Das alte Chi­na – Arti­kel­se­rie zu Chi­na Teil I

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Dies ist der ers­te Teil einer umfas­sen­den auf meh­re­re Tei­le ange­leg­ten Arti­kel­se­rie von Jan Mül­ler über Chi­na. Beinhal­ten wird die Serie fol­gen­de Teile:

  1. Das alte Chi­na (plus Einleitung)
  2. Die Ent­ste­hung des Kapi­ta­lis­mus in Chi­na und die Ers­te Chi­ne­si­sche Revolution
  3. Die Zwei­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1925 – 27)
  4. Die KPCh wird Gue­ril­la­be­we­gung (1928 – 1945)
  5. Der Chi­ne­si­sche Bür­ger­krieg und die Drit­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1945 – 49)
  6. Von der »neu­de­mo­kra­ti­schen« zur sozia­lis­ti­schen Revolution
  7. Im Bünd­nis mit der Sowjet­uni­on (1949 – 60)
  8. Gro­ßer Sprung nach vor­ne, Bruch mit der Sowjet­uni­on und Kul­tur­re­vo­lu­ti­on: Der Hoch­mao­is­mus (1958 – 69)
  9. Umkehr der Alli­an­zen und Drei-Wel­ten-Theo­rie: Der Spät­mao­is­mus (1969 – 78)
  10. Ers­te Etap­pe der Wirt­schafts­re­for­men und Putsch­ver­such (1978 – 89)
  11. Chi­na im Zeit­al­ter des Neo­li­be­ra­lis­mus (1989 – 2008)
  12. Klei­ner Wohl­stand und neue Sei­den­stra­ße (ab 2008)
  13. Chi­na und Corona
  14. Chi­na und der Ukrainekrieg
  15. Schluss­fol­ge­run­gen über den Cha­rak­ter Chinas

Die Arti­kel­se­rie als Bro­schü­re mit wei­te­ren Anhän­gen, Lite­ra­tur­ver­zeich­nis und wei­ter­füh­ren­der Lite­ra­tur kann man unter fol­gen­dem Link her­un­ter­la­den: Chi­na: Ein lan­ger Weg – wohin?

Ein­lei­tung

Chi­na ist für vie­le ein Ärger­nis. Es ist ein Land, in dem eine kom­mu­nis­ti­sche Par­tei an der Macht ist und gleich­zei­tig schein­bar zügel­lo­se kapi­ta­lis­ti­sche Aus­beu­tung herrscht. Inner­halb der Rest­lin­ken bestehen gro­ße Unsi­cher­hei­ten über den Cha­rak­ter Chi­nas. Die Span­ne reicht von der Ein­schät­zung, dass dort bereits der Sozia­lis­mus ver­wirk­licht wor­den sei bis zur Cha­rak­te­ri­sie­rung Chi­nas als impe­ria­lis­ti­sche Macht, durch­aus ver­gleich­bar mit den USA.

Erschwert wird die Ein­schät­zung Chi­nas dadurch, dass alle Aspek­te sei­ner Geschich­te umstrit­ten sind, auch unter Mar­xis­ten. Prak­tisch jede Epo­che ist in Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen unter­schied­li­chen mar­xis­ti­schen Strö­mun­gen gera­ten. Das beginnt schon bei der frü­hen chi­ne­si­schen Geschich­te bis 1911: Herrsch­te dort ein Feu­da­lis­mus, wie die Sta­li­nis­ten und ihnen fol­gend auch die KPCh bis heu­te behaup­ten, oder die asia­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se, was die ursprüng­li­che mar­xis­ti­sche Posi­ti­on war, direkt zurück­ge­hend auf Marx und Engels? Die Dis­kus­si­on in der der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­len zur Stra­te­gie in der Zwei­ten Chi­ne­si­schen Revo­lu­ti­on in den 20er Jah­ren geriet in Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen den Trotz­kis­ten und den Sta­li­nis­ten in den 20er Jah­ren. Die Ein­schät­zung des gro­ßen Sprun­ges nach Vor­ne und der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on wie­der­um waren und sind zwi­schen Kom­mu­nis­ten und Mao­is­ten umstrit­ten. Auch die Ein­schät­zun­gen der Markt­re­for­men ab 1978 gehen weit aus­ein­an­der. Letzt­lich muss Lite­ra­tur aus unter­schied­li­chen Rich­tun­gen aus­ge­wer­tet wer­den, um zu Schluss­fol­ge­run­gen zu gelan­gen. Der Autor die­ser Zei­len hat Sym­pa­thien für die trotz­kis­ti­schen Posi­tio­nen beson­ders in der Zeit bis 1949, folgt ihnen aber nicht in jedem Fall.

