Von Kiew nach Ottawa

Lese­zeit7 min

All­ge­mei­ne bewaff­ne­te Kon­fron­ta­ti­on oder »bewaff­ne­tes« Feil­schen zwi­schen Rie­sen für eine »Hei­li­ge Alli­anz« zur Ver­tei­di­gung der bür­ger­li­chen Weltordnung?

Der welt­wei­te Bogen des Klas­sen­kriegs, den das Kapi­tal gegen eine Mensch­heit ent­fes­selt hat, die in jeder Hin­sicht als Ver­suchs­ka­nin­chen für sei­ne Expe­ri­men­te sowohl im Bereich der »Gesund­heit« als auch der rück­sichts­lo­sen sozia­len Kon­trol­le behan­delt wird, spannt sich ein­deu­tig und in gefähr­li­cher Wei­se. Wir ste­hen am Vor­abend von sehr bedeu­ten­den Ereig­nis­sen und trau­ma­ti­schen Brü­chen, die durch das explo­si­ve Zusam­men­tref­fen staat­li­cher Inter­es­sen und kapi­ta­lis­ti­scher Macht­blö­cke mit den sozia­len Kämp­fen inner­halb eben die­ser Staa­ten und Macht­blö­cke aus­ge­löst werden.

Einer­seits posi­tio­nie­ren die bür­ger­li­chen Kanz­lei­en in die­sen Tagen und Stun­den wach­sen­der Span­nun­gen ihre jewei­li­gen Diplo­ma­ti­en und Streit­kräf­te rund um die Kon­takt­li­nie auf dem ukrai­ni­schen und den benach­bar­ten Qua­dran­ten, wo die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem Kräf­te­feld des atlan­ti­schen Blocks und dem des rus­si­schen Rivalen/​Partners (Part­ner in einer gemein­sa­men Krip­pe, dem Netz­werk des Welt­ka­pi­ta­lis­mus, des­sen wesent­li­ches Sta­chel­draht­ge­flecht die rus­si­sche Bour­geoi­sie eben­so wie die chi­ne­si­sche ist) kurz vor einem bewaff­ne­ten Zusam­men­stoß zu ste­hen scheint. Die Initia­ti­ve für die diplo­ma­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und schließ­lich mili­tä­ri­schen Pro­vo­ka­tio­nen liegt ein­deu­tig in den Hän­den des atlan­ti­schen Lagers. Mos­kau setzt sei­ne Streit­kräf­te eben­so sicher in einer defen­si­ven Hal­tung ein. In der Spra­che des bür­ger­li­chen Rechts wür­den wir von »legi­ti­mer Ver­tei­di­gung« natio­na­ler Inter­es­sen des rus­si­schen Kapi­ta­lis­mus spre­chen. Das berech­tigt uns nicht, nach unse­rem Kri­te­ri­um kom­mu­nis­ti­scher Revo­lu­tio­nä­re, das rus­si­sche bür­ger­li­che Unge­tüm (des­sen Grö­ße wir nicht mit dem west­li­chen impe­ria­lis­ti­schen Unge­tüm gleich­set­zen) mit einem Lamm oder einer Frie­dens­tau­be zu ver­wech­seln. Die tra­di­tio­nel­le Dar­stel­lung der Ver­hält­nis­se, die »kriegs­lüs­ter­ne« Mäch­te und »fried­lie­ben­de« Staats­mäch­te trennt, gehört nicht zu unse­rer Tra­di­ti­on, son­dern zu der der bür­ger­li­chen Strö­mun­gen (und des klas­si­schen Sta­li­nis­mus in der Nach­kriegs­pha­se, nach­dem er ein paar Jah­re lang mit »fried­lie­ben­den« Mäch­ten vom Kali­ber eines … Hit­ler zu tun hat­te. Natür­lich immer »tak­tisch« und »zum Guten«, wie jeder gute »Lager­fuchs«, dem die gegerb­te Haut des inter­na­tio­na­len Pro­le­ta­ri­ats egal ist, zu erklä­ren weiß). Bür­ger­li­che Strö­mun­gen, die sich von dem von Ame­ri­ka domi­nier­ten atlan­ti­schen Block befrei­en wol­len. Ein aggres­si­ver atlan­ti­scher Block, ja, aber viel weni­ger kom­pakt als es den Anschein hat, und das wird sich mit den ers­ten Sal­ven von Kalasch­ni­kows zei­gen, ohne die Artil­le­rie­sal­ven oder etwas noch Schwe­re­res abzu­war­ten, wenn es zu einem bewaff­ne­ten Zusam­men­stoß kom­men sollte.

