Ers­te Etap­pe der Wirt­schafts­re­for­men und Putsch­ver­such (1978 – 89) – Arti­kel­se­rie zu Chi­na Teil X

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Dies ist der zehn­te Teil einer umfas­sen­den auf meh­re­re Tei­le ange­leg­ten Arti­kel­se­rie von Jan Mül­ler über Chi­na. Beinhal­ten wird die Serie fol­gen­de Teile:

  1. Das alte Chi­na (plus Einleitung)
  2. Die Ent­ste­hung des Kapi­ta­lis­mus in Chi­na und die Ers­te Chi­ne­si­sche Revolution
  3. Die Zwei­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1925 – 27)
  4. Die KPCh wird Gue­ril­la­be­we­gung (1928 – 1945)
  5. Der Chi­ne­si­sche Bür­ger­krieg und die Drit­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1945 – 49)
  6. Von der »neu­de­mo­kra­ti­schen« zur sozia­lis­ti­schen Revolution
  7. Im Bünd­nis mit der Sowjet­uni­on (1949 – 60)
  8. Gro­ßer Sprung nach vor­ne, Bruch mit der Sowjet­uni­on und Kul­tur­re­vo­lu­ti­on: Der Hoch­mao­is­mus (1958 – 69)
  9. Umkehr der Alli­an­zen und Drei-Wel­ten-Theo­rie: Der Spät­mao­is­mus (1969 – 78)
  10. Ers­te Etap­pe der Wirt­schafts­re­for­men und Putsch­ver­such (1978 – 89)
  11. Chi­na im Zeit­al­ter des Neo­li­be­ra­lis­mus (1989 – 2008)
  12. Klei­ner Wohl­stand und neue Sei­den­stra­ße (ab 2008)
  13. Chi­na und Corona
  14. Chi­na und der Ukrainekrieg
  15. Schluss­fol­ge­run­gen über den Cha­rak­ter Chinas

Die Arti­kel­se­rie als Bro­schü­re mit wei­te­ren Anhän­gen, Lite­ra­tur­ver­zeich­nis und wei­ter­füh­ren­der Lite­ra­tur kann man unter fol­gen­dem Link her­un­ter­la­den: Chi­na: Ein lan­ger Weg – wohin?

Ers­te Etap­pe der Wirt­schafts­re­for­men und Putsch­ver­such (1978 – 89)

Ab Mit­te der 70er Jah­re gab es ein Geran­gel in der Par­tei­füh­rung um die Nach­fol­ge des kran­ken Mao. Jede Äuße­rung von ihm wur­de genau beach­tet. Im Jahr 1974 kri­ti­sier­te er die radi­ka­len Expo­nen­ten der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, dar­un­ter sei­ne Frau Jiang Qing, sowie Zhang Con­quiao, Yao Wenyu­an und Wang Hongwen als »Vie­rer­ban­de«. Mao hat­te Wang die ope­ra­ti­ve Arbeit des ZK über­tra­gen, als Pre­mier­mi­nis­ter Zhou Enlai in ein Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert wer­den muss­te. Wang war damit offen­sicht­lich über­for­dert. Des­halb hol­te Mao den im Zuge der Kul­tur­evo­lu­ti­on ver­ur­teil­ten Deng Xiao-ping in die Zen­tra­le zurück und über­trug ihm Wangs Funk­tio­nen. Deng wur­de jetzt in sei­ne Funk­ti­on als Mit­glied des Polit­bü­ros und der Mili­tär­kom­mis­si­on wie­der ein­ge­setzt. Er war es auch, der im April 1974 vor der UNO-Voll­ver­samm­lung die anti­kom­mu­nis­ti­sche Drei-Wel­ten-Theo­rie ver­kün­de­te und Chi­na damit öffent­lich an der Sei­te der USA posi­tio­nier­te.1

Am 8. Janu­ar 1976 starb der im Vol­ke sehr belieb­te Zhou Enlai. Mao setz­te nun nicht Deng, son­dern den weit­ge­hend unbe­kann­ten Hua Guo-feng als Ver­ant­wort­li­chen für die ope­ra­ti­ve Arbeit des ZK ein. Damit wur­de er de fac­to auch zu sei­nem Nach­fol­ger ernannt.

Am 9. Sep­tem­ber 1976 starb Mao Tse-tung im Alter von 84 Jah­ren. Nur wenig spä­ter, am 6. Okto­ber 1976 ver­kün­de­te sein Nach­fol­ger Hua Guo-feng den anwe­sen­den Mit­glie­dern der »Vie­rer­ban­de« auf einer Polit­bü­ro-Sit­zung einen Beschluss, sie hät­ten sich »par­tei­feind­li­cher und anti­so­zia­lis­ti­scher Ver­bre­chen« schul­dig gemacht. Sie wur­den sofort fest­ge­nom­men und spä­ter zum Tode ver­ur­teilt, dann aber zu lebens­lan­ger Haft begna­digt. Damit waren in der Par­tei­füh­rung die radi­ka­len Expo­nen­ten der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on aus­ge­schal­tet wor­den.2

Aller­dings hat­te sich Hua damit eines Teils sei­ner poten­ti­el­len Ver­bün­de­ten beraubt. Auf einer lang­an­dau­ern­den ZK-Tagung im Novem­ber und Dezem­ber 1978 wur­de er nun sei­ner­seits ent­mach­tet und zahl­rei­che im Ver­lauf der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on ver­ur­teil­te Par­tei­mit­glie­der reha­bi­li­tiert. Deng Xiao-ping wur­de, obwohl er kein for­mel­les Amt inne­hat­te, zum füh­ren­den Reprä­sen­tan­ten der Par­tei. Sei­ne For­de­rung nach Markt­re­for­men fand all­ge­mei­ne Zustim­mung. Hua Guo-feng behielt zwar bis 1981 sei­ne Ämter, hat­te aber tat­säch­lich nichts mehr zu sagen. Im Juni 1981 wur­de Deng Xiao-ping zum Vor­sit­zen­den der Zen­tra­len Mili­tär­kom­mis­si­on gewählt.3

Sofort nach der Macht­über­nah­me Dengs star­te­ten Markt­re­for­men. Die­se began­nen im Jahr 1979 in der Land­wirt­schaft. Um die Pro­duk­ti­on von Getrei­de anzu­re­gen, wur­den die Pro­duk­ti­ons­bri­ga­den auf­ge­löst und den Bau­ern­fa­mi­li­en ver­trag­lich die Ver­ant­wor­tung für die land­wirt­schaft­li­che Pro­duk­ti­on über­tra­gen. Grund und Boden blieb Staatseigentum.

