­lungs­hel­fer und der Funk­tio­nä­re der VDPA[24] war. Dabei arbei­te­ten sie zum Bei­spiel in der an Chi­na gren­zen­den Pro­vinz Badachschan mit der Ban­de des Groß­grund­be­sit­zers Rakhman­kul zusammen.

In der chi­ne­si­schen Pro­vinz Xin­kiang bil­de­ten paki­sta­ni­sche und chi­ne­si­sche Mili­tär­be­ra­ter – min­des­tens 1.000 – Muja­hed­din aus, dar­un­ter auch Kämp­fer der radi­kal­is­la­mi­schen Par­tei Hizb‑i Islāmī des Gul­bud­din Hek­ma­tyār. Die Waf­fen­lie­fe­run­gen Chi­nas waren beträcht­lich.[25] Die Chi­ne­sen haben sich also ihr Isla­mis­ten­pro­blem in Sin­kiang teil­wei­se selbst herangezüchtet.

Im Wes­ten wur­de 1980 eine gigan­ti­sche Medi­en­kam­pa­gne ent­facht, in der die radi­kal­is­la­mi­schen Mud­ja­hed­din, dar­un­ter Osa­ma bin Laden, als Frei­heits­kämp­fer bezeich­net wur­den. Der Sowjet­uni­on wur­den Kriegs­ver­bre­chen unter­stellt. Es wur­de zum Bei­spiel behaup­tet, sie wür­de als Spiel­zeug getarn­te »Schmet­ter­lings­bom­ben« ein­set­zen, um gezielt Kin­der zu töten. Dass Chi­na alle Beschul­di­gun­gen gegen die Sowjet­uni­on unter­stütz­te, ver­lieh ihnen beson­ders in west­li­chen lin­ken Krei­sen eine hohe Glaubwürdigkeit.

Ideo­lo­gisch gerecht­fer­tigt wur­de der Kampf gegen die Sowjet­uni­on mit der Drei-Wel­ten-Theo­rie. Mao Tse-tung ent­wi­ckel­te sie in einem Gespräch mit Ken­neth Kaun­da, dem Prä­si­den­ten Sam­bi­as im Febru­ar 1974. Deng Xiao-ping stell­te die­se Theo­rie in sei­ner Rede auf der UNO-Voll­ver­samm­lung am 10. April 1974 aus­führ­li­cher da. Am 1. Novem­ber 1977 – und dem­nach nach Maos Tod am 9. Sep­tem­ber 1976 – erschien in der Ren­min Ribao ein Arti­kel mit dem Titel »Die Theo­rie des Vor­sit­zen­den Mao über die Drei­tei­lung der Welt – ein bedeu­ten­der Bei­trag zum Marxismus-Leninismus«.

Hier wird der Begriff der drei Wel­ten anders ver­wen­det, als es in der dama­li­gen Zeit im Wes­ten üblich war. Dem­nach bestand die Erde wäh­rend des Kal­ten Krie­ges aus drei Wel­ten in einer. Die Ers­te Welt bil­de­ten die kapi­ta­lis­ti­schen Indus­trie­län­der, die USA, Kana­da, die west­eu­ro­päi­schen Län­der, Japan, Neu­see­land, Aus­tra­li­en und Süd­afri­ka. Die Zwei­te Welt bestand aus den sozia­lis­ti­schen Län­dern in Ost­eu­ro­pa und der Sowjet­uni­on. Die Drit­te Welt bil­de­ten die Entwicklungsländer.

Nach Maos Defi­ni­ti­on dage­gen bil­de­ten die bei­den Super­mäch­te USA und Sowjet­uni­on die ers­te Welt, Japan, ganz Euro­pa, Aus­tra­li­en, Neu­see­land, Süd­afri­ka und Kana­da gehö­ren zur zwei­ten Welt und die Län­der Asi­ens, Afri­kas und Latein­ame­ri­kas zur Drit­ten Welt.