Gleich­zei­tig wer­den fast alle west­li­chen Län­der von sozia­len Bewe­gun­gen erschüt­tert und durch­quert, die ver­su­chen, das bedrü­cken­de Män­tel­chen zu zer­rei­ßen, das sich unter dem Deck­man­tel der Not­wen­dig­keit des »Kamp­fes gegen die Pan­de­mie« über die Gesell­schaft gelegt hat. Die gewal­ti­ge Akti­on der kana­di­schen Tru­cker hat eine Rei­he von Explo­sio­nen sozia­ler Pro­tes­te in einer Ket­te aus­ge­löst. Wie wir vor­aus­ge­sagt und gehofft haben, sie­he das Kom­mu­ni­qué der »Assem­blea Mili­tan­te« in Soli­da­ri­tät mit dem »kana­di­schen« Kampf.

Das Lügen­ge­bäu­de, das in den letz­ten zwei Jah­ren rund um das Manage­ment der Krank­heit Covid-19 auf­ge­baut wur­de, läuft nun ernst­haft Gefahr, von einem unkon­trol­lier­ten Erd­rutsch mit­ge­ris­sen zu wer­den, zusam­men mit den mäch­ti­gen kri­mi­nel­len Ban­den, die es auf­ge­baut haben, und der bei­spiel­lo­sen Gewalt, die dar­in ver­übt wur­de und die die­sen Ver­bre­chern und ihren zahl­rei­chen Kom­pli­zen und Kol­la­bo­ra­teu­ren mit Zin­sen ver­gol­ten wird, wenn die wach­sen­den Pro­test­be­we­gun­gen auf den Stra­ßen nicht recht­zei­tig bekämpft wer­den, um ihnen einen Maul­korb zu ver­pas­sen oder sie mit einer fes­ten und demo­kra­ti­schen Eisen­faust zu zerschlagen.

Der Bogen spannt sich, das Tem­po der Ereig­nis­se beschleu­nigt sich: Am Sams­tag, den 12. Febru­ar, sah sich Macron gezwun­gen, gepan­zer­te Fahr­zeu­ge in Paris ein­zu­set­zen, die jedoch nicht ver­hin­dern konn­ten, dass Demons­tran­ten des »Frei­heits­kon­vois« in den hoch­sen­si­blen Bereich der Champs Ely­se­es ein­dran­gen. Im hol­län­di­schen Den Haag ging die berit­te­ne Poli­zei mit har­ter Hand gegen die Mas­se der »Bedau­erns­wer­ten« (oder »Stin­ken­den«, wie eini­ge unse­rer Cobas [Basis­ge­werk­schaf­ten] die »No-Pass«- und »Free-Vax«-Demos nann­ten) vor. Am sel­ben Tag mar­schier­te ein nicht geneh­mig­ter Zug von meh­re­ren Tau­send Men­schen durch das Stadt­zen­trum von Tri­est und setz­te ein gro­ßes Zei­chen für die Wie­der­be­le­bung des Kamp­fes im gan­zen Ver­suchs­ka­nin­chen­land Ita­lia – nach der ver­nich­ten­den Nie­der­la­ge, die die Hafen­ar­bei­ter von Tri­est und die gesam­te Bewe­gung um Durch­gang IV des Hafens Ende Okto­ber erlit­ten hat­ten, der dann zum Sym­bol und Zen­trum des Kamp­fes wurde.