Damit soll­ten »die Vor­zü­ge der klei­nen Land­wirt­schaft ent­fal­tet« sowie die »über­mä­ßi­gen Zen­tra­li­sa­ti­on der Lei­tung« und die »Gleich­ma­che­rei« über­wun­den werden.

In kur­zer Zeit änder­te sich die Sozi­al­struk­tur des Dor­fes. Neben Ein­zel­bau­ern, Hand­wer­kern und länd­li­chen Kapi­ta­lis­ten ent­stand eine Schicht unter­bäu­er­li­cher Lohn­ar­bei­ter. Bis Ende 1983 war die Zahl der Klein­un­ter­neh­men in Indus­trie, Hand­werk und Han­del auf dem Dor­fe um 190 Pro­zent und in der Stadt um 53 Pro­zent ange­stie­gen und zwar auf 5,8 Mil­lio­nen. Sie durf­ten jeweils 3 Lohn­ar­bei­ter und 5 »Lehr­lin­ge« ein­stel­len.4

Den Bau­ern wur­de die Benut­zung des ihnen zuge­teil­ten Lan­des für 15 Jah­re und mehr zuge­sagt. Pri­va­tes Kapi­tal konn­te auf dem Lan­de unbe­grenzt zir­ku­lie­ren. Gleich­zei­tig wur­den die Prei­se für land­wirt­schaft­li­che Erzeug­nis­se erhöht. Bau­ern erhiel­ten das Recht, ihre Pro­duk­te in ande­ren Regio­nen abzu­set­zen, Pro­duk­ti­ons­mit­tel zu erwer­ben und in Unter­neh­men zu investieren.

Ende 1983 wur­de bereits 97 Pro­zent des Lan­des der Pro­duk­ti­ons­bri­ga­den von Ein­zel­fa­mi­li­en bewirt­schaf­tet. Im Jahr 1985 wur­den die Volks­kom­mu­nen auch als unters­te Ebe­ne der Ver­wal­tung auf­ge­löst und die 1958 abge­schaff­ten Volks­re­gie­run­gen der Krei­se und Dör­fer neu gebil­det.5

Die Refor­men zeig­ten zunächst Erfol­ge, denn die Getrei­de­pro­duk­ti­on erhöh­te sich von 304,7 Mil­lio­nen Ton­nen im Jahr 1978 auf 407,31 Mil­lio­nen Ton­nen im Jahr 1984. Das war ein Zuwachs von 33,64 Pro­zent. Mit­te der 80er Jah­re begann jedoch die wirt­schaft­li­che Leis­tungs­fä­hig­keit der klein­bäu­er­li­chen Wirt­schaft an ihre Gren­zen zu sto­ßen. Schrit­te zur Ent­wick­lung neu­er land­wirt­schaft­li­cher Genos­sen­schaf­ten blie­ben aus.6 Es war nun nicht mehr mög­lich, die Land­wirt­schaft auf sozia­lis­ti­scher Grund­la­ge zu moder­ni­sie­ren. Haupt­grund war wohl, dass die Par­tei­füh­rung befürch­te­te, eine neue Genos­sen­schafts­kam­pa­gne wür­de von den Bau­ern – beson­ders den Groß­bau­ern – als Bruch des Ver­spre­chens gewer­tet wer­den, an der Boden­nut­zung min­des­tens 15 Jah­re nichts zu ändern. Außer­dem könn­ten dadurch lin­ke, mao­is­ti­sche Ele­men­te in der Par­tei gestärkt wer­den, gegen die Deng und ande­re Refor­mer in den gan­zen 80er Jah­ren einen erbit­ter­ten Kampf führten.

Refor­men in der Indus­trie folg­ten 1984. Die staat­li­chen Indus­trie­be­trie­be beka­men eine grö­ße­re Selb­stän­dig­keit. Sie wur­den als »unab­hän­gi­ge Wirt­schafts­ge­bil­de« defi­niert, die selb­stän­dig wirt­schaf­ten und für Gewinn und Ver­lust selbst ver­ant­wort­lich sind. Die Abfüh­rung der Gewin­ne der Indus­trie­be­trie­be an den Staats­haus­halt wur­de been­det. An ihre Stel­le trat die Erhe­bung von Steu­ern. Die Unter­neh­men konn­ten nun im Schnitt über 45 Pro­zent ihres Gewinns selbst ver­fü­gen.7

Die staat­li­che Fest­set­zung der Prei­se wur­de bedeu­tend ein­ge­schränkt. Prei­se soll­ten grund­sätz­lich über den Markt gebil­det werden.

Die wirt­schafts­lei­ten­den Minis­te­ri­en wur­den auf­ge­löst. Der Staat zog sich auf die Regu­lie­rung von makro­öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen zurück. Die über den Plan erfol­gen­de Zutei­lung von Res­sour­cen wur­de stark ein­ge­schränkt. Im Bereich der Indus­trie wur­den 1988 nur noch 60 Erzeug­nis­se mit einem Gesamt­wert an der Indus­trie­pro­duk­ti­on von 20 Pro­zent zugeteilt.