Die bei­den Super­mäch­te sei­en die Haupt­fein­de der Mensch­heit, die Län­der der Zwei­ten Welt Zwi­schen­kräf­te und mög­li­che Ver­bün­de­te der Län­der der Drit­ten Welt, die die Haupt­kraft der Revo­lu­ti­on darstellen.

Aller­dings sind die USA und die Sowjet­uni­on nicht gleich gefähr­lich. Im oben genann­ten Arti­kel in der Ren­min Ribao vom 1. Novem­ber 1977 heißt es:

Die bei­den impe­ria­lis­ti­schen Super­mäch­te […] sind die größ­ten inter­na­tio­na­len Aus­beu­ter, Unter­drü­cker und Aggres­so­ren und die gemein­sa­men Fein­de der Völ­ker der Welt. […] In den 60er Jah­ren hat­te die herr­schen­de Cli­que in der Sowjet­uni­on voll und ganz den Sozia­lis­mus ver­ra­ten. Erst nach einer Rei­he erns­ter Ereig­nis­se wur­de die Sowjet­uni­on nicht nur zu einer impe­ria­lis­ti­schen Super­macht wie die USA, die die Welt bedroht, son­dern auch zur gefähr­lichs­ten Quel­le eines Welt­kriegs. [26]

Maos Drei-Wel­ten-Theo­rie dien­te offen­sicht­lich der ideo­lo­gi­schen Recht­fer­ti­gung des Bünd­nis­ses von Chi­na mit den USA. Sie lös­te eine Spal­tung inner­halb der mao­is­ti­schen Welt­be­we­gung aus. Eini­ge mao­is­ti­sche Par­tei­en akzep­tier­ten sie, ande­re lehn­ten sie ab und blie­ben beim ursprüng­li­chen Mao­is­mus. Die SVR Alba­ni­en, der bis 1971 ein­zi­ge staat­li­che Ver­bün­de­te Chi­nas, mach­te die­sen erneu­ten Schwenk Maos nicht mit und blieb seit­dem völ­lig isoliert.

In Deutsch­land unter­stütz­ten zum Bei­spiel der KBW[27] Maos Drei-Wel­ten-Theo­rie, ande­re K‑Gruppen wie der KB und der KABD, aus dem die MLPD her­vor­ging[28], lehn­ten sie ab. Damit geriet zum Bei­spiel der KBW in das Fahr­was­ser der reak­tio­närs­ten deut­schen Poli­ti­ker wie Franz-Josef Strauß, wenn er dazu auf­rief, die BRD mili­tä­risch gegen die Super­mäch­te auf­zu­rüs­ten und zu stärken.

An der Ent­wick­lung in den 70er und 80er Jah­ren zeig­ten sich die fata­len Aus­wir­kun­gen der sta­lin­schen Theo­rie vom Sozia­lis­mus in einem Lan­de. Denn nur eine enge wirt­schaft­li­che Ver­flech­tung aller Arbei­ter­staa­ten hät­te eine aus­rei­chend gro­ße Ska­len­öko­no­mie ermög­licht. Nur damit wäre die Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät an die­je­ni­ge des Kapi­ta­lis­mus her­an­ge­kom­men oder hät­te sie dank der Plan­wirt­schaft gar über­trof­fen. Eine hohe Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät wäre die Vor­aus­set­zung gewe­sen, um gleich­zei­tig das mör­de­ri­sche Wett­rüs­ten mit dem Impe­ria­lis­mus zu gewin­nen, den Lebens­stan­dard der Mas­sen wei­ter zu stei­gern und die Indus­tria­li­sie­rung der neu­en Arbei­ter­staa­ten in der Drit­ten Welt vor­an­zu­trei­ben. Damit wären sie auch an das sozia­lis­ti­sche Lager gebun­den worden.