Die Kriegs­win­de in Kiew und rund um den ukrai­ni­schen Qua­dran­ten wehen zur glei­chen Zeit, in der in Otta­wa und im kana­di­schen Qua­dran­ten mili­tä­ri­sche Räu­mungs­ak­tio­nen in der Luft lie­gen, um den kana­di­schen Last­wa­gen­fah­rern und der Bevöl­ke­rung das Rück­grat zu bre­chen. Bevöl­ke­rung, die sich in einer für die Regie­run­gen (nicht nur der kana­di­schen von Tru­deau) uner­träg­li­chen Wei­se um ihren Kampf geschart hat. Das ist ein Kampf für die Befrei­ung von einer Unter­drü­ckung, deren Opfer die gesam­te Gesell­schaft ist (nicht nur die des kana­di­schen »Tyran­nen«, des voll­kom­men demo­kra­ti­schen, inte­gra­ti­ven und pro­gres­si­ven Trudeau).

Fra­ge: Ist die Aus­brei­tung von Pro­test­be­we­gun­gen nur für eini­ge Regie­run­gen, nur für eini­ge bür­ger­li­che Macht­zen­tren uner­träg­lich, ins­be­son­de­re für die »glo­ba­lis­tisch-pro­gres­si­ven« mit Bidens USA im Mit­tel­punkt? Oder han­delt es sich um eine gefähr­li­che Aus­brei­tung, ein Fun­ken­schla­gen um die Fäs­ser mit explo­si­vem Staub eines uner­mess­li­chen sozia­len Lei­dens einer unge­heu­ren Mas­se von Män­nern und Frau­en, gefähr­lich auch für die riva­li­sie­ren­den Macht­zen­tren der »glo­ba­lis­ti­schen« Zentren?

Das zwei­te, unse­rer Mei­nung nach. Der unkon­trol­lier­te Ein­sturz die­ser Burg unter dem Druck der Mas­sen und der Demons­tra­tio­nen wür­de eine Gefahr für die gesam­te bür­ger­li­che Welt­ord­nung dar­stel­len, zu deren höchs­ten und ver­ant­wor­tungs­vol­len Hütern auch der »ange­grif­fe­ne« Putin (und der »ange­grif­fe­ne« Xi Jin­ping) gehören.

Der bür­ger­li­che Putin (wie auch der bür­ger­li­che Xi) ist fest ent­schlos­sen, die Ein­fluss­sphä­re sei­nes eige­nen natio­na­len Kapi­ta­lis­mus zu ver­tei­di­gen (und not­falls zum Gegen­an­griff über­zu­ge­hen – wie im Fall der bei­spiel­haf­ten bewaff­ne­ten »Pro­jek­ti­on« in Syri­en – was wir auch genie­ßen kön­nen, da wir in der Tat die Schlä­ge genos­sen haben, die rus­si­sche Initia­ti­ven der impe­ria­lis­tisch-demo­kra­ti­schen Bes­tie zuge­fügt haben), aber gleich­zei­tig zählt an der Spit­ze der Welt­bour­geoi­sie, die Klas­sen­ver­bun­den­heit und die tie­fe Klas­sen­in­tel­li­genz der Ver­ant­wort­li­chen auf der höchs­ten Ebe­ne der bür­ger­li­chen Ord­nung. Sie ist in der Lage, viel bes­ser als wir armen revo­lu­tio­nä­ren Teu­fel, die poten­zi­ell töd­li­che Gefahr eines Revo­lu­ti­ons­pro­zes­ses zu erah­nen, der selbst in den undenk­bars­ten For­men und von den undenk­bars­ten Sub­jek­ten wie den LKW-Fah­rern, aber vor allem die Mil­lio­nen und Aber­mil­lio­nen von Män­nern und Frau­en, die in den letz­ten Jah­ren Opfer einer (nach west­li­chen Maß­stä­ben) bei­spiel­lo­sen Gewalt gewor­den sind und deren ange­stau­te Wut durch die Akti­on der Lkw-Fah­rer in Gang gesetzt wird.