Die Gehäl­ter und Erfolgs­prä­mi­en der Mana­ger wur­den deut­lich erhöht. Es kam zu einer wesent­lich grö­ße­ren Lohn­sprei­zung bei den Arbei­tern. Der Lohn soll­te nach geis­ti­ger und kör­per­li­cher, kom­pli­zier­ter und ein­fa­cher, ver­sier­ter und nicht­ver­sier­ter Arbeit deut­lich stär­ker dif­fe­ren­ziert wer­den, als es bis­her der Fall war. Anstel­le von Erfolgs­prä­mi­en für die gan­ze Beleg­schaft trat die Akkord­ar­beit. Die­se zuneh­men­de Ungleich­heit wur­de damit begrün­det, dass es einem Teil der Gesell­schaft gestat­tet wer­den soll­te, zuerst wohl­ha­bend zu wer­den, um dadurch die ande­ren Men­schen anzu­spor­nen, es ihnen gleich zu tun.

Die Gewerk­schaf­ten spiel­ten bei die­sen Refor­men kei­ne Rol­le. Bestre­bun­gen der Beleg­schaf­ten nach 1980, ihre Betriebs­lei­ter selbst zu wäh­len, wur­den bald unter­bun­den.8

Es kam zu einem wesent­lich stär­ke­ren öko­no­mi­schen Aus­tausch mit dem Aus­land. Im Jahr 1979 wur­den in Shen­zhen, Zhuh­ai, Shan­tou und Xia­men vier öko­no­mi­sche Son­der­zo­nen mit beson­de­ren Bedin­gun­gen für aus­län­di­sche Kapi­ta­lis­ten auf der Basis der Markt­wirt­schaft ein­ge­rich­tet. Im Mai 1984 wur­den 14 Hafen­städ­te, dar­un­ter Shang­hai, Tian­jin, Qing­dao, Ning­bo und Guang­zhou (Kan­ton) für das aus­län­di­sche Kapi­tal geöff­net.9

Das Brut­to­in­lands­pro­dukt war zwi­schen 1979 und 1992 zwar stark gewach­sen, aller­dings ver­rin­ger­te sich der staat­li­che Anteil an den Betrie­ben in der Indus­trie von 80 auf 40 Pro­zent und im Ein­zel­han­del von 90,7 auf 39,6 Pro­zent. Das heißt, in den 80er Jah­ren ent­stan­den zahl­rei­che klei­ne Pri­vat­be­trie­be, dar­un­ter weit mehr als die offi­zi­ell regis­trier­ten 139.000 kapi­ta­lis­ti­schen Unter­neh­men, die mehr als acht Per­so­nen beschäf­ti­gen und bei denen von einer Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on aus­zu­ge­hen ist.10

1988 arbei­te­ten bereits 90 Pro­zent aller gro­ßen und mitt­le­ren staat­li­chen Unter­neh­men auf der Basis von Markt­be­zie­hun­gen. 53,3 Pro­zent der klei­nen staat­li­chen Unter­neh­men wur­den bis dahin verkauft.

Die Fol­gen der Markt­re­for­men blie­ben nicht aus: Bis 1988 wuchs die ver­ar­bei­ten­den Indus­trie um 23 Pro­zent, die Grund­stoff­in­dus­trie aber nur um 10,9 Pro­zent und die Ener­gie­pro­duk­ti­on nur um 4,2 Pro­zent. Das hat­te zur Fol­ge, dass mehr als 40 Pro­zent der indus­tri­el­len Pro­duk­ti­ons­ka­pa­zi­tä­ten durch den Man­gel an Roh­stof­fen und Ener­gie nicht aus­ge­las­tet wer­den konn­ten. Die Getrei­de­pro­duk­ti­on pro Kopf ging 1988 gegen­über 1984 sogar um 10 Pro­zent zurück. 1987/88 kam es als Fol­ge der abge­schaff­ten Preis­kon­trol­len zu einer Infla­ti­on, die bei Lebens­mit­teln 50 Pro­zent und bei ein­zel­nen Indus­trie­wa­ren bis zu 100 Pro­zent betrug. Die Gren­ze der Belast­bar­keit für die Werk­tä­ti­gen und Unter­neh­men war erreicht und über­schrit­ten wor­den.11

Des­halb beschloss das ZK im Sep­tem­ber 1988, den Schwer­punkt der fol­gen­den bei­den Jah­re auf die Sta­bi­li­sie­rung der öko­no­mi­schen Lage zu legen. Das Indus­trie­wachs­tum soll­te gedros­selt und eine wei­te­re Preis­re­form zurück­ge­stellt wer­den.12

Die­se Ori­en­tie­rung lös­te im Wes­ten erbit­ter­ten Wider­spruch aus. US-Vize­prä­si­dent Bush der Älte­re dräng­te 1988 vehe­ment auf wei­te­re Wirt­schafts­re­for­men in Chi­na.13

Durch die Refor­men in Indus­trie und Land­wirt­schaft wur­de die Plan­wirt­schaft de fac­to abge­schafft. Den­noch wur­de das chi­ne­si­sche Wirt­schafts­sys­tem zunächst noch als Plan­wirt­schaft bezeichnet.

Erst 1985 began­nen markt­wirt­schaft­lich ori­en­tier­te Kräf­te offen her­vor­zu­tre­ten. Das war die Fol­ge meh­re­rer Kon­fe­ren­zen, die von chi­ne­si­scher Sei­te gemein­sam mit neo­li­be­ral ori­en­tier­ten bür­ger­li­chen Öko­no­men der Welt­bank abge­hal­ten wur­den. Auch chi­ne­si­sche Öko­no­men brach­ten neo­li­be­ra­le Vor­stel­lun­gen von Stu­di­en­auf­ent­hal­ten in den USA mit. Ande­re Par­tei­mit­glie­der wider­spra­chen die­sen Vor­stel­lun­gen vehement.

Die Kon­tro­ver­se wur­de letzt­lich durch ein Macht­wort von Deng Xiao-ping im Okto­ber 1985 ent­schie­den. Er sag­te, dass es zwi­schen Sozia­lis­mus und Markt­wirt­schaft kei­nen Wider­spruch gebe. Die ent­schei­den­de Fra­ge sei, mit wel­cher Metho­de die gesell­schaft­li­chen Pro­duk­tiv­kräf­te schnel­ler ent­wi­ckelt wer­den könn­ten. Das sei eben die Markt­wirt­schaft. Die Markt­wirt­schaft ste­he des­halb nicht im Wider­spruch zum Sozia­lis­mus, weil das Gemein­ei­gen­tum den wich­tigs­ten Platz in der Wirt­schaft ein­neh­men wird und eine sozia­le Pola­ri­sie­rung ver­mie­den wird.14

Hel­mut Peters behaup­tet, die Markt­re­for­men sei­en alter­na­tiv­los gewe­sen, da das Tem­po einer plan­wirt­schaft­li­chen Indus­tria­li­sie­rung zu gering sei. Aller­dings wur­de eine rasche plan­wirt­schaft­li­che Indus­tria­li­sie­rung gar nicht erst ver­sucht. Nach dem Abschluss des ers­ten Fünf­jahr­pla­nes star­te­te Mao 1958 sei­nen irrea­len Gro­ßen Sprung. Ab 1962 war die Füh­rung damit beschäf­tigt die schlimms­ten Fol­gen die­ses Sprun­ges zu besei­ti­gen. Dann folg­te die Kul­tur­re­vo­lu­ti­on mit neu­en wirt­schaft­li­chen Erschüt­te­run­gen. An ein rasches Wirt­schafts­wachs­tum war in die­ser Zeit nicht zu den­ken. Bis zu Maos Tod 1976 war eine Grund­satz­ent­schei­dung über die zukünf­ti­ge Wirt­schafts­po­li­tik nicht möglich.

Aller­dings zeigt das Bei­spiel der Sowjet­uni­on, dass eine rasche plan­wirt­schaft­li­che Durch­in­dus­tria­li­sie­rung eines Agrar­lan­des in drei bis vier Fünf­jah­res­pe­ri­oden sehr wohl erreich­bar ist. Die Sowjet­uni­on wur­de zwi­schen 1930 und 1960 von einem armen Agrar­land zu einer Super­macht, die an der Spit­ze des tech­ni­schen Fort­schritts stand. Auch der Lebens­stan­dard der Bevöl­ke­rung konn­te wesent­lich ver­bes­sert wer­den. Dies trotz eines mör­de­ri­schen Krie­ges, den das faschis­ti­sche Deutsch­land in den Jah­ren 1941 bis 1945 gegen die Sowjet­uni­on führte.

Eine ent­spre­chen­de Pro­gno­se gab es in den 50er Jah­ren auch für Chi­na. Am Ende der 60er Jah­re soll­te Chi­na nach drei oder vier Fünf­jahr­plä­nen mit hohen Wachs­tums­ra­ten ein moder­ner Indus­trie-Agrar­staat sein, vom Lebens­ni­veau etwa ver­gleich­bar mit Bul­ga­ri­en oder Ungarn. Natür­lich hät­te auch die­se Stra­te­gie Här­ten für die Bevöl­ke­rung bedeu­tet, aller­dings wohl deut­lich gerin­ge­re als sie der Gro­ße Sprung nach Vor­ne und die Erschüt­te­run­gen der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on tat­säch­lich ver­ur­sacht haben.

Im Jahr 1978 war eine sol­che Stra­te­gie wohl nicht mehr mög­lich. Der beträcht­li­che Enthu­si­as­mus der chi­ne­si­schen Bevöl­ke­rung nach der Befrei­ung im Jahr 1949 war von Mao mit irrea­len Pro­jek­ten rich­tig­ge­hend ver­schwen­det wor­den. Wei­te­re Opfer im Namen des Sozia­lis­mus woll­te die Par­tei der chi­ne­si­schen Bevöl­ke­rung nicht mehr zumu­ten. Wenn frei­lich Men­schen auf­grund der Markt­ge­set­ze ver­ar­men, suchen sie die Schuld bei sich selbst.

Hel­mut Peters sieht aller­dings, dass Dengs Vor­stel­lung, zwi­schen Sozia­lis­mus und Markt­wirt­schaft gäbe es kei­nen Wider­spruch falsch ist. Die Markt­wirt­schaft funk­tio­niert nach den Bewe­gungs­ge­set­zen der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se. Ziel allen Wirt­schaf­tens ist es hier aus dem eige­nen Kapi­tal den maxi­ma­len Pro­fit her­aus­zu­schla­gen. Mit der Ein­füh­rung der Markt­wirt­schaft wur­de auch die Arbeits­kraft zu einer Ware, es kam zu beträcht­li­cher sozia­ler Unsi­cher­heit und zu einer star­ken Pola­ri­sie­rung der Ein­kom­men. Die Markt­wirt­schaft ist dem Sozia­lis­mus wesens­fremd.15

Den­noch meint Peters, dass beim Auf­bau des Sozia­lis­mus Markt­ele­men­te genutzt wer­den müs­sen. Damit ver­kennt er aller­dings die Pro­ble­me einer Markt­wirt­schaft gera­de in unter­ent­wi­ckel­ten Län­dern. Dort ist näm­lich gera­de auf­grund der Unter­ent­wi­ckelt­heit die Land­wirt­schaft von Anfang pro­fi­ta­bler als die Indus­trie, Hand­werk und Klein­in­dus­trie pro­fi­ta­bler als die Groß­in­dus­trie, Leicht­in­dus­trie pro­fi­ta­bler als die Schwer­indus­trie und der pri­va­te Sek­tor pro­fi­ta­bler als der ver­staat­lich­te. Inves­ti­tio­nen ent­spre­chend dem Wert­ge­setz wür­den die­se Ten­den­zen ver­stär­ken und in beson­ders pro­fi­ta­ble Berei­che flie­ßen.16

Das sah man ja auch in Chi­na in den Jah­ren 1984 bis 1988. Da dort die Leicht­in­dus­trie wesent­lich pro­fi­ta­bler war als die Schwer­indus­trie, inves­tier­ten die Betrie­be haupt­säch­lich dort und nicht in die Grund­stoff­in­dus­trien und die Ener­gie­pro­duk­ti­on. Denn in die­sen Berei­chen amor­ti­siert sich Kapi­tal wesent­lich lang­sa­mer. Die Fol­gen waren Dis­pro­por­tio­nen, Sto­ckun­gen und eine galop­pie­ren­de Infla­ti­on. Am Ende muss­te der Staat doch wie­der inter­ve­nie­ren und die schlimms­ten Dis­pro­por­tio­nen besei­ti­gen. Dies geschah frei­lich erst dann, als die mit der Markt­wirt­schaft ein­her­ge­hen­de Wirt­schafts­kri­se zu beträcht­li­cher Unzu­frie­den­heit in der Bevöl­ke­rung geführt hat.