Pas­siert ist das Gegen­teil. Trotz Zusam­men­ar­beit im RGW bau­te jedes Land den Sozia­lis­mus iso­liert auf. So ver­such­te in den 80er Jah­ren zum Bei­spiel die klei­ne DDR mit 16 Mil­lio­nen Ein­woh­nern eine eigen­stän­di­ge Mikro­pro­zes­sor­fer­ti­gung auf­zu­bau­en. Dass dies die Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät enorm drü­cken muss­te, ist offen­sicht­lich. Letzt­lich bestä­tig­te sich die Vor­her­sa­ge von Lenin, dass die Höhe der Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät das welt­wei­te Rin­gen zwi­schen Sozia­lis­mus und Kapi­ta­lis­mus ent­schei­den wird.[29]

Chi­na hat­te am mör­de­ri­schen Rüs­tungs- und Tech­no­lo­gie­wett­lauf der 70er und 80er Jah­re kei­nen Anteil. Es war damals noch ein armes Ent­wick­lungs­land. Aller­dings hat­te es an der Nie­d­er­rin­gung der Sowjet­uni­on und des Welt­so­zia­lis­mus durch­aus eine Aktie, wie man in der DDR zu sagen pfleg­te. Dies vor allem durch den Chi­ne­sisch-Viet­na­me­si­schen Krieg 1979 und Unter­stüt­zung von kon­ter­re­vo­lu­tio­nä­ren Söld­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen wie den Roten Khmer in Kam­bo­dscha, der UNITA in Ango­la und der isla­mis­ti­schen Muja­hed­din in Afghanistan.

Auch hier war Chi­na nicht der Haupt­ak­teur. Das waren die USA. Aber Chi­na hat sehr wohl dazu bei­getra­gen, die Wirt­schafts­kraft der Sowjet­uni­on durch hohe mili­tä­ri­sche Hilfs­lie­fe­run­gen wei­ter zu über­deh­nen und die Sowjet­ar­mee in Afgha­ni­stan zu demo­ra­li­sie­ren. Das wur­de im Wes­ten durch­aus gese­hen. So wur­de die Volks­re­pu­blik Chi­na Ende der 70er Jah­re in der west­li­chen Pres­se als das 16. NATO-Mit­glied bezeich­net. Für den ehe­ma­li­gen US-Sicher­heits­be­ra­ter Hen­ry Kis­sin­ger war Chi­na »einer unse­rer stär­ke­ren NATO-Ver­bün­de­ten«[30].

Damit scha­de­te sich Chi­na letzt­lich sel­ber. Das soll­te aber erst 1989 offen­sicht­lich wer­den, als es zu spät war.

Ver­wei­se

[1] Vgl. Horst Egon Syl­la: Die Land­streit­kräf­te der Natio­na­len Volks­ar­mee, in: Wolf­gang Wün­sche (Hrsg.): Rührt euch!, Ber­lin 1998, S. 182

[2] Vgl. Michio Kaku / Dani­el Axel­rod: To Win a Nuclear War, Bos­ton 1987, S. 194

[3] SOSUS = Sound Sur­veil­lan­ce System

[4] Vgl. Kaku a.a.O., S. 189ff

[5] Aller­dings ohne Laser und Kernreaktor.

[6] Vgl. Kahn 1987, S. 331

[7] Vgl. Kahn 1987, S. 333

[8] Vgl. Hel­mut Wolf­gang Kahn: Der Kal­te Krieg, Band 3: Die Neme­sis des Kal­ten Krie­ges, Köln 1988, S. 48

[9] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv 1979 a.a.O., S. 342

[10] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv 1979 a.a.O., S. 351

[11] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv 1979 a.a.O., S. 348

[12] Vgl. Gün­ter Gie­sen­feld: Land der Reis­fel­der, Köln 1988, S. 218ff

[13] Alain Ruscio in L’Humanité vom 10.03.1979, zitiert nach Gie­sen­feld a.a.O., S. 222