Das Gesamt­bild des Klas­sen­kamp­fes liegt vor den Augen und der Klas­sen­in­tel­li­genz der bür­ger­li­chen Füh­rung, die nicht auf­hört zu ver­han­deln und zu dis­ku­tie­ren, selbst wenn die­se ech­ten Hyä­nen und ver­meint­li­chen »Läm­mer« auf­ein­an­der schie­ßen. Wir wer­den nicht das klas­si­sche Bei­spiel der riva­li­sie­ren­den fran­zö­sisch-preu­ßi­schen Mäch­te anfüh­ren, die sich bewaff­net und im Krieg gegen­ein­an­der befan­den, sich aber gegen die Kom­mu­ne ver­ei­nig­ten. Wir wer­den dies nicht tun, um zu ver­mei­den, dass der klas­si­sche Idi­ot sich und uns spöt­tisch fragt: »Und wo wären die Kom­mu­nar­den heu­te?«. Er ist nicht in der Lage zu sehen, was die bür­ger­li­che Intel­li­genz hin­ter und jen­seits des Scheins und der Moment­auf­nah­me erschnüf­feln und sehen kann. So kann er zum Bei­spiel nicht ein­mal den gegen­wär­ti­gen Alp­traum und das Grau­en erken­nen, in das wir hin­ein­ge­ra­ten sind, und das noch dazu mit Zustim­mung der Bevöl­ke­rung: Apart­heid? Von wel­cher Apart­heid spre­chen Sie, wird er ant­wor­ten. Amen, dabei wol­len wir es belassen …

Wie dem auch sei:

Wir müs­sen alles tun, um zu ver­hin­dern, dass die Schre­cken eines neu­en Krie­ges zu den »nor­ma­len« Schre­cken des gegen­wär­ti­gen kapi­ta­lis­ti­schen Frie­dens hin­zu­kom­men. Dar­auf müs­sen wir reagie­ren, indem wir die Stra­ßen mobi­li­sie­ren, in Ver­bin­dung mit der gro­ßen sozia­len Pro­test­be­we­gung auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne, die durch die ener­gi­sche Akti­on der kana­di­schen LKW-Fah­rer neu­en Schwung und neue Ener­gie erhal­ten hat und die unter kei­nen Umstän­den auf­hö­ren darf, bis sie ihre Zie­le erreicht hat, zu denen auch der Kampf gegen das Sys­tem des natio­na­len Mili­ta­ris­mus und der Atlan­ti­schen Alli­anz gehört. Begin­nend mit dem Kampf für die Schlie­ßung der NATO-Stützpunkte.

Die Regie­rung darf nicht in Ruhe gelas­sen wer­den, um Krieg zu führen!

Soll­te der bewaff­ne­te Kon­flikt auf jeden Fall auf­flam­men, ste­hen wir für die Nie­der­la­ge des impe­ria­lis­tisch-demo­kra­ti­schen Lagers und leh­nen jede Form der Anpas­sung an den bür­ger­li­chen Staats­ap­pa­rat ab. Wir sind dafür, dass sich das mili­tä­ri­sche Manö­ver des west­li­chen demo­kra­ti­schen Impe­ria­lis­mus als Glücks­spiel erweist und zum Bume­rang wird. Und dass der impe­ria­lis­ti­sche Krieg in ers­ter Linie im ame­ri­ka­ni­schen Lager zum Bür­ger­krieg wird.

Unser Bei­trag und unse­re Per­spek­ti­ve besteht dar­in, dass aus den gegen­wär­ti­gen Schre­cken des kapi­ta­lis­ti­schen Frie­dens und des kapi­ta­lis­ti­schen Krie­ges die aggres­si­ve Akti­on der pro­le­ta­ri­schen und sich hef­tig pro­le­ta­ri­sie­ren­den Mas­sen für den Sturz aller gegen­wär­ti­gen Regie­run­gen, für die Errich­tung der uni­ver­sel­len Kom­mu­ne her­vor­ge­hen muss. Für das Gemein­we­sen, das heißt, end­lich für eine ech­te mensch­li­che Gemeinschaft.

14 Febru­ar 2022, NUCLEO COMU­NIS­TA INTERNAZIONALISTA

http://​www​.nucleo​com​.org/

Bild: Sowje­ti­sches Mosa­ik mit der Dar­stel­lung einer Frau mit einem Buch. Nord­ost­sei­te des Hau­ses Nr. 6 in der Levan­dows­ka-Stra­ße in Kiew

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert