Zusam­men­fas­sung und Hin­ter­grün­de zur Situa­ti­on in der Ukraine

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West­li­che Medi­en und Poli­ti­ker erzäh­len uns gera­de, dass der rus­si­sche Prä­si­dent, nach acht Jah­ren Ukrai­ne­kon­flikt, plötz­lich auf die Idee gekom­men ist, die Volks­re­pu­bli­ken im Don­bass anzu­er­ken­nen und kurz dar­auf sogar eine Mili­tär­ope­ra­ti­on zu star­ten. Dabei hät­ten der Wes­ten und die Ukrai­ne alles für den Frie­den getan.

Putin unter­zeich­ne­te Antrag der KPRF

Und da fängt die Mani­pu­la­ti­on bereits an. Nicht Putin war der Autor der Aner­ken­nung, son­dern die Duma – das rus­si­sche Par­la­ment. Und auch da war es kein Antrag der »Putin-Par­tei« (wie der Wes­ten sie nennt), son­dern der sozia­lis­ti­schen Oppo­si­ti­on. Die par­la­men­ta­ri­sche Initia­ti­ve für die schnellst­mög­li­che Aner­ken­nung der Volks­re­pu­bli­ken durch den Prä­si­den­ten kam von der »Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on« (KPRF).

Dies stand gegen einen Antrag der größ­ten Par­tei »Geein­tes Russ­land« (GR), wel­che die­se Fra­ge zuerst zur Bera­tung an das Außen­mi­nis­te­ri­um über­wei­sen woll­te. Der Antrag der KPRF wur­de mit 351 gegen­über 310 Stim­men ange­nom­men. Es war also die­se geleb­te Demo­kra­tie, von der immer gespro­chen wird, und ein Oppo­si­ti­ons­an­trag mit den bes­se­ren Argu­men­ten konn­te sich durchsetzen.

Teil die­ses Antra­ges war huma­ni­tä­rer und mili­tä­ri­scher Bei­stand mit den Volks­re­pu­bli­ken. Es ging dar­um Men­schen­le­ben zu ret­ten und Kiew von einer wei­te­ren Eska­la­ti­on abzuhalten.

Drei Ebe­nen

Wel­che Ursa­chen hat das Han­deln des rus­si­schen Par­la­ments und Prä­si­den­ten? Es gibt dafür drei Grün­de die zusammenhängen:

1) Kon­kre­te Gefahr einer ukrai­ni­schen Inva­si­on im Donbass:

In den letz­ten Wochen ver­such­te die ukrai­ni­sche Regie­rung zuneh­mend mili­tä­ri­sche Fak­ten zu schaf­fen und berei­te­te eine Inva­si­on im Don­bass vor. Alle Anzei­chen dafür waren vor­han­den: gro­ße Trup­pen­kon­zen­tra­tio­nen ent­lang der Gren­ze, zuneh­men­der Artil­le­rie-Beschuss, vor­be­rei­ten­de Ope­ra­tio­nen durch Spe­zi­al­ein­hei­ten, Inten­si­vie­rung der Sabo­ta­ge­ak­te in Donezk und ande­ren Städ­ten. Durch west­li­che Auf­rüs­tung (sowie Trai­ning) und ame­ri­ka­ni­sche Ermun­te­rung, war Kiew sicher, dass die Nie­der­la­ge von 2014 sich nicht wie­der­holt und ein Krieg dies­mal zum Sieg füh­ren wird. Eini­ge Ein­hei­ten gin­gen in den letz­ten Tagen sogar so weit, rus­si­sches Ter­ri­to­ri­um zu beschießen.

Nach der Aner­ken­nung der Volks­re­pu­bli­ken durch Russ­land schloss sich das Zeit­fens­ter für Kiew und die mili­tä­ri­schen Aktio­nen gegen den Don­bass wur­den inten­si­viert. Dar­auf folg­te ein Hil­fe­er­su­chen der Volks­re­pu­bli­ken an Mos­kau und seit letz­ter Nacht spre­chen die Waf­fen. War­um Kiew die deut­li­chen War­nun­gen igno­rier­te und wei­ter auf Eska­la­ti­on setz­te, kann aktu­ell nicht end­gül­tig geklärt wer­den. Spä­tes­tens nach der deut­li­chen Rede von Putin hät­te klar sein müs­sen wohin das führt.

Es gibt die Ver­mu­tung, dass Kiew sicher war, den Kon­flikt auf das Ter­ri­to­ri­um der Volks­re­pu­bli­ken begren­zen zu kön­nen. Viel­leicht kam die­se Infor­ma­ti­on von den west­li­chen »Part­nern« der ukrai­ni­schen Regie­rung. Eine star­ke Ver­mu­tung ist, dass allen vor­an die USA alles dafür taten, um Russ­land zu einer grö­ße­ren Mili­tär­ak­ti­on zu pro­vo­zie­ren und Kiew ent­spre­chend in Sicher­heit wogen und anstif­te­ten. Cui bono? Fakt ist, die USA sind der größ­te Pro­fi­teur die­ser Eska­la­ti­on und von Krieg in Europa.

2) Stän­di­ge Ver­let­zun­gen des Mins­ker Abkom­mens durch Kiew:

Seit Jah­ren ver­sucht Russ­land den Kon­flikt auf diplo­ma­ti­schem Wege zu lösen und for­dert immer wie­der die Ein­hal­tung des Mins­ker Abkom­mens (Minsk‑2). Die­ses Abkom­men ist kei­ne Emp­feh­lung, son­dern ein völ­ker­recht­lich ver­bind­li­ches Doku­ment auf Ebe­ne der UN. Die Ukrai­ne hat aber im Lau­fe der Jah­re sogar Geset­ze beschlos­sen, die mit Minsk‑2 unver­ein­bar sind.

In der Pra­xis hat Kiew das Mins­ker Abkom­men in wei­ten Tei­len igno­riert und immer wie­der star­ben Zivi­lis­ten im Don­bass durch ukrai­ni­sche Waf­fen, obwohl es offi­zi­ell kei­nen Krieg gab. Mos­kau hat jah­re­lang Gesprä­che mit den Garan­tie­mäch­ten Deutsch­land und Frank­reich geführt, damit die­se Kiew zur Ein­hal­tung von Mink‑2 bewe­gen aber dar­an gab es kein Inter­es­se. Dabei wäre es für Deutsch­land und Frank­reich ein leich­tes, die ukrai­ni­sche Regie­rung zu über­zeu­gen. Z. B. in dem man die Finan­zie­rung die­ses Regimes und sei­ner bewaff­ne­ten Ein­hei­ten dar­an bindet.

Dadurch ent­steht der Ein­druck, dass die Ukrai­ne, gedul­det oder unter­stützt vom Wes­ten, das Mins­ker Abkom­men miss­brauch­te, um Zeit für die Auf­rüs­tung der Armee zu gewin­nen und kein Inter­es­se an einer fried­li­chen Kon­flikt­lö­sung hatte.

Quel­le: sta​tis​ta​.com/​Lizenz: CC BY-ND 4.0 /​siehe auch Anmer­kung unten

3) NATO-Ost­erwei­te­rung und mili­tä­ri­sche Bedro­hung Russlands:

Der Kern des Pro­blems ist die NATO-Ost­erwei­te­rung, wel­che die Sicher­heits­in­ter­es­sen Russ­lands igno­riert und das Land zuneh­mend umkreist. Dies war die ent­schei­den­de Aus­sa­ge in der Rede des rus­si­schen Prä­si­den­ten. Er hat in aller Deut­lich­keit klar­ge­macht, dass die rote Linie über­schrit­ten ist und Russ­land mit dem Rücken zur Wand steht. Dafür nann­te er auch anschau­li­che Bei­spie­le: Er sprach von NATO-Rake­ten, die schon jetzt in unter 30 Minu­ten in Mos­kau sein kön­nen. Dies wür­de sich mit Hyper­schall­ra­ke­ten und dem NATO-Bei­tritt der Ukrai­ne auf 5 Minu­ten verringern.

Man­che tun dies als irrele­van­ten Punkt ab, da die NATO ja nie auf die Idee kom­men wür­de. Falsch.

Gera­de die Ame­ri­ka­ner haben gezeigt, dass sie bereit sind, selbst zum Zwe­cke der Macht­de­mons­tra­ti­on, ohne mili­tä­ri­schen Nut­zen, Atom­bom­ben auf ihren Geg­ner abzu­wer­fen. Und jeder kann sich vor­stel­len, wie die USA reagie­ren wür­den, wenn rus­si­sche Ein­hei­ten, Trä­ger­ra­ke­ten oder Rake­ten­ab­wehr­schir­me in der Nähe ihres Ter­ri­to­ri­ums sta­tio­niert wer­den wür­den – z. B. auf Kuba oder in Vene­zue­la. Viel Vor­stel­lungs­kraft braucht man dafür nicht, weil genau das 1962 in der Kuba­kri­se geschah und die USA sofort mit einem Atom­krieg drohten.

Wes­halb wird die­ser Sicher­heits­ab­stand Russ­land nicht zuge­stan­den? Wie­so wur­den alle Ver­spre­chen gegen­über Russ­land gebro­chen und die NATO immer wei­ter nach Osten aus­ge­dehnt? War­um muss­te man das mit dem NATO-Bei­tritts­kan­di­da­ten Ukrai­ne noch wei­ter eska­lie­ren? In den letz­ten Wochen gab es immer wie­der Vor­schlä­ge Russ­lands, ver­trag­lich zu garan­tie­ren, dass es kei­nen NATO-Bei­tritt der Ukrai­ne geben wird. Die Reak­ti­on des Wes­tens war: Das geht euch nichts an. Jedes Land ent­schei­det selbst.

Selbst wer sich nicht mit Sicher­heits­po­li­tik aus­kennt, kann nach­schau­en wie vie­le rus­si­sche Mili­tär­ba­sen und Sol­da­ten es um Ame­ri­ka (näm­lich kei­ne) und die EU gibt und wie vie­le US- und NATO-Basen Russ­land umkrei­sen. Offen­sicht­lich wird Russ­land als Feind betrach­tet und man will damit das stra­te­gi­sche Gleich­ge­wicht ver­schie­ben. Die­se aggres­si­ve Poli­tik des Wes­tens, allen vor­an der USA, hat aber das Poten­zi­al zum Welt­krieg. Wir brau­chen des­halb kurz­fris­tig eine Dees­ka­la­ti­on, indem der Wes­ten die legi­ti­men Sicher­heits­in­ter­es­sen Russ­lands akzeptiert.

Mit­tel­fris­tig muss das Ziel lauten:

Deutsch­land: Raus aus der NATO! NATO: Raus aus Deutschland!

Artur Lei­er ist Vor­stands­mit­glied im Frei­den­ker-Lan­des­ver­band Nord

Bild oben: Quel­le: sta​tis​ta​.com/​Lizenz: CC BY-ND 4.0 (Aus­zug)

Anmer­kung der Web­re­dak­ti­on von frei​den​ker​.org: Das Bild ist hin­sicht­lich der His­to­rie der NATO-Erwei­te­rung nicht völ­lig kor­rekt: Zwar trat West­deutsch­land (»die alte BRD«) der NATO am 08.05.1955 bei, aber der deut­sche Frie­dens­staat DDR wur­de erst nach sei­ner Liqui­die­rung und Ein­ver­lei­bung in die »neue BRD« ab 03.10.1990 zum NATO-Bestandteil.

Dane­ben ent­hält die Dar­stel­lung wei­te­re Unge­nau­ig­kei­ten, die mög­li­cher­wei­se dem Maß­stab geschul­det sind: die Repu­bli­ken Abcha­si­en, Donezk, Lugansk und Süd­os­se­ti­en müss­ten bei kor­rek­ter Dar­stel­lung hell­grau statt gelb erschei­nen. Nicht mehr aktu­ell ist jedoch die Ein­fär­bung der Repu­blik Krim und der Stadt Sewas­to­pol, die seit März 2014 Teil der Russ­län­di­schen Föde­ra­ti­on sind.

Die­ser Arti­kel erschien zuerst bei frei​den​ker​.org

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