War­um ist Chi­na so wich­tig für die Lin­ke in der BRD? Es geht letzt­lich um die Fra­ge der Per­spek­ti­ven und Stra­te­gien bei der Über­win­dung des Kapi­ta­lis­mus, die sich immer drin­gen­der stellt. Anre­gun­gen zu die­ser Arbeit ent­stan­den in Dis­kus­sio­nen zwi­schen Lin­ken ver­schie­de­ner Strö­mun­gen zunächst auf Face­book bis 2020 und dann inner­halb der Frei­en Lin­ken ab 2021. Auch wenn es ein Kapi­tel »Chi­na und Coro­na« gibt, steht das Coro­na-Nar­ra­tiv nicht im Zen­trum die­ser Unter­su­chung. Dafür sind noch zu vie­le Fak­ten unbe­kannt, was Chi­na angeht.

Da davon aus­zu­ge­hen ist, dass die ent­schei­den­de Fak­ten vie­len Men­schen völ­lig unbe­kannt sind, ist die­se Unter­su­chung eine chro­no­lo­gi­sche Nach­er­zäh­lung der chi­ne­si­schen Geschich­te vor allem des 20. und 21. Jahr­hun­derts. Erst auf die­ser Basis kön­nen begrün­de­te Schluss­fol­ge­run­gen über den heu­ti­gen Cha­rak­ter und die Per­spek­ti­ven der chi­ne­si­schen Gesell­schaft gezo­gen werden.

Mit Aus­nah­me eini­ger bekann­ter Namen wird die Pinyin-Umschrift verwendet.

Das alte China

Acker­bau und Vieh­zucht ent­wi­ckel­ten sich in Chi­na unge­fähr ab 5.000 v. u. Z. zuerst in den Löss­hü­gel­län­dern am mitt­le­ren Hun­ga­he. In die­ser Zeit wur­de die Yangs­hao-Kul­tur fass­bar. Zunächst wur­den dort Hir­se und Sorghun kul­ti­viert, unge­fähr 1.000 Jah­re spä­ter auch Reis.[1]

In den Jah­ren um 3.000 v. u. Z. kam es zu einem Über­gang von der Urge­sell­schaft zur staat­lich orga­ni­sier­ten Klas­sen­ge­sell­schaft. Nach der spä­te­ren Über­lie­fe­rung war der Gro­ße Yu, der Grün­der der halb­le­gen­dä­ren Xia-Dynas­tie, der Lei­ter der Arbei­ten zur Fluss­re­gu­lie­rung, die zur Abwehr des Hoch­was­sers durch­ge­führt wur­de. Sol­che Vor­ha­ben set­zen den orga­ni­sier­ten Ein­satz einer gro­ßen Anzahl von Arbeits­kräf­ten vor­aus. Hier­durch konn­ten die land­wirt­schaft­li­chen Erträ­ge wesent­lich gestei­gert wer­den und es wur­den Über­schüs­se akku­mu­liert. Die­se kon­zen­trier­ten sich in der Hand der­je­ni­gen Mit­glie­der der Gesell­schaft, die für die Lei­tung der öffent­li­chen Arbei­ten zustän­dig waren. Wei­te­re Reich­tü­mer gewan­nen sie durch die Unter­wer­fung und nach­fol­gen­de Aus­beu­tung benach­bar­ter Stämme.

Im 16. Jahr­hun­dert v. u. Z. herrsch­te die Shang-Dynas­tie über grö­ße­re Gebie­te in Nord­chi­na. Nun war die Bron­ze­her­stel­lung bekannt. Hand­wer­ker im Diens­te der herr­schen­den Klas­se schu­fen sehr kunst­vol­le Ritu­al­ge­fä­ße, die unter ande­rem im Ahnen­kult genutzt wur­den. Die­ser ver­schaff­te dem Herr­scher­haus wei­te­re Legi­ti­ma­ti­on, denn jetzt gal­ten sei­ne Ahnen als Göt­ter. Tian, der Gott des Him­mels, war der höchs­te Gott.