[14] MPLA = Movi­men­to Popu­lar de Liber­ta­ção de Ango­la, dt. Volks­be­we­gung zur Befrei­ung Angolas
FNLA = Fren­te Nacio­nal de Liber­ta­ção de Ango­la, dt. Natio­na­le Front zur Befrei­ung Angolas
UNITA = União Nacio­nal para a Inde­pen­dên­cia Total de Ango­la, dt. Natio­na­le Uni­on für die völ­li­ge Unab­hän­gig­keit Angolas

[15] UPA = União das Popu­la­ções de Ango­la, dt. Ver­ei­ni­gung der Bevöl­ke­rung Angolas

[16] Vgl. Pro­sper Kivo­vou: Ango­la, Köln 1980, S. 136ff, 171ff, Micha­el Offer­mann: Ango­la zwi­schen den Fron­ten, Pfaf­fen­wei­ler 1988, S. 168

[17] Vgl. Offer­mann a.a.O., S.169

[18] FAP­LA = For­ças Arma­das Popu­la­res de Liber­ta­ção de Ango­la, Volks­be­frei­ungs­ar­mee Angolas

[19] Vgl. Kivo­vou a.a.O., S. 194ff, Wolf­gang Mix: Kubas Inter­na­tio­na­lis­mus – Ango­la 1975 – 1991, Ber­lin und Bök­lund 2019, S. 39ff

[20] OAU = Orga­niza­ti­on of Afri­can Unity, Orga­ni­sa­ti­on für Afri­ka­ni­sche Ein­heit, Orga­ni­sa­ti­on fast aller afri­ka­ni­scher Staaten.

[21] Vgl. Offer­mann a.a.O., S. 324f

[22] SWAPO = South-West Afri­ca People’s Orga­ni­sa­ti­on, Süd­west­afri­ka­ni­sche Volks­or­ga­ni­sa­ti­on, ehe­ma­li­ge Befrei­ungs­be­we­gung und heu­ti­ge Regie­rungs­par­tei Namibias.

[23] Vgl. Mix a.a.O., S. 108ff

[24] Ver­ei­nig­te Demo­kra­ti­sche Volks­par­tei Afghanistans.

[25] Wolf­ram Brön­ner: Afgha­ni­stan, Frank­furt am Main 1980, S. 84

[26] Die Theo­rie des Vor­sit­zen­den Mao über die Drei­tei­lung der Welt, Ein bedeu­ten­der Bei­trag zum Mar­xis­mus-Leni­nis­mus, in: KPS/ML Nr. 117, im Inter­net: https://​www​.mao​-pro​jekt​.de/​I​N​T​/​E​U​/​C​H​/​0​0​2​/​S​c​h​w​e​i​z​_​K​P​S​M​L​_​O​k​t​o​b​e​r​_​1​9​7​7​_​1​1​7​.​s​h​tml, abge­ru­fen am 05.03.2022

[27] Ein Mit­glied des KBW war unter ande­rem Win­fried Kretschman.

[28] Die K‑Gruppen waren mao­is­ti­sche Klein­par­tei­en in der BRD, die in ihrer Hoch­pha­se bis zu 10.000 Mit­glie­der und Sym­pa­thi­san­ten hat­ten. KBW = Kom­mu­nis­ti­scher Bund West­deutsch­lands, KB = Kom­mu­nis­ti­scher Bund, KABD = Kom­mu­nis­ti­scher Arbei­ter­bund Deutsch­lands, MLPD = Mar­xis­tisch-Leni­nis­ti­sche Par­tei Deutschlands.

[29] Vgl. W.I. Lenin: Die gro­ße Initia­ti­ve, in Lenin Wer­ke 29, Ber­lin 1984, S. 416

[30] Vgl. Kahn a.a.O. 1988, S. 48. Damals gab es nur 15 NATO-Mit­glie­der und zwar die USA, Kana­da, Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich, Bel­gi­en, die Nie­der­lan­de, Luxem­burg, die BRD, Ita­li­en, Grie­chen­land, die Tür­kei, Por­tu­gal, Däne­mark, Nor­we­gen und Island.

Bild: Tref­fen Maos mit Nixon in Peking 1972

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