Man­del schreibt:

In Wirk­lich­keit liegt die ent­schei­den­de Bedeu­tung die­ses Sie­ges, der Ver­staat­li­chung der indus­tri­el­len Pro­duk­ti­ons­mit­tel, des Kre­dit­ap­pa­ra­tes, der Trans­port­mit­tel und des Außen­han­dels (zusam­men mit dem Außen­han­dels­mo­no­pol) dar­in, die Bedin­gun­gen für einen Indus­tria­li­sie­rungs­pro­zess zu schaf­fen, der der Logik des Wert­ge­set­zes ent­geht. Wirt­schaft­li­che, sozia­le und poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen, bewusst und demo­kra­tisch getrof­fen, haben Vor­rang vor dem Wert­ge­setz, um die Grund­la­gen für eine Indus­tria­li­sie­rung zu schaf­fen. Vor­ran­gig sind nicht sofor­ti­ge Maxi­mal­erträ­ge, son­dern die Abschaf­fung der länd­li­chen Arbeits­lo­sig­keit, der Abbau der tech­no­lo­gi­schen Rück­stän­dig­keit, die Abschaf­fung der Fremd­herr­schaft in der natio­na­len Wirt­schaft, die Garan­tie für einen schnel­len sozia­len und kul­tu­rel­len Auf­stieg der Mas­sen, der Arbei­ter und armen Bau­ern, die beschleu­nig­te Unter­drü­ckung von Epi­de­mien und ein­hei­mi­schen Krank­hei­ten usw. usw.17

Wenn zen­tra­le Inves­ti­tio­nen sicher­ge­stellt sind, kann es durch­aus sinn­voll sein, in weni­ger wich­ti­gen Bran­chen vor­erst Markt und Wert­ge­setz wei­ter­hin wir­ken zu las­sen. Dies zumin­dest so lan­ge, wie die Pla­nungs­in­stru­men­te unter­ent­wi­ckelt sind. Aber die­se Dif­fe­ren­zie­rung scheint im Chi­na der 80er Jah­re nicht gemacht wor­den zu sein.18

Inso­fern stellt sich die Fra­ge, ob die markt­wirt­schaft­li­che Indus­tria­li­sie­rung wirk­lich effek­ti­ver und schnel­ler gewe­sen ist als eine Indus­tria­li­sie­rung auf Basis der Plan­wirt­schaft. Dar­an sind Zwei­fel ange­bracht, wenn man das Bei­spiel der Sowjet­uni­on betrach­tet. Auf jeden Fall wäre die extre­me sozia­le Unsi­cher­heit in den 90er und 00er Jah­ren ver­mie­den worden.

Außen­po­li­tisch ori­en­tier­te Chi­na nach wie vor auf das Bünd­nis mit den USA. Aller­dings wirk­te der radi­ka­le Anti­kom­mu­nis­mus des US-Prä­si­den­ten Ronald Rea­gan (reg. 1980 – 88) abschre­ckend. Zudem wur­de immer stär­ker ersicht­lich, dass eine wei­te­re Anpas­sung an den aggres­si­ven Kurs Washing­tons das Anse­hen Chi­nas in der Drit­ten Welt zuneh­mend beein­träch­tig­te und letzt­lich nur den USA nutzte.

Des­halb beton­te Deng in den 80er Jah­ren die Unab­hän­gig­keit und Selb­stän­dig­keit der chi­ne­si­schen Außenpolitik.

Die­se stra­te­gi­sche Umori­en­tie­rung eröff­ne­te den sozia­lis­ti­schen Län­dern die Mög­lich­keit, die Bezie­hun­gen zu Chi­na zu nor­ma­li­sie­ren. Die DDR war ein Vor­rei­ter die­ser Ent­wick­lung. Der Staats­rats­vor­sit­zen­de Erich Hon­ecker besuch­te zwi­schen dem 21. und 26. Okto­ber 1986 als ers­ter Staats- und Par­tei­chef eines mit der Sowjet­uni­on ver­bün­de­ten Lan­des nach 1960 die Volks­re­pu­blik China.

Pre­mier­mi­nis­ter Hu Yao­bang erklär­te, dass Chi­na die engen Bezie­hun­gen einer Rei­he sozia­lis­ti­scher Län­der mit der UdSSR respek­tie­ren und nichts unter­neh­men wer­de, sie zu unterlaufen.

Mit dem Besuch von Micha­el Gor­bat­schow in Peking im Mai 1989 wur­de die Nor­ma­li­sie­rung zu sozia­lis­ti­schen Län­dern abge­schlos­sen. Der Besuch erfolg­te frei­lich erst, nach­dem Gor­bat­schow 1988 in Afgha­ni­stan, Kam­bo­dscha und Ango­la kapi­tu­liert hat­te. Die Sowjet­ar­mee zog sich 1988 aus Afgha­ni­stan zurück, im glei­chen Jahr unter­sag­te Gor­bat­schow die Befrei­ung Nami­bi­as und die Viet­na­me­sen zogen sich aus Kam­bo­dscha zurück. Dort wur­de unter UN-Auf­sicht eine pro­ka­pi­ta­lis­ti­sche Regie­rung unter dem Prin­zen Siha­nouk ein­ge­setzt. Chi­na und die USA hat­ten also ihre Zie­le erreicht und die Welt­re­vo­lu­ti­on, den so genann­ten »sowje­ti­schen Expan­sio­nis­mus«, zurück­ge­drängt.19

Bereits im Win­ter 1986/87 kam es zu Stu­den­ten­de­mons­tra­tio­nen in Peking und ande­ren Städ­ten. Einer­seits erkann­te die Par­tei an, dass Ursa­chen die­ser Demons­tra­tio­nen auch Feh­ler in der Arbeit der zen­tra­len und loka­len Orga­ne sowie der Schul­lei­tun­gen waren. Ande­rer­seits sahen vie­le Par­tei­mit­glie­der die­se Demons­tra­tio­nen als Aus­druck einer bür­ger­lich-libe­ra­len Strö­mung. Deng schloss sich die­ser Mei­nung an und for­der­te dazu auf, gegen die­se Strö­mung klar Flag­ge zu zei­gen. Anfang 1987 wur­de der Gene­ral­se­kre­tär Hu Yao­bang für die unzu­rei­chen­de Aus­ein­an­der­set­zung mit bür­ger­li­chen ideo­lo­gi­schen Strö­mun­gen ver­ant­wort­lich gemacht und trat zurück. Auf ihn folg­te Zhao Ziyang. Er radi­ka­li­sier­te die Markt­re­for­men.20

Hu Yao­bang starb am 15. April 1989. Bei den Trau­er­fei­er­lich­kei­ten für ihn kam es zu erneu­ten Demons­tra­tio­nen der Stu­den­ten. Zunächst rich­te­ten sie sich auf eine Ver­bes­se­rung ihrer Arbeits- und Lebens­be­din­gun­gen, der Besei­ti­gung von Kor­rup­ti­on und Büro­kra­tis­mus in Par­tei und Staat sowie auf eine Demo­kra­ti­sie­rung des gesell­schaft­li­chen Lebens. Die­se For­de­run­gen wur­den von der Par­tei als berech­tigt anerkannt.

Aber bereits im April begann eine radi­ka­le, von anti­kom­mu­nis­ti­schen Agen­tu­ren aus den USA ange­lei­te­te Min­der­heit in Erschei­nung zu tre­ten. Sie misch­ten sich unter die Demons­tran­ten, rie­fen zum Sturz der KPCh auf und grif­fen füh­ren­de Per­sön­lich­kei­ten von Par­tei und Staat offen an. Dabei nutz­ten sie die inne­ren Wider­sprü­che und Pro­ble­me des Reform­pro­zes­ses aus.21

Inzwi­schen sind die Hin­ter­grün­de der Ereig­nis­se aus dem Jahr 1989 weit­ge­hend bekannt. Frei­lich nicht in Deutsch­land. Hier ver­brei­ten die Main­stream­m­e­di­en eisern ihr Nar­ra­tiv vom Blut­bad auf dem Tian­an­men-Platz. So zum Bei­spiel der ARD-Welt­spie­gel vom 03. Juni 2015:

In der Nacht vom 3. und 4. Juni 1989 eröff­ne­te die chi­ne­si­sche Volks­be­frei­ungs­ar­mee auf dem Platz des Himm­li­schen Frie­dens das Feu­er auf wehr­lo­se Demons­tran­ten. Schät­zungs­wei­se 3000 Men­schen wur­den bei der gewalt­sa­men Räu­mung des ›Tian­an­men-Plat­zes‹, so der chi­ne­si­sche Name, getö­tet.22

Das ist jedoch falsch: Tat­säch­lich gibt es kei­ne Zeu­gen dafür, dass die Volks­be­frei­ungs­ar­mee auf dem Platz des himm­li­schen Frie­dens das Feu­er eröff­ne­te. Der Platz wur­de offen­bar ohne Todes­op­fer geräumt.

Es gibt zahl­rei­che Bele­ge dafür, dass west­li­che Ein­fluss­agen­ten die ursprüng­lich authen­ti­schen Pro­tes­te kaper­ten und sie umfunk­tio­nier­ten. Ziel war der Sturz der Herr­schaft der KPCh und die erneu­te Ver­wand­lung Chi­nas in eine west­li­che Halbkolonie.

Sym­bo­le und Logos der chi­ne­si­schen Stu­den­ten­be­we­gung ent­spra­chen denen der ande­ren bun­ten Revo­lu­tio­nen, ange­fan­gen mit der ser­bi­schen im Jahr 2000.

1974 wur­de Geor­ge H. W. Bush (Bush der Älte­re) zum diplo­ma­ti­schen Ver­tre­ter der USA in der Volks­re­pu­blik Chi­na ernannt. Sofort bau­te er dort ein dich­tes Netz aus CIA-Agen­ten auf. Nach nur einem Jahr wur­de er abbe­ru­fen und im Dezem­ber 1975 zum CIA-Direk­tor ernannt.

Aller­dings wur­de die CIA in Chi­na nicht direkt für Umsturz­ope­ra­tio­nen ein­ge­setzt. Hier­für war nach sei­ner Grün­dung 1983 das Natio­nal Endow­ment for Demo­cra­cy (NED) zustän­dig. For­mell war es eine unab­hän­gi­ge Stif­tung, die aber von der US-Regie­rung finan­ziert wur­de. Die­ses wie­der­um ver­teil­te die Mit­tel über Unter­stif­tun­gen wie das den Demo­kra­ten nahe­ste­hen­de Natio­nal Demo­cra­tic Insti­tu­te for Inter­na­tio­nal Affairs (NDI) an aus­län­di­sche Orga­ni­sa­tio­nen. Die­se kom­pli­zier­te Kon­struk­ti­on dien­te der Ver­schleie­rung der Geldflüsse.

Ende April 1989 ernann­te Prä­si­dent Bush der Älte­re James R. Lily, den Chi­na-Spe­zia­lis­ten der CIA, zum neu­en US-Bot­schaf­ter. Eine ähn­li­che Ent­schei­dung traf Bush im Bezug auf die BRD. Er ernann­te eben­falls im April 1989 den Geheim­dienst­ge­ne­ral Ver­non Wal­ters zum US-Bot­schaf­ter in Bonn. Nach Ein­schät­zung von ehe­ma­li­gen MfS-Mit­ar­bei­tern war es sei­ne Auf­ga­be, der DDR »die letz­te Ölung« zu ver­pas­sen. Er sorg­te zum Bei­spiel dafür, dass Hel­mut Kohl jede Finanz­hil­fe für die in Schwie­rig­kei­ten gera­te­ne DDR ver­wei­ger­te.23

Seit 1986 ope­rier­te die Stif­tung Fund for the Reform and Ope­ning of Chi­na im Land. Geld­ge­ber war Georg Sor­os, der auch in Ungarn und Polen mit sei­nen Stif­tun­gen den Sozia­lis­mus unterwühlte.

1986 wur­de ein Stu­den­ten­aus­tausch mit den USA ins Leben geru­fen. Jun­ge Chi­ne­sen wur­den dort gezielt im Sin­ne des Neo­li­be­ra­lis­mus und Anti­kom­mu­nis­mus beein­flusst.24

1986 erschien in Chi­na eine neue Zeit­schrift: The Chi­ne­se Intellec­tu­al (Der chi­ne­si­sche Intellektuelle):

Auch die­se ver­brei­te­te flei­ßig mora­li­sche Kate­go­rien des Wes­tens, für die jun­ge Men­schen beson­ders affin sind. Finan­ziert wur­de die­se Zeit­schrift vom NED. Im Jahr vor den Tian­an­men-Ereig­nis­sen begann die Pekin­ger Nie­der­las­sung die­ser Zeit­schrift, Dis­kus­si­ons­run­den über Demo­kra­tie in der chi­ne­si­schen Haupt­stadt zu orga­ni­sie­ren. Außer­dem rich­te­te das NED zwei Nie­der­las­sun­gen in Chi­na ein, in denen nun eben­falls regel­mä­ßig Semi­na­re über Demo­kra­tie gehal­ten wur­den. Aus­ge­wähl­te chi­ne­si­sche Intel­lek­tu­el­le wur­den durch das NED pro­te­giert.25

Im März 1989 wur­de eine neue »Men­schen­rechts-Orga­ni­sa­ti­on« namens Human Rights in Chi­na (HRIC) gegrün­det. Finan­ziert wur­de sie vom NED und der Open Socie­ty Foun­da­ti­on von Geor­ge Soros.

Der Pro­pa­gan­da-Sen­der Voice of Ame­ri­ca strahl­te 1989 bis zu elf Stun­den täg­lich ein spe­zi­ell auf die pro­tes­tie­ren­den Stu­den­ten zuge­schnit­te­nes Pro­gramm in Man­da­rin aus:

VOA erreich­te bis zu 400 Mil­lio­nen Men­schen in Chi­na. Es streu­te gezielt Fehl­in­for­ma­tio­nen, um Panik und Cha­os im Land zu ver­brei­ten – so über inter­ne mili­tä­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen in der VBA, zu den stu­den­ti­schen Pro­tes­tie­rern ›über­ge­lau­fe­ne‹ Armee-Ein­hei­ten sowie erfolg­rei­che Mord­an­schlä­ge gegen füh­ren­de chi­ne­si­sche Poli­ti­ker.26

Von den Gel­dern des NED pro­fi­tier­te auch die Albert Ein­stein Insti­tu­ti­on (AEI) des Gene Sharp. Die­ser war tief von der mora­li­schen Über­le­gen­heit des Wes­tens über­zeugt und vol­ler Hass auf den »Kom­mu­nis­mus« und sons­ti­ge als Dik­ta­tu­ren geschmäh­te unlieb­sa­me Regierungen.

Sharp wie­der­um ent­wi­ckel­te »Metho­den gewalt­frei­er Akti­on«, mit denen Regie­run­gen durch Soft Power gestürzt wer­den sollten.

Die­se unter­glie­dern sich in fol­gen­de Kategorien:

  • gewalt­frei­er Pro­test und Überzeugungsarbeit
  • sozia­le Nicht-Zusammenarbeit
  • öko­no­mi­scher Boykott
  • Streik
  • poli­ti­sche Nicht-Zusammenarbeit
  • gewalt­freie Intervention

Tat­säch­lich sind die­se Metho­den längst nicht so gewalt­frei, wie Sharp behaup­tet: Öko­no­mi­scher Boy­kott zum Bei­spiel ist eine Chif­fre für gna­den­lo­se Wirt­schafts­sank­tio­nen, durch die Mil­lio­nen Men­schen umge­kom­men sind.27

Auch die Metho­de der gewalt­frei­en Inter­ven­ti­on ist tat­säch­lich nicht gewaltfrei:

Stel­len Sie sich vor, Sie gehen eine Stra­ße ent­lang. Plötz­lich stellt sich ein Mann vor Sie, sodass Sie aus­wei­chen müs­sen. Sie wol­len nach rechts aus­wei­chen, aber der Mann bewegt sich nun auf eben die­se Sei­te – bewusst, nicht zufäl­lig. Sie pro­bie­ren es links und wie­der wer­den Sie gehin­dert. Ren­nen Sie ihn aber um, brüllt er los, dass Sie ihn ange­grif­fen haben.28

Ein Bei­spiel für die­se Metho­de ist der Mann mit den zwei Ein­kaufs­tü­ten in Peking. Auf einem im Wes­ten weit gestreu­ten Bild ist ein Mann mit zwei Ein­kaufs­tü­ten zu sehen, wie er sich vor drei Pan­zer stellt und die­se an der Wei­ter­fahrt hin­dert: »Das Bild ist vol­ler Sym­bo­lik, spricht tief in uns sit­zen­de Emo­tio­nen an – und stärkt die Pola­ri­tät von Gut und Böse.»29

Gelei­tet wur­de die­se bun­te Revo­lu­ti­on offen­bar von Gene Sharp per­sön­lich, der sich min­des­tens in der Zeit vom 27. Mai bis zum 6. Juni 1989 in Peking auf­hielt. Er stand in stän­di­gem Kon­takt mit bekann­ten Stu­den­ten­füh­rern wie Li Lu und Chai Ling.

Letzt­lich sind Sharps Metho­den destruk­tiv. Sie lau­fen alle dar­auf hin­aus, dass die Macht­fra­ge gestellt wird. Dann kann die ange­grif­fe­ne Regie­rung ent­we­der dem auf­ge­bau­ten Druck nach­ge­ben und wird gestürzt oder sie wird gezwun­gen, ihr Mili­tär ein­zu­set­zen, wodurch sie intern und extern dis­kre­di­tiert wird, so die Hoff­nung von Sharp. Rei­chen die »gewalt­frei­en« Metho­den nicht aus, dann gibt es immer noch die Mög­lich­keit der geziel­ten gewalt­sa­men Pro­vo­ka­ti­on der Staatsmacht.

Tat­säch­lich gin­gen die »fried­li­chen« Demons­tra­tio­nen außer­halb des Plat­zes des himm­li­schen Frie­dens sehr schnell in einen gewalt­sa­men Auf­stand über. Zur dama­li­gen Zeit gab es in Chi­na kei­ne Bereit­schafts­po­li­zei. Des­halb wur­den Ein­hei­ten der Armee am Anfang in ganz nor­ma­len Bus­sen nach Peking geschickt – und zwar unbe­waff­net. Grup­pen von 100 bis 150 Demons­tran­ten, bewaff­net mit Eisen­stan­gen und Molo­tow-Cock­tails grif­fen die­se unbe­waff­ne­ten Sol­da­ten an, zün­de­ten sie an und lynch­ten sie.

Erst als Reak­ti­on auf die­se Angrif­fe rück­ten am 4. Juni 1989 tat­säch­lich bewaff­ne­te Ein­hei­ten in die Stadt ein, um gegen die­se Grup­pen, nicht aber gegen fried­lich demons­trie­ren­de Stu­den­ten, vor­zu­ge­hen.30

Sogar das Wall Street Jour­nal muss­te zugeben:

Als sich Pan­zer­ko­lon­nen und Zehn­tau­sen­de von Sol­da­ten dem Tian­an­men-Platz näher­ten, wur­den vie­le der Ein­hei­ten vom wüten­den Mob atta­ckiert. […] Dut­zen­de Sol­da­ten wur­den aus Last­wa­gen gezerrt, miss­han­delt und gelyncht zurück­ge­las­sen. An einer Kreu­zung west­lich des Plat­zes wur­de der Kör­per eines jun­gen, zu Tode geprü­gel­ten Sol­da­ten, ent­klei­det und an der Sei­te eines Bus­ses auf­ge­hängt. Die Lei­che eines ande­ren Sol­da­ten wur­de an einer Kreu­zung öst­lich des Plat­zes auf­ge­hängt. […] Selbst als Sicher­heits­kräf­te am 2. Juni 1989 dar­an gin­gen, den Platz des Himm­li­schen Frie­dens zu räu­men, waren sie unbe­waff­net! Erst als an die­sem Tage min­des­tens dut­zen­de Sol­da­ten zu Tode kamen, ent­schloss sich die chi­ne­si­sche Füh­rung mit Gewalt vor­zu­ge­hen. Sie rück­te nun bewaff­net und an die­sem 4. Juni auch erst­mals mit Pan­zern in die Stadt ein und stell­te den Stu­den­ten auf dem Platz ein Ulti­ma­tum, den Platz zu räu­men. Dem folg­ten die Stu­den­ten. Ein Blut­ver­gie­ßen blieb aus, es fiel nicht ein ein­zi­ger Schuss.31

Die chi­ne­si­sche Regie­rung spricht von 300 Toten, dar­un­ter meh­re­re Dut­zend Ange­hö­ri­ge der VBA. Aber wie gesagt, auf dem Tian­an­men-Platz selbst gab es kei­ne Todes­op­fer und erst recht kein Mas­sa­ker. Sogar Hel­mut Schmidt muss­te zuge­ben, dass die west­li­chen Medi­en die Ereig­nis­se auf dem Platz des Himm­li­schen Frie­dens stark über­trie­ben hat­ten.32

Der Putsch gegen die KPCh soll­te zum Auf­takt der längst geplan­ten welt­wei­ten Ver­nich­tung des Kom­mu­nis­mus wer­den. Die Gene­ral­pro­be ging schief, aber der Plan selbst funktionierte.

Auf einer ZK-Tagung am 23. und 24. Juni 1989 wur­de Zhao Ziyang wegen des Nach­ge­bens gegen­über den libe­ra­len For­de­run­gen der Stu­den­ten abge­setzt und auf Vor­schlag Deng Xiao-pings wur­de Jiang Zemin, bis­her Stadt­par­tei­se­kre­tär von Shang­hai, zum Gene­ral­se­kre­tär des ZK der KPCh gewählt.33

Ver­wei­se

1 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 329

2 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 330

3 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 370

4 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 398

5 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 399

6 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 399

7 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 401

8 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 403f

9 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 401

10 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 429

11 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 430

12 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 430

14 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 406f

15 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 412

16 Vgl. Ernest Man­del: Zur Theo­rie der Über­gangs­ge­sell­schaft, Die Inter­na­tio­na­le Son­der­num­mer 3, 1974, S. 52

17 Man­del 1974 a.a.O., S. 52

18 Vgl. Man­del 1974 a.a.O., S. 53

19 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 434

20 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 421

21 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 427

22 Ped 2019

23 Vgl. Klaus Eich­ner, Ernst Lang­rock: Der Draht­zie­her, Ber­lin 2005, S. 19

24 Vgl. Ped 2019

25 Vgl. Ped 2019

26 Vgl. Ped 2019

27 Vgl. Ped 2019

28 Vgl. Ped 2019

29 Vgl. Ped 2019

30 Vgl. Ped 2019

31 Vgl. Ped 2019

32 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 428, zitiert nach Hel­mut Schmidt Außer Dienst, S. 60

33 Vgl. Peters 2009 a.a.O., S. 428

Bild: Am 23. Mai 1989 ent­fern­ten Arbei­ter das ver­un­stal­te­te Por­trät von Mao Zedong

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