Der herr­schen­den Klas­se stan­den die »ein­fa­chen Leu­te« gegen­über, Bau­ern, die in dörf­li­chen Gemein­schaf­ten sip­pen­wei­se zusam­men­leb­ten und den gemein­sam urbar gemach­ten Boden bebau­ten. Sie waren der herr­schen­den Klas­se abgabenpflichtig.

Die Zeit der Früh­lings- und Herbst­an­na­len dau­er­te von 771 bis 480 v. u. Z. Nun war der Staat der Shang-Dynas­tie zer­fal­len und meh­re­re klei­ne Herr­schaf­ten ent­stan­den. In der Zeit der strei­ten­den Rei­che (480 bis 221 v.u.Z.) schluck­ten grö­ße­re Staa­ten die klei­ne­ren und kon­kur­rier­ten gegeneinander.

Es kam zu Umwäl­zun­gen auf fast allen Gebie­ten des gesell­schaft­li­chen Lebens. Die Dorf­ge­mein­de zer­fiel und die Dorf­be­woh­ner waren nun direkt dem jewei­li­gen Herr­scher unter­stellt. Die­se Ent­wick­lung zeig­te sich zuerst in den Expan­si­ons­ge­bie­ten in Süd­chi­na am Jang­tse­kiang, wohin zahl­rei­che Han aus­wan­der­ten, spä­ter auch in den Ursprungs­ge­bie­ten der Han am Hungahe.

In der Zeit der strei­ten­den Rei­che wur­den ver­stärkt eiser­ne Gerä­te ver­wen­det. Die­se ermög­lich­ten eine wir­kungs­vol­le­re Boden­be­ar­bei­tung, die Anla­ge aus­ge­dehn­ter Bewäs­se­rungs­ein­rich­tun­gen sowie Urbar­ma­chung von Brach­land, das mit den alt­her­ge­brach­ten Gerä­ten aus Holz, Stein und Kno­chen noch nicht hät­te erschlos­sen wer­den kön­nen. Im 4. und 3. Jahr­hun­dert v. u. Z. wur­den aus­ge­dehn­te Kanal­an­la­gen zur Bewäs­se­rung gebaut.

Gleich­zeit wur­de der eiser­ne Pflug ein­ge­führt, der von Rin­dern gezo­gen wur­de. Dies war eine wesent­li­che Arbeits­er­leich­te­rung für die Bauern.

Damit kam es zu einer end­gül­ti­gen Zer­set­zung des Gemein­ei­gen­tums an Grund und Boden und der alten Gemein­de­struk­tur in ganz Chi­na. Eine Gemein­schafts­ar­beit gro­ßer Grup­pen mit Gra­be­ga­bel oder Hacke war nicht mehr not­wen­dig. So kam es schließ­lich – mög­li­cher­wei­se nach einer Über­gangs­pha­se, in der man bestimm­te Boden­an­tei­le peri­odisch an die ein­zel­nen Fami­li­en ver­teil­te – zur Ent­ste­hung des bäu­er­li­chen Klein­ei­gen­tums und zur Her­aus­bil­dung der Nachbarschaftsgemeinde.

Es gab auch kul­tu­rel­le Neue­run­gen. In der Zeit der Früh­lings- und Herbst­an­na­len kon­kur­rier­ten zahl­rei­che Phi­lo­so­phen­schu­len mit­ein­an­der. Der nun ent­stan­de­ne Kon­fu­zia­nis­mus, der Lega­lis­mus und der Tao­is­mus soll­ten die chi­ne­si­sche Gesell­schaft über tau­sen­de Jah­re hin­weg prägen.

Die Staats­ap­pa­ra­te und das Mili­tär­we­sen wur­den aus­ge­baut. Anstel­le der alten Aris­to­kra­tie über­nahm nun eine phi­lo­so­phisch gebil­de­te Büro­kra­tie wich­ti­ge Funk­tio­nen im Staat. Von den dut­zen­den Staa­ten blieb im Jahr 221 v. u. Z. nur noch Qin übrig, das die gesam­te chi­ne­si­sche Welt erobern konn­te. Über­mä­ßig ambi­tio­nier­te Bau­vor­ha­ben und Krie­ge gegen die nörd­li­chen Noma­den führ­ten nach nur 10 Jah­ren zu einem lan­des­wei­ten Bau­ern­auf­stand, an des­sen Ende die Qin-Dynas­tie gestürzt wur­de. Der Klein­bau­er Liu Bang wur­de als Anfüh­rer der Revol­te im Jahr 206 v. u. Z. selbst Kai­ser. Das von ihm begrün­de­te Reich soll­te bis zum Jahr 1911 exis­tie­ren. In die­ser Zeit änder­te sich die chi­ne­si­sche Gesell­schaft nicht mehr grund­le­gend. Aller­dings lös­ten sich meh­re­re Dynas­tien ab, deren Ent­wick­lung immer nach einem bestimm­ten Sche­ma ver­lief. In den ers­ten Jah­ren einer neu­en Dynas­tie, zum Bei­spiel der von Liu Bang begrün­de­ten Han-Dynas­tie, waren die Steu­ern für die Bau­ern nied­rig und der Staat orga­ni­sier­te gro­ße Bau­vor­ha­ben. Nach eini­ger Zeit setz­te Zer­fall ein, die Steu­ern gin­gen hoch, der Staat ver­nach­läs­sig­te den Was­ser­bau, Beam­te und Wuche­rer ris­sen immer grö­ße­re Antei­le des Bodens an sich. Schließ­lich wur­de das Elend der Mas­sen so uner­träg­lich, dass sie rebel­lier­ten, die jewei­li­ge Dynas­tie stürz­ten und eine neue begrün­de­te, die zunächst im Inter­es­se der Bau­ern­schaft agierte.

Wie kann die chi­ne­si­sche Gesell­schaft beschrie­ben wer­den? Wel­che herr­schen­den Klas­sen gab es und wie lief der Klas­sen­kampf ab? Über die Gesell­schaf­ten des Ori­ents haben sich die Klas­si­ker schon rela­tiv früh geäu­ßert. Karl Marx beschäf­tig­te sich in sei­nem Arti­kel »Die bri­ti­sche Herr­schaft in Indi­en«, der am 25. Juni 1853 in der New York Dai­ly Tri­bu­ne erschie­nen ist, erst­mals mit die­sem The­ma. In dem Manu­skript Grund­ris­se der Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie von 1857/58 skiz­zier­te Karl Marx vor­ka­pi­ta­lis­ti­sche Gesell­schafts­for­ma­tio­nen, dar­un­ter auch die »asia­ti­sche Form«. Fried­rich Engels beschrieb im Anti-Düh­ring von 1877 unter­schied­li­che For­men der Staats­ent­ste­hung. In einem Fall ent­ste­hen Staa­ten aus der Ver­selb­stän­di­gung der gesell­schaft­li­chen Amts­tä­tig­keit. Die For­men der gro­ßen Koope­ra­ti­on wie z. B. der Bau von Bewäs­se­rungs­ka­nä­len oder die Krieg­füh­rung machen eine zen­tra­le Lei­tung die­ser Tätig­kei­ten not­wen­dig. Spä­ter gelang es die­sen zunächst von der Gesell­schaft gewähl­ten Beam­ten, sich zu Her­ren eben die­ser Gesell­schaft auf­zu­schwin­gen. Als Bei­spie­le nennt er den ori­en­ta­li­schen Des­po­ten oder Satra­pen.[2]

Nach dem Tode von Marx und Engels kam die­ser Teil der mar­xis­ti­schen Theo­rie­bil­dung zunächst voll­stän­dig zum Erlie­gen. Erst in den 20er Jah­ren beschäf­tig­ten Mar­xis­ten wie­der mit den Gesell­schaf­ten des Ori­ents. Im Jahr 1931 erschien im Buch Wirt­schaft und Gesell­schaft Chi­nas des jun­gen deut­schen Sino­lo­gen und Kom­mu­nis­ten Karl August Witt­fol­gel[3], die sozu­sa­gen klas­si­sche mar­xis­ti­sche Beschrei­bung die­ses The­mas. Eine kür­ze­re Zusam­men­fas­sung fin­det sich in einem Arti­kel in der Zeit­schrift für Sozi­al­for­schung von 1938.

Witt­fo­gel bezeich­ne­te die öko­no­mi­sche Gesell­schafts­for­ma­ti­on des alten Chi­nas als Gesell­schaft mit asia­ti­scher Pro­duk­ti­ons­wei­se. Hier ste­hen sich die per­sön­lich frei­en Bau­ern und eine orga­ni­sier­te Büro­kra­tie oder Aris­to­kra­tie als Grund­klas­sen gegen­über. Die Bau­ern leben ent­we­der in rela­tiv aut­ar­ken Dorf­ge­mein­schaf­ten, in denen das aus der Urge­sell­schaft bekann­te Gemein­ei­gen­tum am Boden noch exis­tiert. Häu­fig sind jedoch die­se Dorf­ge­mein­schaf­ten zer­fal­len und die Bau­ern ste­hen dann als indi­vi­du­el­le Besit­zer von (klei­ne­ren) Boden­par­zel­len direkt dem Staat gegenüber.

Die Aris­to­kra­tie oder Büro­kra­tie eig­net sich einen Teil des Mehr­pro­duk­tes der unmit­tel­ba­ren Pro­du­zen­ten an. In den meis­ten Fäl­len steht ein Herr­scher an der Spit­ze der Gesell­schaft, der das Land selbst repräsentiert.

Die Aus­beu­tung erfolgt einer­seits durch eine all­ge­mei­ne Steu­er, ande­rer­seits durch die Ver­pflich­tung der Bau­ern zu Arbeits­leis­tun­gen. Die ein­zel­nen bäu­er­li­chen Pro­du­zen­ten ste­hen nicht in per­sön­li­cher Abhän­gig­keit von bestimm­ten indi­vi­du­el­len Grund­be­sit­zern, son­dern sind – häu­fig durch die Dorf­ge­mein­de ver­mit­telt – der Gesamt­heit der herr­schen­den Klas­se abgabepflichtig.

Der Klas­sen­kampf zwi­schen den per­sön­lich frei­en Bau­ern und den »kor­po­ra­ti­ven Groß­grund­be­sit­zern« dreht sich vor­wie­gend um die Höhe der Staats­steu­er, also dar­um, wel­cher Anteil des Mehr­pro­duk­tes an die herr­schen­de Klas­se abge­führt wer­den muss.

Wie in allen ande­ren Klas­sen­ge­sell­schaf­ten kann die Herr­schaft der Büro­kra­tie in der asia­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se nicht auf Aus­beu­tung redu­ziert wer­den. Die Grund­la­ge ihrer Herr­schaft war eine gesell­schaft­li­che Amts­tä­tig­keit, d. h., sie beschäf­tig­te sich mit Fra­gen, die die Gesell­schaft als Gan­zes betra­fen. Was die asia­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­se jedoch von allen ande­ren Klas­sen­ge­sell­schaf­ten unter­schei­det, ist, dass hier die­se Funk­tio­nen direkt über die ein­fa­che Arbeits­tei­lung zwi­schen Hand- und Kopf­ar­beit aus­ge­führt wer­den, wäh­rend sie in ande­ren Klas­sen­ge­sell­schaf­ten über das Pri­vat­ei­gen­tum ver­mit­telt sind. Hier tritt die im Staat orga­ni­sier­te Büro­kra­tie als Orga­ni­sa­tor der Pro­duk­ti­on und Koope­ra­ti­on auf.[4]

Gesell­schaf­ten mit asia­ti­scher Pro­duk­ti­ons­wei­se waren welt­his­to­risch beim Über­gang von der klas­sen­lo­sen Urge­sell­schaft zur Klas­sen­ge­sell­schaft weit ver­brei­tet, so sind sie zum Bei­spiel in Meso­po­ta­mi­en, Ägyp­ten, Kre­ta, Myke­ne, Indi­en, Chi­na, Japan, den alta­fri­ka­ni­schen Rei­chen sowie in den Rei­chen der Inka und Azte­ken anzu­tref­fen. In eini­gen Regio­nen wur­de sie schon rela­tiv früh von ande­ren Gesell­schafts­for­ma­tio­nen abge­löst, in ande­ren hielt sie sich jedoch sehr lan­ge bis zum Ein­drin­gen des Kapi­ta­lis­mus. Das pas­sier­te meis­tens in Gesell­schaf­ten mit gro­ßer Bedeu­tung der Bewäs­se­rungs­land­wirt­schaft. Die hohe Pro­duk­ti­vi­tät die­ser Art von Land­wirt­schaft kann nur durch den Bau von gro­ßen Bewäs­se­rungs­sys­te­men erreicht wer­den. Dies wie­der­um setzt das Zusam­men­wir­ken vie­ler Men­schen mit­tels gro­ßer Koope­ra­ti­on vor­aus. Das Pri­vat­ei­gen­tum an Grund und Boden, auch der feu­da­le oder anti­ke Groß­grund­be­sitz ist damit jedoch nicht ver­ein­bar. Was­ser­bau­maß­nah­men müs­sen auf einer viel grö­ße­ren Stu­fen­lei­ter erfol­gen und »amor­ti­sie­ren« sich nur sehr lang­fris­tig. Nun gab es in asia­ti­schen Gesell­schaf­ten immer wie­der Peri­oden, in denen das Pri­vat­ei­gen­tum zunahm. Aris­to­kra­ten oder Büro­kra­ten eig­ne­ten sich zum Bei­spiel durch den Wucher gro­ße Län­de­rei­en an. Die­se Ent­wick­lung führ­te regel­mä­ßig dazu, dass der Staat sei­ne Funk­ti­on als Garant der land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­on nicht mehr erfül­len konn­te. Die Steu­er­ein­nah­men gin­gen zurück und der Was­ser­bau wur­de ver­nach­läs­sigt. Die hier­durch her­vor­ge­ru­fe­nen Hun­gers­nö­te führ­ten regel­mä­ßig zu Bau­ern­auf­stän­den, wodurch im Erfolgs­fall der Groß­grund­be­sitz besei­tigt wur­de und der Staat der neu­en Dynas­tie sei­ne Funk­ti­on als Garant der Pro­duk­ti­on zunächst wie­der erfüllte.

Bekannt­lich war Chi­na noch im 17. Jahr­hun­dert das am höchs­ten ent­wi­ckel­te Gebiet der Welt. Das heißt, auch in Gesell­schaf­ten mit asia­ti­scher Pro­duk­ti­ons­wei­se ist tech­ni­scher Fort­schritt mög­lich. Aller­dings ist es dort nicht zu einer ursprüng­li­chen Akku­mu­la­ti­on von Kapi­tal gekom­men. Denn dies setzt die Ver­trei­bung der unmit­tel­ba­ren Pro­du­zen­ten von Grund und Boden vor­aus, so dass sie nun als »dop­pelt freie« Arbeits­kräf­te für die kapi­ta­lis­ti­sche Aus­beu­tung zur Ver­fü­gung ste­hen. Weil aber der Groß­grund­be­sitz dys­funk­tio­nal für die Land­wirt­schaft in Bewäs­se­rungs­ge­bie­ten war, wur­de er regel­mä­ßig ent­eig­net und der land­wirt­schaft­li­che Klein­be­sitz wie­der­her­ge­stellt. Des­halb konn­te dort Kapi­tal nur sehr unzu­rei­chend akku­mu­liert werden.

Ver­wei­se

[1] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv unter Lei­tung von Irm­gard Sell­now: Welt­ge­schich­te bis zur Her­aus­bil­dung des Feu­da­lis­mus, Ber­lin 1978, S. 111ff

[2] Vgl. Fried­rich Engels: Herrn Eugen Düh­rings Umwäl­zung der Wis­sen­schaft (Anti-Düh­ring), in: MEW 20, Ber­lin 1962, S. 166f.

[3] Spä­ter wur­de er zum Renegaten.

[4] Vgl. Karl August Witt­fo­gel: Die Theo­rie der asia­ti­schen Gesell­schaft, in: Zeit­schrift für Sozi­al­for­schung 1938, S. 90 – 122

Bild: Duji­an­gyan, ein Bewäs­se­rungs­pro­jekt, das 256 v. Chr. wäh­rend der Zeit der Strei­ten­den Staa­ten in Chi­na durch den Staat Qin fer­tig­ge­stellt wurde.

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